Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

durch einmal die Afrikauderbelvegnng in der Hand zu behalten und zugleich
die portugiesischen Kolonien, besonders den wichtigen Hafen von Delagoa in
die Hand zu bekommen. Auf die Bedeutung dieses Hafens habe ich schon
früher (Grenzboten I, 1900) hingewiesen. Die Befestigung, Erweiterung, Ver¬
wertung der englischen Suprematie in Afrika ist ein staatsmännisches Pro¬
gramm, wie es nirgends in der Welt außer in London ernstlich in Angriff
genommen werden kann. Wir Deutschen bewundern- ja beim Engländer auch
in den Verhältnissen des privaten Lebens den ihm eignen Zug ins Große,
den wir nicht haben, weil unsre Vergangenheit ihn nicht ausbilden konnte.
Wir fühlen uns dem Engländer gegenüber, bisher wenigstens, eng und kleinlich,
und das mit Grund, denn wir sind nicht an Macht und Reichtum gewohnt,
wie er. Diesen Zug ins Große zeigt die englische Politik seit lange, und
neben ihm, mit ihm verbunden eine Mißachtung der Humaner, der moralischen
Grenzen der Aktion, die uns verletzt und empört. Nicht bloß uns Deutsche,
Franzosen, Holländer, sondern sehr viele Angehörige des vereinigten König¬
reichs auch. Wir haben es ja allenthalben erlebt und sehen es noch heute,
wie in englischen Kirchen gegen die Unmoralität dieses Kriegs in Ausdrücken
von der Kanzel herab gedonnert wird, die an Kraft dem nicht nachstehn, was
die anständige kontinentale Presse leistet; und wenn die englische Presse ihrem
Zorn über deutsche scharfe Urteile den Zügel schießen läßt, so sollte sie sich
zuvor an die vielen englischen Kanzelredner tuenden, deren Verdammung des
Krieges nicht minder scharf ist.

Das staatsmännische Ziel der englischen Regierung ist, ich wiederhole es,
nach meiner Meinung ein hohes, einer kühnen und weitschauenden Politik
würdiges. Wären wir Deutschen, oder die Franzosen, in gleicher äußerer Lage
wie die Engländer, so läge uns ein solches Ziel ebenso vor Augen wie ihnen,
und wir müßten suchen es zu erreichen. Freilich mit andern Mitteln. Und
der Vorwurf, den mau England machen kann, liegt eben hier: ihre Mittel und
Wege waren und sind verwerflich. Wenn dies entschuldigt werden könnte, so
wäre es dadurch, daß sich die englische Regierung von jenen beiden ersten
Gruppen in den Krieg hat hineintreiben lassen durch Lüge, Täuschung über
alles und jedes in Südafrika, Mur hat zu Se, James weder über die Buren
noch ihr Land, noch ihre Kriegskraft, noch ihre moralische Kraft eine richtige
Vorstellung gehabt, als man sich von den Leuten zweiter Ordnung wie Rhodes,
Milner usw. 'in den Kampf ziehn ließ. Aber Steffen hat es nicht als erster
bemerkt, daß in dem heutigen England die Leute zweiter Ordnung mehr zu
sagen haben als die Minister.

Nicht die berufnen Staatsmänner regieren heute England, sondern Be¬
amte zweiter Ordnung und Kaufleute oder Aktienbesitzer, kurz das mobile
Großkapital und die Industrie, daraus das Kapital sich bildet. Da gehn die
Prinzen des königlichen Hauses Hand in Hand mit den Rothschild und Rhodes,
da widersteht auch ein roter Sozialist wie Chamberlain nicht der Bekehrungs-
krnft des roten Goldes. Und der Thatendrang und die Rauflust in der
Mittelmenge sind stark genug, das Jingo zu entfachen, wie wir es heute in


durch einmal die Afrikauderbelvegnng in der Hand zu behalten und zugleich
die portugiesischen Kolonien, besonders den wichtigen Hafen von Delagoa in
die Hand zu bekommen. Auf die Bedeutung dieses Hafens habe ich schon
früher (Grenzboten I, 1900) hingewiesen. Die Befestigung, Erweiterung, Ver¬
wertung der englischen Suprematie in Afrika ist ein staatsmännisches Pro¬
gramm, wie es nirgends in der Welt außer in London ernstlich in Angriff
genommen werden kann. Wir Deutschen bewundern- ja beim Engländer auch
in den Verhältnissen des privaten Lebens den ihm eignen Zug ins Große,
den wir nicht haben, weil unsre Vergangenheit ihn nicht ausbilden konnte.
