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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche Frage In Ungarns Ostmark

ihren alten überaus reichen Trachten an das Denkmal geführt wurden, um
hier ihre Kränze niederzulegen, auch Baden-Durlacher und Salzburger, die
im vorigen Jahrhundert eingewandert sind und sich den Sachsen angeschlossen,
aber ihre besondre Sprache und Kleidung behalten haben. Es war kein Gebot
misgegnugeu, aber dennoch, kein Bezirk hatte es sich nehmen lassen, Vertreter
zu senden. Bis auf die benachbarten Straßen und Plätze setzte sich das "Nun
danket alle Gott" fort, mit dem anch hier die deutsch-evangelische Volksfcier
schloß. Freier, mit dem Schwung und Feuer glühender Begeisterung äußerte
sich das deutsche Bewußtsein beim Festmahl und Festkommers. Den tiefsten
Beweis aber für das grunddeutsche Wesen, das unter tausend Gefahren hier
an der Grenze des Orients durch Jahrhunderte gepflegt worden ist und sich
bis zur Gegenwart erhalten hat, lieferte die Festvorstellung in dem kleinen
Theater, die die Geschichte der siebenbürgisch-sächsischen Volksdichtung darstellte,
auch gedacht als eine Huldigung an Teutsch. Ein Bürgermädchen sprach den
Prolog, in dem es hieß:

Drum aus der Menge, die dir heut gehuldigt,
stiehlt schüchtern sich ein Kind, des Volkes Lied,
Und neben all die Pracht legt es als Angebinde
Bescheiden hin der wilden Blumen bunt Gewinde
Und Sträußchen, die in unserm Bauernhof erblüht.
Weh Herzen so wie tems an seinem Volk gehangen,
Den halt die schlichte Weise wunderbar gefangen,
Wies klagt und weint, wies scherzt, ob auch in rauhen Tönen
Es sprudelt aus dem Born des Ewig-Schönen.

Von dem flandrischen Einwandrerlied und den Märchenerzühlungen der
Muhme unter der Dorflinde wurden wir zu der Poesie des Zunftlebens mit
den: Spiel von König und Tod und dem jüngern Hildcbmndslied geleitet und
schließlich zu dem Jahrmarktstreiben einer sächsischen Stadt in der neuern Zeit,
das Gelegenheit gab, den alten bis vor kurzem noch geübten Schwertertanz
der Kürschnerzunft darzustellen.

Dann folgten stillere Tage, die mich in andre Teile des Landes führten,
nach Schüßburg, Kronstäbe, auf die Dörfer, in die Pfarrhäuser und Schulen
des Landes. Wo man hinkam, erfuhr man dieselbe rührende Gastfreund¬
schaft. Die Herzen waren uns aufgeschlossen, und uns lag wieder daran, die
Verhältnisse zu sehen, wie sie thatsächlich sind. Wenn ich das Zutrauen habe,
bei einem doch nur kurzen Aufenthalt von einigen Wochen nicht nur Potem-
kinsche Dörfer gesehen, sondern einen wirklichen Einblick erhalten zu haben,
so gründet es sich darauf, daß ich viele maßgebende Männer des Landes in


Die deutsche Frage In Ungarns Ostmark

ihren alten überaus reichen Trachten an das Denkmal geführt wurden, um
hier ihre Kränze niederzulegen, auch Baden-Durlacher und Salzburger, die
im vorigen Jahrhundert eingewandert sind und sich den Sachsen angeschlossen,
aber ihre besondre Sprache und Kleidung behalten haben. Es war kein Gebot
misgegnugeu, aber dennoch, kein Bezirk hatte es sich nehmen lassen, Vertreter
zu senden. Bis auf die benachbarten Straßen und Plätze setzte sich das „Nun
danket alle Gott" fort, mit dem anch hier die deutsch-evangelische Volksfcier
schloß. Freier, mit dem Schwung und Feuer glühender Begeisterung äußerte
sich das deutsche Bewußtsein beim Festmahl und Festkommers. Den tiefsten
Beweis aber für das grunddeutsche Wesen, das unter tausend Gefahren hier
an der Grenze des Orients durch Jahrhunderte gepflegt worden ist und sich
bis zur Gegenwart erhalten hat, lieferte die Festvorstellung in dem kleinen
Theater, die die Geschichte der siebenbürgisch-sächsischen Volksdichtung darstellte,
auch gedacht als eine Huldigung an Teutsch. Ein Bürgermädchen sprach den
Prolog, in dem es hieß:

Drum aus der Menge, die dir heut gehuldigt,
stiehlt schüchtern sich ein Kind, des Volkes Lied,
Und neben all die Pracht legt es als Angebinde
Bescheiden hin der wilden Blumen bunt Gewinde
Und Sträußchen, die in unserm Bauernhof erblüht.
Weh Herzen so wie tems an seinem Volk gehangen,
Den halt die schlichte Weise wunderbar gefangen,
Wies klagt und weint, wies scherzt, ob auch in rauhen Tönen
Es sprudelt aus dem Born des Ewig-Schönen.

