Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Frauenlohne in Frankreich

arbeiterin. Sie ist zu höhern Ausgaben gezwungen, weil sie zu stolz ist, wie
eine Arbeiterin zu leben, aber trotz aller Nachteile sind die Stellen sehr begehrt,
weil sie eben wenigstens eine sichere, wenn auch bescheidne Existenz bieten.

Die Erzieherinnen (Privatlehrerinnen) verdienen im günstigsten Falle
1200 bis 1500 Franken jährlich (in einigen aristokratischen Familien allerdings
mehr). Die sous-maltressös in den Pensionaten verdienen dagegen nur 50
bis 60 Franken monatlich oder erhalten bei freier Wohnung, Beköstigung und
Kleidung überhaupt keinen baren Lohn. Auch unter den Erzieherinnen sind
die Stellenlosen sehr zahlreich. Einzelne Privatstunden werden sehr schlecht
bezahlt, und meist ist es noch schwierig, solche zu finden. Diese Mädchen sind
in einer um so traurigern Lage, als sie für andre Arbeiten meist nicht geeignet
sind. Wie groß das Elend unter vielen von ihnen ist, kann man schon daraus
sehen, daß jedes der Nachtasyle in Paris jährlich fünfzehn bis zwanzig Lehre¬
rinnen und Erzieherinnen aufnimmt. Manche nehmen Stellen als Kammer¬
jungfer, Modistin oder dergleichen an, aber viele andre haben diesen Mut nicht
und enden im Elend.

Vor vier Jahren hat eine ehemalige Lehrerin einen Unterstützungsverein
gegründet unter dem Namen Looi6t6 6s xrotsotion äos institmrrioös dran<Msgs.
Dieser Verein besitzt ein allerdings erst kleines Heim in Nenilly. Hier finden
stellenlose Lehrerinnen Aufnahme; sie brauchen sich beim Austritt nur zu ver¬
pflichten, später die Kosten ihres Aufenthalts (3 Franken täglich) zu bezahlen,
falls sie dazu in der Lage sind. Der Anfang ist erst klein, aber man hofft,
daß sich Gönner finden, die das Werk unterstützen werden. Soll dieses sich
einigermaßen wirksam erweisen, so muß es bedeutend ausgedehnt werden.

Graf d'Haussouville bespricht sodann die Auswanderung von Frauen nach
den französischen Kolonien. Die Union oolonials lrime^iss hat seit 1897
Propaganda für diese Auswandrung gemacht, aber bis jetzt noch keinen be¬
deutenden Erfolg gehabt. Man will den Mädchen, die keine Aussicht haben,
einen Mann zu finden, und den Mädchen, die irgend eine Thätigkeit erlernt
haben, aber kein genügendes Auskommen finden, Gelegenheit bieten, sich in
den Kolonien eine Existenz zu begründen. In Tunis ist zwar das Verhältnis
der Frauen zu den Männern noch ziemlich günstig (46 Prozent Frauen und
54 Prozent Männer), nicht aber in den andern französischen Kolonien, Neu-
Kaledonien, Cochinchina, Tonkin, Arran, wo auf 100 Einwohner nur
20 Frauen kommen. In England giebt es nicht weniger als vier Gesell¬
schaften, die die Auswandrung von Frauen nach den Kolonien begünstigen,
und siebzehn Anstalten, die den Mädchen eine besondre Erziehung zu diesem
Zwecke geben. Die Unitsä Lridi8n ^Vomon Diniß'rgUon ^.ssoomticm hat in
den fünfzehn Jahren ihres Bestehns mehr als 10000 Frauen nach den Kolo¬
nien gesandt. Sie verfügt allerdings anch über bedeutende Geldmittel und
kann deshalb mittellosen Frauen, die auswandern wollen, Unterstützung ge¬
währen.

Die Looi6t.L tra-n^ilise et'viniArMon ach lömmss hat bis jetzt ihre Thätig-


Frauenlohne in Frankreich

arbeiterin. Sie ist zu höhern Ausgaben gezwungen, weil sie zu stolz ist, wie
eine Arbeiterin zu leben, aber trotz aller Nachteile sind die Stellen sehr begehrt,
weil sie eben wenigstens eine sichere, wenn auch bescheidne Existenz bieten.

