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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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sich ein selbständiges Urteil über schwierige Fragen zu bilden, Für ältere
Zeitgenossen hat das allerdings nichts Befremdliches, Sie kennen unser Volk
genng, daß sie sich sagen können, seine oft geraden unausstehliche Tadelsucht
sei die Kehrseite unsers starken EinzelbelvnßtseinS, also eines unsrer Vorzüge,
und sie erinnern sich, allerdings ohne jede Freude, ja nicht ohne Beschämung,
daran, wie lauge Jahre Wilhelm l. und Bismarck verkannt, verhöhnt und
leidenschaftlich bekämpft wurden, als sie an dein Werke schufen, das am
18. Januar 1871 in Versailles zu glorreicher Vollendung kam. Da die Menschen
im allgemeinen nur von denn lernen, was sie erleben, von der Geschichte
früherer Zeiten sehr wenig oder nichts, so ist diese Erfahrung für die meisten
Deutschen von heute einfach nicht vorhanden, und das damalige Verhältnis
wiederholt sich, uicht zu unserm Ruhme, Aber seien Nur gerecht. Es giebt
damals wie heute manche Dinge, die das Verständnis erschwere". Wir konnten
uns das Deutsche Reich nicht denken ohne Fürst Bismarck, lind wir erlebten
es, daß er kaum zwei Jahre nach dem Tode seines geliebte" "alte" Herrn"
entlassen wurde. Mau sah darin damals ohne weiteres lludant und über¬
spanntes Selbstgefühl eines jungen Monarchen; daS war menschlich, aber falsch.
Obwohl uns, die Nur diese erschütternden Märztage des Jahres 1890 selbst
tief erschüttert erlebt bilden, ein uubefaugues wirklich historisches Urteil uoch
nicht möglich ist, auch die bisher veröffentlichten Aktenstücke noch nicht zu einem
solchen hinreichen, so kann mau doch - und mehr als ein Zeugnis von
Männern spricht dafür, die den Dingen damals ganz nahe gestanden und zu deu
wärmsten Bewundrern des Fürsten Bismarck gehört haben -- sich der Überzeugung
uicht verschließen, daß sich hier eine Entscheidung von echter, weltgeschiclMcher
Tragik vollzogen hat, der Zusnmmeustoß zweier gleich starker, vou gleich starkem
Selbstgefühl und Pflichtbewußtsein erfüllter Charaktere, der in einem wirklich
monarchischen Staatswesen nicht anders enden konnte, als er geendet hat.
Aber noch mehr. Wir erlebten es, daß auf den Großvater fast ohne Ver¬
mittlung der Enkel folgte, also gerade die Generation, die unter Wilhelm >.
das neue Reich geschaffen hatte, auf dem Kaiserthrone ausfiel, und daß oben
drein dieser Enkel von dem Großvater in seinem Charakter außerordentlich
verschiede" war. An Stelle eines ehrwürdigen Greises von einer alle andern
weit überragende" Erfahrung, die fast über drei Menschenalter hiuwegreichte,
vou einer imponierender, schwer errungnen Autorität, vou selbstbewußter, aber
ruhig-gemessener Haltung, die sich niemals etwas vergab, jeden, seinen Plrm
anwies und sich mir dann zum Reden herbeiließ, wenn und soweit eS unbe¬
dingt erforderlich war, von schlichter, wesentlich militärischer, ganz nud gar im
altpreußischen Wesen wurzelnder Art, die sich erst mich schweren innern Kämpfen
in die neuen deutschen Aufgabe" hineinfand, trat ein junger Herr, der die
deutscheu EiuheitSkriege "ur als Knabe erlebt hatte, in dem starken Selbst-
bewußtsein einer großen, ruhmvollen Dynastie und der ererbten Würde wie i"
dem lebendige" Pflichtgefühl dem Großvater ähnlich, aber noch ohne große
