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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Großkapital und größeres Deutschland

ländischen Gelde verschließen soll und weiter auf Staatskosten "schützen" und
Krieg führen und Schulen, Stationen, Kirchen, Wege und Eisenbahnen anlegen
soll, bis das deutsche Kapital ausgiebig der Flagge folgt, oder ob dieser
Zustand auf die Dauer nicht unhaltbar wird und die "Kultivation" mit
Hilfe fremden Kapitals nicht doch besser ist als gar keine. Es handelt sich
hier nur um die unbestreitbar hohe symptomatische Bedeutung der Thatsache,
daß sich nicht deutsches Kapital, wohl aber fremdes zum Kolonialgeschäft unter
deutscher Flagge drängt. Und was von der Kolonialpolitik im besondern gilt,
das gilt von der Weltpolitik im allgemeinen, von der hier die Rede ist,
erst recht.

So komme ich denn zu der Annahme, daß nicht Kampf und Chikcine
gegen das Großkapital, nicht Lähmung und Unterbindung der Kapitalansamm¬
lung, sondern eine angemessene Pflege, Förderung und Erziehung des Gro߬
kapitals bei uns die richtige Politik ist. Und es ist hohe Zeit, daß die Er¬
kenntnis von der Verkehrtheit des Weges, den die sozialistischen, agrarischen,
mittelstandsparteiischen und nicht zu vergessen: die antisemitischen Schlagworte
uns bisher gewiesen haben, wenigstens unter den zu unabhängigem Urteil be¬
rufnen Gebildeten Raum gewinnt. Von den heutigen Parteien, die um die
Gunst des großen Haufens buhlend nur uoch die einseitigste Interessenpolitik
in allen volkswirtschaftlichen Fragen kennen, ist vorläufig oder überhaupt keine
Umkehr zu erwarten. Und ebenso wenig von dem Teile unsrer Regierungs-
männcr, dessen Staatsweisheit sich in der Anpassung an die sogenannte Mittel¬
linie der Parteiströmungen von Fall zu Fall erschöpft. Diese Parteien und
Staatsmänner werden erst zum Bewußtsein kommen, in was für eine Sack¬
gasse wir mit unsrer Politik geraten sind, wenn wir mit dem Kopfe an die
Wand stoßen. Den rechten Weg zu finden wird der Nation dann teuer zu
stehn kommen, aber untergehn oder für immer flügellahm werden wird sie
daran nicht. Dann wird die Zeit kommen, wo man die rechte Politik darin
erkennen wird, daß man sich um das Panier des Kaisers und des "größern
Deutschlands" sammelt, das er und die Verbündeten Regierungen und die
weitschnucuden, vorurteilsloser Staatsmänner, die ihnen zu Diensten sind, er¬
streben. Aber dann müssen auch die durch' das alte Parteitreiben noch nicht
verseuchten Gebildeten die Führung der Massen zu übernehmen bereit und ge¬
schickt sein. Jetzt sind sie das noch nicht. Gerade in der Frage, von der hier
die Rede ist, zeigt sich das. Die fixe Idee, das "mobile Großkapital" sei die
Wurzel alles Übels und müsse gefesselt, gelähmt, geschröpft werden im Interesse
des Ganzen, beherrscht die gebildeten Kreise bis aus die kleinen Reste des alten
manchesterlichen Freisinns fast ganz.

Was müßte denn die Folge der immer weiter getriebnen Hetze gegen diesen
eingebildeten bösen Feind sein, dem alles, was sich jetzt konservativ nennt, Bei¬
fall klatscht? Wir würden das starke Großkapital, das für den Erfolg der
Weltpolitik so dringend nötig ist wie die starke Flotte, nicht nur nicht ge¬
winnen, wir würden auch das verlieren, was wir davon haben. Man wirft


Großkapital und größeres Deutschland

ländischen Gelde verschließen soll und weiter auf Staatskosten „schützen" und
Krieg führen und Schulen, Stationen, Kirchen, Wege und Eisenbahnen anlegen
soll, bis das deutsche Kapital ausgiebig der Flagge folgt, oder ob dieser
Zustand auf die Dauer nicht unhaltbar wird und die „Kultivation" mit
Hilfe fremden Kapitals nicht doch besser ist als gar keine. Es handelt sich
hier nur um die unbestreitbar hohe symptomatische Bedeutung der Thatsache,
daß sich nicht deutsches Kapital, wohl aber fremdes zum Kolonialgeschäft unter
deutscher Flagge drängt. Und was von der Kolonialpolitik im besondern gilt,
das gilt von der Weltpolitik im allgemeinen, von der hier die Rede ist,
erst recht.

