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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Herbsttage in der Lisel

der dortigen Gegend boten. So führte der Schwager plötzlich in völlig un¬
verständlichem Dialekt ein Zwiegespräch mit irgend jemand, den ich bei der
Finsternis nicht zu entdecken vermochte. Es war ein Mädchen, das um die
Erlaubnis bat, sich hinten am Postwagen festzuhalten und sich so bergauf zieh"
zu lassen, um so schneller nach Herhahn zu kommen, wo ihre Schwester der
Niederkunft entgegensehe.

In Herhnhn, einem ärmlichen Dorfe mit weit umher zerstreuten Hütten,
lockte des Schwagers Horn drei oder vier Leute herbei, die den Postillon
baten, Briefe mitzunehmen, und ihm das Porto dafür in barer Münze aus¬
händigten. Es war eine Gefälligkeit von ihm, daß er diese Briefe an der
nächste" Poststation mit Marken versah, aber die Bevölkerung kann sich, wie
er mir sagte, noch immer nicht an den Gebrauch der Briefmarken gewöhnen.
Über eine lange Pappelallee gelangten wir nach dem endlos ausgedehnten
Dorfe Drcybvrn. Von den Resten des alten Schlosses, einer von den Herren
von Blatten erbauten Wasserburg, die seit dem Jahre 1564 im Besitze der
Freiherren von Harff geblieben ist, war bei der Dunkelheit nichts zu erkennen,
doch verriet auch hier wieder die Silhouette der stattlichen neuen Kirche, daß
man anch in den ärmsten Gegenden Geld für fromme Zwecke übrig hat.
Während der Postillon in der Postagentur seine dienstlichen Geschäfte erledigte,
wanderte ich auf der Straße auf und nieder und versuchte einen Einblick in
die Häuslichkeit der Dorfeinwohner zu gewinnen, was mir jedoch nicht recht
gelingen wollte, weil die Feuster überall sehr hoch über der Straße angebracht
waren. Das einzige, was ich in den zugleich als Wohnstube und Küche be¬
nutzten Räumen deutlich erkennen konnte, waren die Kannenbünke, bis zur
Decke reichende Holzgestelle mit mehreren horizontal liegenden Brettern, ans
denen das Küchen- und Tischgerät für gewöhnlich aufgestellt wird. Ganz zu
oberst paradierten durchweg alte Steiukrüge und blankgeputzte Zinnteller, hie
und da auch eine Kaffeekanne aus Rotkupfer, der Stolz und der wertvollste
Besitz jeder Eifeler Bäuerin. Eine Viertelstunde hinter Dreybvrn liegt mitten
im Felde ein Häuschen. Dort wohnt ein Schmied, dem der Postillon ein
Paket zu überbringen hatte. Der ländliche Hephästos ruhte schon in süßem
Schlummer, und es bedürfte keines geringen Hvrngeschmetters, bis drinnen in
der Hütte endlich ein Lichtchen aufflammte und die Thür aufgeriegelt wurde.
Der Adressat trat, nnr mit dem alleruueutbehrlichsten Kleidungsstücke angethan,
an den Wagen heran, nahm gähnend sein Paket in Empfang und ^ blieb
dem gutmütigen Schwager das Bestellgeld schuldig.

Von diesem Häuschen mußten wir fast zwei volle Stunden fahren, ehe
Nur wieder an einer menschlichen Wohnstätte vorüberkamen. Der Mond war
aufgegangen, wurde aber meist durch Wolken bedeckt, und wenn er wirklich
einmal einige Minuten lang schien, dnrch den Nebel getrübt. Dennoch ver¬
mochte ich mich einigermaßen über die Gegend zu unterrichten. In der Drey-
borner Flur wird Ackerbau betriebe!?; Hafer und Kartoffeln sollen dort noch
gut gedeihen, dagegen kommen Obstbäume nicht mehr fort, und die Dreybvrner


Herbsttage in der Lisel

der dortigen Gegend boten. So führte der Schwager plötzlich in völlig un¬
verständlichem Dialekt ein Zwiegespräch mit irgend jemand, den ich bei der
Finsternis nicht zu entdecken vermochte. Es war ein Mädchen, das um die
Erlaubnis bat, sich hinten am Postwagen festzuhalten und sich so bergauf zieh«
zu lassen, um so schneller nach Herhahn zu kommen, wo ihre Schwester der
Niederkunft entgegensehe.

