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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Über die Bemannung der deutschen Ranfsahrteischisfe

Nacht fortgesetzt. So kommt es dann gar nicht selten vor, daß dies zwei- oder
dreimal vierundzwanzig Stunden ununterbrochen weiter geht. Die Arbeiter
wechseln ab, aber das zur Überwachung angestellte Personal, besonders der
Ladungsoffizier, ist nicht zweifach vorhanden und muß aushalten; ob er vor
Müdigkeit umfällt oder im Stehn einschläft, macht keinen Unterschied, seiner
Verantwortlichkeit wird er nicht quitt. In Zwischenhafen wird oft ans dem¬
selben Luk zugleich nach der einen Seite gelöscht und von der andern Seite
hinein geladen, von und nach verschiednen Decken. Die eingenommne Ladung
ist fast immer nach verschiednen Häfen bestimmt, sie muß so verstaut werden,
daß sie im Löschhafen bequem zur Hand ist und die andre Ladung nicht erst
auf der Suche nach Kisten und Kasten umgerissen werden muß, denn dann
giebt es böse Gesichter und am Ende gar Entlassung. Dabei muß endlich
noch auf Tiefgang und Stabilität des Schiffes sorgfältig acht gegeben werden,
nämlich daß das Schiff wenigstens ungefähr auf ebnem Kiel liegt, weil es
sonst schlecht läuft, und daß die schwere Ladung weder zu hoch uoch zu tief
liegt, weil das Schiff sonst zu rank oder zu steif ist, oder wissenschaftlich aus¬
gedrückt: die metazentrische Höhe darf weder zu groß uoch zu klein werden.
Die Doktoren der kranken Seeleute haben sogar schon haarklein bewiesen, daß
der Offizier die Berechnung der metazentrischeu Höhe seines Schiffes muß aus¬
führen können, und Schiffsbautechniker haben ihm höchst wertvolle Tabellen
zusammengestellt. Das ist prachtvoll, aber woher soll die Zeit genommen
werden, da auch ohne dies alle Offiziere muss äußerste angespannt sind? Wie
tief das Schiff beladen werden soll, bestimmt der Reeber, aber der Kapitän
muß in kritischen Füllen die Verantwortung dafür übernehmen.

Von den deutschen Schifservercinen sind schon mehrfach Anläufe gemacht
worden, für die deutschen Schiffe ein ähnliches Gesetz über die Tiefladelinie und
Deckladung zu bekommen, wie die Engländer es haben, allein die Reedereien fühlen
sich unter den jetzigen freien Verhältnissen so wohl wie nur möglich und haben
das Gesetz unter dem Einwände noch immer verhindert, daß eine allen gerechten
Ansprüchen genügende Tiefladelinie wissenschaftlich und praktisch nicht festzu¬
stellen sei. Das mag richtig sein, allein giebt es nicht Gesetze genug, die nicht
allen gerechten Ansprüchen genügen und doch segenrcich wirke"! In England
mit seiner Reederei, die größer als die aller andern Staaten zusammen¬
genommen ist, wirkt das Gesetz, kurzweg Plimsollgesetz genannt, ganz be¬
friedigend; es ist auf alle in England ladenden Schiffe, also auch auf die
deutschen ausgedehnt, und es kam bisher gnr nicht so selten vor, daß ein danach
zu tief beladnes deutsches Schiff von den englischen Behörden angehalten
wurde und einen Teil seiner Ladung löschen mußte. Das ist für die deutsche
Flagge etwas beschämend, aber im Grunde genommen heilsam. Die Hamburg-
Amerikälinie läßt das Plimsollmark jetzt an ihre Schiffe anbringen. Als vor
kurzem das erste mit diesem versehene Schiff auslief, berichtete die Direktion
dies Seiner Majestät dem Kaiser, der umgehend telegraphisch seine hohe Be¬
friedigung darüber aussprach. Hoffentlich ist dies die Einleitung zu einem