So komme ich denn zu der Annahme, daß nicht Kampf und Chikcine
gegen das Großkapital, nicht Lähmung und Unterbindung der Kapitalansamm¬
lung, sondern eine angemessene Pflege, Förderung und Erziehung des Gro߬
kapitals bei uns die richtige Politik ist. Und es ist hohe Zeit, daß die Er¬
kenntnis von der Verkehrtheit des Weges, den die sozialistischen, agrarischen,
mittelstandsparteiischen und nicht zu vergessen: die antisemitischen Schlagworte
uns bisher gewiesen haben, wenigstens unter den zu unabhängigem Urteil be¬
rufnen Gebildeten Raum gewinnt. Von den heutigen Parteien, die um die
Gunst des großen Haufens buhlend nur uoch die einseitigste Interessenpolitik
in allen volkswirtschaftlichen Fragen kennen, ist vorläufig oder überhaupt keine
Umkehr zu erwarten. Und ebenso wenig von dem Teile unsrer Regierungs-
männcr, dessen Staatsweisheit sich in der Anpassung an die sogenannte Mittel¬
linie der Parteiströmungen von Fall zu Fall erschöpft. Diese Parteien und
Staatsmänner werden erst zum Bewußtsein kommen, in was für eine Sack¬
gasse wir mit unsrer Politik geraten sind, wenn wir mit dem Kopfe an die
Wand stoßen. Den rechten Weg zu finden wird der Nation dann teuer zu
stehn kommen, aber untergehn oder für immer flügellahm werden wird sie
daran nicht. Dann wird die Zeit kommen, wo man die rechte Politik darin
erkennen wird, daß man sich um das Panier des Kaisers und des „größern
Deutschlands" sammelt, das er und die Verbündeten Regierungen und die
weitschnucuden, vorurteilsloser Staatsmänner, die ihnen zu Diensten sind, er¬
streben. Aber dann müssen auch die durch' das alte Parteitreiben noch nicht
verseuchten Gebildeten die Führung der Massen zu übernehmen bereit und ge¬
schickt sein. Jetzt sind sie das noch nicht. Gerade in der Frage, von der hier
die Rede ist, zeigt sich das. Die fixe Idee, das „mobile Großkapital" sei die
Wurzel alles Übels und müsse gefesselt, gelähmt, geschröpft werden im Interesse
des Ganzen, beherrscht die gebildeten Kreise bis aus die kleinen Reste des alten
manchesterlichen Freisinns fast ganz.

Was müßte denn die Folge der immer weiter getriebnen Hetze gegen diesen
eingebildeten bösen Feind sein, dem alles, was sich jetzt konservativ nennt, Bei¬
fall klatscht? Wir würden das starke Großkapital, das für den Erfolg der
Weltpolitik so dringend nötig ist wie die starke Flotte, nicht nur nicht ge¬
winnen, wir würden auch das verlieren, was wir davon haben. Man wirft


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[0525] Großkapital und größeres Deutschland ländischen Gelde verschließen soll und weiter auf Staatskosten „schützen" und Krieg führen und Schulen, Stationen, Kirchen, Wege und Eisenbahnen anlegen soll, bis das deutsche Kapital ausgiebig der Flagge folgt, oder ob dieser Zustand auf die Dauer nicht unhaltbar wird und die „Kultivation" mit Hilfe fremden Kapitals nicht doch besser ist als gar keine. Es handelt sich hier nur um die unbestreitbar hohe symptomatische Bedeutung der Thatsache, daß sich nicht deutsches Kapital, wohl aber fremdes zum Kolonialgeschäft unter deutscher Flagge drängt. Und was von der Kolonialpolitik im besondern gilt, das gilt von der Weltpolitik im allgemeinen, von der hier die Rede ist, erst recht. So komme ich denn zu der Annahme, daß nicht Kampf und Chikcine gegen das Großkapital, nicht Lähmung und Unterbindung der Kapitalansamm¬ lung, sondern eine angemessene Pflege, Förderung und Erziehung des Gro߬ kapitals bei uns die richtige Politik ist. Und es ist hohe Zeit, daß die Er¬ kenntnis von der Verkehrtheit des Weges, den die sozialistischen, agrarischen, mittelstandsparteiischen und nicht zu vergessen: die antisemitischen Schlagworte uns bisher gewiesen haben, wenigstens unter den zu unabhängigem Urteil be¬ rufnen Gebildeten Raum gewinnt. Von den heutigen Parteien, die um die Gunst des großen Haufens buhlend nur uoch die einseitigste Interessenpolitik in allen volkswirtschaftlichen Fragen kennen, ist vorläufig oder überhaupt keine Umkehr zu erwarten. Und ebenso wenig von dem Teile unsrer Regierungs- männcr, dessen Staatsweisheit sich in der Anpassung an die sogenannte Mittel¬ linie der Parteiströmungen von Fall zu Fall erschöpft. Diese Parteien und Staatsmänner werden erst zum Bewußtsein kommen, in was für eine Sack¬ gasse wir mit unsrer Politik geraten sind, wenn wir mit dem Kopfe an die Wand stoßen. Den rechten Weg zu finden wird der Nation dann teuer zu stehn kommen, aber untergehn oder für immer flügellahm werden wird sie daran nicht. Dann wird die Zeit kommen, wo man die rechte Politik darin erkennen wird, daß man sich um das Panier des Kaisers und des „größern Deutschlands" sammelt, das er und die Verbündeten Regierungen und die weitschnucuden, vorurteilsloser Staatsmänner, die ihnen zu Diensten sind, er¬ streben. Aber dann müssen auch die durch' das alte Parteitreiben noch nicht verseuchten Gebildeten die Führung der Massen zu übernehmen bereit und ge¬ schickt sein. Jetzt sind sie das noch nicht. Gerade in der Frage, von der hier die Rede ist, zeigt sich das. Die fixe Idee, das „mobile Großkapital" sei die Wurzel alles Übels und müsse gefesselt, gelähmt, geschröpft werden im Interesse des Ganzen, beherrscht die gebildeten Kreise bis aus die kleinen Reste des alten manchesterlichen Freisinns fast ganz. Was müßte denn die Folge der immer weiter getriebnen Hetze gegen diesen eingebildeten bösen Feind sein, dem alles, was sich jetzt konservativ nennt, Bei¬ fall klatscht? Wir würden das starke Großkapital, das für den Erfolg der Weltpolitik so dringend nötig ist wie die starke Flotte, nicht nur nicht ge¬ winnen, wir würden auch das verlieren, was wir davon haben. Man wirft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/525>, abgerufen am 03.07.2024.