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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

mögen sie ihm Passen oder nicht, in bestimmten konventionellen Formen Verkehren
muß. Aber das alles liegt ganz anders bei Müller. Er muß mit seinen Kollegen,
wenigstens mit denen aus seinem Senat und rin den Anwälten, die bei ihm
Familienbesnch machen, gesellschaftliche Fühlung behalten. Sonst isoliert er sich nicht
bloß gesellschaftlich, sondern auch amtlich. Und wenn er nun einmal in den seinem
Amt und Stande angemessenen Formen Gaste bei sich sieht, so kommt es auf einen
oder einige mehr oder weniger auch nicht an. Müller sowohl wie seine Frau
kommen sehr gern zu uns, um mit uns einmal nach unsrer Art zu essen, und er
wird so gut wie Sie und ich verständig genug sein, das als eine vollwertige
Erwiderung seiner Einladung anzusehen. Ja, ich behaupte: wenn es einigermaßen
klappt, so bieten wir ihm nicht weniger, sondern mehr, als er uns geboten hat.
Wenn seine Verhältnisse ihn aber nötigen, seine Geselligkeit anders einzurichten, so
brauchen wir darüber nicht die Nase zu rümpfen. Es braucht nicht überall nach
Schema 1? zu gehn. Lassen Sie doch jedem die Freiheit, sich nach seinen Verhält¬
nissen und nach seiner Art einzurichten. Ich habe mich gestern bei Müllers sehr
gut unterhalten, habe sogar manches gelernt und gute Anregungen empfangen.
Folglich lasse ich auch dieser Art von Geselligkeit ihr Recht. Ihre ganze Auffassung
ist mir zu engherzig, und im Grunde sind Sie diesmal der Philister.

Er blieb wieder einen Augenblick stehn und sagte: Warum denu so grob?
Ich finde es sehr vernünftig von Ihnen und Ihrer Frau, daß Sie den Schwindel
nicht mitmachen. Aber was Sie zur Verteidigung dieser weltförmigen Geselligkeit
sagen, hält nicht Stich. Es mag Verhältnisse geben, in denen sie sich nicht ganz
umgehn läßt. Doch das sind Ausnahmen und müßten Ausnahmen bleibe". Heut¬
zutage aber ist diese unnatürliche Gesellschaftstreiberei zur Regel geworden. Und
das ist falsch. Falsch auch für den großen Durchschnitt der höhern Beamten. Ich
will es allenfalls gelten lassen für die Beamten, denen der Staat ausdrücklich
Mittel zur Bestreitung der sogenannten Repräsentation giebt, wiewohl ich auch da
noch gewisse Einschränkungen machen würde. Aber Richter, Negierungsräte, höhere
Lehrer und dergleichen Handel" nicht verständig, sondern meistens kindisch, eitel und
im Grunde feige oder charakterlos, wenn sie sich der allgemeinen Sitte fügen.
Nehmen Sie bloß einmal die wirtschaftliche Seite der Sache heraus. Ich will
vou Müller nicht sprechen. Er hat keine Kinder, und die Frau bekommt ja auch
wohl noch einen Zuschuß von zu Hanse. Aber stellen Sie sich einen Beamten mit
vier Kindern vor, der den hohen Gehalt von 12000 Mark und 1500 Mark
Wohnungsgeldzuschuß hat. Zwei Söhne studieren. Die koste" allein jährlich mit
Kleidung, und allem was sonst drum und dran hängt, 4000 bis 5000 Mark. Die
Erziehung der Töchter ist doch auch nicht umsonst zu haben. Nun rechnen Sie
die Miete für eine nur etuigermaßen der Stellung entsprechende Wohnung, die
Steuern und Standesansgaben, die Kleidung für Frau und Töchter, die Prämie
für eine mäßige Lebensversicherung, die heutzutage leider ganz unvermeidlichen Kosten
einer auch nur bescheidne" Sommerfrische, die Dienstbvtenlöhne, denken Sie an Arzt
und Apotheker, Bücher und Zeitungen, Straßenbahnen und Droschken usw., und
dann sehen Sie zu, was für den eigentliche" Haushalt übrig bleibt. Ein Mittag¬
essen wie das gestrige ist uuter 400 bis 500 Mark auch von der geschicktesten
Hausfrau nicht zu beschaffen; also machen Sie sich den Vers darauf, wo bei einem
Beamten, der kein Vermögen hat, das Geld dazu abgeknappst werden muß.
Zweifellos wird das an solchen Posten der Wirtschaftsrechnung geschehn, die für die
Gesundheit, Behaglichkeit und Auskömmlichkeit des Familienlebens wenn nicht un¬
bedingt nötig, so doch sehr nützlich sind. Ich halte schon diese wirtschaftliche Rücksicht
für entscheidend, gebe aber gern zu, daß sie sich in jeder Familie anders gestaltet.
Jedenfalls handelt es sich um eine nicht geringe Extraausgabe, deren Ersparnis
dem innern Familienleben zu gute kommen würde. Wer hat aber etwas von diesem