Über die Bemannung der deutschen Ranfsahrteischisfe

Nacht fortgesetzt. So kommt es dann gar nicht selten vor, daß dies zwei- oder
dreimal vierundzwanzig Stunden ununterbrochen weiter geht. Die Arbeiter
wechseln ab, aber das zur Überwachung angestellte Personal, besonders der
Ladungsoffizier, ist nicht zweifach vorhanden und muß aushalten; ob er vor
Müdigkeit umfällt oder im Stehn einschläft, macht keinen Unterschied, seiner
Verantwortlichkeit wird er nicht quitt. In Zwischenhafen wird oft ans dem¬
selben Luk zugleich nach der einen Seite gelöscht und von der andern Seite
hinein geladen, von und nach verschiednen Decken. Die eingenommne Ladung
ist fast immer nach verschiednen Häfen bestimmt, sie muß so verstaut werden,
daß sie im Löschhafen bequem zur Hand ist und die andre Ladung nicht erst
auf der Suche nach Kisten und Kasten umgerissen werden muß, denn dann
giebt es böse Gesichter und am Ende gar Entlassung. Dabei muß endlich
noch auf Tiefgang und Stabilität des Schiffes sorgfältig acht gegeben werden,
nämlich daß das Schiff wenigstens ungefähr auf ebnem Kiel liegt, weil es
sonst schlecht läuft, und daß die schwere Ladung weder zu hoch uoch zu tief
liegt, weil das Schiff sonst zu rank oder zu steif ist, oder wissenschaftlich aus¬
gedrückt: die metazentrische Höhe darf weder zu groß uoch zu klein werden.
Die Doktoren der kranken Seeleute haben sogar schon haarklein bewiesen, daß
der Offizier die Berechnung der metazentrischeu Höhe seines Schiffes muß aus¬
führen können, und Schiffsbautechniker haben ihm höchst wertvolle Tabellen
zusammengestellt. Das ist prachtvoll, aber woher soll die Zeit genommen
werden, da auch ohne dies alle Offiziere muss äußerste angespannt sind? Wie
tief das Schiff beladen werden soll, bestimmt der Reeber, aber der Kapitän
muß in kritischen Füllen die Verantwortung dafür übernehmen.

Von den deutschen Schifservercinen sind schon mehrfach Anläufe gemacht
worden, für die deutschen Schiffe ein ähnliches Gesetz über die Tiefladelinie und
Deckladung zu bekommen, wie die Engländer es haben, allein die Reedereien fühlen
sich unter den jetzigen freien Verhältnissen so wohl wie nur möglich und haben
das Gesetz unter dem Einwände noch immer verhindert, daß eine allen gerechten
Ansprüchen genügende Tiefladelinie wissenschaftlich und praktisch nicht festzu¬
stellen sei. Das mag richtig sein, allein giebt es nicht Gesetze genug, die nicht
allen gerechten Ansprüchen genügen und doch segenrcich wirke»! In England
mit seiner Reederei, die größer als die aller andern Staaten zusammen¬
genommen ist, wirkt das Gesetz, kurzweg Plimsollgesetz genannt, ganz be¬
friedigend; es ist auf alle in England ladenden Schiffe, also auch auf die
deutschen ausgedehnt, und es kam bisher gnr nicht so selten vor, daß ein danach
zu tief beladnes deutsches Schiff von den englischen Behörden angehalten
wurde und einen Teil seiner Ladung löschen mußte. Das ist für die deutsche
Flagge etwas beschämend, aber im Grunde genommen heilsam. Die Hamburg-
Amerikälinie läßt das Plimsollmark jetzt an ihre Schiffe anbringen. Als vor
kurzem das erste mit diesem versehene Schiff auslief, berichtete die Direktion
dies Seiner Majestät dem Kaiser, der umgehend telegraphisch seine hohe Be¬
friedigung darüber aussprach. Hoffentlich ist dies die Einleitung zu einem


