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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Ibsens romantische Stücke

Haltnissen entspruuguen Groll und Ingrimm, des Dichterherzens zum Aus¬
druck bringt.

Peer Gynt hat einen reichen Vnnern zum Vater gehabt, der durch Trunk
und Gastfreiheit verlumpt und als armseliger Hausierer gestorben ist. Die
Mutter, eine leidenschaftliche und phantasievolle Frau ohne Selbstbeherrschung,
tröstet sich und ihr Kind über das häusliche Elend mit Märchen und Märchen¬
spielen. So wächst Peter als Wnldbummler, Träumer und Phantast ans und
wird ein Lügenpeter. Die Abenteuer, die ihm ans seinen Streifzügen seine
Phantasie vorgaukelt, glaubt er leibhaftig erlebt zu haben und erzählt sie
-- z. B. einen Sturz ans dein Rücken eines Renntierbocks von schwindelnder
Höhe ins Meer hinab -- mit der Kunst und Kraft Jbseuschcr Poesie. Er
hört um sich herum unheimliche Stimmen, trifft im Walde Ritter und Prin¬
zessinnen, wird im Traume von den Bergkobolden zu Tode gepeinigt, und
wenn er mit einem Mädchen zu schaffen gehabt hat, so bringt ihm kurz darauf
schon die "Prinzessin" als häßliches Weib den verkörperten Gewissensbiß in
Gestalt eines häßlichen großen Jungen und läßt ihn der reinen Liebe Solveigs,
des unschuldigen Kindes, unwürdig erscheinen. Durch solches Treiben werden
die Berinögensumstände des Hauses Ghnt natürlich nicht gebessert; die Mutter
schilt und leise, freut sich aber dann wieder über Peters Abenteuer und läßt
sich noch auf dem Sterbebette mit Pferdchenspiel und ähnlichen kindischen Possen
von ihm unterhalten. Die allgemeine Verachtung, der er anheimgefallen ist,
treibt ihn ans dein Lande. Wie schon im ersten Teil die wirklichen Ereignisse
mit den Träumen und Phantasien Peers unmlterscheidbar durcheinander ge¬
flossen sind, so läßt sich auch in dem zweite", in Marokko und Ägypten
spielenden Teile nicht deutlich unterscheiden, was nach der Absicht des Dichters
als Geschehnis, und was als Einbildung, Spuk oder Aufschneiderei angesehen
werden soll. Gynt ist durch den Handel mit Negern und Götzenbildern und
als Plantagenbesitzer Millionär geworden, will dem dnrch den griechischen Auf¬
stand bedrängten Sultan Geld leihen und dadurch uoch reicher werden und end¬
lich seinen Jugendtraum wahr machen, indem er Kaiser wird und die Dynastie
Gynt begründet. Untreue Freunde fahren mit seinen Reichtümer" davon, er
aber verzagt nicht, da er des besondern Schutzes Gottes gewiß ist, den er sich
verdient hat, da er über dem Neger- und Götzeuhandel mich die Bibelverbreitung
und die Förderung der Missionen nicht vernachlässigt hat. Wirklich wird auch
gleich sein erster Wunsch erfüllt: die Räuber seiner Schätze fliegen mit seinem
Schiff in die Luft. Daun plant er die Verwandlung der Sahara in einen
See, die Reich- und Stndtegrttndung an den fruchtbaren Ufern dieses Sees,
erlebt ekelhafte Abenteuer mit Affen, wird von einem Mädchen betrogen, mit
dem er als islaimtischer Prophet getändelt hat, will sich als Historiker und
Altertumsforscher berühmt machen, bildet sich ein, daß er der Wissenschaft
seine Schütze geopfert habe -- Thränen der Rührung kommen ihm dabei in
die Augen --, wird aber der Ägyptologie sehr bald durch die verdiente Er¬
füllung seines höchsten Wunsches entrissen: die Insassen eines Irrenhauses


Ibsens romantische Stücke

Haltnissen entspruuguen Groll und Ingrimm, des Dichterherzens zum Aus¬
druck bringt.

