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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche Frage in Ungarns Gstmark

wurde die kirchliche von selbst um so mehr zur Trägerin des deutschen
Volkstums.

Diese demokratische Organisation wurde das Mittel, die notwendig
entstehende besondre deutsche Bildung so geschlossen zu erhalten, wie es
noch jetzt unser Erstaunen erregte; einheitlich nach innen, abgeschlossen nach
außen. Das Leben trügt darum einen traulichen, familiären Charakter. Bei
den festlichen Veranstaltungen, an denen ich teilnahm, war kein Unterschied
der Stände bemerkbar; Adel giebt es nicht, zwischen den Bürgern saßen die
Bauern und Bäuerinnen -- die erste Bekanntschaft, die ich machte, war eine junge
Lehrersfrau im kleidsamen Bauernkostüm. Eben schreibt mir ein Landpfarrer
aus der Gegend von Schäßburg, daß er meinen obengenannten historischen
Aufsatz mit seinen Bauern in den Wvchenlescabenden durchnimmt. Und wie
eine deutsche Bildung einheitlich den Volks körper durchströmt, so ist sie auch
in sich einheitlich. Und zwar ist die Kirche das Zusammenhaltende, der
Mittelpunkt, nicht erst seit die politische Organisation ihnen genommen ist,
sondern jedenfalls von der Reformation um. Der Bischof ist jetzt der Vertreter
des Volkes, das Landeskonsistormm lud die deutschen Universitäten ein. Die
Kirche, vielfach bnrgartig befestigt, Zufluchtsort in den Zeiten der Not, rings¬
herum die Vorratskammern des Dorfes, in der Mitte des Dorfes stehend --
das Bild hat auch innere Wahrheit. Deutsch und evangelisch, deutsch und
kirchlich ist dort faktisch dasselbe. Natürlich ist dies nur möglich, wenn die
Schule in der engsten Verbindung mit der Kirche steht. Neben der Autonomie
der Kirche ist der konfessionelle Charakter der Schule, nicht nur der Volksschule,
sondern auch der höhern Schulen, der sächsischen Gymnasien, ihre unlösliche
Verbindung mit der Kirche jetzt das Palladium der Sachsen. Seit 1862 gilt
es, daß jeder künftige Gymnasiallehrer neben Theologie auch ein Lehrfach
studiert haben muß, und damit ist wieder die Möglichkeit eines fortwährenden
Austausches zwischen Pfarr- und Schuldienst gegeben. Die Männer, die in
den letzten Jahrzehnten die Kirche geleitet haben, waren zuvor Gymnasial¬
direktoren, Teutsch dreizehn Jahre lang Rektor in Schäßburg. Und noch heute
muß jeder Gymnasiallehrer einmal im Jahre predigen. Es ist sicher, daß die
Gründlichkeit namentlich des theologischen Fachstudiums darunter leiden muß,
aber ich habe doch in Siebenbürgen den ungemein hohen Wert dieser Ein¬
richtung unter den bestehenden Verhältnissen schätzen lernen. Dadurch allein
ist eine so einheitliche, geschlossene deutsch-evangelische Bildung erreicht und
gewahrt worden, wie wir sie fanden.

Freilich wäre es doch kaum gelungen, diese deutsche Bildung so rein
zu bewahren, wenn nicht die sie umgebende Bildung so viel tiefer stünde.
Die Versuchung, sich auf magyarischen oder rumänischen Schule" ein höheres
Maß vou Bildung und damit eine bessere Zurüstung für den Kampf des
Lebens zu erwerben, ist sehr gering. Vielmehr suchen fortwährend einzelne
magyarische und rumänische Knaben auch da, wo es Schulen ihrer Nationalität
giebt, auf den sächsischen Gymnasien, von denen sie grundsätzlich nicht aus-


Die deutsche Frage in Ungarns Gstmark

wurde die kirchliche von selbst um so mehr zur Trägerin des deutschen
Volkstums.

Diese demokratische Organisation wurde das Mittel, die notwendig
entstehende besondre deutsche Bildung so geschlossen zu erhalten, wie es
noch jetzt unser Erstaunen erregte; einheitlich nach innen, abgeschlossen nach
außen. Das Leben trügt darum einen traulichen, familiären Charakter. Bei
den festlichen Veranstaltungen, an denen ich teilnahm, war kein Unterschied
der Stände bemerkbar; Adel giebt es nicht, zwischen den Bürgern saßen die
Bauern und Bäuerinnen — die erste Bekanntschaft, die ich machte, war eine junge
Lehrersfrau im kleidsamen Bauernkostüm. Eben schreibt mir ein Landpfarrer
aus der Gegend von Schäßburg, daß er meinen obengenannten historischen
Aufsatz mit seinen Bauern in den Wvchenlescabenden durchnimmt. Und wie
eine deutsche Bildung einheitlich den Volks körper durchströmt, so ist sie auch
in sich einheitlich. Und zwar ist die Kirche das Zusammenhaltende, der
Mittelpunkt, nicht erst seit die politische Organisation ihnen genommen ist,
sondern jedenfalls von der Reformation um. Der Bischof ist jetzt der Vertreter
des Volkes, das Landeskonsistormm lud die deutschen Universitäten ein. Die
Kirche, vielfach bnrgartig befestigt, Zufluchtsort in den Zeiten der Not, rings¬
herum die Vorratskammern des Dorfes, in der Mitte des Dorfes stehend —
das Bild hat auch innere Wahrheit. Deutsch und evangelisch, deutsch und
kirchlich ist dort faktisch dasselbe. Natürlich ist dies nur möglich, wenn die
Schule in der engsten Verbindung mit der Kirche steht. Neben der Autonomie
der Kirche ist der konfessionelle Charakter der Schule, nicht nur der Volksschule,
sondern auch der höhern Schulen, der sächsischen Gymnasien, ihre unlösliche
Verbindung mit der Kirche jetzt das Palladium der Sachsen. Seit 1862 gilt
es, daß jeder künftige Gymnasiallehrer neben Theologie auch ein Lehrfach
studiert haben muß, und damit ist wieder die Möglichkeit eines fortwährenden
Austausches zwischen Pfarr- und Schuldienst gegeben. Die Männer, die in
den letzten Jahrzehnten die Kirche geleitet haben, waren zuvor Gymnasial¬
direktoren, Teutsch dreizehn Jahre lang Rektor in Schäßburg. Und noch heute
muß jeder Gymnasiallehrer einmal im Jahre predigen. Es ist sicher, daß die
Gründlichkeit namentlich des theologischen Fachstudiums darunter leiden muß,
aber ich habe doch in Siebenbürgen den ungemein hohen Wert dieser Ein¬
richtung unter den bestehenden Verhältnissen schätzen lernen. Dadurch allein
ist eine so einheitliche, geschlossene deutsch-evangelische Bildung erreicht und
gewahrt worden, wie wir sie fanden.