Die Erzieherinnen (Privatlehrerinnen) verdienen im günstigsten Falle
1200 bis 1500 Franken jährlich (in einigen aristokratischen Familien allerdings
mehr). Die sous-maltressös in den Pensionaten verdienen dagegen nur 50
bis 60 Franken monatlich oder erhalten bei freier Wohnung, Beköstigung und
Kleidung überhaupt keinen baren Lohn. Auch unter den Erzieherinnen sind
die Stellenlosen sehr zahlreich. Einzelne Privatstunden werden sehr schlecht
bezahlt, und meist ist es noch schwierig, solche zu finden. Diese Mädchen sind
in einer um so traurigern Lage, als sie für andre Arbeiten meist nicht geeignet
sind. Wie groß das Elend unter vielen von ihnen ist, kann man schon daraus
sehen, daß jedes der Nachtasyle in Paris jährlich fünfzehn bis zwanzig Lehre¬
rinnen und Erzieherinnen aufnimmt. Manche nehmen Stellen als Kammer¬
jungfer, Modistin oder dergleichen an, aber viele andre haben diesen Mut nicht
und enden im Elend.

Vor vier Jahren hat eine ehemalige Lehrerin einen Unterstützungsverein
gegründet unter dem Namen Looi6t6 6s xrotsotion äos institmrrioös dran<Msgs.
Dieser Verein besitzt ein allerdings erst kleines Heim in Nenilly. Hier finden
stellenlose Lehrerinnen Aufnahme; sie brauchen sich beim Austritt nur zu ver¬
pflichten, später die Kosten ihres Aufenthalts (3 Franken täglich) zu bezahlen,
falls sie dazu in der Lage sind. Der Anfang ist erst klein, aber man hofft,
daß sich Gönner finden, die das Werk unterstützen werden. Soll dieses sich
einigermaßen wirksam erweisen, so muß es bedeutend ausgedehnt werden.

Graf d'Haussouville bespricht sodann die Auswanderung von Frauen nach
den französischen Kolonien. Die Union oolonials lrime^iss hat seit 1897
Propaganda für diese Auswandrung gemacht, aber bis jetzt noch keinen be¬
deutenden Erfolg gehabt. Man will den Mädchen, die keine Aussicht haben,
einen Mann zu finden, und den Mädchen, die irgend eine Thätigkeit erlernt
haben, aber kein genügendes Auskommen finden, Gelegenheit bieten, sich in
den Kolonien eine Existenz zu begründen. In Tunis ist zwar das Verhältnis
der Frauen zu den Männern noch ziemlich günstig (46 Prozent Frauen und
54 Prozent Männer), nicht aber in den andern französischen Kolonien, Neu-
Kaledonien, Cochinchina, Tonkin, Arran, wo auf 100 Einwohner nur
20 Frauen kommen. In England giebt es nicht weniger als vier Gesell¬
schaften, die die Auswandrung von Frauen nach den Kolonien begünstigen,
und siebzehn Anstalten, die den Mädchen eine besondre Erziehung zu diesem
Zwecke geben. Die Unitsä Lridi8n ^Vomon Diniß'rgUon ^.ssoomticm hat in
den fünfzehn Jahren ihres Bestehns mehr als 10000 Frauen nach den Kolo¬
nien gesandt. Sie verfügt allerdings anch über bedeutende Geldmittel und
kann deshalb mittellosen Frauen, die auswandern wollen, Unterstützung ge¬
währen.