Wir fühlen uns dem Engländer gegenüber, bisher wenigstens, eng und kleinlich,
und das mit Grund, denn wir sind nicht an Macht und Reichtum gewohnt,
wie er. Diesen Zug ins Große zeigt die englische Politik seit lange, und
neben ihm, mit ihm verbunden eine Mißachtung der Humaner, der moralischen
Grenzen der Aktion, die uns verletzt und empört. Nicht bloß uns Deutsche,
Franzosen, Holländer, sondern sehr viele Angehörige des vereinigten König¬
reichs auch. Wir haben es ja allenthalben erlebt und sehen es noch heute,
wie in englischen Kirchen gegen die Unmoralität dieses Kriegs in Ausdrücken
von der Kanzel herab gedonnert wird, die an Kraft dem nicht nachstehn, was
die anständige kontinentale Presse leistet; und wenn die englische Presse ihrem
Zorn über deutsche scharfe Urteile den Zügel schießen läßt, so sollte sie sich
zuvor an die vielen englischen Kanzelredner tuenden, deren Verdammung des
Krieges nicht minder scharf ist.

Das staatsmännische Ziel der englischen Regierung ist, ich wiederhole es,
nach meiner Meinung ein hohes, einer kühnen und weitschauenden Politik
würdiges. Wären wir Deutschen, oder die Franzosen, in gleicher äußerer Lage
wie die Engländer, so läge uns ein solches Ziel ebenso vor Augen wie ihnen,
und wir müßten suchen es zu erreichen. Freilich mit andern Mitteln. Und
der Vorwurf, den mau England machen kann, liegt eben hier: ihre Mittel und
Wege waren und sind verwerflich. Wenn dies entschuldigt werden könnte, so
wäre es dadurch, daß sich die englische Regierung von jenen beiden ersten
Gruppen in den Krieg hat hineintreiben lassen durch Lüge, Täuschung über
alles und jedes in Südafrika, Mur hat zu Se, James weder über die Buren
noch ihr Land, noch ihre Kriegskraft, noch ihre moralische Kraft eine richtige
Vorstellung gehabt, als man sich von den Leuten zweiter Ordnung wie Rhodes,
Milner usw. 'in den Kampf ziehn ließ. Aber Steffen hat es nicht als erster
bemerkt, daß in dem heutigen England die Leute zweiter Ordnung mehr zu
sagen haben als die Minister.

