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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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schrieben sind, sondern fein und unterhaltend, sodaß schon die bloße Lektüre ein
Vergnügen ist. Ein solches ist I,'g,re ä'evriro önsoigiw ein viiig't le^ins von
Antoine Albalat (Paris, Armand Colin et Cie). Es will ein rein prak¬
tisches Buch sein (wie es noch keins gebe, sagt der Verfasser in der Vorrede),
das mit Umgehung der veralteten Rhetorik und ihrer unfruchtbaren Klassifizie¬
rungen den ehemaligen xrisonnisrs as rbstoriciuo als eoIIvM zeigt, wie
jemand bei mäßiger Anlage zu einem eignen Stil kommen könne. Sein Gegen¬
stand ist der einfache, natürliche, frische Ausdruck, der mühelos entstanden
scheint und doch tiefes Studium voraussetzt; er läßt sich nach des Verfassers
Überzeugung lehren, und das geschieht nun mit Anwendung auf die zwei Arten,
die für das heutige Leben um wichtigsten sind, die Erzählung und die in ihrer
Vollendung dem Porträt nahekommende Beschreibung,

Der Schriftsteller soll den Eindruck einer Sache so geben, wie die Natur
selbst, er muß also nach der Natur arbeiten und darf zunächst, um nnr das
Relief herauszubekommen, sich auch nicht scheuen, es roh und derb auszudrücken.
Dann erst kommt die Rücksicht auf die Schönheit, die Harmonie, die für sich
allein den Stil, der keinen kräftigen Inhalt hätte, nur noch faber machen
würde. Das wird ungefähr Albalats Leitsatz sein. Er ist aber keineswegs
ein Naturalist, sein höchstes Muster ist Homer, und ihm, dessen Beschreibung
beinahe die Sache selbst sei, widmet er ein ganzes Kapitel; ebensowenig ist er
ein Anhänger des modernen Realismus, aber man soll seiner Ansicht nach von
ihm nehmen, was taugt. Die beiden Goncourt, Zola und andre haben die
Satzbindung aufgegeben und reihen in Partizipien und Zwischensätzen lauter
Einzelheiten aneinander; was sollte daraus werden, wenn jemand das nach¬
ahmte? Diese Schnlrichtung mit ihrem beschreibenden Impressionismus zer¬
stört Rede und Stil. Eine gute Periode nach klassischer Art ist schwerer, aber
auch verdienstlicher, denn sie kann alles ausdrücken, was die moderne Be¬
schreibung erstrebt, und sie hat außerdem noch einen ästhetischen Formwert.
Der Verfasser will nicht ans ein bestimmtes Muster verpflichten, jeder mag
womöglich alle kennen lernen und wählen, aber eine Form, sagt er, ist un¬
erläßlich für jeden, der gut schreiben lernen will, sie ist allgemein und zeigt
überall ihren Einfluß, es ist die logische, akademische Fügung, deren sich die
Klassiker bedient haben. Diese großen Stilisten hätten alle abgebrauchter
Phrasen gemieden und ihre Gegenstände mit frischen Augen angesehen, und
wer so originell schreiben wolle, wie es ihm nach seiner Anlage möglich sei,
der könne diese Kunst von ihnen bis zu einem hohen Grade lernen, ohne in
Nachahmung zu verfallen. Manche Autoren würden in dieser Hinsicht wenig
Nutzen bringen, der unerreichbare Lafontaine, der vornehm steife Boileau,
Moliere mit seinem tausendfältigen Inhalt und der unnahbare Corneille. Er
selbst schlägt vor Montaigne, Bossuet, Rousseau, Chateaubriand, den Vater der
Beschreibung, und von den Neuern Flaubert, einen der letzten, der der Archi¬
tektonik der Rede ihr Recht gegeben Hütte, und der, wie man weiß, ungeheure