Die Looi6t.L tra-n^ilise et'viniArMon ach lömmss hat bis jetzt ihre Thätig-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0624" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/291035"/>
          <fw type="header" place="top"> Frauenlohne in Frankreich</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2129" prev="#ID_2128"> arbeiterin. Sie ist zu höhern Ausgaben gezwungen, weil sie zu stolz ist, wie<lb/>
eine Arbeiterin zu leben, aber trotz aller Nachteile sind die Stellen sehr begehrt,<lb/>
weil sie eben wenigstens eine sichere, wenn auch bescheidne Existenz bieten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2130"> Die Erzieherinnen (Privatlehrerinnen) verdienen im günstigsten Falle<lb/>
1200 bis 1500 Franken jährlich (in einigen aristokratischen Familien allerdings<lb/>
mehr). Die sous-maltressös in den Pensionaten verdienen dagegen nur 50<lb/>
bis 60 Franken monatlich oder erhalten bei freier Wohnung, Beköstigung und<lb/>
Kleidung überhaupt keinen baren Lohn. Auch unter den Erzieherinnen sind<lb/>
die Stellenlosen sehr zahlreich. Einzelne Privatstunden werden sehr schlecht<lb/>
bezahlt, und meist ist es noch schwierig, solche zu finden. Diese Mädchen sind<lb/>
in einer um so traurigern Lage, als sie für andre Arbeiten meist nicht geeignet<lb/>
sind. Wie groß das Elend unter vielen von ihnen ist, kann man schon daraus<lb/>
sehen, daß jedes der Nachtasyle in Paris jährlich fünfzehn bis zwanzig Lehre¬<lb/>
rinnen und Erzieherinnen aufnimmt. Manche nehmen Stellen als Kammer¬<lb/>
jungfer, Modistin oder dergleichen an, aber viele andre haben diesen Mut nicht<lb/>
und enden im Elend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2131"> Vor vier Jahren hat eine ehemalige Lehrerin einen Unterstützungsverein<lb/>
gegründet unter dem Namen Looi6t6 6s xrotsotion äos institmrrioös dran&lt;Msgs.<lb/>
Dieser Verein besitzt ein allerdings erst kleines Heim in Nenilly. Hier finden<lb/>
stellenlose Lehrerinnen Aufnahme; sie brauchen sich beim Austritt nur zu ver¬<lb/>
pflichten, später die Kosten ihres Aufenthalts (3 Franken täglich) zu bezahlen,<lb/>
falls sie dazu in der Lage sind. Der Anfang ist erst klein, aber man hofft,<lb/>
daß sich Gönner finden, die das Werk unterstützen werden. Soll dieses sich<lb/>
einigermaßen wirksam erweisen, so muß es bedeutend ausgedehnt werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2132"> Graf d'Haussouville bespricht sodann die Auswanderung von Frauen nach<lb/>
den französischen Kolonien. Die Union oolonials lrime^iss hat seit 1897<lb/>
Propaganda für diese Auswandrung gemacht, aber bis jetzt noch keinen be¬<lb/>
deutenden Erfolg gehabt. Man will den Mädchen, die keine Aussicht haben,<lb/>
einen Mann zu finden, und den Mädchen, die irgend eine Thätigkeit erlernt<lb/>
haben, aber kein genügendes Auskommen finden, Gelegenheit bieten, sich in<lb/>
den Kolonien eine Existenz zu begründen. In Tunis ist zwar das Verhältnis<lb/>
der Frauen zu den Männern noch ziemlich günstig (46 Prozent Frauen und<lb/>
54 Prozent Männer), nicht aber in den andern französischen Kolonien, Neu-<lb/>
Kaledonien, Cochinchina, Tonkin, Arran, wo auf 100 Einwohner nur<lb/>
20 Frauen kommen. In England giebt es nicht weniger als vier Gesell¬<lb/>
schaften, die die Auswandrung von Frauen nach den Kolonien begünstigen,<lb/>
und siebzehn Anstalten, die den Mädchen eine besondre Erziehung zu diesem<lb/>
Zwecke geben. Die Unitsä Lridi8n ^Vomon Diniß'rgUon ^.ssoomticm hat in<lb/>
den fünfzehn Jahren ihres Bestehns mehr als 10000 Frauen nach den Kolo¬<lb/>
