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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Roiitineiitnlcs und maritimes Gleichgewicht

Verkehr werden, "in so mehr fordern wir die Eifersucht konkurrierender Staaten
heraus, und wir haben gesehen, wie systematisch ein solches Mißverhältnis be¬
sonders von England jederzeit ausgenutzt worden ist. Wir müssen darauf
gefaßt sei", das; bei irqend einem Kriege, in den wir geraten, England als
Gegner auftreten und, ohne unsre kontinentale Stellung zu gefährden, unsern
Welthandel zerstören wird. Die Versuchung dazu ist zu groß bei der mari¬
timen Übermacht und der heutigen in den Bahnen einer imperialistischen Ge¬
waltpolitik treibenden Aktionslust der Engländer. Wir sind außer stände,
ihnen direkten Widerstand zu leisten, und werden nach der Vergrößerung unsrer
Schlachtflotte im Jahre 1917 England gegenüber auf dem Weltmeer und ohne
Verbündete nicht besser gestellt sein als bisher. Eine Verdopplung unsrer
Schlachtflotte wird uns noch nicht zur Weltmacht erheben. Wir werden durch
sie nur nllianzfähiger für einen Seekrieg und unabhängiger für den Fall eines
Landkriegs werde".

Deutschland mit seiner großen Landmacht ist für England viel wert als
Gegengewicht gegen Rußland und wäre ihm von dem Augenblick an verhaßt,
wo es aufhören müßte zu glauben, daß sich Deutschland im Notfall oder ans
Interesse einem überschäumenden Slawentum entgegenwerfen werde. Ein eng
mit Rußland verbnndnes Deutschland wird darauf gefaßt sein müsse", bei
Passender Gelegenheit dnrch England vom Meere weggefegt z" werde", falls
ihn: keine genügenden Mittel zum Schutz zu Gebote steh". Ganz ähnlich ver¬
hält es sich mit Frankreich. So lange es dazu dient, die finanziellen eignen
Kräfte "ut die von Deutschland in Rüstungen für einen Nachekrieg zu lähmen,
werden die Wünsche Englands im wesentlichen befriedigt sein; sobald Frank¬
reich ehrlichen Frieden mit Deutschland macht und eine Allianz möglich wird,
ist es mit dem englischen Wohlwollen vorbei. Ohne die unheilvolle Rache-
Politik wäre Frankreich nicht aus Ägypten hinausgedrängt worden, wodurch
der Ring der englischen Blockade Europas geschlossen und die Suprematie
im Mittelmeer, für die Frankreich so lange gekämpft hat, ihm entwunden
worden ist.

"England allein würde jetzt "och de" vier Flotten von Frankreich, Rnß-
lmid, Italien "ut Deutschland gewachsen sei"" (Nassow, Deutschlands See¬
macht), denn das Verhältnis der Kräfte stellt sich wie 1001 zu 1114. Das
but England erreicht, indem es als Glied des europäischen Konzerts mit den
ander" Mächte" dafür sorgte, daß das europäische Gleichgewicht erhalten bleibe.
El" Gleichgewicht von Staaten, die zuletzt allesamt das Gleichgewicht gegen¬
über England völlig verloren habe".

Es hat lange gedauert, bis dem kontineiitalen Europa der Stand der
Dinge ganz klar wurde. Solange das Bedürfnis nach überseeischen Waremnürkten
gering'war auf dem Kontinent, sah man wohl mit Neid ans die schnelle
Steigerung des englischen Welthandels, aber man fühlte keine Schädigung am
eignen Leibe. Noch bis gegen die Mitte des nemizehnte" Jahrhunderts freute
>>um sich in Europa, mit so guten und vielen Jndnstrieartiteln durch England


Roiitineiitnlcs und maritimes Gleichgewicht

Verkehr werden, »in so mehr fordern wir die Eifersucht konkurrierender Staaten
heraus, und wir haben gesehen, wie systematisch ein solches Mißverhältnis be¬
sonders von England jederzeit ausgenutzt worden ist. Wir müssen darauf
gefaßt sei», das; bei irqend einem Kriege, in den wir geraten, England als
Gegner auftreten und, ohne unsre kontinentale Stellung zu gefährden, unsern
Welthandel zerstören wird. Die Versuchung dazu ist zu groß bei der mari¬
timen Übermacht und der heutigen in den Bahnen einer imperialistischen Ge¬
waltpolitik treibenden Aktionslust der Engländer. Wir sind außer stände,
ihnen direkten Widerstand zu leisten, und werden nach der Vergrößerung unsrer
Schlachtflotte im Jahre 1917 England gegenüber auf dem Weltmeer und ohne
Verbündete nicht besser gestellt sein als bisher. Eine Verdopplung unsrer
Schlachtflotte wird uns noch nicht zur Weltmacht erheben. Wir werden durch
sie nur nllianzfähiger für einen Seekrieg und unabhängiger für den Fall eines
Landkriegs werde«.

