Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
?le deutsche Frage in Ungarns Ostmark

thore, durch die Kumanen und Mongolen, slavische Petschenegen, Walachei,
und Türken immer U'ieber eingebrochen sind, und eben diese Thore zu be¬
wachen wurde die historische Aufgabe der sächsischen Kolonisten. Wie sollten die
ungarischen Herrscher diese ihre wertvollsten Grenzwächter nicht schätzen, die
immer von neuem den ersten Anprall der Feinde aushielten und unzählige
Proben ihrer Tapferkeit und ihrer Treue gegeben haben, retinemlanr
vorormm, "zur Bewahrung der Krone," wie es auf dem alten Sachsenwnppen
heißt! Zumal da diese ungarischen Herrscher im Mittelalter, auf Deutschland
augewiesen, deutschfreundlich und seit der Reformation sogar ans dem deutscheu
Hause Habsburg waren, vollends seit nach dem Frieden von Karlowitz 1699
die Türken nicht mehr magyarische Sondergelüste patronisiercu konnten und
die Herrschaft der Habsburger sich sichrer und kräftiger äußerte! So galt das
kleine Volk, das mit dem selbsterworbnen Boden immer fester verwuchs, bis
uns unsre Tage als eine besondere Stütze des Thrones. Es war wirklich eine
staatsrechtliche Macht, mit der noch Franz Joseph 1848/49 ernsthaft rechnete.

Denn diese Gunst der politischen Verhältnisse brachte den kleinen deutscheu
Stamm sogar zu einer festen politischen Organisation. Die sächsische Nation
oder Nntionsuniversität, d. h. Gesamtheit, entstand. Schon die grundlegende
Urkunde von 1224, der Grundbrief ihrer Freiheit vom König Andreas, das
^ncirsMum,, faßt ihre verschiednen Gruppen als ein urriversuL xoxulus, ein
Gesamtvolk, zusammen und setzt ihnen einen Königsrichter, den Sachsengrafen.
Die Türkenzeit wies die siebenbürger auf eigne Hilfe; es wird ein eignes
Fürstentum daraus, dann sogar ein Großfürstentnm und selbständiges Kron¬
land Österreichs mit eignem Landtag, gebildet ans den Vertretern der drei
politischen Nationen des Landes, Magyaren und Szetlern -- das sind auch
Magyaren, aber von einer besondern Abzweigung -- und Sachsen, die sich mich
ihren Grafen jetzt selbst wähle" durften. Überhaupt hat sich diese sächsische
"Nation," von agrarischer Grundlage, der alten aus der Heimat mitgebrachten
Geineinfreiheit, ausgehend eine vollendete Demokratie geschaffen. In dieser
isolierten Bauerndemokratie haben sich zum. Entzücken unsrer Geschichtschreiber
des Mittelalters bis in unser Jahrhundert Zustände und Einrichtungen erhalten,
die im Mutterlande mit dem frühern Mittelalter verschwände". Die gewerb-
treibenden Städte, die im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert eine hohe
Blüte erreichten, waren nur die Vororte der Landbezirkc des Sachsenbodens,
d- h. des Teiles von Siebenbürgen, auf dem nur der Sachse Vollbürger war.