nien gesandt. Sie verfügt allerdings anch über bedeutende Geldmittel und<lb/>
kann deshalb mittellosen Frauen, die auswandern wollen, Unterstützung ge¬<lb/>
währen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2133" next="#ID_2134"> Die Looi6t.L tra-n^ilise et'viniArMon ach lömmss hat bis jetzt ihre Thätig-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0624] Frauenlohne in Frankreich arbeiterin. Sie ist zu höhern Ausgaben gezwungen, weil sie zu stolz ist, wie eine Arbeiterin zu leben, aber trotz aller Nachteile sind die Stellen sehr begehrt, weil sie eben wenigstens eine sichere, wenn auch bescheidne Existenz bieten. Die Erzieherinnen (Privatlehrerinnen) verdienen im günstigsten Falle 1200 bis 1500 Franken jährlich (in einigen aristokratischen Familien allerdings mehr). Die sous-maltressös in den Pensionaten verdienen dagegen nur 50 bis 60 Franken monatlich oder erhalten bei freier Wohnung, Beköstigung und Kleidung überhaupt keinen baren Lohn. Auch unter den Erzieherinnen sind die Stellenlosen sehr zahlreich. Einzelne Privatstunden werden sehr schlecht bezahlt, und meist ist es noch schwierig, solche zu finden. Diese Mädchen sind in einer um so traurigern Lage, als sie für andre Arbeiten meist nicht geeignet sind. Wie groß das Elend unter vielen von ihnen ist, kann man schon daraus sehen, daß jedes der Nachtasyle in Paris jährlich fünfzehn bis zwanzig Lehre¬ rinnen und Erzieherinnen aufnimmt. Manche nehmen Stellen als Kammer¬ jungfer, Modistin oder dergleichen an, aber viele andre haben diesen Mut nicht und enden im Elend. Vor vier Jahren hat eine ehemalige Lehrerin einen Unterstützungsverein gegründet unter dem Namen Looi6t6 6s xrotsotion äos institmrrioös dran<Msgs. Dieser Verein besitzt ein allerdings erst kleines Heim in Nenilly. Hier finden stellenlose Lehrerinnen Aufnahme; sie brauchen sich beim Austritt nur zu ver¬ pflichten, später die Kosten ihres Aufenthalts (3 Franken täglich) zu bezahlen, falls sie dazu in der Lage sind. Der Anfang ist erst klein, aber man hofft, daß sich Gönner finden, die das Werk unterstützen werden. Soll dieses sich einigermaßen wirksam erweisen, so muß es bedeutend ausgedehnt werden. Graf d'Haussouville bespricht sodann die Auswanderung von Frauen nach den französischen Kolonien. Die Union oolonials lrime^iss hat seit 1897 Propaganda für diese Auswandrung gemacht, aber bis jetzt noch keinen be¬ deutenden Erfolg gehabt. Man will den Mädchen, die keine Aussicht haben, einen Mann zu finden, und den Mädchen, die irgend eine Thätigkeit erlernt haben, aber kein genügendes Auskommen finden, Gelegenheit bieten, sich in den Kolonien eine Existenz zu begründen. In Tunis ist zwar das Verhältnis der Frauen zu den Männern noch ziemlich günstig (46 Prozent Frauen und 54 Prozent Männer), nicht aber in den andern französischen Kolonien, Neu- Kaledonien, Cochinchina, Tonkin, Arran, wo auf 100 Einwohner nur 20 Frauen kommen. In England giebt es nicht weniger als vier Gesell¬ schaften, die die Auswandrung von Frauen nach den Kolonien begünstigen, und siebzehn Anstalten, die den Mädchen eine besondre Erziehung zu diesem Zwecke geben. Die Unitsä Lridi8n ^Vomon Diniß'rgUon ^.ssoomticm hat in den fünfzehn Jahren ihres Bestehns mehr als 10000 Frauen nach den Kolo¬ nien gesandt. Sie verfügt allerdings anch über bedeutende Geldmittel und kann deshalb mittellosen Frauen, die auswandern wollen, Unterstützung ge¬ währen. Die Looi6t.L tra-n^ilise et'viniArMon ach lömmss hat bis jetzt ihre Thätig-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/624
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/624>, abgerufen am 03.07.2024.