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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Uoutmenwles und maritimes Gleichgewicht

Thür ein wirtschaftliches Prinzip nennen und damit Herrn Frantz Genüge
thun. Allerdings nicht volles Genüge, denn dieses Prinzip ist keineswegs
Deutschland als Weltmacht "eigentümlich," sondern war bis hente eher Eng¬
land eigentümlich. Nun haben ja manche Leute in England, auf die schon
mehrfach hier die Rede gekommen ist, gemeint, daß, wenn die fremde Kon¬
kurrenz auf dem industriellen Markt noch weiter erstarke, der Augenblick
kommen könne, wo es für England besser wäre, wenigstens für sich und seine
Kolonien das Prinzip der offnen Thür und des alten manchesterlichen Frei¬
handels aufzugeben. Vorläufig ist diese Meinung noch nicht reif genug, in
Verträge und Gesetze umgesetzt zu werden. Es ist vielleicht eben jetzt der
Augenblick nähe, wo England die weitere Ausdehnung seines Kolonialbesitzes
in den Hauptgrenzen abschließen wird. Dann könnte die Frage nach wirtschaft¬
lichem Abschluß des Reichs ernstlicher gestellt werden. Und wenn der politische
Imperialismus in den selbstregierenden, von Europäern bewohnten Kolonien
auch wenig Aussicht ans Verwirklichung hat, so ist von diesem Plan der andre
eines Zollbundes unabhängig.

Am 3. April dieses Jahres sagte Herr Chamberlain im Unterhause, er
sei nie für einen Neichszollverein gewesen, sondern er verlange Freihandel
innerhalb des Reiches und Zölle nach außen. Ich wüßte freilich nicht, worin
sich diese Forderungen voneinander unterscheiden sollten; klar aber ist doch
wohl, daß der wirtschaftliche Abschluß Englands und seiner Kolonien gegen
die übrige Welt im Plan des einflußreichsten englischen Ministers liegt. Kanada
hat ja schon Vorzugszölle zu Gunsten Englands bei sich eingeführt, die vom
1. Juli dieses Jahres ab 33^ Prozent vom Wert betragen werden. Wenn
sich der englische Imperialismus auf wirtschaftlichem Gebiet durchsetzen sollte;
wenn diese täglich an Bedeutung wachsende Partei die Zukunft Englands be¬
stimmen sollte, wie es den Anschein hat: dann wird die Politik Europas einen
gewaltigen Umschwung erfahren. Das wirtschaftliche Bedürfnis wird Europa
nötigen, eine Solidarität der Interessen der alten kontinentalen Kulturstaaten
gegenüber den heutigen Weltmächten anzuerkennen und sich zu ihrer Ver¬
teidigung zu verbinden.

Um also zu einer Weltmacht im Sinne des Herrn Frantz zu gelangen,
Hütten wir die offne Thür als wirtschaftliches Prinzip des Deutschen Reichs
von England zu übernehmen und in dem Sinne nach außen zu vertreten, daß
in den internationalen Handelsbeziehungen keine Differentialzölle aufkommen,
die als Schutzzölle für die Waren ganzer Länder oder für bestimmte Waren¬
gattungen innerhalb des überseeischen Verkehrs wirken würden. Unsre Zeit
ist weit weniger von politischen Interessen als von wirtschaftlichen beherrscht,
worin wir ja nur deu Spuren Englands folgen, das längst schon nur für sein
wirtschaftliches Gedeihen kämpfte, während es auf der Arena des kontinentalen
Europas noch immer die alten politischen Turniere fröhlich und mit ernster
Miene mitmachte. Indem wir nun dieses bis jetzt noch von dem offiziellen
England immer proklamierte Prinzip der offnen Thür annehmen, wäre der


Uoutmenwles und maritimes Gleichgewicht

Thür ein wirtschaftliches Prinzip nennen und damit Herrn Frantz Genüge
thun. Allerdings nicht volles Genüge, denn dieses Prinzip ist keineswegs
Deutschland als Weltmacht „eigentümlich," sondern war bis hente eher Eng¬
land eigentümlich. Nun haben ja manche Leute in England, auf die schon
mehrfach hier die Rede gekommen ist, gemeint, daß, wenn die fremde Kon¬
kurrenz auf dem industriellen Markt noch weiter erstarke, der Augenblick
kommen könne, wo es für England besser wäre, wenigstens für sich und seine
Kolonien das Prinzip der offnen Thür und des alten manchesterlichen Frei¬
handels aufzugeben. Vorläufig ist diese Meinung noch nicht reif genug, in
Verträge und Gesetze umgesetzt zu werden. Es ist vielleicht eben jetzt der
Augenblick nähe, wo England die weitere Ausdehnung seines Kolonialbesitzes
in den Hauptgrenzen abschließen wird. Dann könnte die Frage nach wirtschaft¬
lichem Abschluß des Reichs ernstlicher gestellt werden. Und wenn der politische
Imperialismus in den selbstregierenden, von Europäern bewohnten Kolonien
auch wenig Aussicht ans Verwirklichung hat, so ist von diesem Plan der andre
eines Zollbundes unabhängig.