Mit dieser politischen Organisation aber hatte sich gleichfalls von Ursprung an
und ebenso demokratisch aufgebaut eine kirchliche verbunden, die geistliche Uni¬
versität, deren Bedeutung ungeheuer wachsen mußte, seit die Sachsen, der Be¬
wegung des Mutterlandes folgend, im sechzehnten Jahrhundert lutherisch
wurden, sich von der Eingliederung in die katholische Organisation loslösten,
und den zumeist katholischen oder ' kalvinistischen Magyaren gegenüber auch
kirchlich selbständig wurden. Das ist in unsrer Zeit geradezu die Rettung
geworden. Als die politische Organisation 1876 vollends zerschlagen wurde,


?le deutsche Frage in Ungarns Ostmark

thore, durch die Kumanen und Mongolen, slavische Petschenegen, Walachei,
und Türken immer U'ieber eingebrochen sind, und eben diese Thore zu be¬
wachen wurde die historische Aufgabe der sächsischen Kolonisten. Wie sollten die
ungarischen Herrscher diese ihre wertvollsten Grenzwächter nicht schätzen, die
immer von neuem den ersten Anprall der Feinde aushielten und unzählige
Proben ihrer Tapferkeit und ihrer Treue gegeben haben, retinemlanr
vorormm, „zur Bewahrung der Krone," wie es auf dem alten Sachsenwnppen
heißt! Zumal da diese ungarischen Herrscher im Mittelalter, auf Deutschland
augewiesen, deutschfreundlich und seit der Reformation sogar ans dem deutscheu
Hause Habsburg waren, vollends seit nach dem Frieden von Karlowitz 1699
die Türken nicht mehr magyarische Sondergelüste patronisiercu konnten und
die Herrschaft der Habsburger sich sichrer und kräftiger äußerte! So galt das
kleine Volk, das mit dem selbsterworbnen Boden immer fester verwuchs, bis
uns unsre Tage als eine besondere Stütze des Thrones. Es war wirklich eine
staatsrechtliche Macht, mit der noch Franz Joseph 1848/49 ernsthaft rechnete.

Denn diese Gunst der politischen Verhältnisse brachte den kleinen deutscheu
Stamm sogar zu einer festen politischen Organisation. Die sächsische Nation
oder Nntionsuniversität, d. h. Gesamtheit, entstand. Schon die grundlegende
Urkunde von 1224, der Grundbrief ihrer Freiheit vom König Andreas, das
^ncirsMum,, faßt ihre verschiednen Gruppen als ein urriversuL xoxulus, ein
Gesamtvolk, zusammen und setzt ihnen einen Königsrichter, den Sachsengrafen.
Die Türkenzeit wies die siebenbürger auf eigne Hilfe; es wird ein eignes
Fürstentum daraus, dann sogar ein Großfürstentnm und selbständiges Kron¬
land Österreichs mit eignem Landtag, gebildet ans den Vertretern der drei
politischen Nationen des Landes, Magyaren und Szetlern — das sind auch
Magyaren, aber von einer besondern Abzweigung — und Sachsen, die sich mich
ihren Grafen jetzt selbst wähle» durften. Überhaupt hat sich diese sächsische
"Nation," von agrarischer Grundlage, der alten aus der Heimat mitgebrachten
Geineinfreiheit, ausgehend eine vollendete Demokratie geschaffen. In dieser
isolierten Bauerndemokratie haben sich zum. Entzücken unsrer Geschichtschreiber
des Mittelalters bis in unser Jahrhundert Zustände und Einrichtungen erhalten,
die im Mutterlande mit dem frühern Mittelalter verschwände«. Die gewerb-
treibenden Städte, die im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert eine hohe
Blüte erreichten, waren nur die Vororte der Landbezirkc des Sachsenbodens,
d- h. des Teiles von Siebenbürgen, auf dem nur der Sachse Vollbürger war.