Von dem flandrischen Einwandrerlied und den Märchenerzühlungen der
Muhme unter der Dorflinde wurden wir zu der Poesie des Zunftlebens mit
den: Spiel von König und Tod und dem jüngern Hildcbmndslied geleitet und
schließlich zu dem Jahrmarktstreiben einer sächsischen Stadt in der neuern Zeit,
das Gelegenheit gab, den alten bis vor kurzem noch geübten Schwertertanz
der Kürschnerzunft darzustellen.

Dann folgten stillere Tage, die mich in andre Teile des Landes führten,
nach Schüßburg, Kronstäbe, auf die Dörfer, in die Pfarrhäuser und Schulen
des Landes. Wo man hinkam, erfuhr man dieselbe rührende Gastfreund¬
schaft. Die Herzen waren uns aufgeschlossen, und uns lag wieder daran, die
Verhältnisse zu sehen, wie sie thatsächlich sind. Wenn ich das Zutrauen habe,
bei einem doch nur kurzen Aufenthalt von einigen Wochen nicht nur Potem-
kinsche Dörfer gesehen, sondern einen wirklichen Einblick erhalten zu haben,
so gründet es sich darauf, daß ich viele maßgebende Männer des Landes in


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[0419] Die deutsche Frage In Ungarns Ostmark ihren alten überaus reichen Trachten an das Denkmal geführt wurden, um hier ihre Kränze niederzulegen, auch Baden-Durlacher und Salzburger, die im vorigen Jahrhundert eingewandert sind und sich den Sachsen angeschlossen, aber ihre besondre Sprache und Kleidung behalten haben. Es war kein Gebot misgegnugeu, aber dennoch, kein Bezirk hatte es sich nehmen lassen, Vertreter zu senden. Bis auf die benachbarten Straßen und Plätze setzte sich das „Nun danket alle Gott" fort, mit dem anch hier die deutsch-evangelische Volksfcier schloß. Freier, mit dem Schwung und Feuer glühender Begeisterung äußerte sich das deutsche Bewußtsein beim Festmahl und Festkommers. Den tiefsten Beweis aber für das grunddeutsche Wesen, das unter tausend Gefahren hier an der Grenze des Orients durch Jahrhunderte gepflegt worden ist und sich bis zur Gegenwart erhalten hat, lieferte die Festvorstellung in dem kleinen Theater, die die Geschichte der siebenbürgisch-sächsischen Volksdichtung darstellte, auch gedacht als eine Huldigung an Teutsch. Ein Bürgermädchen sprach den Prolog, in dem es hieß: Drum aus der Menge, die dir heut gehuldigt, stiehlt schüchtern sich ein Kind, des Volkes Lied, Und neben all die Pracht legt es als Angebinde Bescheiden hin der wilden Blumen bunt Gewinde Und Sträußchen, die in unserm Bauernhof erblüht. Weh Herzen so wie tems an seinem Volk gehangen, Den halt die schlichte Weise wunderbar gefangen, Wies klagt und weint, wies scherzt, ob auch in rauhen Tönen Es sprudelt aus dem Born des Ewig-Schönen. Von dem flandrischen Einwandrerlied und den Märchenerzühlungen der Muhme unter der Dorflinde wurden wir zu der Poesie des Zunftlebens mit den: Spiel von König und Tod und dem jüngern Hildcbmndslied geleitet und schließlich zu dem Jahrmarktstreiben einer sächsischen Stadt in der neuern Zeit, das Gelegenheit gab, den alten bis vor kurzem noch geübten Schwertertanz der Kürschnerzunft darzustellen. Dann folgten stillere Tage, die mich in andre Teile des Landes führten, nach Schüßburg, Kronstäbe, auf die Dörfer, in die Pfarrhäuser und Schulen des Landes. Wo man hinkam, erfuhr man dieselbe rührende Gastfreund¬ schaft. Die Herzen waren uns aufgeschlossen, und uns lag wieder daran, die Verhältnisse zu sehen, wie sie thatsächlich sind. Wenn ich das Zutrauen habe, bei einem doch nur kurzen Aufenthalt von einigen Wochen nicht nur Potem- kinsche Dörfer gesehen, sondern einen wirklichen Einblick erhalten zu haben, so gründet es sich darauf, daß ich viele maßgebende Männer des Landes in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/419>, abgerufen am 01.10.2024.