Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.Erlebnisse eines achtjährigen Jungen die das jedesmalige Wiedereinfangcu des eutspruugnen Heuhnpfers verursachte, kein Da bei der uus befreundeten Wilkischen Familie eine französische Erzieherin Da saßen wir nun nebeneinander auf dem großen Tritt in unsrer Stube und Ich kann mich nicht eines einzige" Falls erinnern, wo ich ihn heftig gesehen Ani jedoch dein Gange der Dinge nicht vorzugreifen: da saßen wir also und Erlebnisse eines achtjährigen Jungen die das jedesmalige Wiedereinfangcu des eutspruugnen Heuhnpfers verursachte, kein Da bei der uus befreundeten Wilkischen Familie eine französische Erzieherin Da saßen wir nun nebeneinander auf dem großen Tritt in unsrer Stube und Ich kann mich nicht eines einzige» Falls erinnern, wo ich ihn heftig gesehen Ani jedoch dein Gange der Dinge nicht vorzugreifen: da saßen wir also und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0245" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234125"/> <fw type="header" place="top"> Erlebnisse eines achtjährigen Jungen</fw><lb/> <p xml:id="ID_808" prev="#ID_807"> die das jedesmalige Wiedereinfangcu des eutspruugnen Heuhnpfers verursachte, kein<lb/> Unglück sei, wenn der Hauslehrer, für dessen Zimmer der Tapezier noch gestern<lb/> einen großen, mit grüner Serge bespannten Wandschirm gebracht hatte, bald komme.<lb/> Eines schönen Tags war er denn auch wirklich da: ein etwas fremdländisch aus¬<lb/> sehender junger Maun, der mir ganz gut gefallen haben würde, wenn ich auch «ur<lb/> ein Wort von dem, was er sagte, verstanden hätte. Mein Vater und meine Mutter<lb/> konnte» sich mit ihm verständigen, Vogt nud Shnatschke nicht. Vogt — ich weis;<lb/> nicht warum? --- mochte ihn vou der ersten Stunde an nicht und bezeichnete ihn,<lb/> wenn wir unter vier Augen waren, als den Lockenkopf, die Wachspnppe, den<lb/> Jesuiter. Er kam aus der französischen Schweiz, sprach kein Wort deutsch, erlag<lb/> sofort unter deu schrecklichsten Symptomen gänzlicher Entnervung und beunruhigender<lb/> Thränenkrämpfe dem ma.1 du un>8 und hatte handbreite, ans beiden Seiten an das<lb/> Beinkleid angenähte Stege, über die Synatschke, der sie bisweilen zu wichsen hatte,<lb/> meines Wissens nie hinweggekommen ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_809"> Da bei der uus befreundeten Wilkischen Familie eine französische Erzieherin<lb/> war, von der mau gemeiniglich als der Wilkischen Bonne sprach — sie zog den<lb/> Titel Gouvernante vor und sagte uns das —, so wurde Monsieur Besse als mein<lb/> Bonnrich bezeichnet, eine scherzhafte Ausdrucksweise, die nicht meinen Beifall halte,<lb/> da mir im Interesse meiner und seiner Würde, namentlich der meinen, Gouverneur<lb/> besser gefiel.</p><lb/> <p xml:id="ID_810"> Da saßen wir nun nebeneinander auf dem großen Tritt in unsrer Stube und<lb/> weinte»; er vor Sehnsucht nach seinen heimatlichen Bergen, ich ansteckuugsweise<lb/> und ans Kvmmiseration. Die ersten Tage deuchte mich der Flug der Stunde»<lb/> recht träge, bis es Mittag- »»d Abendbrvtzeit wurde. Er war, glaube ich, ein<lb/> seelensguter, weichherziger Mensch, aber das Wohlwollen, das er mir entgegentrug,<lb/> war mir zu schwabblig, zu weibisch; er machte zu sehr ein an zärtliche Liebkosungen<lb/> gewöhntes Kind ans nur, während ich, von Natur über eine gewisse Grenze leb¬<lb/> haften Interesses um jedem hinaus schwer zugänglich und innerlich völlig ungebändigt,<lb/> wie ein älterer Junge behandelt zu werden Anspruch machte.</p><lb/> <p xml:id="ID_811"> Ich kann mich nicht eines einzige» Falls erinnern, wo ich ihn heftig gesehen<lb/> oder hart und unbillig gefunden hätte; überhaupt kann ich vou ihm mir das Beste<lb/> sagen, aber sonderbar, obwohl ich mich nach einiger Zeit mit ihm verständigen<lb/> konnte, und obwohl er sich, außerhalb der wenigen Stunden, wo es sich um einen<lb/> förmlichen Unterricht handelte, in gutmütigster, unverdrossenster Weise zu meinem<lb/> Spielgenossen hergab, so war doch, glaube ich, sein moralischer und geistiger Ein-<lb/> fluß auf mich null. Von einer Antipathie gegen ihn konnte bei mir um so weniger<lb/> die Rede sein, als ich mich nicht erinnere, dieses Gefühl in meiner Jugend über¬<lb/> haupt irgend jemand gegenüber gekannt zu haben; ich habe bei ihm französische<lb/> Fabeln auswendig und deutsche Geographie mit französischen Namen, Leipsie, Cologne,<lb/> Mayeuce, Fraukfvrt-sur-Mein gelernt, im übrigen ist er, was das Formen des noch<lb/> völlig weichen Gemütsthous anlangte, in fast unheimlicher Weise spurlos an mir<lb/> vorübergegangen. Wahrscheinlich traf dabei keinen von uns beiden eine Schuld: auch<lb/> die Chemie zeigt uus unzählige Stoffe, die nicht aufeinander reagieren.</p><lb/> <p xml:id="ID_812"> Ani jedoch dein Gange der Dinge nicht vorzugreifen: da saßen wir also und<lb/> weinten. Meine Eltern hatten mir gesagt, daß er sich nach seinen Bergen sehne,<lb/> und Vogt hatte das als eine eines erwachsenen Menschen, der einen Cylinderhut<lb/> trage, unwürdige Schwäche gebrandmarkt; er nannte ihn damals die Heulliese.<lb/> Synatschke schien ihn eher zu verstehn, war minder hartherzig und meinte, das gute<lb/> Esse» werde ihm schon aufhelfen. Ich versuchte es deshalb, da ich ihn nicht mit<lb/> Worten trösten und doch auch nicht den ganzen Tag mit ihm weinen konnte, mit<lb/> dem, was Papa in, Stall Extrafntter nannte.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0245]
Erlebnisse eines achtjährigen Jungen
die das jedesmalige Wiedereinfangcu des eutspruugnen Heuhnpfers verursachte, kein
Unglück sei, wenn der Hauslehrer, für dessen Zimmer der Tapezier noch gestern
einen großen, mit grüner Serge bespannten Wandschirm gebracht hatte, bald komme.
