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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Defregger in Berlin
Adolf Rosenbl-rg von

an einigen Jahren hat die Königliche Akademie der Künste in
Berlin die löbliche Gewohnheit angenommen, in den Herbst- und
Wintermonaten Sonderausstellungen zu Ehren hervorragender
Mitglieder zu veranstalten, in denen, soweit es möglich ist, ein
Überblick über ihr gesamtes Lebenswerk geboten werden soll. Den
Anlaß dazu hat bisher meist ein wichtiger Lebensabschnitt der also Geehrten
geboten: der siebzigste oder achtzigste Geburtstag. Da dieses Ziel aber im
Durchschnitt doch nur selten von Künstlern erreicht wird, deren Schaffenskraft
nicht schon lange vorher erloschen oder doch geschmälert ist, hat man sich
neuerdings entschlossen, solche Kunstfeste auch ohne Anschluß an bemerkens-
werte biographische Daten zu geben. Mit Paul Meyerheim, dem in ganz
Deutschland bekannten und geschätzten Tiermaler und Humoristen, der sich in
Berlin aber auch durch seine Bildnisse und seine dekorative!? Wandmalereien
hohes Ansehen erworben hat, ist der Anfang gemacht worden, und jetzt ist
Franz Defregger an die Reihe gekommen. Er ist am 30. April erst fünfund¬
sechzig Jahre alt geworden, hat also noch nicht das Vorrecht der Ehren er¬
worben, die in unserm festseligen Deutschland anf den Scheitel eines jeden
Siebzigers gehäuft werden, der irgendwie mit dem öffentlichen Leben zu
thun hat.

Eine Ausstellung von Werken Defreggers bedarf freilich keiner Recht¬
fertigung durch einen äußern Anlaß. Der mit zäher Beharrlichkeit auf sein
Ziel lossteuernde Tiroler, der vor einem Menschenalter unes München kam,
hat sich inzwischen längst ein Bürgerrecht in allen deutschen Gauen erworben.
Zunächst gewiß durch seine eigne Gestaltungskraft, durch die neue Welt vou
Menschen und Dingen, die er zuerst der deutschen Malerei erschlossen und für
sie fruchtbar gemacht hat. Er hat aber auch das Glück gehabt, daß sein erstes
Auftreten und seine ersten Erfolge in die Zeit fielen, wo die deutschen Stämme
sich zum erstenmale nach Jahrhunderten wieder zu einander gefunden hatten,
und alles, was deutsch dachte, sprach, sang und bildete, auch in ganz Deutsch¬
land verstanden wurde. Deutsch-Tirol gehörte ebenso dazu wie Deutsch-Öster¬
reich. Aber die Neigung der Leute im neuen Deutschen Reich war zu Tirol
doch stärker als zu deu Deutschen in Österreich. Vielleicht weil die Bayern
für die Norddeutschen die Brücke bildeten, und weil Oberbayern und Deutsch-




Defregger in Berlin
Adolf Rosenbl-rg von

an einigen Jahren hat die Königliche Akademie der Künste in
Berlin die löbliche Gewohnheit angenommen, in den Herbst- und
Wintermonaten Sonderausstellungen zu Ehren hervorragender
Mitglieder zu veranstalten, in denen, soweit es möglich ist, ein
Überblick über ihr gesamtes Lebenswerk geboten werden soll. Den
Anlaß dazu hat bisher meist ein wichtiger Lebensabschnitt der also Geehrten
geboten: der siebzigste oder achtzigste Geburtstag. Da dieses Ziel aber im
Durchschnitt doch nur selten von Künstlern erreicht wird, deren Schaffenskraft
nicht schon lange vorher erloschen oder doch geschmälert ist, hat man sich
neuerdings entschlossen, solche Kunstfeste auch ohne Anschluß an bemerkens-
werte biographische Daten zu geben. Mit Paul Meyerheim, dem in ganz
Deutschland bekannten und geschätzten Tiermaler und Humoristen, der sich in
Berlin aber auch durch seine Bildnisse und seine dekorative!? Wandmalereien
hohes Ansehen erworben hat, ist der Anfang gemacht worden, und jetzt ist
Franz Defregger an die Reihe gekommen. Er ist am 30. April erst fünfund¬
sechzig Jahre alt geworden, hat also noch nicht das Vorrecht der Ehren er¬
worben, die in unserm festseligen Deutschland anf den Scheitel eines jeden
Siebzigers gehäuft werden, der irgendwie mit dem öffentlichen Leben zu
thun hat.