Nicht die berufnen Staatsmänner regieren heute England, sondern Be¬
amte zweiter Ordnung und Kaufleute oder Aktienbesitzer, kurz das mobile
Großkapital und die Industrie, daraus das Kapital sich bildet. Da gehn die
Prinzen des königlichen Hauses Hand in Hand mit den Rothschild und Rhodes,
da widersteht auch ein roter Sozialist wie Chamberlain nicht der Bekehrungs-
krnft des roten Goldes. Und der Thatendrang und die Rauflust in der
Mittelmenge sind stark genug, das Jingo zu entfachen, wie wir es heute in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0381" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290792"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1364" prev="#ID_1363"> durch einmal die Afrikauderbelvegnng in der Hand zu behalten und zugleich<lb/>
die portugiesischen Kolonien, besonders den wichtigen Hafen von Delagoa in<lb/>
die Hand zu bekommen. Auf die Bedeutung dieses Hafens habe ich schon<lb/>
früher (Grenzboten I, 1900) hingewiesen. Die Befestigung, Erweiterung, Ver¬<lb/>
wertung der englischen Suprematie in Afrika ist ein staatsmännisches Pro¬<lb/>
gramm, wie es nirgends in der Welt außer in London ernstlich in Angriff<lb/>
genommen werden kann. Wir Deutschen bewundern- ja beim Engländer auch<lb/>
in den Verhältnissen des privaten Lebens den ihm eignen Zug ins Große,<lb/>
den wir nicht haben, weil unsre Vergangenheit ihn nicht ausbilden konnte.<lb/>
Wir fühlen uns dem Engländer gegenüber, bisher wenigstens, eng und kleinlich,<lb/>
und das mit Grund, denn wir sind nicht an Macht und Reichtum gewohnt,<lb/>
wie er. Diesen Zug ins Große zeigt die englische Politik seit lange, und<lb/>
neben ihm, mit ihm verbunden eine Mißachtung der Humaner, der moralischen<lb/>
Grenzen der Aktion, die uns verletzt und empört. Nicht bloß uns Deutsche,<lb/>
Franzosen, Holländer, sondern sehr viele Angehörige des vereinigten König¬<lb/>
reichs auch. Wir haben es ja allenthalben erlebt und sehen es noch heute,<lb/>
wie in englischen Kirchen gegen die Unmoralität dieses Kriegs in Ausdrücken<lb/>
von der Kanzel herab gedonnert wird, die an Kraft dem nicht nachstehn, was<lb/>
die anständige kontinentale Presse leistet; und wenn die englische Presse ihrem<lb/>
Zorn über deutsche scharfe Urteile den Zügel schießen läßt, so sollte sie sich<lb/>
zuvor an die vielen englischen Kanzelredner tuenden, deren Verdammung des<lb/>
Krieges nicht minder scharf ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1365"> Das staatsmännische Ziel der englischen Regierung ist, ich wiederhole es,<lb/>
nach meiner Meinung ein hohes, einer kühnen und weitschauenden Politik<lb/>
würdiges. Wären wir Deutschen, oder die Franzosen, in gleicher äußerer Lage<lb/>
wie die Engländer, so läge uns ein solches Ziel ebenso vor Augen wie ihnen,<lb/>
und wir müßten suchen es zu erreichen. Freilich mit andern Mitteln. Und<lb/>
der Vorwurf, den mau England machen kann, liegt eben hier: ihre Mittel und<lb/>
Wege waren und sind verwerflich. Wenn dies entschuldigt werden könnte, so<lb/>
wäre es dadurch, daß sich die englische Regierung von jenen beiden ersten<lb/>
Gruppen in den Krieg hat hineintreiben lassen durch Lüge, Täuschung über<lb/>
alles und jedes in Südafrika, Mur hat zu Se, James weder über die Buren<lb/>
noch ihr Land, noch ihre Kriegskraft, noch ihre moralische Kraft eine richtige<lb/>
Vorstellung gehabt, als man sich von den Leuten zweiter Ordnung wie Rhodes,<lb/>
Milner usw. 'in den Kampf ziehn ließ. Aber Steffen hat es nicht als erster<lb/>
bemerkt, daß in dem heutigen England die Leute zweiter Ordnung mehr zu<lb/>
sagen haben als die Minister.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1366" next="#ID_1367"> Nicht die berufnen Staatsmänner regieren heute England, sondern Be¬<lb/>
amte zweiter Ordnung und Kaufleute oder Aktienbesitzer, kurz das mobile<lb/>