Peer Gynt hat einen reichen Vnnern zum Vater gehabt, der durch Trunk
und Gastfreiheit verlumpt und als armseliger Hausierer gestorben ist. Die
Mutter, eine leidenschaftliche und phantasievolle Frau ohne Selbstbeherrschung,
tröstet sich und ihr Kind über das häusliche Elend mit Märchen und Märchen¬
spielen. So wächst Peter als Wnldbummler, Träumer und Phantast ans und
wird ein Lügenpeter. Die Abenteuer, die ihm ans seinen Streifzügen seine
Phantasie vorgaukelt, glaubt er leibhaftig erlebt zu haben und erzählt sie
— z. B. einen Sturz ans dein Rücken eines Renntierbocks von schwindelnder
Höhe ins Meer hinab — mit der Kunst und Kraft Jbseuschcr Poesie. Er
hört um sich herum unheimliche Stimmen, trifft im Walde Ritter und Prin¬
zessinnen, wird im Traume von den Bergkobolden zu Tode gepeinigt, und
wenn er mit einem Mädchen zu schaffen gehabt hat, so bringt ihm kurz darauf
schon die „Prinzessin" als häßliches Weib den verkörperten Gewissensbiß in
Gestalt eines häßlichen großen Jungen und läßt ihn der reinen Liebe Solveigs,
des unschuldigen Kindes, unwürdig erscheinen. Durch solches Treiben werden
die Berinögensumstände des Hauses Ghnt natürlich nicht gebessert; die Mutter
schilt und leise, freut sich aber dann wieder über Peters Abenteuer und läßt
sich noch auf dem Sterbebette mit Pferdchenspiel und ähnlichen kindischen Possen
von ihm unterhalten. Die allgemeine Verachtung, der er anheimgefallen ist,
treibt ihn ans dein Lande. Wie schon im ersten Teil die wirklichen Ereignisse
mit den Träumen und Phantasien Peers unmlterscheidbar durcheinander ge¬
flossen sind, so läßt sich auch in dem zweite», in Marokko und Ägypten
spielenden Teile nicht deutlich unterscheiden, was nach der Absicht des Dichters
als Geschehnis, und was als Einbildung, Spuk oder Aufschneiderei angesehen
werden soll. Gynt ist durch den Handel mit Negern und Götzenbildern und
als Plantagenbesitzer Millionär geworden, will dem dnrch den griechischen Auf¬
stand bedrängten Sultan Geld leihen und dadurch uoch reicher werden und end¬
lich seinen Jugendtraum wahr machen, indem er Kaiser wird und die Dynastie
Gynt begründet. Untreue Freunde fahren mit seinen Reichtümer» davon, er
aber verzagt nicht, da er des besondern Schutzes Gottes gewiß ist, den er sich
verdient hat, da er über dem Neger- und Götzeuhandel mich die Bibelverbreitung
und die Förderung der Missionen nicht vernachlässigt hat. Wirklich wird auch
gleich sein erster Wunsch erfüllt: die Räuber seiner Schätze fliegen mit seinem
Schiff in die Luft. Daun plant er die Verwandlung der Sahara in einen
See, die Reich- und Stndtegrttndung an den fruchtbaren Ufern dieses Sees,
erlebt ekelhafte Abenteuer mit Affen, wird von einem Mädchen betrogen, mit
dem er als islaimtischer Prophet getändelt hat, will sich als Historiker und
Altertumsforscher berühmt machen, bildet sich ein, daß er der Wissenschaft
seine Schütze geopfert habe — Thränen der Rührung kommen ihm dabei in
die Augen —, wird aber der Ägyptologie sehr bald durch die verdiente Er¬
füllung seines höchsten Wunsches entrissen: die Insassen eines Irrenhauses


