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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

einer dieser Tage erschienenen 231 Seiten starken Schrift: Demokratie und
Kaisertum, ein Handbuch für innere Politik (Buchverlag der "Hilfe" in Berliu-
Schöneberg) im Zusammenhange entwickelt, und man sieht daraus, daß die Ent¬
schiedenheit, mit der er für die persönliche Regierung des Kaisers und für die
Flottenvermehrung eintritt, eine unabweisbare Folge seiner Voraussetzungen ist, und
daß seine Ansichten einen wohlgeordneten, durchsichtigen und folgerichtigen Ge-
dankenbau bilden, der noch dazu den Vorzug hat, der stärksten Strömung unsrer
deutschen Gegenwart zu entsprechen, sodaß sein Zukunftstraum eher als jeder andre
Aussicht hat, verwirklicht zu werden. Er behandelt in drei Abschnitten und ein¬
undzwanzig Kapiteln die Demokratie (1. Demokratie als Voraussetzung des Sozia¬
lismus, 2. Die Unmöglichkeit der demokratischen Revolution, 3. Die Träger der
Demokratie, 4. Demokratie als Gesinnung, 5. Demokratie als politische Idee,
6. Das allgemeine Wahlrecht, 7. Demokratische Dezentralisation, 8. Demokratische
Organisation des Wirtschaftslebens), die drei Aristokratien (1. Die Notwendigkeit
aristokratischer Elemente, 2. Die agrarische Aristokratie, 3. Die industrielle Aristokratie,
4. Die klerikale Aristokratie, 5. Das politische Spiel der Kräfte), und das Kaisertum
(1. Das Deutsche Reich als Wirtschaftskörper, 2. Militärische Monarchie und
Nationalstaat, 3. Das Wesen des deutscheu Kaisertums, 4. Die Politik Kaiser Wil¬
helms II., 5. Demokratie und Heer, 6. Die deutsche Kriegsflotte, 7. Das soziale
Kaisertum, 8. nationaler Sozialismus). In der durch diese Überschriften vorge¬
zeichneten Reihenfolge werden die Elemente unsers heutigen Staats-, Volks¬
und Wirtschaftslebens klar, scharf und mit rücksichtsloser Wahrheitsliebe gezeichnet,
wird ihr Wesen aufgedeckt, ihre Entstehung erzählt und die Ansicht des Verfassers
darüber, wo es nötig scheint, statistisch begründet. Seine Hauptgedanken sind
folgende:

Nachdem die Sozialdemokratie -- nicht in Worten aber thatsächlich -- auf
ihre Utopie und auf die offenbar unmögliche Revolution, sei es auch nur zur Her¬
stellung einer bloßen Demokratie, verzichtet hat, sitzt sie auf einem toten Strange
fest. Sie kann nichts als mit den schwächlichen Resten der bürgerlichen Demokratie
zusammen negieren und hemmen, was ja manchmal nützlich ist, wenn es zur Ab¬
wendung reaktionärer Attentate geschieht, und der Beistand des Zentrums der Demo¬
kratie zu einem Erfolg verhilft, was aber nicht die Hauptaufgabe der Politik und
vor allem kein Fortschritt ist. Diese Lähmung des größten und tüchtigsten Teils
der Lohuarbeiterschaft muß um so mehr beklagt werden, als sich unser Wirtschafts¬
leben im Sturme vorwärts bewegt, und die industriellen Arbeiter die gebornen
Träger dieses Fortschritts sind. Immer näher rückt ihren Kreisen der Schwerpunkt
unsrer Wirtschaft, damit auch der des Staates, bald wird er ganz hineinfallen.
Schon jetzt ist der Konsum der industriellen Lohnarbeiter weit beträchtlicher als der
der Bauern, sodaß das Sprüchlein nicht mehr lautet: Hat der Bauer Geld, hats
die ganze Welt, sondern: Nur wenn der Industriearbeiter Geld hat, hat auch der
Bauer welches. Der Geburtenüberschuß beträgt jetzt schon 800000 bis 900000
jährlich, wird binnen wenigen Jahren die Million übersteigen, und dieser ganze un¬
geheure Zuwachs kann, unbeträchtliche Abzweigungen abgerechnet, nirgend anderswo
als in der Industrie, und zwar in deren Lohnarbeiterschaft, untergebracht werden.
Somit wird in kurzer Frist das deutsche Volk seiner Mehrzahl nach aus In¬
dustriearbeitern bestehn, und demnach auch im Reichstage dieser Hauptbestandteil du:
Mehrheit haben müssen. Eine so ungeheure Masse kaun aber nicht ungegliedert
politisch thätig sein. sie bedarf einer führenden Aristokratie, und zu dieser sind die
Ansätze in der Elite der gelernten Arbeiter schon vorhanden. Auch diese neue
Aristokratie, soll sie politisch wirksam werden, muß organisiert sein, und schon aus
diesem Grunde müssen die gesetzlichen und polizeilichen Erschwerungen der Arbeiter-