Deutschland mit seiner großen Landmacht ist für England viel wert als
Gegengewicht gegen Rußland und wäre ihm von dem Augenblick an verhaßt,
wo es aufhören müßte zu glauben, daß sich Deutschland im Notfall oder ans
Interesse einem überschäumenden Slawentum entgegenwerfen werde. Ein eng
mit Rußland verbnndnes Deutschland wird darauf gefaßt sein müsse», bei
Passender Gelegenheit dnrch England vom Meere weggefegt z» werde», falls
ihn: keine genügenden Mittel zum Schutz zu Gebote steh». Ganz ähnlich ver¬
hält es sich mit Frankreich. So lange es dazu dient, die finanziellen eignen
Kräfte »ut die von Deutschland in Rüstungen für einen Nachekrieg zu lähmen,
werden die Wünsche Englands im wesentlichen befriedigt sein; sobald Frank¬
reich ehrlichen Frieden mit Deutschland macht und eine Allianz möglich wird,
ist es mit dem englischen Wohlwollen vorbei. Ohne die unheilvolle Rache-
Politik wäre Frankreich nicht aus Ägypten hinausgedrängt worden, wodurch
der Ring der englischen Blockade Europas geschlossen und die Suprematie
im Mittelmeer, für die Frankreich so lange gekämpft hat, ihm entwunden
worden ist.

„England allein würde jetzt »och de» vier Flotten von Frankreich, Rnß-
lmid, Italien »ut Deutschland gewachsen sei»" (Nassow, Deutschlands See¬
macht), denn das Verhältnis der Kräfte stellt sich wie 1001 zu 1114. Das
but England erreicht, indem es als Glied des europäischen Konzerts mit den
ander» Mächte» dafür sorgte, daß das europäische Gleichgewicht erhalten bleibe.
El» Gleichgewicht von Staaten, die zuletzt allesamt das Gleichgewicht gegen¬
über England völlig verloren habe».

Es hat lange gedauert, bis dem kontineiitalen Europa der Stand der
Dinge ganz klar wurde. Solange das Bedürfnis nach überseeischen Waremnürkten
gering'war auf dem Kontinent, sah man wohl mit Neid ans die schnelle
Steigerung des englischen Welthandels, aber man fühlte keine Schädigung am
eignen Leibe. Noch bis gegen die Mitte des nemizehnte» Jahrhunderts freute
>>um sich in Europa, mit so guten und vielen Jndnstrieartiteln durch England


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[0563] Roiitineiitnlcs und maritimes Gleichgewicht Verkehr werden, »in so mehr fordern wir die Eifersucht konkurrierender Staaten heraus, und wir haben gesehen, wie systematisch ein solches Mißverhältnis be¬ sonders von England jederzeit ausgenutzt worden ist. Wir müssen darauf gefaßt sei», das; bei irqend einem Kriege, in den wir geraten, England als Gegner auftreten und, ohne unsre kontinentale Stellung zu gefährden, unsern Welthandel zerstören wird. Die Versuchung dazu ist zu groß bei der mari¬ timen Übermacht und der heutigen in den Bahnen einer imperialistischen Ge¬ waltpolitik treibenden Aktionslust der Engländer. Wir sind außer stände, ihnen direkten Widerstand zu leisten, und werden nach der Vergrößerung unsrer Schlachtflotte im Jahre 1917 England gegenüber auf dem Weltmeer und ohne Verbündete nicht besser gestellt sein als bisher. Eine Verdopplung unsrer Schlachtflotte wird uns noch nicht zur Weltmacht erheben. Wir werden durch sie nur nllianzfähiger für einen Seekrieg und unabhängiger für den Fall eines Landkriegs werde«. Deutschland mit seiner großen Landmacht ist für England viel wert als Gegengewicht gegen Rußland und wäre ihm von dem Augenblick an verhaßt, wo es aufhören müßte zu glauben, daß sich Deutschland im Notfall oder ans Interesse einem überschäumenden Slawentum entgegenwerfen werde. Ein eng mit Rußland verbnndnes Deutschland wird darauf gefaßt sein müsse», bei Passender Gelegenheit dnrch England vom Meere weggefegt z» werde», falls ihn: keine genügenden Mittel zum Schutz zu Gebote steh». Ganz ähnlich ver¬ hält es sich mit Frankreich. So lange es dazu dient, die finanziellen eignen Kräfte »ut die von Deutschland in Rüstungen für einen Nachekrieg zu lähmen, werden die Wünsche Englands im wesentlichen befriedigt sein; sobald Frank¬ reich ehrlichen Frieden mit Deutschland macht und eine Allianz möglich wird, ist es mit dem englischen Wohlwollen vorbei. Ohne die unheilvolle Rache- Politik wäre Frankreich nicht aus Ägypten hinausgedrängt worden, wodurch der Ring der englischen Blockade Europas geschlossen und die Suprematie im Mittelmeer, für die Frankreich so lange gekämpft hat, ihm entwunden worden ist. „England allein würde jetzt »och de» vier Flotten von Frankreich, Rnß- lmid, Italien »ut Deutschland gewachsen sei»" (Nassow, Deutschlands See¬ macht), denn das Verhältnis der Kräfte stellt sich wie 1001 zu 1114. Das but England erreicht, indem es als Glied des europäischen Konzerts mit den ander» Mächte» dafür sorgte, daß das europäische Gleichgewicht erhalten bleibe. El» Gleichgewicht von Staaten, die zuletzt allesamt das Gleichgewicht gegen¬ über England völlig verloren habe». Es hat lange gedauert, bis dem kontineiitalen Europa der Stand der Dinge ganz klar wurde. Solange das Bedürfnis nach überseeischen Waremnürkten gering'war auf dem Kontinent, sah man wohl mit Neid ans die schnelle Steigerung des englischen Welthandels, aber man fühlte keine Schädigung am eignen Leibe. Noch bis gegen die Mitte des nemizehnte» Jahrhunderts freute >>um sich in Europa, mit so guten und vielen Jndnstrieartiteln durch England

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/563>, abgerufen am 01.10.2024.