Freilich wäre es doch kaum gelungen, diese deutsche Bildung so rein
zu bewahren, wenn nicht die sie umgebende Bildung so viel tiefer stünde.
Die Versuchung, sich auf magyarischen oder rumänischen Schule» ein höheres
Maß vou Bildung und damit eine bessere Zurüstung für den Kampf des
Lebens zu erwerben, ist sehr gering. Vielmehr suchen fortwährend einzelne
magyarische und rumänische Knaben auch da, wo es Schulen ihrer Nationalität
giebt, auf den sächsischen Gymnasien, von denen sie grundsätzlich nicht aus-


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[0422] Die deutsche Frage in Ungarns Gstmark wurde die kirchliche von selbst um so mehr zur Trägerin des deutschen Volkstums. Diese demokratische Organisation wurde das Mittel, die notwendig entstehende besondre deutsche Bildung so geschlossen zu erhalten, wie es noch jetzt unser Erstaunen erregte; einheitlich nach innen, abgeschlossen nach außen. Das Leben trügt darum einen traulichen, familiären Charakter. Bei den festlichen Veranstaltungen, an denen ich teilnahm, war kein Unterschied der Stände bemerkbar; Adel giebt es nicht, zwischen den Bürgern saßen die Bauern und Bäuerinnen — die erste Bekanntschaft, die ich machte, war eine junge Lehrersfrau im kleidsamen Bauernkostüm. Eben schreibt mir ein Landpfarrer aus der Gegend von Schäßburg, daß er meinen obengenannten historischen Aufsatz mit seinen Bauern in den Wvchenlescabenden durchnimmt. Und wie eine deutsche Bildung einheitlich den Volks körper durchströmt, so ist sie auch in sich einheitlich. Und zwar ist die Kirche das Zusammenhaltende, der Mittelpunkt, nicht erst seit die politische Organisation ihnen genommen ist, sondern jedenfalls von der Reformation um. Der Bischof ist jetzt der Vertreter des Volkes, das Landeskonsistormm lud die deutschen Universitäten ein. Die Kirche, vielfach bnrgartig befestigt, Zufluchtsort in den Zeiten der Not, rings¬ herum die Vorratskammern des Dorfes, in der Mitte des Dorfes stehend — das Bild hat auch innere Wahrheit. Deutsch und evangelisch, deutsch und kirchlich ist dort faktisch dasselbe. Natürlich ist dies nur möglich, wenn die Schule in der engsten Verbindung mit der Kirche steht. Neben der Autonomie der Kirche ist der konfessionelle Charakter der Schule, nicht nur der Volksschule, sondern auch der höhern Schulen, der sächsischen Gymnasien, ihre unlösliche Verbindung mit der Kirche jetzt das Palladium der Sachsen. Seit 1862 gilt es, daß jeder künftige Gymnasiallehrer neben Theologie auch ein Lehrfach studiert haben muß, und damit ist wieder die Möglichkeit eines fortwährenden Austausches zwischen Pfarr- und Schuldienst gegeben. Die Männer, die in den letzten Jahrzehnten die Kirche geleitet haben, waren zuvor Gymnasial¬ direktoren, Teutsch dreizehn Jahre lang Rektor in Schäßburg. Und noch heute muß jeder Gymnasiallehrer einmal im Jahre predigen. Es ist sicher, daß die Gründlichkeit namentlich des theologischen Fachstudiums darunter leiden muß, aber ich habe doch in Siebenbürgen den ungemein hohen Wert dieser Ein¬ richtung unter den bestehenden Verhältnissen schätzen lernen. Dadurch allein ist eine so einheitliche, geschlossene deutsch-evangelische Bildung erreicht und gewahrt worden, wie wir sie fanden. Freilich wäre es doch kaum gelungen, diese deutsche Bildung so rein zu bewahren, wenn nicht die sie umgebende Bildung so viel tiefer stünde. Die Versuchung, sich auf magyarischen oder rumänischen Schule» ein höheres Maß vou Bildung und damit eine bessere Zurüstung für den Kampf des Lebens zu erwerben, ist sehr gering. Vielmehr suchen fortwährend einzelne magyarische und rumänische Knaben auch da, wo es Schulen ihrer Nationalität giebt, auf den sächsischen Gymnasien, von denen sie grundsätzlich nicht aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/422>, abgerufen am 22.07.2024.