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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Deutsch-italienischer Verkehr im Mittelalter

den Wohlstand der Nationen und die Kultur, Von italienischen Verhältnissen
unterschieden sich die deutschen dadurch, daß in Deutschland die Arbeit den
Adlichen schändete, und daß "müßig gehn" mußte, wer in den städtischen Adel
aufgenommen werden wollte, während in den italienischen Städten der Adel
schändete, und die Adlichen, die etwas bedeuten wollten, ein Gewerbe ergriffen
und sich in eine Zunft nnsnehmen ließein Der Adel wurde hier wohl zur
Strafe verhängt.

Eine weitere Eigentümlichkeit war, daß die Stellung einer Stadt im
internationalen Handel nicht von ihrer Größe, Einwohnerzahl und politischen
Macht abhing, sondern davon, ob sie eine gewerbliche Spezialität pflegte.
Schon vom ersten Anfang an waren es Spezialitäten gewesen, was den Fern¬
handel in Gang gebracht hatte. Wenn sich alle mit den gewöhnlichsten Er¬
zengnissen begnügten, so hätte eine gewerbthätige Stadt in einer fruchtbaren
Gegend Mitteldeutschlands, abgesehen von Südfrüchten, Wein und Kolonial¬
waren, gar keinen Fernhandel nötig. Freilich müßte sie schon, um diese drei
Arten von Waren bezahlen zu können, irgend etwas nach auswärts verkäuf¬
liches hervorbringen. Aber wenn an irgend einem Orte die Kunst erfunden
wird, Tuch sehr schön blau zu färben, so werden sich alle Leute, die es be¬
zahlen können, bis in weite Fernen hin um dieses Tuch reißen, und so wird ein
Fernhandel in Gang komme", denn natürlich hat sich im Mittelalter eine neue
Erfindung, obwohl sie keinen Patentschutz genoß, weit langsamer verbreitet als
heute, und manche Kunst konnte anderwärts, wo die Bedingungen ihrer Aus¬
übung fehlten, überhaupt nicht nachgeahmt werden, sodaß sie dem Ort ihrer
Erfindung auf Jahrhunderte ein Monopol sicherte. Daher hat das mächtige
Straßburg, dessen Handwerker für die reiche Umgebung arbeiteten, keine" Fern¬
handel gehabt, während neben Konstanz auch die kleinen Städte Ravensburg
und Memmingen im internationalen Leinenhandel eine Rolle spielen, und
Rotenburg im lebhaftesten Verkehr mit Como steht. Basel verhielt sich ähnlich
wie Straßburg, erst später hat es andre Wege eingeschlagen. Ein Edinger
aus Konstanz war sogar an dem ersten überseeischen Landerwerb Deutscher,
an der Fuggerschen Gründung in Venezuela beteiligt. Nürnberg verdankt seine
Bedeutung und seinen Reichtum bekanntlich seiner Metallindustrie; schon Annas
Shlvins hat gemeint, der König von Schottland würde sich glücklich schätze",
wenn er wohnen konnte wie ein Nürnberger Bürger. Auch die Macht Venedigs
ist aus einer gewerblichen Spezialität herausgewachsen, aus der Fabrikation
feiner Gläser, die bis zum Ausgange des Mittelalters ihr Geheimnis und
darum ihr Monopol geblieben ist.

Der mittelalterliche Verkehr konnte anfangs der Messen nicht entbehren.
Da der Kaufmann die Erzeugnisse seiner Werkstätten selbst an Ort und Stelle
bringen mußte, so Hütte er reiner Hausierer werden müssen, wenn es nicht
Zentralabsatzmärkte und auf diesen gewisse Zeiten des Umtanschs gegeben hätte.
Die wichtigsten Messen des Frtthmittelalters waren die ans den vier Cham¬
pagner Städten Troyes, Bar, Provins und Lagnh. Hier tauschten Italiener,


Deutsch-italienischer Verkehr im Mittelalter

den Wohlstand der Nationen und die Kultur, Von italienischen Verhältnissen
unterschieden sich die deutschen dadurch, daß in Deutschland die Arbeit den
Adlichen schändete, und daß „müßig gehn" mußte, wer in den städtischen Adel
aufgenommen werden wollte, während in den italienischen Städten der Adel
schändete, und die Adlichen, die etwas bedeuten wollten, ein Gewerbe ergriffen
und sich in eine Zunft nnsnehmen ließein Der Adel wurde hier wohl zur
Strafe verhängt.