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[0408] Über die Bemannung der deutschen Ranfsahrteischisfe Nacht fortgesetzt. So kommt es dann gar nicht selten vor, daß dies zwei- oder dreimal vierundzwanzig Stunden ununterbrochen weiter geht. Die Arbeiter wechseln ab, aber das zur Überwachung angestellte Personal, besonders der Ladungsoffizier, ist nicht zweifach vorhanden und muß aushalten; ob er vor Müdigkeit umfällt oder im Stehn einschläft, macht keinen Unterschied, seiner Verantwortlichkeit wird er nicht quitt. In Zwischenhafen wird oft ans dem¬ selben Luk zugleich nach der einen Seite gelöscht und von der andern Seite hinein geladen, von und nach verschiednen Decken. Die eingenommne Ladung ist fast immer nach verschiednen Häfen bestimmt, sie muß so verstaut werden, daß sie im Löschhafen bequem zur Hand ist und die andre Ladung nicht erst auf der Suche nach Kisten und Kasten umgerissen werden muß, denn dann giebt es böse Gesichter und am Ende gar Entlassung. Dabei muß endlich noch auf Tiefgang und Stabilität des Schiffes sorgfältig acht gegeben werden, nämlich daß das Schiff wenigstens ungefähr auf ebnem Kiel liegt, weil es sonst schlecht läuft, und daß die schwere Ladung weder zu hoch uoch zu tief liegt, weil das Schiff sonst zu rank oder zu steif ist, oder wissenschaftlich aus¬ gedrückt: die metazentrische Höhe darf weder zu groß uoch zu klein werden. Die Doktoren der kranken Seeleute haben sogar schon haarklein bewiesen, daß der Offizier die Berechnung der metazentrischeu Höhe seines Schiffes muß aus¬ führen können, und Schiffsbautechniker haben ihm höchst wertvolle Tabellen zusammengestellt. Das ist prachtvoll, aber woher soll die Zeit genommen werden, da auch ohne dies alle Offiziere muss äußerste angespannt sind? Wie tief das Schiff beladen werden soll, bestimmt der Reeber, aber der Kapitän muß in kritischen Füllen die Verantwortung dafür übernehmen. Von den deutschen Schifservercinen sind schon mehrfach Anläufe gemacht worden, für die deutschen Schiffe ein ähnliches Gesetz über die Tiefladelinie und Deckladung zu bekommen, wie die Engländer es haben, allein die Reedereien fühlen sich unter den jetzigen freien Verhältnissen so wohl wie nur möglich und haben das Gesetz unter dem Einwände noch immer verhindert, daß eine allen gerechten Ansprüchen genügende Tiefladelinie wissenschaftlich und praktisch nicht festzu¬ stellen sei. Das mag richtig sein, allein giebt es nicht Gesetze genug, die nicht allen gerechten Ansprüchen genügen und doch segenrcich wirke»! In England mit seiner Reederei, die größer als die aller andern Staaten zusammen¬ genommen ist, wirkt das Gesetz, kurzweg Plimsollgesetz genannt, ganz be¬ friedigend; es ist auf alle in England ladenden Schiffe, also auch auf die deutschen ausgedehnt, und es kam bisher gnr nicht so selten vor, daß ein danach zu tief beladnes deutsches Schiff von den englischen Behörden angehalten wurde und einen Teil seiner Ladung löschen mußte. Das ist für die deutsche Flagge etwas beschämend, aber im Grunde genommen heilsam. Die Hamburg- Amerikälinie läßt das Plimsollmark jetzt an ihre Schiffe anbringen. Als vor kurzem das erste mit diesem versehene Schiff auslief, berichtete die Direktion dies Seiner Majestät dem Kaiser, der umgehend telegraphisch seine hohe Be¬ friedigung darüber aussprach. Hoffentlich ist dies die Einleitung zu einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/408>, abgerufen am 28.09.2024.