Mit dieser politischen Organisation aber hatte sich gleichfalls von Ursprung an
und ebenso demokratisch aufgebaut eine kirchliche verbunden, die geistliche Uni¬
versität, deren Bedeutung ungeheuer wachsen mußte, seit die Sachsen, der Be¬
wegung des Mutterlandes folgend, im sechzehnten Jahrhundert lutherisch
wurden, sich von der Eingliederung in die katholische Organisation loslösten,
und den zumeist katholischen oder ' kalvinistischen Magyaren gegenüber auch
kirchlich selbständig wurden. Das ist in unsrer Zeit geradezu die Rettung
geworden. Als die politische Organisation 1876 vollends zerschlagen wurde,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0421" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290832"/>
          <fw type="header" place="top"> ?le deutsche Frage in Ungarns Ostmark</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1464" prev="#ID_1463"> thore, durch die Kumanen und Mongolen, slavische Petschenegen, Walachei,<lb/>
und Türken immer U'ieber eingebrochen sind, und eben diese Thore zu be¬<lb/>
wachen wurde die historische Aufgabe der sächsischen Kolonisten. Wie sollten die<lb/>
ungarischen Herrscher diese ihre wertvollsten Grenzwächter nicht schätzen, die<lb/>
immer von neuem den ersten Anprall der Feinde aushielten und unzählige<lb/>
Proben ihrer Tapferkeit und ihrer Treue gegeben haben, retinemlanr<lb/>
vorormm, &#x201E;zur Bewahrung der Krone," wie es auf dem alten Sachsenwnppen<lb/>
heißt! Zumal da diese ungarischen Herrscher im Mittelalter, auf Deutschland<lb/>
augewiesen, deutschfreundlich und seit der Reformation sogar ans dem deutscheu<lb/>
Hause Habsburg waren, vollends seit nach dem Frieden von Karlowitz 1699<lb/>
die Türken nicht mehr magyarische Sondergelüste patronisiercu konnten und<lb/>
die Herrschaft der Habsburger sich sichrer und kräftiger äußerte! So galt das<lb/>
kleine Volk, das mit dem selbsterworbnen Boden immer fester verwuchs, bis<lb/>
uns unsre Tage als eine besondere Stütze des Thrones. Es war wirklich eine<lb/>
staatsrechtliche Macht, mit der noch Franz Joseph 1848/49 ernsthaft rechnete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1465" next="#ID_1466"> Denn diese Gunst der politischen Verhältnisse brachte den kleinen deutscheu<lb/>
Stamm sogar zu einer festen politischen Organisation. Die sächsische Nation<lb/>
oder Nntionsuniversität, d. h. Gesamtheit, entstand. Schon die grundlegende<lb/>
Urkunde von 1224, der Grundbrief ihrer Freiheit vom König Andreas, das<lb/>
^ncirsMum,, faßt ihre verschiednen Gruppen als ein urriversuL xoxulus, ein<lb/>
Gesamtvolk, zusammen und setzt ihnen einen Königsrichter, den Sachsengrafen.<lb/>
Die Türkenzeit wies die siebenbürger auf eigne Hilfe; es wird ein eignes<lb/>
Fürstentum daraus, dann sogar ein Großfürstentnm und selbständiges Kron¬<lb/>
land Österreichs mit eignem Landtag, gebildet ans den Vertretern der drei<lb/>
politischen Nationen des Landes, Magyaren und Szetlern &#x2014; das sind auch<lb/>
Magyaren, aber von einer besondern Abzweigung &#x2014; und Sachsen, die sich mich<lb/>
ihren Grafen jetzt selbst wähle» durften. Überhaupt hat sich diese sächsische<lb/>
"Nation," von agrarischer Grundlage, der alten aus der Heimat mitgebrachten<lb/>
Geineinfreiheit, ausgehend eine vollendete Demokratie geschaffen. In dieser<lb/>
isolierten Bauerndemokratie haben sich zum. Entzücken unsrer Geschichtschreiber<lb/>
des Mittelalters bis in unser Jahrhundert Zustände und Einrichtungen erhalten,<lb/>
die im Mutterlande mit dem frühern Mittelalter verschwände«. Die gewerb-<lb/>
treibenden Städte, die im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert eine hohe<lb/>
Blüte erreichten, waren nur die Vororte der Landbezirkc des Sachsenbodens,<lb/>
d- h. des Teiles von Siebenbürgen, auf dem nur der Sachse Vollbürger war.<lb/>
Mit dieser politischen Organisation aber hatte sich gleichfalls von Ursprung an<lb/>
und ebenso demokratisch aufgebaut eine kirchliche verbunden, die geistliche Uni¬<lb/>
