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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^3^9

bei Komorn beigebracht hatte; er trug einen zimmetfarbigm Ungarrock mit
goldnen Schnüren und hohe Jagdstiefel; mir war, als sähe ich einen Ritter
aus dem Mittelalter vor mir. Als er einen seiner durchdringenden Blicke
durch die Brille auf mich warf, errötete ich wie ein junges Mädchen. Görgei
lud mich freundlich ein, Platz zu nehmen, holte eine Karte hervor und be¬
zeichnete mir Ort, Stunde und andre Umstände der Kapitulation. Die Unter¬
haltung wurde deutsch geführt.

Sagen Sie mir, redete Görgei mich an, wie wird mich Ihr Graf
empfangen? Meine ganze Armee, die stets bereit ist, mit mir zu sterben,
wohnt dem Ereignis bei.

Ich beruhigte ihn und sagte, daß der Graf seit fünfzig Jahren Kriegs¬
dienste thue, daß er seine Lage verstünde, ihn als einen Mann ansahe, der
Achtung verdiene und ihm das durch die That beweisen würde. Jedermann
weiß, wie Graf Rüdiger Görgei empfangen hat. Dann fragte er mich nach
Waitzen, Debreczin und nach unserm Heer; ich nannte ihm Gott weiß welche
Ziffer, und er schaute nur seiue Korpskommandanten an. Endlich begann eine
allgemeine Unterhaltung; man brachte Essen, und wir setzten uns alle um den
Wirt herum zu Tisch. Görgei sprach ein gutes Deutsch, etwas mit Wiener
Accent, aber fließend und deutlich. Im Gespräch that er unter anderen einen
höchst naiven Ausspruch, der sehr bezeichnend für seine Gesinnung ist: Bitten
Sie den Grafen, daß er mir noch zwölf Stunden Zeit läßt, damit ich noch
einmal über die Österreicher herfallen und noch einige von ihnen niedermachen
kann; dann will ich sofort nach Vilagos zurückkehren und die Waffen strecken.
Er Hütte das allerdings auch ausgeführt, da die Österreicher ihn wie das
Feuer scheuten.

Inzwischen war es schon vier Uhr morgens geworden, und um elf sollte
ich zur Stelle sein; ich begann mich zu verabschieden. Görgei nahm seinen
Säbel und wollte ihn mir überreichen, da er sich schon für kriegsgefangen hielt.

Diese Ehre gebührt dem Grafen Rüdiger, sagte ich.

Ich weiß wohl, aber nehmen Sie den Säbel für sich, als Andenken an
den heutigen Tag.

Ich bewahre ihn noch heute auf.

Görgei drückte mir die Hand, sagte "Auf Wiedersehen," begleitete mich
auf die Treppe und wählte mir selbst ein Geleit aus. Die Sonne stieg schon
am Horizont auf.

Für mich nicht die Sonne von Austerlitz! sagte er.

Von seinem Gesicht konnte man die übrigen Gedanken ablesen. Herrgott,
dachte ich, da bist du Zeuge und Teilnehmer so vieler folgenschwerer Ereignisse
geworden; vielleicht ist dir unbedeutendem Menschen bestimmt, auch einen be¬
scheidnen Platz in der Geschichte einzunehmen.

(Schluß folgt)




Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^3^9

bei Komorn beigebracht hatte; er trug einen zimmetfarbigm Ungarrock mit
goldnen Schnüren und hohe Jagdstiefel; mir war, als sähe ich einen Ritter
aus dem Mittelalter vor mir. Als er einen seiner durchdringenden Blicke
durch die Brille auf mich warf, errötete ich wie ein junges Mädchen. Görgei
lud mich freundlich ein, Platz zu nehmen, holte eine Karte hervor und be¬
zeichnete mir Ort, Stunde und andre Umstände der Kapitulation. Die Unter¬
haltung wurde deutsch geführt.

Sagen Sie mir, redete Görgei mich an, wie wird mich Ihr Graf
empfangen? Meine ganze Armee, die stets bereit ist, mit mir zu sterben,
wohnt dem Ereignis bei.

Ich beruhigte ihn und sagte, daß der Graf seit fünfzig Jahren Kriegs¬
dienste thue, daß er seine Lage verstünde, ihn als einen Mann ansahe, der
Achtung verdiene und ihm das durch die That beweisen würde. Jedermann
weiß, wie Graf Rüdiger Görgei empfangen hat. Dann fragte er mich nach
Waitzen, Debreczin und nach unserm Heer; ich nannte ihm Gott weiß welche
Ziffer, und er schaute nur seiue Korpskommandanten an. Endlich begann eine
allgemeine Unterhaltung; man brachte Essen, und wir setzten uns alle um den
Wirt herum zu Tisch. Görgei sprach ein gutes Deutsch, etwas mit Wiener
Accent, aber fließend und deutlich. Im Gespräch that er unter anderen einen
höchst naiven Ausspruch, der sehr bezeichnend für seine Gesinnung ist: Bitten
Sie den Grafen, daß er mir noch zwölf Stunden Zeit läßt, damit ich noch
einmal über die Österreicher herfallen und noch einige von ihnen niedermachen
kann; dann will ich sofort nach Vilagos zurückkehren und die Waffen strecken.
Er Hütte das allerdings auch ausgeführt, da die Österreicher ihn wie das
Feuer scheuten.

Inzwischen war es schon vier Uhr morgens geworden, und um elf sollte
ich zur Stelle sein; ich begann mich zu verabschieden. Görgei nahm seinen
Säbel und wollte ihn mir überreichen, da er sich schon für kriegsgefangen hielt.

Diese Ehre gebührt dem Grafen Rüdiger, sagte ich.

Ich weiß wohl, aber nehmen Sie den Säbel für sich, als Andenken an
den heutigen Tag.

Ich bewahre ihn noch heute auf.

Görgei drückte mir die Hand, sagte „Auf Wiedersehen," begleitete mich
auf die Treppe und wählte mir selbst ein Geleit aus. Die Sonne stieg schon
am Horizont auf.

Für mich nicht die Sonne von Austerlitz! sagte er.

Von seinem Gesicht konnte man die übrigen Gedanken ablesen. Herrgott,
dachte ich, da bist du Zeuge und Teilnehmer so vieler folgenschwerer Ereignisse
geworden; vielleicht ist dir unbedeutendem Menschen bestimmt, auch einen be¬
scheidnen Platz in der Geschichte einzunehmen.

(Schluß folgt)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/95>, abgerufen am 01.10.2024.