Erfahrung, feurig, energisch, rasch entschlossen, von dem Drange erfüllt, was


sich ein selbständiges Urteil über schwierige Fragen zu bilden, Für ältere
Zeitgenossen hat das allerdings nichts Befremdliches, Sie kennen unser Volk
genng, daß sie sich sagen können, seine oft geraden unausstehliche Tadelsucht
sei die Kehrseite unsers starken EinzelbelvnßtseinS, also eines unsrer Vorzüge,
und sie erinnern sich, allerdings ohne jede Freude, ja nicht ohne Beschämung,
daran, wie lauge Jahre Wilhelm l. und Bismarck verkannt, verhöhnt und
leidenschaftlich bekämpft wurden, als sie an dein Werke schufen, das am
18. Januar 1871 in Versailles zu glorreicher Vollendung kam. Da die Menschen
im allgemeinen nur von denn lernen, was sie erleben, von der Geschichte
früherer Zeiten sehr wenig oder nichts, so ist diese Erfahrung für die meisten
Deutschen von heute einfach nicht vorhanden, und das damalige Verhältnis
wiederholt sich, uicht zu unserm Ruhme, Aber seien Nur gerecht. Es giebt
damals wie heute manche Dinge, die das Verständnis erschwere». Wir konnten
uns das Deutsche Reich nicht denken ohne Fürst Bismarck, lind wir erlebten
es, daß er kaum zwei Jahre nach dem Tode seines geliebte» „alte» Herrn"
entlassen wurde. Mau sah darin damals ohne weiteres lludant und über¬
spanntes Selbstgefühl eines jungen Monarchen; daS war menschlich, aber falsch.
Obwohl uns, die Nur diese erschütternden Märztage des Jahres 1890 selbst
tief erschüttert erlebt bilden, ein uubefaugues wirklich historisches Urteil uoch
nicht möglich ist, auch die bisher veröffentlichten Aktenstücke noch nicht zu einem
solchen hinreichen, so kann mau doch - und mehr als ein Zeugnis von
Männern spricht dafür, die den Dingen damals ganz nahe gestanden und zu deu
wärmsten Bewundrern des Fürsten Bismarck gehört haben — sich der Überzeugung
uicht verschließen, daß sich hier eine Entscheidung von echter, weltgeschiclMcher
Tragik vollzogen hat, der Zusnmmeustoß zweier gleich starker, vou gleich starkem
Selbstgefühl und Pflichtbewußtsein erfüllter Charaktere, der in einem wirklich
monarchischen Staatswesen nicht anders enden konnte, als er geendet hat.
Aber noch mehr. Wir erlebten es, daß auf den Großvater fast ohne Ver¬
mittlung der Enkel folgte, also gerade die Generation, die unter Wilhelm >.
das neue Reich geschaffen hatte, auf dem Kaiserthrone ausfiel, und daß oben
drein dieser Enkel von dem Großvater in seinem Charakter außerordentlich
verschiede» war. An Stelle eines ehrwürdigen Greises von einer alle andern
weit überragende» Erfahrung, die fast über drei Menschenalter hiuwegreichte,
vou einer imponierender, schwer errungnen Autorität, vou selbstbewußter, aber
ruhig-gemessener Haltung, die sich niemals etwas vergab, jeden, seinen Plrm
anwies und sich mir dann zum Reden herbeiließ, wenn und soweit eS unbe¬
dingt erforderlich war, von schlichter, wesentlich militärischer, ganz nud gar im
altpreußischen Wesen wurzelnder Art, die sich erst mich schweren innern Kämpfen
in die neuen deutschen Aufgabe» hineinfand, trat ein junger Herr, der die
deutscheu EiuheitSkriege »ur als Knabe erlebt hatte, in dem starken Selbst-
bewußtsein einer großen, ruhmvollen Dynastie und der ererbten Würde wie i»
dem lebendige» Pflichtgefühl dem Großvater ähnlich, aber noch ohne große
Erfahrung, feurig, energisch, rasch entschlossen, von dem Drange erfüllt, was