Mühe auf sein Schreiben verwandte; gelegentlich weist er auf Daudet hin,


schrieben sind, sondern fein und unterhaltend, sodaß schon die bloße Lektüre ein
Vergnügen ist. Ein solches ist I,'g,re ä'evriro önsoigiw ein viiig't le^ins von
Antoine Albalat (Paris, Armand Colin et Cie). Es will ein rein prak¬
tisches Buch sein (wie es noch keins gebe, sagt der Verfasser in der Vorrede),
das mit Umgehung der veralteten Rhetorik und ihrer unfruchtbaren Klassifizie¬
rungen den ehemaligen xrisonnisrs as rbstoriciuo als eoIIvM zeigt, wie
jemand bei mäßiger Anlage zu einem eignen Stil kommen könne. Sein Gegen¬
stand ist der einfache, natürliche, frische Ausdruck, der mühelos entstanden
scheint und doch tiefes Studium voraussetzt; er läßt sich nach des Verfassers
Überzeugung lehren, und das geschieht nun mit Anwendung auf die zwei Arten,
die für das heutige Leben um wichtigsten sind, die Erzählung und die in ihrer
Vollendung dem Porträt nahekommende Beschreibung,

Der Schriftsteller soll den Eindruck einer Sache so geben, wie die Natur
selbst, er muß also nach der Natur arbeiten und darf zunächst, um nnr das
Relief herauszubekommen, sich auch nicht scheuen, es roh und derb auszudrücken.
Dann erst kommt die Rücksicht auf die Schönheit, die Harmonie, die für sich
allein den Stil, der keinen kräftigen Inhalt hätte, nur noch faber machen
würde. Das wird ungefähr Albalats Leitsatz sein. Er ist aber keineswegs
ein Naturalist, sein höchstes Muster ist Homer, und ihm, dessen Beschreibung
beinahe die Sache selbst sei, widmet er ein ganzes Kapitel; ebensowenig ist er
ein Anhänger des modernen Realismus, aber man soll seiner Ansicht nach von
ihm nehmen, was taugt. Die beiden Goncourt, Zola und andre haben die
Satzbindung aufgegeben und reihen in Partizipien und Zwischensätzen lauter
Einzelheiten aneinander; was sollte daraus werden, wenn jemand das nach¬
ahmte? Diese Schnlrichtung mit ihrem beschreibenden Impressionismus zer¬
stört Rede und Stil. Eine gute Periode nach klassischer Art ist schwerer, aber
auch verdienstlicher, denn sie kann alles ausdrücken, was die moderne Be¬
schreibung erstrebt, und sie hat außerdem noch einen ästhetischen Formwert.
Der Verfasser will nicht ans ein bestimmtes Muster verpflichten, jeder mag
womöglich alle kennen lernen und wählen, aber eine Form, sagt er, ist un¬
erläßlich für jeden, der gut schreiben lernen will, sie ist allgemein und zeigt
überall ihren Einfluß, es ist die logische, akademische Fügung, deren sich die
Klassiker bedient haben. Diese großen Stilisten hätten alle abgebrauchter
Phrasen gemieden und ihre Gegenstände mit frischen Augen angesehen, und
wer so originell schreiben wolle, wie es ihm nach seiner Anlage möglich sei,
der könne diese Kunst von ihnen bis zu einem hohen Grade lernen, ohne in
Nachahmung zu verfallen. Manche Autoren würden in dieser Hinsicht wenig
Nutzen bringen, der unerreichbare Lafontaine, der vornehm steife Boileau,
Moliere mit seinem tausendfältigen Inhalt und der unnahbare Corneille. Er
selbst schlägt vor Montaigne, Bossuet, Rousseau, Chateaubriand, den Vater der
Beschreibung, und von den Neuern Flaubert, einen der letzten, der der Archi¬
tektonik der Rede ihr Recht gegeben Hütte, und der, wie man weiß, ungeheure
Mühe auf sein Schreiben verwandte; gelegentlich weist er auf Daudet hin,


