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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die Blüte und der verfall der holländischen Seemacht

sechzehnten Jahrhunderts hatte das englische Volk einen begeisterten Anlauf
genommen, die See zu gewinnen, den eignen Handel selbständig, unabhängig
von fremder Vermittlung zu macheu. Die trüben Zeiten der Stuarts brachten
wieder Rückschritte in den auswärtigen Unternehmungen. Vergeblich erhob Sir
Walther Naleigh seine mahnende Stimme und wies zuerst seine Landsleute
auf das holländische Vorbild hin. Erst lange nach seinem Tode reiften die
Früchte seiner Wirksamkeit. Noch im Anfange des siebzehnten Jahrhunderts
sah es mit der englischen Seeschiffahrt im Vergleich zur holländischen dürftig
aus. Noch 1640 standen im Verkehr durch den Sund 1600 holländischen
Schiffen 430 englische gegenüber, noch 1650 verhielt sich der holländische zum
englischen Handel wie 5 zu 1. Da erhielt der Ehrgeiz der Nation seine Ver¬
körperung in Oliver Cromwell. Die Navigationsakte wurde 1651 erlassen.
Sie verbot zum Schutz und zur Hebung der englischen Seefahrt den Zwischen¬
handel aller fremden Flaggen. Es war ein Schlag, dessen volle Wucht Holland
traf. Wohl legten diese Prohibitivbestimmungen dem englischen Volksvermögen
zunächst schwere Opfer auf; es mußte jetzt teuer im Inlande produzieren, was
es bisher mit Leichtigkeit vom Auslande bezogen hatte. Der Schiffbau, der
vor allem durch die Akte gefördert werden sollte, war 1653 über 30 Prozent
teurer als vor dem Erlaß. Die Matrosenlöhne stiegen dermaßen, daß der
russische und grönländische Handel der Engländer vollständig an die Holländer
verloren ging. Dennoch wurde auch die Akte bei der Restauration der Stuarts
1660 sogar noch erweitert, und schon 1669 wurde sie von dem tüchtigen
Nationalökonomen Child als die ingAua oug-rta des englischen Seewesens ge¬
feiert. Wenig später drückte der Großkanzler das Endziel der britischen Heraus¬
forderung der Niederländer durch das brutale: LartliASinöm osso ävlönäiliri
im Parlament aus, und die Regierung schuf das Mittel, diesem Worte Nach¬
druck zu geben und deu holländischen Welthandel durch einen britischen zu er¬
setzen, planmäßig und mit zäher Energie: eine überlegne Kriegsflotte.

Auf die Navigationsnkte, diese Vergewaltigung der holländischen Schiff-
fnhrt, antwortete Holland im Vertrauen auf eine krieg- und sieggewohnte Flotte
mit Krieg. Und nun rangen die alte und die junge Macht deS Welthandels
in dreien der schwersten und blutigsten Seekriege (1652 bis 1654, 1665 bis
1667, 1672 bis 1674). Die Holländer stritten mit dem alten Löwenmute.
Aber die holländischen Admiräle selbst erhoben die gewichtige Stimme über den
geringen Wert der eignen Flotte gegenüber der englischen, die in fieberhafter
Thätigkeit durch mächtige Schiffe verstärkt wurde.

Aufs schwerste rächte sich nun die Knauserei des herrschenden Regiments
an der Nation. Die niederländischen Schiffe waren kleiner, schwächer armiert,
""vollständig ausgerüstet und bemannt. Die Flotte war nicht den gestiegnen
Anforderungen des Seekriegs, der Verstärkung der fremden Mariner ent¬
sprechend, weiter entwickelt worden. Und die Versuche der Niederländer,
während dieser Kriegsperiode das Versäumte nachzuholen, waren insofern er¬
folglos, als auch England unablässig seine Flotte verbesserte. Ein Blick auf


Die Blüte und der verfall der holländischen Seemacht

sechzehnten Jahrhunderts hatte das englische Volk einen begeisterten Anlauf
genommen, die See zu gewinnen, den eignen Handel selbständig, unabhängig
von fremder Vermittlung zu macheu. Die trüben Zeiten der Stuarts brachten
wieder Rückschritte in den auswärtigen Unternehmungen. Vergeblich erhob Sir
Walther Naleigh seine mahnende Stimme und wies zuerst seine Landsleute
auf das holländische Vorbild hin. Erst lange nach seinem Tode reiften die
Früchte seiner Wirksamkeit. Noch im Anfange des siebzehnten Jahrhunderts
sah es mit der englischen Seeschiffahrt im Vergleich zur holländischen dürftig
aus. Noch 1640 standen im Verkehr durch den Sund 1600 holländischen
Schiffen 430 englische gegenüber, noch 1650 verhielt sich der holländische zum
englischen Handel wie 5 zu 1. Da erhielt der Ehrgeiz der Nation seine Ver¬
körperung in Oliver Cromwell. Die Navigationsakte wurde 1651 erlassen.
Sie verbot zum Schutz und zur Hebung der englischen Seefahrt den Zwischen¬
handel aller fremden Flaggen. Es war ein Schlag, dessen volle Wucht Holland
traf. Wohl legten diese Prohibitivbestimmungen dem englischen Volksvermögen
zunächst schwere Opfer auf; es mußte jetzt teuer im Inlande produzieren, was
es bisher mit Leichtigkeit vom Auslande bezogen hatte. Der Schiffbau, der
vor allem durch die Akte gefördert werden sollte, war 1653 über 30 Prozent
teurer als vor dem Erlaß. Die Matrosenlöhne stiegen dermaßen, daß der
russische und grönländische Handel der Engländer vollständig an die Holländer
verloren ging. Dennoch wurde auch die Akte bei der Restauration der Stuarts
1660 sogar noch erweitert, und schon 1669 wurde sie von dem tüchtigen
Nationalökonomen Child als die ingAua oug-rta des englischen Seewesens ge¬
feiert. Wenig später drückte der Großkanzler das Endziel der britischen Heraus¬
forderung der Niederländer durch das brutale: LartliASinöm osso ävlönäiliri
im Parlament aus, und die Regierung schuf das Mittel, diesem Worte Nach¬
druck zu geben und deu holländischen Welthandel durch einen britischen zu er¬
setzen, planmäßig und mit zäher Energie: eine überlegne Kriegsflotte.