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[0306] sich ein selbständiges Urteil über schwierige Fragen zu bilden, Für ältere Zeitgenossen hat das allerdings nichts Befremdliches, Sie kennen unser Volk genng, daß sie sich sagen können, seine oft geraden unausstehliche Tadelsucht sei die Kehrseite unsers starken EinzelbelvnßtseinS, also eines unsrer Vorzüge, und sie erinnern sich, allerdings ohne jede Freude, ja nicht ohne Beschämung, daran, wie lauge Jahre Wilhelm l. und Bismarck verkannt, verhöhnt und leidenschaftlich bekämpft wurden, als sie an dein Werke schufen, das am 18. Januar 1871 in Versailles zu glorreicher Vollendung kam. Da die Menschen im allgemeinen nur von denn lernen, was sie erleben, von der Geschichte früherer Zeiten sehr wenig oder nichts, so ist diese Erfahrung für die meisten Deutschen von heute einfach nicht vorhanden, und das damalige Verhältnis wiederholt sich, uicht zu unserm Ruhme, Aber seien Nur gerecht. Es giebt damals wie heute manche Dinge, die das Verständnis erschwere». Wir konnten uns das Deutsche Reich nicht denken ohne Fürst Bismarck, lind wir erlebten es, daß er kaum zwei Jahre nach dem Tode seines geliebte» „alte» Herrn" entlassen wurde. Mau sah darin damals ohne weiteres lludant und über¬ spanntes Selbstgefühl eines jungen Monarchen; daS war menschlich, aber falsch. Obwohl uns, die Nur diese erschütternden Märztage des Jahres 1890 selbst tief erschüttert erlebt bilden, ein uubefaugues wirklich historisches Urteil uoch nicht möglich ist, auch die bisher veröffentlichten Aktenstücke noch nicht zu einem solchen hinreichen, so kann mau doch - und mehr als ein Zeugnis von Männern spricht dafür, die den Dingen damals ganz nahe gestanden und zu deu wärmsten Bewundrern des Fürsten Bismarck gehört haben — sich der Überzeugung uicht verschließen, daß sich hier eine Entscheidung von echter, weltgeschiclMcher Tragik vollzogen hat, der Zusnmmeustoß zweier gleich starker, vou gleich starkem Selbstgefühl und Pflichtbewußtsein erfüllter Charaktere, der in einem wirklich monarchischen Staatswesen nicht anders enden konnte, als er geendet hat. Aber noch mehr. Wir erlebten es, daß auf den Großvater fast ohne Ver¬ mittlung der Enkel folgte, also gerade die Generation, die unter Wilhelm >. das neue Reich geschaffen hatte, auf dem Kaiserthrone ausfiel, und daß oben drein dieser Enkel von dem Großvater in seinem Charakter außerordentlich verschiede» war. An Stelle eines ehrwürdigen Greises von einer alle andern weit überragende» Erfahrung, die fast über drei Menschenalter hiuwegreichte, vou einer imponierender, schwer errungnen Autorität, vou selbstbewußter, aber ruhig-gemessener Haltung, die sich niemals etwas vergab, jeden, seinen Plrm anwies und sich mir dann zum Reden herbeiließ, wenn und soweit eS unbe¬ dingt erforderlich war, von schlichter, wesentlich militärischer, ganz nud gar im altpreußischen Wesen wurzelnder Art, die sich erst mich schweren innern Kämpfen in die neuen deutschen Aufgabe» hineinfand, trat ein junger Herr, der die deutscheu EiuheitSkriege »ur als Knabe erlebt hatte, in dem starken Selbst- bewußtsein einer großen, ruhmvollen Dynastie und der ererbten Würde wie i» dem lebendige» Pflichtgefühl dem Großvater ähnlich, aber noch ohne große Erfahrung, feurig, energisch, rasch entschlossen, von dem Drange erfüllt, was

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/306>, abgerufen am 24.07.2024.