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[0446] Ibsens romantische Stücke Haltnissen entspruuguen Groll und Ingrimm, des Dichterherzens zum Aus¬ druck bringt. Peer Gynt hat einen reichen Vnnern zum Vater gehabt, der durch Trunk und Gastfreiheit verlumpt und als armseliger Hausierer gestorben ist. Die Mutter, eine leidenschaftliche und phantasievolle Frau ohne Selbstbeherrschung, tröstet sich und ihr Kind über das häusliche Elend mit Märchen und Märchen¬ spielen. So wächst Peter als Wnldbummler, Träumer und Phantast ans und wird ein Lügenpeter. Die Abenteuer, die ihm ans seinen Streifzügen seine Phantasie vorgaukelt, glaubt er leibhaftig erlebt zu haben und erzählt sie — z. B. einen Sturz ans dein Rücken eines Renntierbocks von schwindelnder Höhe ins Meer hinab — mit der Kunst und Kraft Jbseuschcr Poesie. Er hört um sich herum unheimliche Stimmen, trifft im Walde Ritter und Prin¬ zessinnen, wird im Traume von den Bergkobolden zu Tode gepeinigt, und wenn er mit einem Mädchen zu schaffen gehabt hat, so bringt ihm kurz darauf schon die „Prinzessin" als häßliches Weib den verkörperten Gewissensbiß in Gestalt eines häßlichen großen Jungen und läßt ihn der reinen Liebe Solveigs, des unschuldigen Kindes, unwürdig erscheinen. Durch solches Treiben werden die Berinögensumstände des Hauses Ghnt natürlich nicht gebessert; die Mutter schilt und leise, freut sich aber dann wieder über Peters Abenteuer und läßt sich noch auf dem Sterbebette mit Pferdchenspiel und ähnlichen kindischen Possen von ihm unterhalten. Die allgemeine Verachtung, der er anheimgefallen ist, treibt ihn ans dein Lande. Wie schon im ersten Teil die wirklichen Ereignisse mit den Träumen und Phantasien Peers unmlterscheidbar durcheinander ge¬ flossen sind, so läßt sich auch in dem zweite», in Marokko und Ägypten spielenden Teile nicht deutlich unterscheiden, was nach der Absicht des Dichters als Geschehnis, und was als Einbildung, Spuk oder Aufschneiderei angesehen werden soll. Gynt ist durch den Handel mit Negern und Götzenbildern und als Plantagenbesitzer Millionär geworden, will dem dnrch den griechischen Auf¬ stand bedrängten Sultan Geld leihen und dadurch uoch reicher werden und end¬ lich seinen Jugendtraum wahr machen, indem er Kaiser wird und die Dynastie Gynt begründet. Untreue Freunde fahren mit seinen Reichtümer» davon, er aber verzagt nicht, da er des besondern Schutzes Gottes gewiß ist, den er sich verdient hat, da er über dem Neger- und Götzeuhandel mich die Bibelverbreitung und die Förderung der Missionen nicht vernachlässigt hat. Wirklich wird auch gleich sein erster Wunsch erfüllt: die Räuber seiner Schätze fliegen mit seinem Schiff in die Luft. Daun plant er die Verwandlung der Sahara in einen See, die Reich- und Stndtegrttndung an den fruchtbaren Ufern dieses Sees, erlebt ekelhafte Abenteuer mit Affen, wird von einem Mädchen betrogen, mit dem er als islaimtischer Prophet getändelt hat, will sich als Historiker und Altertumsforscher berühmt machen, bildet sich ein, daß er der Wissenschaft seine Schütze geopfert habe — Thränen der Rührung kommen ihm dabei in die Augen —, wird aber der Ägyptologie sehr bald durch die verdiente Er¬ füllung seines höchsten Wunsches entrissen: die Insassen eines Irrenhauses

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/446>, abgerufen am 22.07.2024.