Eine weitere Eigentümlichkeit war, daß die Stellung einer Stadt im
internationalen Handel nicht von ihrer Größe, Einwohnerzahl und politischen
Macht abhing, sondern davon, ob sie eine gewerbliche Spezialität pflegte.
Schon vom ersten Anfang an waren es Spezialitäten gewesen, was den Fern¬
handel in Gang gebracht hatte. Wenn sich alle mit den gewöhnlichsten Er¬
zengnissen begnügten, so hätte eine gewerbthätige Stadt in einer fruchtbaren
Gegend Mitteldeutschlands, abgesehen von Südfrüchten, Wein und Kolonial¬
waren, gar keinen Fernhandel nötig. Freilich müßte sie schon, um diese drei
Arten von Waren bezahlen zu können, irgend etwas nach auswärts verkäuf¬
liches hervorbringen. Aber wenn an irgend einem Orte die Kunst erfunden
wird, Tuch sehr schön blau zu färben, so werden sich alle Leute, die es be¬
zahlen können, bis in weite Fernen hin um dieses Tuch reißen, und so wird ein
Fernhandel in Gang komme», denn natürlich hat sich im Mittelalter eine neue
Erfindung, obwohl sie keinen Patentschutz genoß, weit langsamer verbreitet als
heute, und manche Kunst konnte anderwärts, wo die Bedingungen ihrer Aus¬
übung fehlten, überhaupt nicht nachgeahmt werden, sodaß sie dem Ort ihrer
Erfindung auf Jahrhunderte ein Monopol sicherte. Daher hat das mächtige
Straßburg, dessen Handwerker für die reiche Umgebung arbeiteten, keine» Fern¬
handel gehabt, während neben Konstanz auch die kleinen Städte Ravensburg
und Memmingen im internationalen Leinenhandel eine Rolle spielen, und
Rotenburg im lebhaftesten Verkehr mit Como steht. Basel verhielt sich ähnlich
wie Straßburg, erst später hat es andre Wege eingeschlagen. Ein Edinger
aus Konstanz war sogar an dem ersten überseeischen Landerwerb Deutscher,
an der Fuggerschen Gründung in Venezuela beteiligt. Nürnberg verdankt seine
Bedeutung und seinen Reichtum bekanntlich seiner Metallindustrie; schon Annas
Shlvins hat gemeint, der König von Schottland würde sich glücklich schätze»,
wenn er wohnen konnte wie ein Nürnberger Bürger. Auch die Macht Venedigs
ist aus einer gewerblichen Spezialität herausgewachsen, aus der Fabrikation
feiner Gläser, die bis zum Ausgange des Mittelalters ihr Geheimnis und
darum ihr Monopol geblieben ist.

Der mittelalterliche Verkehr konnte anfangs der Messen nicht entbehren.
Da der Kaufmann die Erzeugnisse seiner Werkstätten selbst an Ort und Stelle
bringen mußte, so Hütte er reiner Hausierer werden müssen, wenn es nicht
Zentralabsatzmärkte und auf diesen gewisse Zeiten des Umtanschs gegeben hätte.
Die wichtigsten Messen des Frtthmittelalters waren die ans den vier Cham¬
pagner Städten Troyes, Bar, Provins und Lagnh. Hier tauschten Italiener,


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[0116] Deutsch-italienischer Verkehr im Mittelalter den Wohlstand der Nationen und die Kultur, Von italienischen Verhältnissen unterschieden sich die deutschen dadurch, daß in Deutschland die Arbeit den Adlichen schändete, und daß „müßig gehn" mußte, wer in den städtischen Adel aufgenommen werden wollte, während in den italienischen Städten der Adel schändete, und die Adlichen, die etwas bedeuten wollten, ein Gewerbe ergriffen und sich in eine Zunft nnsnehmen ließein Der Adel wurde hier wohl zur Strafe verhängt. Eine weitere Eigentümlichkeit war, daß die Stellung einer Stadt im internationalen Handel nicht von ihrer Größe, Einwohnerzahl und politischen Macht abhing, sondern davon, ob sie eine gewerbliche Spezialität pflegte. Schon vom ersten Anfang an waren es Spezialitäten gewesen, was den Fern¬ handel in Gang gebracht hatte. Wenn sich alle mit den gewöhnlichsten Er¬ zengnissen begnügten, so hätte eine gewerbthätige Stadt in einer fruchtbaren Gegend Mitteldeutschlands, abgesehen von Südfrüchten, Wein und Kolonial¬ waren, gar keinen Fernhandel nötig. Freilich müßte sie schon, um diese drei Arten von Waren bezahlen zu können, irgend etwas nach auswärts verkäuf¬ liches hervorbringen. Aber wenn an irgend einem Orte die Kunst erfunden wird, Tuch sehr schön blau zu färben, so werden sich alle Leute, die es be¬ zahlen können, bis in weite Fernen hin um dieses Tuch reißen, und so wird ein Fernhandel in Gang komme», denn natürlich hat sich im Mittelalter eine neue Erfindung, obwohl sie keinen Patentschutz genoß, weit langsamer verbreitet als heute, und manche Kunst konnte anderwärts, wo die Bedingungen ihrer Aus¬ übung fehlten, überhaupt nicht nachgeahmt werden, sodaß sie dem Ort ihrer Erfindung auf Jahrhunderte ein Monopol sicherte. Daher hat das mächtige Straßburg, dessen Handwerker für die reiche Umgebung arbeiteten, keine» Fern¬ handel gehabt, während neben Konstanz auch die kleinen Städte Ravensburg und Memmingen im internationalen Leinenhandel eine Rolle spielen, und Rotenburg im lebhaftesten Verkehr mit Como steht. Basel verhielt sich ähnlich wie Straßburg, erst später hat es andre Wege eingeschlagen. Ein Edinger aus Konstanz war sogar an dem ersten überseeischen Landerwerb Deutscher, an der Fuggerschen Gründung in Venezuela beteiligt. Nürnberg verdankt seine Bedeutung und seinen Reichtum bekanntlich seiner Metallindustrie; schon Annas Shlvins hat gemeint, der König von Schottland würde sich glücklich schätze», wenn er wohnen konnte wie ein Nürnberger Bürger. Auch die Macht Venedigs ist aus einer gewerblichen Spezialität herausgewachsen, aus der Fabrikation feiner Gläser, die bis zum Ausgange des Mittelalters ihr Geheimnis und darum ihr Monopol geblieben ist. Der mittelalterliche Verkehr konnte anfangs der Messen nicht entbehren. Da der Kaufmann die Erzeugnisse seiner Werkstätten selbst an Ort und Stelle bringen mußte, so Hütte er reiner Hausierer werden müssen, wenn es nicht Zentralabsatzmärkte und auf diesen gewisse Zeiten des Umtanschs gegeben hätte. Die wichtigsten Messen des Frtthmittelalters waren die ans den vier Cham¬ pagner Städten Troyes, Bar, Provins und Lagnh. Hier tauschten Italiener,

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/116>, abgerufen am 24.07.2024.