Grenzboten II 1900 46
Maßgebliches und Unmaßgebliches

einer dieser Tage erschienenen 231 Seiten starken Schrift: Demokratie und
Kaisertum, ein Handbuch für innere Politik (Buchverlag der „Hilfe" in Berliu-
Schöneberg) im Zusammenhange entwickelt, und man sieht daraus, daß die Ent¬
schiedenheit, mit der er für die persönliche Regierung des Kaisers und für die
Flottenvermehrung eintritt, eine unabweisbare Folge seiner Voraussetzungen ist, und
daß seine Ansichten einen wohlgeordneten, durchsichtigen und folgerichtigen Ge-
dankenbau bilden, der noch dazu den Vorzug hat, der stärksten Strömung unsrer
deutschen Gegenwart zu entsprechen, sodaß sein Zukunftstraum eher als jeder andre
Aussicht hat, verwirklicht zu werden. Er behandelt in drei Abschnitten und ein¬
undzwanzig Kapiteln die Demokratie (1. Demokratie als Voraussetzung des Sozia¬
lismus, 2. Die Unmöglichkeit der demokratischen Revolution, 3. Die Träger der
Demokratie, 4. Demokratie als Gesinnung, 5. Demokratie als politische Idee,
6. Das allgemeine Wahlrecht, 7. Demokratische Dezentralisation, 8. Demokratische
Organisation des Wirtschaftslebens), die drei Aristokratien (1. Die Notwendigkeit
aristokratischer Elemente, 2. Die agrarische Aristokratie, 3. Die industrielle Aristokratie,
4. Die klerikale Aristokratie, 5. Das politische Spiel der Kräfte), und das Kaisertum
(1. Das Deutsche Reich als Wirtschaftskörper, 2. Militärische Monarchie und
Nationalstaat, 3. Das Wesen des deutscheu Kaisertums, 4. Die Politik Kaiser Wil¬
helms II., 5. Demokratie und Heer, 6. Die deutsche Kriegsflotte, 7. Das soziale
Kaisertum, 8. nationaler Sozialismus). In der durch diese Überschriften vorge¬
zeichneten Reihenfolge werden die Elemente unsers heutigen Staats-, Volks¬
und Wirtschaftslebens klar, scharf und mit rücksichtsloser Wahrheitsliebe gezeichnet,
wird ihr Wesen aufgedeckt, ihre Entstehung erzählt und die Ansicht des Verfassers
darüber, wo es nötig scheint, statistisch begründet. Seine Hauptgedanken sind
folgende:

Nachdem die Sozialdemokratie — nicht in Worten aber thatsächlich — auf
ihre Utopie und auf die offenbar unmögliche Revolution, sei es auch nur zur Her¬
stellung einer bloßen Demokratie, verzichtet hat, sitzt sie auf einem toten Strange
fest. Sie kann nichts als mit den schwächlichen Resten der bürgerlichen Demokratie
zusammen negieren und hemmen, was ja manchmal nützlich ist, wenn es zur Ab¬
wendung reaktionärer Attentate geschieht, und der Beistand des Zentrums der Demo¬
kratie zu einem Erfolg verhilft, was aber nicht die Hauptaufgabe der Politik und
vor allem kein Fortschritt ist. Diese Lähmung des größten und tüchtigsten Teils
der Lohuarbeiterschaft muß um so mehr beklagt werden, als sich unser Wirtschafts¬
leben im Sturme vorwärts bewegt, und die industriellen Arbeiter die gebornen
Träger dieses Fortschritts sind. Immer näher rückt ihren Kreisen der Schwerpunkt
unsrer Wirtschaft, damit auch der des Staates, bald wird er ganz hineinfallen.
Schon jetzt ist der Konsum der industriellen Lohnarbeiter weit beträchtlicher als der
der Bauern, sodaß das Sprüchlein nicht mehr lautet: Hat der Bauer Geld, hats
die ganze Welt, sondern: Nur wenn der Industriearbeiter Geld hat, hat auch der
Bauer welches. Der Geburtenüberschuß beträgt jetzt schon 800000 bis 900000
jährlich, wird binnen wenigen Jahren die Million übersteigen, und dieser ganze un¬
geheure Zuwachs kann, unbeträchtliche Abzweigungen abgerechnet, nirgend anderswo
als in der Industrie, und zwar in deren Lohnarbeiterschaft, untergebracht werden.
Somit wird in kurzer Frist das deutsche Volk seiner Mehrzahl nach aus In¬
dustriearbeitern bestehn, und demnach auch im Reichstage dieser Hauptbestandteil du:
Mehrheit haben müssen. Eine so ungeheure Masse kaun aber nicht ungegliedert
politisch thätig sein. sie bedarf einer führenden Aristokratie, und zu dieser sind die
Ansätze in der Elite der gelernten Arbeiter schon vorhanden. Auch diese neue
Aristokratie, soll sie politisch wirksam werden, muß organisiert sein, und schon aus
diesem Grunde müssen die gesetzlichen und polizeilichen Erschwerungen der Arbeiter-