Großkapital und die Industrie, daraus das Kapital sich bildet. Da gehn die<lb/>
Prinzen des königlichen Hauses Hand in Hand mit den Rothschild und Rhodes,<lb/>
da widersteht auch ein roter Sozialist wie Chamberlain nicht der Bekehrungs-<lb/>
krnft des roten Goldes. Und der Thatendrang und die Rauflust in der<lb/>
Mittelmenge sind stark genug, das Jingo zu entfachen, wie wir es heute in</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0381] durch einmal die Afrikauderbelvegnng in der Hand zu behalten und zugleich die portugiesischen Kolonien, besonders den wichtigen Hafen von Delagoa in die Hand zu bekommen. Auf die Bedeutung dieses Hafens habe ich schon früher (Grenzboten I, 1900) hingewiesen. Die Befestigung, Erweiterung, Ver¬ wertung der englischen Suprematie in Afrika ist ein staatsmännisches Pro¬ gramm, wie es nirgends in der Welt außer in London ernstlich in Angriff genommen werden kann. Wir Deutschen bewundern- ja beim Engländer auch in den Verhältnissen des privaten Lebens den ihm eignen Zug ins Große, den wir nicht haben, weil unsre Vergangenheit ihn nicht ausbilden konnte. Wir fühlen uns dem Engländer gegenüber, bisher wenigstens, eng und kleinlich, und das mit Grund, denn wir sind nicht an Macht und Reichtum gewohnt, wie er. Diesen Zug ins Große zeigt die englische Politik seit lange, und neben ihm, mit ihm verbunden eine Mißachtung der Humaner, der moralischen Grenzen der Aktion, die uns verletzt und empört. Nicht bloß uns Deutsche, Franzosen, Holländer, sondern sehr viele Angehörige des vereinigten König¬ reichs auch. Wir haben es ja allenthalben erlebt und sehen es noch heute, wie in englischen Kirchen gegen die Unmoralität dieses Kriegs in Ausdrücken von der Kanzel herab gedonnert wird, die an Kraft dem nicht nachstehn, was die anständige kontinentale Presse leistet; und wenn die englische Presse ihrem Zorn über deutsche scharfe Urteile den Zügel schießen läßt, so sollte sie sich zuvor an die vielen englischen Kanzelredner tuenden, deren Verdammung des Krieges nicht minder scharf ist. Das staatsmännische Ziel der englischen Regierung ist, ich wiederhole es, nach meiner Meinung ein hohes, einer kühnen und weitschauenden Politik würdiges. Wären wir Deutschen, oder die Franzosen, in gleicher äußerer Lage wie die Engländer, so läge uns ein solches Ziel ebenso vor Augen wie ihnen, und wir müßten suchen es zu erreichen. Freilich mit andern Mitteln. Und der Vorwurf, den mau England machen kann, liegt eben hier: ihre Mittel und Wege waren und sind verwerflich. Wenn dies entschuldigt werden könnte, so wäre es dadurch, daß sich die englische Regierung von jenen beiden ersten Gruppen in den Krieg hat hineintreiben lassen durch Lüge, Täuschung über alles und jedes in Südafrika, Mur hat zu Se, James weder über die Buren noch ihr Land, noch ihre Kriegskraft, noch ihre moralische Kraft eine richtige Vorstellung gehabt, als man sich von den Leuten zweiter Ordnung wie Rhodes, Milner usw. 'in den Kampf ziehn ließ. Aber Steffen hat es nicht als erster bemerkt, daß in dem heutigen England die Leute zweiter Ordnung mehr zu sagen haben als die Minister. Nicht die berufnen Staatsmänner regieren heute England, sondern Be¬ amte zweiter Ordnung und Kaufleute oder Aktienbesitzer, kurz das mobile Großkapital und die Industrie, daraus das Kapital sich bildet. Da gehn die Prinzen des königlichen Hauses Hand in Hand mit den Rothschild und Rhodes, da widersteht auch ein roter Sozialist wie Chamberlain nicht der Bekehrungs- krnft des roten Goldes. Und der Thatendrang und die Rauflust in der Mittelmenge sind stark genug, das Jingo zu entfachen, wie wir es heute in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/381
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/381>, abgerufen am 22.07.2024.