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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Thoma

liebst wirken, und sie selbst mögen noch so ähnlich sein: ihre Auffassung und
Anordnung ist nicht naiv, sondern von irgend einem historischen Spiegel auf¬
gefangen und wieder zurückgeworfen, etwa dein der italienischen Frührenaissance.
Wenn man das Porträt von 1880 mit Dürers Oswald Kreil in der Münchner
Pinakothek vergleicht, so hat man ungefähr das Modell, das aber selbst schon
nicht mehr natürlich ist; Dürer hatte sich damals in Mantegna verfangen und
auch allerlei lombardisches Bildwerk im Kopfe. Ich verstehe nicht, daß eine
Erklärung, die doch mit Worten nicht karge, an so wichtigen Merkmalen
vorübergeht; sie kam: doch eine solche Bildnisknnst dem zwanzigsten Jahr¬
hundert nicht als etwas naives und selbstverständliches vorstellen wollen, da
jedermann ja schon zwischen diesen Porträts und dem der Frau Doktor Spier
einen Unterschied sehen muß. -- Thoma hat auch einzelne Sittenbilder aus
der Gegenwart gemalt, z. B. einen Gemüsestand auf der Straße, mit Ver¬
käufern und einer laufenden Magd (1889); das Stillleben, Früchte, Gemüse,
tote Vögel, ist ausgezeichnet, die Figuren sind leblos. Und doch verstand der
Künstler Bewegung darzustellen, wie einst in den "raufenden Buben" von
1872, wo alles lebt und bebt und dabei noch aus fünf Köpfen und Leibern
eine ganz hübsche raumfüllende Figur gewonnen ist. Aber das Ruhige, Ge-
bundne, beinahe Leblose ist seiner Begabung offenbar das Natürliche, in dieser
Form stimmen die Figuren am besten zu der Landschaft, die seine Haupt¬
gattung bleibt; sie sitzen da müde oder gehn verträumt einher, tanzen auch
wohl einmal, Naturwesen, die die grüne Welt beleben, aber sich nicht zu selb¬
ständig vorwagen sollen. Den Charakter dieser Landschaft schildert Meißner
zutreffend. Thoma will nicht einzelne Wirklichkeitseindrücke geben, sondern
ein großes, ruhiggestimmtes Naturbild, kein Freilicht und keine vertieften
Räume, sondern Flächen mit deutlichen Grenzen und einfachen Farbentönen;
das Liniengerippe tritt manchmal wie auf einer Umrißzeichnung hervor, aber
die Töne geben doch eine Vorstellung von dem Duft und dem Hauch, der auf
einer Gegend liegt.

Daß Thomas Kunst mit allen ihren Vorzügen manche Wünsche unerfüllt
läßt, konnte Meißner nicht entgehn. Er betont dem gegenüber immer ihren
poetischen Gehalt und das Musikähnliche ihrer Wirkungen und läßt es an den
einzelnen bedenklichen Stellen klingen, singen und summen oder durch die Seele
läuten; reichlich oft für den Eindruck, aber er hat einen erstaunlichen Vorrat
von Wendungen; einmal bekommen wir sogar einen dröhnenden Meerakkord.
Man kann solchen Eindrücken durchaus zugänglich sein und doch bei einiger
Erinnerung finden, daß sie sich mit dem skizzenhaften der Behandlung be¬
sonders gut vertragen. Andrerseits würde an einem vollendeten Bilde wohl
keiner gerade das Musikalische als erstes hervorheben. Ich meine darum in
diesen Tönen eine gewisse Bestätigung dessen zu vernehmen, was ich oben
über den Rang eines Malers und das fertiggemachte Bild bemerkte.

Einzig ist Thomas Verdienst um den Künstlersteindruck, den er erst ge¬
schaffen hat, und der einfarbig in drei bis vier Tönen oder mit einer nicht


Thoma

liebst wirken, und sie selbst mögen noch so ähnlich sein: ihre Auffassung und
Anordnung ist nicht naiv, sondern von irgend einem historischen Spiegel auf¬
gefangen und wieder zurückgeworfen, etwa dein der italienischen Frührenaissance.
Wenn man das Porträt von 1880 mit Dürers Oswald Kreil in der Münchner
Pinakothek vergleicht, so hat man ungefähr das Modell, das aber selbst schon
nicht mehr natürlich ist; Dürer hatte sich damals in Mantegna verfangen und
auch allerlei lombardisches Bildwerk im Kopfe. Ich verstehe nicht, daß eine
Erklärung, die doch mit Worten nicht karge, an so wichtigen Merkmalen
vorübergeht; sie kam: doch eine solche Bildnisknnst dem zwanzigsten Jahr¬
hundert nicht als etwas naives und selbstverständliches vorstellen wollen, da
jedermann ja schon zwischen diesen Porträts und dem der Frau Doktor Spier
einen Unterschied sehen muß. — Thoma hat auch einzelne Sittenbilder aus
der Gegenwart gemalt, z. B. einen Gemüsestand auf der Straße, mit Ver¬
käufern und einer laufenden Magd (1889); das Stillleben, Früchte, Gemüse,
tote Vögel, ist ausgezeichnet, die Figuren sind leblos. Und doch verstand der
Künstler Bewegung darzustellen, wie einst in den „raufenden Buben" von
1872, wo alles lebt und bebt und dabei noch aus fünf Köpfen und Leibern
eine ganz hübsche raumfüllende Figur gewonnen ist. Aber das Ruhige, Ge-
bundne, beinahe Leblose ist seiner Begabung offenbar das Natürliche, in dieser
Form stimmen die Figuren am besten zu der Landschaft, die seine Haupt¬
gattung bleibt; sie sitzen da müde oder gehn verträumt einher, tanzen auch
wohl einmal, Naturwesen, die die grüne Welt beleben, aber sich nicht zu selb¬
ständig vorwagen sollen. Den Charakter dieser Landschaft schildert Meißner
zutreffend. Thoma will nicht einzelne Wirklichkeitseindrücke geben, sondern
ein großes, ruhiggestimmtes Naturbild, kein Freilicht und keine vertieften
Räume, sondern Flächen mit deutlichen Grenzen und einfachen Farbentönen;
das Liniengerippe tritt manchmal wie auf einer Umrißzeichnung hervor, aber
die Töne geben doch eine Vorstellung von dem Duft und dem Hauch, der auf
einer Gegend liegt.