Am 3. April dieses Jahres sagte Herr Chamberlain im Unterhause, er
sei nie für einen Neichszollverein gewesen, sondern er verlange Freihandel
innerhalb des Reiches und Zölle nach außen. Ich wüßte freilich nicht, worin
sich diese Forderungen voneinander unterscheiden sollten; klar aber ist doch
wohl, daß der wirtschaftliche Abschluß Englands und seiner Kolonien gegen
die übrige Welt im Plan des einflußreichsten englischen Ministers liegt. Kanada
hat ja schon Vorzugszölle zu Gunsten Englands bei sich eingeführt, die vom
1. Juli dieses Jahres ab 33^ Prozent vom Wert betragen werden. Wenn
sich der englische Imperialismus auf wirtschaftlichem Gebiet durchsetzen sollte;
wenn diese täglich an Bedeutung wachsende Partei die Zukunft Englands be¬
stimmen sollte, wie es den Anschein hat: dann wird die Politik Europas einen
gewaltigen Umschwung erfahren. Das wirtschaftliche Bedürfnis wird Europa
nötigen, eine Solidarität der Interessen der alten kontinentalen Kulturstaaten
gegenüber den heutigen Weltmächten anzuerkennen und sich zu ihrer Ver¬
teidigung zu verbinden.

Um also zu einer Weltmacht im Sinne des Herrn Frantz zu gelangen,
Hütten wir die offne Thür als wirtschaftliches Prinzip des Deutschen Reichs
von England zu übernehmen und in dem Sinne nach außen zu vertreten, daß
in den internationalen Handelsbeziehungen keine Differentialzölle aufkommen,
die als Schutzzölle für die Waren ganzer Länder oder für bestimmte Waren¬
gattungen innerhalb des überseeischen Verkehrs wirken würden. Unsre Zeit
ist weit weniger von politischen Interessen als von wirtschaftlichen beherrscht,
worin wir ja nur deu Spuren Englands folgen, das längst schon nur für sein
wirtschaftliches Gedeihen kämpfte, während es auf der Arena des kontinentalen
Europas noch immer die alten politischen Turniere fröhlich und mit ernster
Miene mitmachte. Indem wir nun dieses bis jetzt noch von dem offiziellen
England immer proklamierte Prinzip der offnen Thür annehmen, wäre der


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[0614] Uoutmenwles und maritimes Gleichgewicht Thür ein wirtschaftliches Prinzip nennen und damit Herrn Frantz Genüge thun. Allerdings nicht volles Genüge, denn dieses Prinzip ist keineswegs Deutschland als Weltmacht „eigentümlich," sondern war bis hente eher Eng¬ land eigentümlich. Nun haben ja manche Leute in England, auf die schon mehrfach hier die Rede gekommen ist, gemeint, daß, wenn die fremde Kon¬ kurrenz auf dem industriellen Markt noch weiter erstarke, der Augenblick kommen könne, wo es für England besser wäre, wenigstens für sich und seine Kolonien das Prinzip der offnen Thür und des alten manchesterlichen Frei¬ handels aufzugeben. Vorläufig ist diese Meinung noch nicht reif genug, in Verträge und Gesetze umgesetzt zu werden. Es ist vielleicht eben jetzt der Augenblick nähe, wo England die weitere Ausdehnung seines Kolonialbesitzes in den Hauptgrenzen abschließen wird. Dann könnte die Frage nach wirtschaft¬ lichem Abschluß des Reichs ernstlicher gestellt werden. Und wenn der politische Imperialismus in den selbstregierenden, von Europäern bewohnten Kolonien auch wenig Aussicht ans Verwirklichung hat, so ist von diesem Plan der andre eines Zollbundes unabhängig. Am 3. April dieses Jahres sagte Herr Chamberlain im Unterhause, er sei nie für einen Neichszollverein gewesen, sondern er verlange Freihandel innerhalb des Reiches und Zölle nach außen. Ich wüßte freilich nicht, worin sich diese Forderungen voneinander unterscheiden sollten; klar aber ist doch wohl, daß der wirtschaftliche Abschluß Englands und seiner Kolonien gegen die übrige Welt im Plan des einflußreichsten englischen Ministers liegt. Kanada hat ja schon Vorzugszölle zu Gunsten Englands bei sich eingeführt, die vom 1. Juli dieses Jahres ab 33^ Prozent vom Wert betragen werden. Wenn sich der englische Imperialismus auf wirtschaftlichem Gebiet durchsetzen sollte; wenn diese täglich an Bedeutung wachsende Partei die Zukunft Englands be¬ stimmen sollte, wie es den Anschein hat: dann wird die Politik Europas einen gewaltigen Umschwung erfahren. Das wirtschaftliche Bedürfnis wird Europa nötigen, eine Solidarität der Interessen der alten kontinentalen Kulturstaaten gegenüber den heutigen Weltmächten anzuerkennen und sich zu ihrer Ver¬ teidigung zu verbinden. Um also zu einer Weltmacht im Sinne des Herrn Frantz zu gelangen, Hütten wir die offne Thür als wirtschaftliches Prinzip des Deutschen Reichs von England zu übernehmen und in dem Sinne nach außen zu vertreten, daß in den internationalen Handelsbeziehungen keine Differentialzölle aufkommen, die als Schutzzölle für die Waren ganzer Länder oder für bestimmte Waren¬ gattungen innerhalb des überseeischen Verkehrs wirken würden. Unsre Zeit ist weit weniger von politischen Interessen als von wirtschaftlichen beherrscht, worin wir ja nur deu Spuren Englands folgen, das längst schon nur für sein wirtschaftliches Gedeihen kämpfte, während es auf der Arena des kontinentalen Europas noch immer die alten politischen Turniere fröhlich und mit ernster Miene mitmachte. Indem wir nun dieses bis jetzt noch von dem offiziellen England immer proklamierte Prinzip der offnen Thür annehmen, wäre der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/614>, abgerufen am 24.08.2024.