versität, deren Bedeutung ungeheuer wachsen mußte, seit die Sachsen, der Be¬<lb/>
wegung des Mutterlandes folgend, im sechzehnten Jahrhundert lutherisch<lb/>
wurden, sich von der Eingliederung in die katholische Organisation loslösten,<lb/>
und den zumeist katholischen oder ' kalvinistischen Magyaren gegenüber auch<lb/>
kirchlich selbständig wurden. Das ist in unsrer Zeit geradezu die Rettung<lb/>
geworden.  Als die politische Organisation 1876 vollends zerschlagen wurde,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0421] ?le deutsche Frage in Ungarns Ostmark thore, durch die Kumanen und Mongolen, slavische Petschenegen, Walachei, und Türken immer U'ieber eingebrochen sind, und eben diese Thore zu be¬ wachen wurde die historische Aufgabe der sächsischen Kolonisten. Wie sollten die ungarischen Herrscher diese ihre wertvollsten Grenzwächter nicht schätzen, die immer von neuem den ersten Anprall der Feinde aushielten und unzählige Proben ihrer Tapferkeit und ihrer Treue gegeben haben, retinemlanr vorormm, „zur Bewahrung der Krone," wie es auf dem alten Sachsenwnppen heißt! Zumal da diese ungarischen Herrscher im Mittelalter, auf Deutschland augewiesen, deutschfreundlich und seit der Reformation sogar ans dem deutscheu Hause Habsburg waren, vollends seit nach dem Frieden von Karlowitz 1699 die Türken nicht mehr magyarische Sondergelüste patronisiercu konnten und die Herrschaft der Habsburger sich sichrer und kräftiger äußerte! So galt das kleine Volk, das mit dem selbsterworbnen Boden immer fester verwuchs, bis uns unsre Tage als eine besondere Stütze des Thrones. Es war wirklich eine staatsrechtliche Macht, mit der noch Franz Joseph 1848/49 ernsthaft rechnete. Denn diese Gunst der politischen Verhältnisse brachte den kleinen deutscheu Stamm sogar zu einer festen politischen Organisation. Die sächsische Nation oder Nntionsuniversität, d. h. Gesamtheit, entstand. Schon die grundlegende Urkunde von 1224, der Grundbrief ihrer Freiheit vom König Andreas, das ^ncirsMum,, faßt ihre verschiednen Gruppen als ein urriversuL xoxulus, ein Gesamtvolk, zusammen und setzt ihnen einen Königsrichter, den Sachsengrafen. Die Türkenzeit wies die siebenbürger auf eigne Hilfe; es wird ein eignes Fürstentum daraus, dann sogar ein Großfürstentnm und selbständiges Kron¬ land Österreichs mit eignem Landtag, gebildet ans den Vertretern der drei politischen Nationen des Landes, Magyaren und Szetlern — das sind auch Magyaren, aber von einer besondern Abzweigung — und Sachsen, die sich mich ihren Grafen jetzt selbst wähle» durften. Überhaupt hat sich diese sächsische "Nation," von agrarischer Grundlage, der alten aus der Heimat mitgebrachten Geineinfreiheit, ausgehend eine vollendete Demokratie geschaffen. In dieser isolierten Bauerndemokratie haben sich zum. Entzücken unsrer Geschichtschreiber des Mittelalters bis in unser Jahrhundert Zustände und Einrichtungen erhalten, die im Mutterlande mit dem frühern Mittelalter verschwände«. Die gewerb- treibenden Städte, die im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert eine hohe Blüte erreichten, waren nur die Vororte der Landbezirkc des Sachsenbodens, d- h. des Teiles von Siebenbürgen, auf dem nur der Sachse Vollbürger war. Mit dieser politischen Organisation aber hatte sich gleichfalls von Ursprung an und ebenso demokratisch aufgebaut eine kirchliche verbunden, die geistliche Uni¬ versität, deren Bedeutung ungeheuer wachsen mußte, seit die Sachsen, der Be¬ wegung des Mutterlandes folgend, im sechzehnten Jahrhundert lutherisch wurden, sich von der Eingliederung in die katholische Organisation loslösten, und den zumeist katholischen oder ' kalvinistischen Magyaren gegenüber auch kirchlich selbständig wurden. Das ist in unsrer Zeit geradezu die Rettung geworden. Als die politische Organisation 1876 vollends zerschlagen wurde,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/421
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/421>, abgerufen am 22.07.2024.