Daß Thomas Kunst mit allen ihren Vorzügen manche Wünsche unerfüllt
läßt, konnte Meißner nicht entgehn. Er betont dem gegenüber immer ihren
poetischen Gehalt und das Musikähnliche ihrer Wirkungen und läßt es an den
einzelnen bedenklichen Stellen klingen, singen und summen oder durch die Seele
läuten; reichlich oft für den Eindruck, aber er hat einen erstaunlichen Vorrat
von Wendungen; einmal bekommen wir sogar einen dröhnenden Meerakkord.
Man kann solchen Eindrücken durchaus zugänglich sein und doch bei einiger
Erinnerung finden, daß sie sich mit dem skizzenhaften der Behandlung be¬
sonders gut vertragen. Andrerseits würde an einem vollendeten Bilde wohl
keiner gerade das Musikalische als erstes hervorheben. Ich meine darum in
diesen Tönen eine gewisse Bestätigung dessen zu vernehmen, was ich oben
über den Rang eines Malers und das fertiggemachte Bild bemerkte.

Einzig ist Thomas Verdienst um den Künstlersteindruck, den er erst ge¬
schaffen hat, und der einfarbig in drei bis vier Tönen oder mit einer nicht


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[0354] Thoma liebst wirken, und sie selbst mögen noch so ähnlich sein: ihre Auffassung und Anordnung ist nicht naiv, sondern von irgend einem historischen Spiegel auf¬ gefangen und wieder zurückgeworfen, etwa dein der italienischen Frührenaissance. Wenn man das Porträt von 1880 mit Dürers Oswald Kreil in der Münchner Pinakothek vergleicht, so hat man ungefähr das Modell, das aber selbst schon nicht mehr natürlich ist; Dürer hatte sich damals in Mantegna verfangen und auch allerlei lombardisches Bildwerk im Kopfe. Ich verstehe nicht, daß eine Erklärung, die doch mit Worten nicht karge, an so wichtigen Merkmalen vorübergeht; sie kam: doch eine solche Bildnisknnst dem zwanzigsten Jahr¬ hundert nicht als etwas naives und selbstverständliches vorstellen wollen, da jedermann ja schon zwischen diesen Porträts und dem der Frau Doktor Spier einen Unterschied sehen muß. — Thoma hat auch einzelne Sittenbilder aus der Gegenwart gemalt, z. B. einen Gemüsestand auf der Straße, mit Ver¬ käufern und einer laufenden Magd (1889); das Stillleben, Früchte, Gemüse, tote Vögel, ist ausgezeichnet, die Figuren sind leblos. Und doch verstand der Künstler Bewegung darzustellen, wie einst in den „raufenden Buben" von 1872, wo alles lebt und bebt und dabei noch aus fünf Köpfen und Leibern eine ganz hübsche raumfüllende Figur gewonnen ist. Aber das Ruhige, Ge- bundne, beinahe Leblose ist seiner Begabung offenbar das Natürliche, in dieser Form stimmen die Figuren am besten zu der Landschaft, die seine Haupt¬ gattung bleibt; sie sitzen da müde oder gehn verträumt einher, tanzen auch wohl einmal, Naturwesen, die die grüne Welt beleben, aber sich nicht zu selb¬ ständig vorwagen sollen. Den Charakter dieser Landschaft schildert Meißner zutreffend. Thoma will nicht einzelne Wirklichkeitseindrücke geben, sondern ein großes, ruhiggestimmtes Naturbild, kein Freilicht und keine vertieften Räume, sondern Flächen mit deutlichen Grenzen und einfachen Farbentönen; das Liniengerippe tritt manchmal wie auf einer Umrißzeichnung hervor, aber die Töne geben doch eine Vorstellung von dem Duft und dem Hauch, der auf einer Gegend liegt. Daß Thomas Kunst mit allen ihren Vorzügen manche Wünsche unerfüllt läßt, konnte Meißner nicht entgehn. Er betont dem gegenüber immer ihren poetischen Gehalt und das Musikähnliche ihrer Wirkungen und läßt es an den einzelnen bedenklichen Stellen klingen, singen und summen oder durch die Seele läuten; reichlich oft für den Eindruck, aber er hat einen erstaunlichen Vorrat von Wendungen; einmal bekommen wir sogar einen dröhnenden Meerakkord. Man kann solchen Eindrücken durchaus zugänglich sein und doch bei einiger Erinnerung finden, daß sie sich mit dem skizzenhaften der Behandlung be¬ sonders gut vertragen. Andrerseits würde an einem vollendeten Bilde wohl keiner gerade das Musikalische als erstes hervorheben. Ich meine darum in diesen Tönen eine gewisse Bestätigung dessen zu vernehmen, was ich oben über den Rang eines Malers und das fertiggemachte Bild bemerkte. Einzig ist Thomas Verdienst um den Künstlersteindruck, den er erst ge¬ schaffen hat, und der einfarbig in drei bis vier Tönen oder mit einer nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/354>, abgerufen am 01.10.2024.