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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Burschen heraus!

diese sachlich denken, wie man will, jedenfalls haben solche Kundgebungen von
organisierten Sachverständigen einen ganz andern Wert als Resolutionen und
Petitionen irgend welcher Vereine mit bekannter Tendenz, und sie beweisen
zugleich, daß es auch in Preußen noch Kreise giebt, die gegen die g-rira xoxu-
laris den Nacken steif halten. Endlich verlautet von einer Konferenz "Sach¬
verständiger," die zu Anfang Juli d. I, im preußischen Kultusministerium zu¬
sammentreten soll, um die "Schulreform" zu beraten, und es sind auch schon
verschiedne Vorschläge nach dieser Richtung bekannt geworden, doch weichen
diese vielfach im einzelnen voneinander ab. Soviel scheint indes zunächst fcst-
zustehn, daß der gemeinsame lateinlose Unterban für die höhern Schulgattnngcn
aufgegeben ist, daß also die Realschulen aus der Zahl der Schulen, die zu einer
Art von Einheitsschule verschmolzen werden sollen, ausscheiden, und daß nur
für 'die beiden Arten von Gymnasien ein gemeinsamer Unterbau in einem
weitern Umfnuge als bis jetzt beabsichtigt ist. Über dessen Art weichen die
Angaben noch voneinander ab. Nach den einen soll die "Gabelung" erst in
Obersekunda beginnen, derart, daß das Lateinische (vor allem wohl in den
Realgymnasien) verstärkt, das Griechische auf der einen, das Englische ans der
andern Seite erst in Obersekundn begonnen werden soll. Nach den andern
würden beide Sprachen in Anlehnung an das Frankfurter "System" ein Jahr
früher, in Untersekunda, anfangen.

Es wäre immerhin schon etwas wert, wenn mau auf den unglückseligen
"latcinloscn Unterbau," der seit zwanzig Jahren die "Reformer" bethört, ver¬
zichtete, denn damit wäre wenigstens das Lateinische als Grundlage des Sprach¬
unterrichts gerettet und der unnatürliche Zusammenhang mit den lateinlosen
Realschulen, die gar keine Vorbildung für das wissenschaftliche Studium geben
wollen, also ganz andre Zwecke verfolgen als die Gymnasien beider Richtungen,
nufgegebeu. Dafür soll das Griechische die Zeche bezahlen. Und doch hat die
griechische Litteratur nicht nur an sich eine ungleich größere Bedeutuug als die
lateinische, sondern auch für die Schule, seitdem diese die lateinische Imitation
als zwecklos aufgegeben und die Schriftstellerlektüre in den Bordcrgrnnd ge¬
schoben hat. Deshalb ist für uns eine stärkere Verkürzung des Griechischen
unannehmbar. Bei einer Verschiebung des Anfangs nach Untersekunda verliert
es zwei Jahre, beginnt man erst in Obersekunda, sogar drei Jahre, oder, in
Stundenzahlen ausgedrückt: es wird uach sächsischem Maßstabe von 42 Jahres-
stnnden auf 28 oder gar auf 21, nach preußischen? vou 36 auf 24 oder auf
18 Stunden zurückgedrängt. Das giebt in Einzclstunden übersetzt, das Schul¬
jahr zu 40 Wochen gerechnet, eine Reduktion in den, einen Falle von 1680
auf 1120 oder 840 Stunden, im andern von 1440 auf 960 oder 720 Stunden.
Selbst wenn man zum Ersatz in den griechischen Klassen eine etwas verstärkte
Stundenzahl zugestehn wollte, was ja wohl geschehn würde, schon um den
Schein zu retten, so würde das Mehr nicht ausreichen, um wirklich Ersatz zu
schaffen. Denn die Summen der Jahresstundcn würden dann für Preußen auf
höchstens 24 (3 mal 8 oder 4 mal 6) steige", für Sachsen, da hier schwerlich


Burschen heraus!