Auf die Navigationsnkte, diese Vergewaltigung der holländischen Schiff-
fnhrt, antwortete Holland im Vertrauen auf eine krieg- und sieggewohnte Flotte
mit Krieg. Und nun rangen die alte und die junge Macht deS Welthandels
in dreien der schwersten und blutigsten Seekriege (1652 bis 1654, 1665 bis
1667, 1672 bis 1674). Die Holländer stritten mit dem alten Löwenmute.
Aber die holländischen Admiräle selbst erhoben die gewichtige Stimme über den
geringen Wert der eignen Flotte gegenüber der englischen, die in fieberhafter
Thätigkeit durch mächtige Schiffe verstärkt wurde.

Aufs schwerste rächte sich nun die Knauserei des herrschenden Regiments
an der Nation. Die niederländischen Schiffe waren kleiner, schwächer armiert,
»»vollständig ausgerüstet und bemannt. Die Flotte war nicht den gestiegnen
Anforderungen des Seekriegs, der Verstärkung der fremden Mariner ent¬
sprechend, weiter entwickelt worden. Und die Versuche der Niederländer,
während dieser Kriegsperiode das Versäumte nachzuholen, waren insofern er¬
folglos, als auch England unablässig seine Flotte verbesserte. Ein Blick auf


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[0580] Die Blüte und der verfall der holländischen Seemacht sechzehnten Jahrhunderts hatte das englische Volk einen begeisterten Anlauf genommen, die See zu gewinnen, den eignen Handel selbständig, unabhängig von fremder Vermittlung zu macheu. Die trüben Zeiten der Stuarts brachten wieder Rückschritte in den auswärtigen Unternehmungen. Vergeblich erhob Sir Walther Naleigh seine mahnende Stimme und wies zuerst seine Landsleute auf das holländische Vorbild hin. Erst lange nach seinem Tode reiften die Früchte seiner Wirksamkeit. Noch im Anfange des siebzehnten Jahrhunderts sah es mit der englischen Seeschiffahrt im Vergleich zur holländischen dürftig aus. Noch 1640 standen im Verkehr durch den Sund 1600 holländischen Schiffen 430 englische gegenüber, noch 1650 verhielt sich der holländische zum englischen Handel wie 5 zu 1. Da erhielt der Ehrgeiz der Nation seine Ver¬ körperung in Oliver Cromwell. Die Navigationsakte wurde 1651 erlassen. Sie verbot zum Schutz und zur Hebung der englischen Seefahrt den Zwischen¬ handel aller fremden Flaggen. Es war ein Schlag, dessen volle Wucht Holland traf. Wohl legten diese Prohibitivbestimmungen dem englischen Volksvermögen zunächst schwere Opfer auf; es mußte jetzt teuer im Inlande produzieren, was es bisher mit Leichtigkeit vom Auslande bezogen hatte. Der Schiffbau, der vor allem durch die Akte gefördert werden sollte, war 1653 über 30 Prozent teurer als vor dem Erlaß. Die Matrosenlöhne stiegen dermaßen, daß der russische und grönländische Handel der Engländer vollständig an die Holländer verloren ging. Dennoch wurde auch die Akte bei der Restauration der Stuarts 1660 sogar noch erweitert, und schon 1669 wurde sie von dem tüchtigen Nationalökonomen Child als die ingAua oug-rta des englischen Seewesens ge¬ feiert. Wenig später drückte der Großkanzler das Endziel der britischen Heraus¬ forderung der Niederländer durch das brutale: LartliASinöm osso ävlönäiliri im Parlament aus, und die Regierung schuf das Mittel, diesem Worte Nach¬ druck zu geben und deu holländischen Welthandel durch einen britischen zu er¬ setzen, planmäßig und mit zäher Energie: eine überlegne Kriegsflotte. Auf die Navigationsnkte, diese Vergewaltigung der holländischen Schiff- fnhrt, antwortete Holland im Vertrauen auf eine krieg- und sieggewohnte Flotte mit Krieg. Und nun rangen die alte und die junge Macht deS Welthandels in dreien der schwersten und blutigsten Seekriege (1652 bis 1654, 1665 bis 1667, 1672 bis 1674). Die Holländer stritten mit dem alten Löwenmute. Aber die holländischen Admiräle selbst erhoben die gewichtige Stimme über den geringen Wert der eignen Flotte gegenüber der englischen, die in fieberhafter Thätigkeit durch mächtige Schiffe verstärkt wurde. Aufs schwerste rächte sich nun die Knauserei des herrschenden Regiments an der Nation. Die niederländischen Schiffe waren kleiner, schwächer armiert, »»vollständig ausgerüstet und bemannt. Die Flotte war nicht den gestiegnen Anforderungen des Seekriegs, der Verstärkung der fremden Mariner ent¬ sprechend, weiter entwickelt worden. Und die Versuche der Niederländer, während dieser Kriegsperiode das Versäumte nachzuholen, waren insofern er¬ folglos, als auch England unablässig seine Flotte verbesserte. Ein Blick auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/580>, abgerufen am 22.07.2024.