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[0361] Maßgebliches und Unmaßgebliches einer dieser Tage erschienenen 231 Seiten starken Schrift: Demokratie und Kaisertum, ein Handbuch für innere Politik (Buchverlag der „Hilfe" in Berliu- Schöneberg) im Zusammenhange entwickelt, und man sieht daraus, daß die Ent¬ schiedenheit, mit der er für die persönliche Regierung des Kaisers und für die Flottenvermehrung eintritt, eine unabweisbare Folge seiner Voraussetzungen ist, und daß seine Ansichten einen wohlgeordneten, durchsichtigen und folgerichtigen Ge- dankenbau bilden, der noch dazu den Vorzug hat, der stärksten Strömung unsrer deutschen Gegenwart zu entsprechen, sodaß sein Zukunftstraum eher als jeder andre Aussicht hat, verwirklicht zu werden. Er behandelt in drei Abschnitten und ein¬ undzwanzig Kapiteln die Demokratie (1. Demokratie als Voraussetzung des Sozia¬ lismus, 2. Die Unmöglichkeit der demokratischen Revolution, 3. Die Träger der Demokratie, 4. Demokratie als Gesinnung, 5. Demokratie als politische Idee, 6. Das allgemeine Wahlrecht, 7. Demokratische Dezentralisation, 8. Demokratische Organisation des Wirtschaftslebens), die drei Aristokratien (1. Die Notwendigkeit aristokratischer Elemente, 2. Die agrarische Aristokratie, 3. Die industrielle Aristokratie, 4. Die klerikale Aristokratie, 5. Das politische Spiel der Kräfte), und das Kaisertum (1. Das Deutsche Reich als Wirtschaftskörper, 2. Militärische Monarchie und Nationalstaat, 3. Das Wesen des deutscheu Kaisertums, 4. Die Politik Kaiser Wil¬ helms II., 5. Demokratie und Heer, 6. Die deutsche Kriegsflotte, 7. Das soziale Kaisertum, 8. nationaler Sozialismus). In der durch diese Überschriften vorge¬ zeichneten Reihenfolge werden die Elemente unsers heutigen Staats-, Volks¬ und Wirtschaftslebens klar, scharf und mit rücksichtsloser Wahrheitsliebe gezeichnet, wird ihr Wesen aufgedeckt, ihre Entstehung erzählt und die Ansicht des Verfassers darüber, wo es nötig scheint, statistisch begründet. Seine Hauptgedanken sind folgende: Nachdem die Sozialdemokratie — nicht in Worten aber thatsächlich — auf ihre Utopie und auf die offenbar unmögliche Revolution, sei es auch nur zur Her¬ stellung einer bloßen Demokratie, verzichtet hat, sitzt sie auf einem toten Strange fest. Sie kann nichts als mit den schwächlichen Resten der bürgerlichen Demokratie zusammen negieren und hemmen, was ja manchmal nützlich ist, wenn es zur Ab¬ wendung reaktionärer Attentate geschieht, und der Beistand des Zentrums der Demo¬ kratie zu einem Erfolg verhilft, was aber nicht die Hauptaufgabe der Politik und vor allem kein Fortschritt ist. Diese Lähmung des größten und tüchtigsten Teils der Lohuarbeiterschaft muß um so mehr beklagt werden, als sich unser Wirtschafts¬ leben im Sturme vorwärts bewegt, und die industriellen Arbeiter die gebornen Träger dieses Fortschritts sind. Immer näher rückt ihren Kreisen der Schwerpunkt unsrer Wirtschaft, damit auch der des Staates, bald wird er ganz hineinfallen. Schon jetzt ist der Konsum der industriellen Lohnarbeiter weit beträchtlicher als der der Bauern, sodaß das Sprüchlein nicht mehr lautet: Hat der Bauer Geld, hats die ganze Welt, sondern: Nur wenn der Industriearbeiter Geld hat, hat auch der Bauer welches. Der Geburtenüberschuß beträgt jetzt schon 800000 bis 900000 jährlich, wird binnen wenigen Jahren die Million übersteigen, und dieser ganze un¬ geheure Zuwachs kann, unbeträchtliche Abzweigungen abgerechnet, nirgend anderswo als in der Industrie, und zwar in deren Lohnarbeiterschaft, untergebracht werden. Somit wird in kurzer Frist das deutsche Volk seiner Mehrzahl nach aus In¬ dustriearbeitern bestehn, und demnach auch im Reichstage dieser Hauptbestandteil du: Mehrheit haben müssen. Eine so ungeheure Masse kaun aber nicht ungegliedert politisch thätig sein. sie bedarf einer führenden Aristokratie, und zu dieser sind die Ansätze in der Elite der gelernten Arbeiter schon vorhanden. Auch diese neue Aristokratie, soll sie politisch wirksam werden, muß organisiert sein, und schon aus diesem Grunde müssen die gesetzlichen und polizeilichen Erschwerungen der Arbeiter- Grenzboten II 1900 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/361>, abgerufen am 22.07.2024.