diese sachlich denken, wie man will, jedenfalls haben solche Kundgebungen von
organisierten Sachverständigen einen ganz andern Wert als Resolutionen und
Petitionen irgend welcher Vereine mit bekannter Tendenz, und sie beweisen
zugleich, daß es auch in Preußen noch Kreise giebt, die gegen die g-rira xoxu-
laris den Nacken steif halten. Endlich verlautet von einer Konferenz „Sach¬
verständiger," die zu Anfang Juli d. I, im preußischen Kultusministerium zu¬
sammentreten soll, um die „Schulreform" zu beraten, und es sind auch schon
verschiedne Vorschläge nach dieser Richtung bekannt geworden, doch weichen
diese vielfach im einzelnen voneinander ab. Soviel scheint indes zunächst fcst-
zustehn, daß der gemeinsame lateinlose Unterban für die höhern Schulgattnngcn
aufgegeben ist, daß also die Realschulen aus der Zahl der Schulen, die zu einer
Art von Einheitsschule verschmolzen werden sollen, ausscheiden, und daß nur
für 'die beiden Arten von Gymnasien ein gemeinsamer Unterbau in einem
weitern Umfnuge als bis jetzt beabsichtigt ist. Über dessen Art weichen die
Angaben noch voneinander ab. Nach den einen soll die „Gabelung" erst in
Obersekunda beginnen, derart, daß das Lateinische (vor allem wohl in den
Realgymnasien) verstärkt, das Griechische auf der einen, das Englische ans der
andern Seite erst in Obersekundn begonnen werden soll. Nach den andern
würden beide Sprachen in Anlehnung an das Frankfurter „System" ein Jahr
früher, in Untersekunda, anfangen.

Es wäre immerhin schon etwas wert, wenn mau auf den unglückseligen
„latcinloscn Unterbau," der seit zwanzig Jahren die „Reformer" bethört, ver¬
zichtete, denn damit wäre wenigstens das Lateinische als Grundlage des Sprach¬
unterrichts gerettet und der unnatürliche Zusammenhang mit den lateinlosen
Realschulen, die gar keine Vorbildung für das wissenschaftliche Studium geben
wollen, also ganz andre Zwecke verfolgen als die Gymnasien beider Richtungen,
nufgegebeu. Dafür soll das Griechische die Zeche bezahlen. Und doch hat die
griechische Litteratur nicht nur an sich eine ungleich größere Bedeutuug als die
lateinische, sondern auch für die Schule, seitdem diese die lateinische Imitation
als zwecklos aufgegeben und die Schriftstellerlektüre in den Bordcrgrnnd ge¬
schoben hat. Deshalb ist für uns eine stärkere Verkürzung des Griechischen
unannehmbar. Bei einer Verschiebung des Anfangs nach Untersekunda verliert
es zwei Jahre, beginnt man erst in Obersekunda, sogar drei Jahre, oder, in
Stundenzahlen ausgedrückt: es wird uach sächsischem Maßstabe von 42 Jahres-
stnnden auf 28 oder gar auf 21, nach preußischen? vou 36 auf 24 oder auf
18 Stunden zurückgedrängt. Das giebt in Einzclstunden übersetzt, das Schul¬
jahr zu 40 Wochen gerechnet, eine Reduktion in den, einen Falle von 1680
auf 1120 oder 840 Stunden, im andern von 1440 auf 960 oder 720 Stunden.
Selbst wenn man zum Ersatz in den griechischen Klassen eine etwas verstärkte
Stundenzahl zugestehn wollte, was ja wohl geschehn würde, schon um den
Schein zu retten, so würde das Mehr nicht ausreichen, um wirklich Ersatz zu
schaffen. Denn die Summen der Jahresstundcn würden dann für Preußen auf
höchstens 24 (3 mal 8 oder 4 mal 6) steige», für Sachsen, da hier schwerlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/429>, abgerufen am 22.07.2024.