In Herhnhn, einem ärmlichen Dorfe mit weit umher zerstreuten Hütten,
lockte des Schwagers Horn drei oder vier Leute herbei, die den Postillon
baten, Briefe mitzunehmen, und ihm das Porto dafür in barer Münze aus¬
händigten. Es war eine Gefälligkeit von ihm, daß er diese Briefe an der
nächste» Poststation mit Marken versah, aber die Bevölkerung kann sich, wie
er mir sagte, noch immer nicht an den Gebrauch der Briefmarken gewöhnen.
Über eine lange Pappelallee gelangten wir nach dem endlos ausgedehnten
Dorfe Drcybvrn. Von den Resten des alten Schlosses, einer von den Herren
von Blatten erbauten Wasserburg, die seit dem Jahre 1564 im Besitze der
Freiherren von Harff geblieben ist, war bei der Dunkelheit nichts zu erkennen,
doch verriet auch hier wieder die Silhouette der stattlichen neuen Kirche, daß
man anch in den ärmsten Gegenden Geld für fromme Zwecke übrig hat.
Während der Postillon in der Postagentur seine dienstlichen Geschäfte erledigte,
wanderte ich auf der Straße auf und nieder und versuchte einen Einblick in
die Häuslichkeit der Dorfeinwohner zu gewinnen, was mir jedoch nicht recht
gelingen wollte, weil die Feuster überall sehr hoch über der Straße angebracht
waren. Das einzige, was ich in den zugleich als Wohnstube und Küche be¬
nutzten Räumen deutlich erkennen konnte, waren die Kannenbünke, bis zur
Decke reichende Holzgestelle mit mehreren horizontal liegenden Brettern, ans
denen das Küchen- und Tischgerät für gewöhnlich aufgestellt wird. Ganz zu
oberst paradierten durchweg alte Steiukrüge und blankgeputzte Zinnteller, hie
und da auch eine Kaffeekanne aus Rotkupfer, der Stolz und der wertvollste
Besitz jeder Eifeler Bäuerin. Eine Viertelstunde hinter Dreybvrn liegt mitten
im Felde ein Häuschen. Dort wohnt ein Schmied, dem der Postillon ein
Paket zu überbringen hatte. Der ländliche Hephästos ruhte schon in süßem
Schlummer, und es bedürfte keines geringen Hvrngeschmetters, bis drinnen in
der Hütte endlich ein Lichtchen aufflammte und die Thür aufgeriegelt wurde.
Der Adressat trat, nnr mit dem alleruueutbehrlichsten Kleidungsstücke angethan,
an den Wagen heran, nahm gähnend sein Paket in Empfang und ^ blieb
dem gutmütigen Schwager das Bestellgeld schuldig.

Von diesem Häuschen mußten wir fast zwei volle Stunden fahren, ehe
Nur wieder an einer menschlichen Wohnstätte vorüberkamen. Der Mond war
aufgegangen, wurde aber meist durch Wolken bedeckt, und wenn er wirklich
einmal einige Minuten lang schien, dnrch den Nebel getrübt. Dennoch ver¬
mochte ich mich einigermaßen über die Gegend zu unterrichten. In der Drey-
borner Flur wird Ackerbau betriebe!?; Hafer und Kartoffeln sollen dort noch
gut gedeihen, dagegen kommen Obstbäume nicht mehr fort, und die Dreybvrner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/140>, abgerufen am 25.07.2024.