Eines schönen Tags war er denn auch wirklich da: ein etwas fremdländisch aus¬
sehender junger Maun, der mir ganz gut gefallen haben würde, wenn ich auch «ur
ein Wort von dem, was er sagte, verstanden hätte. Mein Vater und meine Mutter
konnte» sich mit ihm verständigen, Vogt nud Shnatschke nicht. Vogt — ich weis;
nicht warum? --- mochte ihn vou der ersten Stunde an nicht und bezeichnete ihn,
wenn wir unter vier Augen waren, als den Lockenkopf, die Wachspnppe, den
Jesuiter. Er kam aus der französischen Schweiz, sprach kein Wort deutsch, erlag
sofort unter deu schrecklichsten Symptomen gänzlicher Entnervung und beunruhigender
Thränenkrämpfe dem ma.1 du un>8 und hatte handbreite, ans beiden Seiten an das
Beinkleid angenähte Stege, über die Synatschke, der sie bisweilen zu wichsen hatte,
meines Wissens nie hinweggekommen ist.
Da bei der uus befreundeten Wilkischen Familie eine französische Erzieherin
war, von der mau gemeiniglich als der Wilkischen Bonne sprach — sie zog den
Titel Gouvernante vor und sagte uns das —, so wurde Monsieur Besse als mein
Bonnrich bezeichnet, eine scherzhafte Ausdrucksweise, die nicht meinen Beifall halte,
da mir im Interesse meiner und seiner Würde, namentlich der meinen, Gouverneur
besser gefiel.
Da saßen wir nun nebeneinander auf dem großen Tritt in unsrer Stube und
weinte»; er vor Sehnsucht nach seinen heimatlichen Bergen, ich ansteckuugsweise
und ans Kvmmiseration. Die ersten Tage deuchte mich der Flug der Stunde»
recht träge, bis es Mittag- »»d Abendbrvtzeit wurde. Er war, glaube ich, ein
seelensguter, weichherziger Mensch, aber das Wohlwollen, das er mir entgegentrug,
war mir zu schwabblig, zu weibisch; er machte zu sehr ein an zärtliche Liebkosungen
gewöhntes Kind ans nur, während ich, von Natur über eine gewisse Grenze leb¬
haften Interesses um jedem hinaus schwer zugänglich und innerlich völlig ungebändigt,
wie ein älterer Junge behandelt zu werden Anspruch machte.
Ich kann mich nicht eines einzige» Falls erinnern, wo ich ihn heftig gesehen
oder hart und unbillig gefunden hätte; überhaupt kann ich vou ihm mir das Beste
sagen, aber sonderbar, obwohl ich mich nach einiger Zeit mit ihm verständigen
konnte, und obwohl er sich, außerhalb der wenigen Stunden, wo es sich um einen
förmlichen Unterricht handelte, in gutmütigster, unverdrossenster Weise zu meinem
Spielgenossen hergab, so war doch, glaube ich, sein moralischer und geistiger Ein-
fluß auf mich null. Von einer Antipathie gegen ihn konnte bei mir um so weniger
die Rede sein, als ich mich nicht erinnere, dieses Gefühl in meiner Jugend über¬
haupt irgend jemand gegenüber gekannt zu haben; ich habe bei ihm französische
Fabeln auswendig und deutsche Geographie mit französischen Namen, Leipsie, Cologne,
Mayeuce, Fraukfvrt-sur-Mein gelernt, im übrigen ist er, was das Formen des noch
völlig weichen Gemütsthous anlangte, in fast unheimlicher Weise spurlos an mir
vorübergegangen. Wahrscheinlich traf dabei keinen von uns beiden eine Schuld: auch
die Chemie zeigt uus unzählige Stoffe, die nicht aufeinander reagieren.
Ani jedoch dein Gange der Dinge nicht vorzugreifen: da saßen wir also und
weinten. Meine Eltern hatten mir gesagt, daß er sich nach seinen Bergen sehne,
und Vogt hatte das als eine eines erwachsenen Menschen, der einen Cylinderhut
trage, unwürdige Schwäche gebrandmarkt; er nannte ihn damals die Heulliese.
Synatschke schien ihn eher zu verstehn, war minder hartherzig und meinte, das gute
Esse» werde ihm schon aufhelfen. Ich versuchte es deshalb, da ich ihn nicht mit
Worten trösten und doch auch nicht den ganzen Tag mit ihm weinen konnte, mit
dem, was Papa in, Stall Extrafntter nannte.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |