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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die Fürsorge für mittellose Hinterbliebne von Lecnnten und Arbeitern

Laufbahn zulassen? Man kann, wie die Verhältnisse nun einmal liegen, einen
gewissen Opportunismus in dieser Beziehung uuter Umständen verzeihen, aber
grundsätzlich muß verlangt werden, daß der Staat diese Frage mit einem runden
Nein beantwortet. Der ganze soziale Zug, der unsre Zeit durchweht, und auf
den wir so stolz sind, wird zur Lüge, wenn der Staat die Aspiranten für
seinen Dienst nach bekannter Manier in solventes und virrweres einteilt und
deu letzten den Weg versperrt, um die unbequeme Sorge für die Witwen, die
unerzognen Kinder und die erwachsenen Töchter der Stnatsdiener ohne väter¬
liches Vermögen und ohne wohlhabende Frauen los zu sein. Ist etwa das auf¬
fällig zunehmende Streben der Beamten nach Nebenerwerb und Nebengeschäften,
das fast misuahmelos der Sorge um die Zukunft der Angehörigen entspringt,
ein gesundes Zeichen der Zeit? Man tümmre sich nur einmal etwas ein¬
gehender und weniger bureaukratisch um diese Nebengeschäfte, und man wird
darüber staunen, was alles dazu herhalten muß. Tüchtiger wird das Beamten¬
tum dadurch gewiß nicht. Wer kann es den Leuten aber verargen, daß sie
einen Notgroscheu zu erwerben suchen und bis in die Nacht hinein, oft für
jammervolle Bezahlung arbeiten, obgleich der amtliche Dienst ihre Kräfte und
ihre Nerven schon völlig und vielfach im Übermaß in Anspruch nimmt. Da
ist vieles faul im Staatsdienst und steht in unangenehmem Gegensatz zu der
Strenge, mit der man, Gott sei Dank, hente den Arbeiter im Gewerbe vor
Überanstrengung zu bewahren anfängt.

Diese Dinge müssen einmal öffentlich zur Sprache gebracht werden, und
es darf vom Staate Hilfe verlangt werden, wenigstens für die allerdringendsten
Notstände.

Etwas besser ist ja in neuer Zeit die Lage der hinterlassenen Töchter
unvermögender Beamten dadurch geworden, daß der weiblichen Erwerbsthätig¬
keit doch mehr Gebiete erschlossen worden sind, und darunter auch solche, die
sich für Beamtentöchter mit besserer Bildung und erhöhten Lebensansprüchen
eignen. Überaus traurig wird aber die Lage dieser Damen sofort, wenn sie
erwerlmnfähig und erwerblos werden, trotzdem daß sie deu modernen Hilfs¬
mitteln und Grundsätzen gemäß frühzeitig zu einem Erwerb erzogen worden sind.
In einer solchen traurigen Lage sind die vermögenslosen Töchter der schon vor
längerer Zeit, vor etwa, zwanzig, dreißig Jahren verstorbnen Beamten in der
großen Mehrzahl. Die Väter haben damals die erhöhten Gehalte noch nicht
gehabt, sie haben ihre Töchter im Hause vielleicht zu tüchtigen und spar¬
samen Hausfrauen erzogen, aber an eine Schulung zum selbständigen Erlverb
wurde damals doch immer mir ausnahmsweise gedacht. Die Bemutentochtcr,
die tüchtig haushalten konnte, rechnete darauf, Beamtenfrau zu werden. Wir
sind ja alle von dem gewaltigen Umschwung in den wirtschaftlichen und sozialen
Verhältnissen und Anschauungen mehr oder weniger überrascht worden. Können
wir es diesen ältern Beamtentöchtern verdenken, wenn sie mich davou über¬
rascht worden sind und jetzt mehr als alle andern der neuen Zeit rat- und
wehrlos gegenüber stehn? Ist es zu verwundern, wenn sie zum Teil in die
bitterste Not geraten sind?


Die Fürsorge für mittellose Hinterbliebne von Lecnnten und Arbeitern

Laufbahn zulassen? Man kann, wie die Verhältnisse nun einmal liegen, einen
gewissen Opportunismus in dieser Beziehung uuter Umständen verzeihen, aber
grundsätzlich muß verlangt werden, daß der Staat diese Frage mit einem runden
Nein beantwortet. Der ganze soziale Zug, der unsre Zeit durchweht, und auf
den wir so stolz sind, wird zur Lüge, wenn der Staat die Aspiranten für
seinen Dienst nach bekannter Manier in solventes und virrweres einteilt und
deu letzten den Weg versperrt, um die unbequeme Sorge für die Witwen, die
unerzognen Kinder und die erwachsenen Töchter der Stnatsdiener ohne väter¬
liches Vermögen und ohne wohlhabende Frauen los zu sein. Ist etwa das auf¬
fällig zunehmende Streben der Beamten nach Nebenerwerb und Nebengeschäften,
das fast misuahmelos der Sorge um die Zukunft der Angehörigen entspringt,
ein gesundes Zeichen der Zeit? Man tümmre sich nur einmal etwas ein¬
gehender und weniger bureaukratisch um diese Nebengeschäfte, und man wird
darüber staunen, was alles dazu herhalten muß. Tüchtiger wird das Beamten¬
tum dadurch gewiß nicht. Wer kann es den Leuten aber verargen, daß sie
einen Notgroscheu zu erwerben suchen und bis in die Nacht hinein, oft für
jammervolle Bezahlung arbeiten, obgleich der amtliche Dienst ihre Kräfte und
ihre Nerven schon völlig und vielfach im Übermaß in Anspruch nimmt. Da
ist vieles faul im Staatsdienst und steht in unangenehmem Gegensatz zu der
Strenge, mit der man, Gott sei Dank, hente den Arbeiter im Gewerbe vor
Überanstrengung zu bewahren anfängt.

Diese Dinge müssen einmal öffentlich zur Sprache gebracht werden, und
es darf vom Staate Hilfe verlangt werden, wenigstens für die allerdringendsten
Notstände.

Etwas besser ist ja in neuer Zeit die Lage der hinterlassenen Töchter
unvermögender Beamten dadurch geworden, daß der weiblichen Erwerbsthätig¬
keit doch mehr Gebiete erschlossen worden sind, und darunter auch solche, die
sich für Beamtentöchter mit besserer Bildung und erhöhten Lebensansprüchen
eignen. Überaus traurig wird aber die Lage dieser Damen sofort, wenn sie
erwerlmnfähig und erwerblos werden, trotzdem daß sie deu modernen Hilfs¬
mitteln und Grundsätzen gemäß frühzeitig zu einem Erwerb erzogen worden sind.
In einer solchen traurigen Lage sind die vermögenslosen Töchter der schon vor
längerer Zeit, vor etwa, zwanzig, dreißig Jahren verstorbnen Beamten in der
großen Mehrzahl. Die Väter haben damals die erhöhten Gehalte noch nicht
gehabt, sie haben ihre Töchter im Hause vielleicht zu tüchtigen und spar¬
samen Hausfrauen erzogen, aber an eine Schulung zum selbständigen Erlverb
wurde damals doch immer mir ausnahmsweise gedacht. Die Bemutentochtcr,
die tüchtig haushalten konnte, rechnete darauf, Beamtenfrau zu werden. Wir
sind ja alle von dem gewaltigen Umschwung in den wirtschaftlichen und sozialen
Verhältnissen und Anschauungen mehr oder weniger überrascht worden. Können
wir es diesen ältern Beamtentöchtern verdenken, wenn sie mich davou über¬
rascht worden sind und jetzt mehr als alle andern der neuen Zeit rat- und
wehrlos gegenüber stehn? Ist es zu verwundern, wenn sie zum Teil in die
bitterste Not geraten sind?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/372>, abgerufen am 24.08.2024.