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[0396] schrieben sind, sondern fein und unterhaltend, sodaß schon die bloße Lektüre ein Vergnügen ist. Ein solches ist I,'g,re ä'evriro önsoigiw ein viiig't le^ins von Antoine Albalat (Paris, Armand Colin et Cie). Es will ein rein prak¬ tisches Buch sein (wie es noch keins gebe, sagt der Verfasser in der Vorrede), das mit Umgehung der veralteten Rhetorik und ihrer unfruchtbaren Klassifizie¬ rungen den ehemaligen xrisonnisrs as rbstoriciuo als eoIIvM zeigt, wie jemand bei mäßiger Anlage zu einem eignen Stil kommen könne. Sein Gegen¬ stand ist der einfache, natürliche, frische Ausdruck, der mühelos entstanden scheint und doch tiefes Studium voraussetzt; er läßt sich nach des Verfassers Überzeugung lehren, und das geschieht nun mit Anwendung auf die zwei Arten, die für das heutige Leben um wichtigsten sind, die Erzählung und die in ihrer Vollendung dem Porträt nahekommende Beschreibung, Der Schriftsteller soll den Eindruck einer Sache so geben, wie die Natur selbst, er muß also nach der Natur arbeiten und darf zunächst, um nnr das Relief herauszubekommen, sich auch nicht scheuen, es roh und derb auszudrücken. Dann erst kommt die Rücksicht auf die Schönheit, die Harmonie, die für sich allein den Stil, der keinen kräftigen Inhalt hätte, nur noch faber machen würde. Das wird ungefähr Albalats Leitsatz sein. Er ist aber keineswegs ein Naturalist, sein höchstes Muster ist Homer, und ihm, dessen Beschreibung beinahe die Sache selbst sei, widmet er ein ganzes Kapitel; ebensowenig ist er ein Anhänger des modernen Realismus, aber man soll seiner Ansicht nach von ihm nehmen, was taugt. Die beiden Goncourt, Zola und andre haben die Satzbindung aufgegeben und reihen in Partizipien und Zwischensätzen lauter Einzelheiten aneinander; was sollte daraus werden, wenn jemand das nach¬ ahmte? Diese Schnlrichtung mit ihrem beschreibenden Impressionismus zer¬ stört Rede und Stil. Eine gute Periode nach klassischer Art ist schwerer, aber auch verdienstlicher, denn sie kann alles ausdrücken, was die moderne Be¬ schreibung erstrebt, und sie hat außerdem noch einen ästhetischen Formwert. Der Verfasser will nicht ans ein bestimmtes Muster verpflichten, jeder mag womöglich alle kennen lernen und wählen, aber eine Form, sagt er, ist un¬ erläßlich für jeden, der gut schreiben lernen will, sie ist allgemein und zeigt überall ihren Einfluß, es ist die logische, akademische Fügung, deren sich die Klassiker bedient haben. Diese großen Stilisten hätten alle abgebrauchter Phrasen gemieden und ihre Gegenstände mit frischen Augen angesehen, und wer so originell schreiben wolle, wie es ihm nach seiner Anlage möglich sei, der könne diese Kunst von ihnen bis zu einem hohen Grade lernen, ohne in Nachahmung zu verfallen. Manche Autoren würden in dieser Hinsicht wenig Nutzen bringen, der unerreichbare Lafontaine, der vornehm steife Boileau, Moliere mit seinem tausendfältigen Inhalt und der unnahbare Corneille. Er selbst schlägt vor Montaigne, Bossuet, Rousseau, Chateaubriand, den Vater der Beschreibung, und von den Neuern Flaubert, einen der letzten, der der Archi¬ tektonik der Rede ihr Recht gegeben Hütte, und der, wie man weiß, ungeheure Mühe auf sein Schreiben verwandte; gelegentlich weist er auf Daudet hin,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/396>, abgerufen am 22.07.2024.