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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Zur innern Kolonisation in Preußen

dies eine sehr unsichere Existenz, denn durch eine Versetzung des Offiziers oder
durch die Geburt von Kindern könne jederzeit diese Einnahme und damit die
Existenzmöglichkeit der Familie ein Ende finden. 2000 Franken sei aber das
Minimum, das als feste Rente der Frau verlangt werden müsse. Um dies
zu beweisen, wird ein Budget für den Hallshalt eines verheirateten, aber
kinderlosen Leutnants aufgestellt, das bei äußerst bescheidnen Ansätzen doch
eine Ausgabe von 4400 Franken im Jahr aufweist, der nur 3900 Franken
Einnahme (2700 Franken Gehalt des Mannes und 1200 Franken Rente der
Frau) gegenüberstehn.

Betrachtet man nun alle diese Vorfälle in ihrer Gesamtheit, so erkennt
man als Folge eine große Unzufriedenheit in weiten Kreisen der Offiziere,
namentlich der ältern, und eine sich innerhalb des Offizierkorps bemerkbar
machende Spaltung, die sich in echt französischer Weise zunächst Luft macht
in zahlreichen Duells. Hiergegen wird auch durchaus nichts eingewandt, und
es dürfte für die Organe der deutschen Presse, die immer von dem "Duellnnfug"
in der deutschen Armee fabeln, recht lehrreich sein, daß sich der durch und durch
demokratisch und republikanisch gesinnte französische Kriegsminister ausdrücklich
mit dem Duell in diesen Fällen einverstanden erklärt. Als er in der Kammer
über die Vorgänge in Melun interpelliert wurde, sagte er zum Schluß seiner
Erwiderung, er sei genötigt gewesen, energisch gegen die dortigen Vorkomm¬
nisse und auch gegen die beginnende Duellepidemie einzuschreiten. "Ich bin
aber, fügte er hinzu, durchaus kein Gegner des Duells; es bedeutet vielmehr
einen Fortschritt (un xrog'rvL) gegenüber der feigen und hinterlistigen Sitte,
einen Kameraden in Verruf zu erklären, wie es gewisse Offiziere in diesem
Falle gethan und aus Anstalten, die ich nicht kenne, mitgebracht haben."

Eine weitere Folge dieser Vorgänge ist die, daß man in militärischen und
politischen Kreisen Frankreichs jetzt die Frage vielfach erörtert, ob man nicht
eine einheitliche Vorbildung aller Offiziere -- nach deutschem Muster -- ver¬
langen, also deu Dualismus der aus Militärschulen und der aus der Truppe
s v. W. tammenden Offiziere aufheben solle.




>ur innern Kolonisation in Preußen

le Ur. 52 der Grenzboten vom 27. Dezember vorigen Jahres
Seite 614 bringt unter dieser Überschrift einen offenbar von er¬
fahrner Seite ausgehenden Aufsatz, der zur Förderung der innern
Kolonisation besonders zum Zweck des Ankaufs der zu besiedelndeu
Güter die Einsetzung einer Staatsbehörde, einer "Staatsbank"
fordert. Näher ausgeführt ist der Gedanke nicht, er ist aber gewiß so be¬
achtenswert, daß eine ausführliche Besprechung angezeigt erscheint.


Zur innern Kolonisation in Preußen

dies eine sehr unsichere Existenz, denn durch eine Versetzung des Offiziers oder
durch die Geburt von Kindern könne jederzeit diese Einnahme und damit die
Existenzmöglichkeit der Familie ein Ende finden. 2000 Franken sei aber das
Minimum, das als feste Rente der Frau verlangt werden müsse. Um dies
zu beweisen, wird ein Budget für den Hallshalt eines verheirateten, aber
kinderlosen Leutnants aufgestellt, das bei äußerst bescheidnen Ansätzen doch
eine Ausgabe von 4400 Franken im Jahr aufweist, der nur 3900 Franken
Einnahme (2700 Franken Gehalt des Mannes und 1200 Franken Rente der
Frau) gegenüberstehn.

Betrachtet man nun alle diese Vorfälle in ihrer Gesamtheit, so erkennt
man als Folge eine große Unzufriedenheit in weiten Kreisen der Offiziere,
namentlich der ältern, und eine sich innerhalb des Offizierkorps bemerkbar
machende Spaltung, die sich in echt französischer Weise zunächst Luft macht
in zahlreichen Duells. Hiergegen wird auch durchaus nichts eingewandt, und
es dürfte für die Organe der deutschen Presse, die immer von dem „Duellnnfug"
in der deutschen Armee fabeln, recht lehrreich sein, daß sich der durch und durch
demokratisch und republikanisch gesinnte französische Kriegsminister ausdrücklich
mit dem Duell in diesen Fällen einverstanden erklärt. Als er in der Kammer
über die Vorgänge in Melun interpelliert wurde, sagte er zum Schluß seiner
Erwiderung, er sei genötigt gewesen, energisch gegen die dortigen Vorkomm¬
nisse und auch gegen die beginnende Duellepidemie einzuschreiten. „Ich bin
aber, fügte er hinzu, durchaus kein Gegner des Duells; es bedeutet vielmehr
einen Fortschritt (un xrog'rvL) gegenüber der feigen und hinterlistigen Sitte,
einen Kameraden in Verruf zu erklären, wie es gewisse Offiziere in diesem
Falle gethan und aus Anstalten, die ich nicht kenne, mitgebracht haben."

Eine weitere Folge dieser Vorgänge ist die, daß man in militärischen und
politischen Kreisen Frankreichs jetzt die Frage vielfach erörtert, ob man nicht
eine einheitliche Vorbildung aller Offiziere — nach deutschem Muster — ver¬
langen, also deu Dualismus der aus Militärschulen und der aus der Truppe
s v. W. tammenden Offiziere aufheben solle.




>ur innern Kolonisation in Preußen

le Ur. 52 der Grenzboten vom 27. Dezember vorigen Jahres
Seite 614 bringt unter dieser Überschrift einen offenbar von er¬
fahrner Seite ausgehenden Aufsatz, der zur Förderung der innern
Kolonisation besonders zum Zweck des Ankaufs der zu besiedelndeu
Güter die Einsetzung einer Staatsbehörde, einer „Staatsbank"
fordert. Näher ausgeführt ist der Gedanke nicht, er ist aber gewiß so be¬
achtenswert, daß eine ausführliche Besprechung angezeigt erscheint.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/128>, abgerufen am 24.07.2024.