Eine Ausstellung von Werken Defreggers bedarf freilich keiner Recht¬
fertigung durch einen äußern Anlaß. Der mit zäher Beharrlichkeit auf sein
Ziel lossteuernde Tiroler, der vor einem Menschenalter unes München kam,
hat sich inzwischen längst ein Bürgerrecht in allen deutschen Gauen erworben.
Zunächst gewiß durch seine eigne Gestaltungskraft, durch die neue Welt vou
Menschen und Dingen, die er zuerst der deutschen Malerei erschlossen und für
sie fruchtbar gemacht hat. Er hat aber auch das Glück gehabt, daß sein erstes
Auftreten und seine ersten Erfolge in die Zeit fielen, wo die deutschen Stämme
sich zum erstenmale nach Jahrhunderten wieder zu einander gefunden hatten,
und alles, was deutsch dachte, sprach, sang und bildete, auch in ganz Deutsch¬
land verstanden wurde. Deutsch-Tirol gehörte ebenso dazu wie Deutsch-Öster¬
reich. Aber die Neigung der Leute im neuen Deutschen Reich war zu Tirol
doch stärker als zu deu Deutschen in Österreich. Vielleicht weil die Bayern
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[0509] [Abbildung] Defregger in Berlin Adolf Rosenbl-rg von an einigen Jahren hat die Königliche Akademie der Künste in Berlin die löbliche Gewohnheit angenommen, in den Herbst- und Wintermonaten Sonderausstellungen zu Ehren hervorragender Mitglieder zu veranstalten, in denen, soweit es möglich ist, ein Überblick über ihr gesamtes Lebenswerk geboten werden soll. Den Anlaß dazu hat bisher meist ein wichtiger Lebensabschnitt der also Geehrten geboten: der siebzigste oder achtzigste Geburtstag. Da dieses Ziel aber im Durchschnitt doch nur selten von Künstlern erreicht wird, deren Schaffenskraft nicht schon lange vorher erloschen oder doch geschmälert ist, hat man sich neuerdings entschlossen, solche Kunstfeste auch ohne Anschluß an bemerkens- werte biographische Daten zu geben. Mit Paul Meyerheim, dem in ganz Deutschland bekannten und geschätzten Tiermaler und Humoristen, der sich in Berlin aber auch durch seine Bildnisse und seine dekorative!? Wandmalereien hohes Ansehen erworben hat, ist der Anfang gemacht worden, und jetzt ist Franz Defregger an die Reihe gekommen. Er ist am 30. April erst fünfund¬ sechzig Jahre alt geworden, hat also noch nicht das Vorrecht der Ehren er¬ worben, die in unserm festseligen Deutschland anf den Scheitel eines jeden Siebzigers gehäuft werden, der irgendwie mit dem öffentlichen Leben zu thun hat. Eine Ausstellung von Werken Defreggers bedarf freilich keiner Recht¬ fertigung durch einen äußern Anlaß. Der mit zäher Beharrlichkeit auf sein Ziel lossteuernde Tiroler, der vor einem Menschenalter unes München kam, hat sich inzwischen längst ein Bürgerrecht in allen deutschen Gauen erworben. Zunächst gewiß durch seine eigne Gestaltungskraft, durch die neue Welt vou Menschen und Dingen, die er zuerst der deutschen Malerei erschlossen und für sie fruchtbar gemacht hat. Er hat aber auch das Glück gehabt, daß sein erstes Auftreten und seine ersten Erfolge in die Zeit fielen, wo die deutschen Stämme sich zum erstenmale nach Jahrhunderten wieder zu einander gefunden hatten, und alles, was deutsch dachte, sprach, sang und bildete, auch in ganz Deutsch¬ land verstanden wurde. Deutsch-Tirol gehörte ebenso dazu wie Deutsch-Öster¬ reich. Aber die Neigung der Leute im neuen Deutschen Reich war zu Tirol doch stärker als zu deu Deutschen in Österreich. Vielleicht weil die Bayern für die Norddeutschen die Brücke bildeten, und weil Oberbayern und Deutsch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/509>, abgerufen am 22.07.2024.