Maßgebliches und Unmaßgebliches

mögen sie ihm Passen oder nicht, in bestimmten konventionellen Formen Verkehren
muß. Aber das alles liegt ganz anders bei Müller. Er muß mit seinen Kollegen,
wenigstens mit denen aus seinem Senat und rin den Anwälten, die bei ihm
Familienbesnch machen, gesellschaftliche Fühlung behalten. Sonst isoliert er sich nicht
bloß gesellschaftlich, sondern auch amtlich. Und wenn er nun einmal in den seinem
Amt und Stande angemessenen Formen Gaste bei sich sieht, so kommt es auf einen
oder einige mehr oder weniger auch nicht an. Müller sowohl wie seine Frau
kommen sehr gern zu uns, um mit uns einmal nach unsrer Art zu essen, und er
wird so gut wie Sie und ich verständig genug sein, das als eine vollwertige
Erwiderung seiner Einladung anzusehen. Ja, ich behaupte: wenn es einigermaßen
klappt, so bieten wir ihm nicht weniger, sondern mehr, als er uns geboten hat.
Wenn seine Verhältnisse ihn aber nötigen, seine Geselligkeit anders einzurichten, so
brauchen wir darüber nicht die Nase zu rümpfen. Es braucht nicht überall nach
Schema 1? zu gehn. Lassen Sie doch jedem die Freiheit, sich nach seinen Verhält¬
nissen und nach seiner Art einzurichten. Ich habe mich gestern bei Müllers sehr
gut unterhalten, habe sogar manches gelernt und gute Anregungen empfangen.
Folglich lasse ich auch dieser Art von Geselligkeit ihr Recht. Ihre ganze Auffassung
ist mir zu engherzig, und im Grunde sind Sie diesmal der Philister.

Er blieb wieder einen Augenblick stehn und sagte: Warum denu so grob?
Ich finde es sehr vernünftig von Ihnen und Ihrer Frau, daß Sie den Schwindel
nicht mitmachen. Aber was Sie zur Verteidigung dieser weltförmigen Geselligkeit
sagen, hält nicht Stich. Es mag Verhältnisse geben, in denen sie sich nicht ganz
umgehn läßt. Doch das sind Ausnahmen und müßten Ausnahmen bleibe». Heut¬
zutage aber ist diese unnatürliche Gesellschaftstreiberei zur Regel geworden. Und
das ist falsch. Falsch auch für den großen Durchschnitt der höhern Beamten. Ich
will es allenfalls gelten lassen für die Beamten, denen der Staat ausdrücklich
Mittel zur Bestreitung der sogenannten Repräsentation giebt, wiewohl ich auch da
noch gewisse Einschränkungen machen würde. Aber Richter, Negierungsräte, höhere
Lehrer und dergleichen Handel» nicht verständig, sondern meistens kindisch, eitel und
im Grunde feige oder charakterlos, wenn sie sich der allgemeinen Sitte fügen.
Nehmen Sie bloß einmal die wirtschaftliche Seite der Sache heraus. Ich will
vou Müller nicht sprechen. Er hat keine Kinder, und die Frau bekommt ja auch
wohl noch einen Zuschuß von zu Hanse. Aber stellen Sie sich einen Beamten mit
vier Kindern vor, der den hohen Gehalt von 12000 Mark und 1500 Mark
Wohnungsgeldzuschuß hat. Zwei Söhne studieren. Die koste» allein jährlich mit
Kleidung, und allem was sonst drum und dran hängt, 4000 bis 5000 Mark. Die
Erziehung der Töchter ist doch auch nicht umsonst zu haben. Nun rechnen Sie
die Miete für eine nur etuigermaßen der Stellung entsprechende Wohnung, die
Steuern und Standesansgaben, die Kleidung für Frau und Töchter, die Prämie
für eine mäßige Lebensversicherung, die heutzutage leider ganz unvermeidlichen Kosten
einer auch nur bescheidne» Sommerfrische, die Dienstbvtenlöhne, denken Sie an Arzt
und Apotheker, Bücher und Zeitungen, Straßenbahnen und Droschken usw., und
dann sehen Sie zu, was für den eigentliche» Haushalt übrig bleibt. Ein Mittag¬
essen wie das gestrige ist uuter 400 bis 500 Mark auch von der geschicktesten
Hausfrau nicht zu beschaffen; also machen Sie sich den Vers darauf, wo bei einem
Beamten, der kein Vermögen hat, das Geld dazu abgeknappst werden muß.
Zweifellos wird das an solchen Posten der Wirtschaftsrechnung geschehn, die für die
Gesundheit, Behaglichkeit und Auskömmlichkeit des Familienlebens wenn nicht un¬
bedingt nötig, so doch sehr nützlich sind. Ich halte schon diese wirtschaftliche Rücksicht
für entscheidend, gebe aber gern zu, daß sie sich in jeder Familie anders gestaltet.
Jedenfalls handelt es sich um eine nicht geringe Extraausgabe, deren Ersparnis
dem innern Familienleben zu gute kommen würde. Wer hat aber etwas von diesem


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[0318] Maßgebliches und Unmaßgebliches mögen sie ihm Passen oder nicht, in bestimmten konventionellen Formen Verkehren muß. Aber das alles liegt ganz anders bei Müller. Er muß mit seinen Kollegen, wenigstens mit denen aus seinem Senat und rin den Anwälten, die bei ihm Familienbesnch machen, gesellschaftliche Fühlung behalten. Sonst isoliert er sich nicht bloß gesellschaftlich, sondern auch amtlich. Und wenn er nun einmal in den seinem Amt und Stande angemessenen Formen Gaste bei sich sieht, so kommt es auf einen oder einige mehr oder weniger auch nicht an. Müller sowohl wie seine Frau kommen sehr gern zu uns, um mit uns einmal nach unsrer Art zu essen, und er wird so gut wie Sie und ich verständig genug sein, das als eine vollwertige Erwiderung seiner Einladung anzusehen. Ja, ich behaupte: wenn es einigermaßen klappt, so bieten wir ihm nicht weniger, sondern mehr, als er uns geboten hat. Wenn seine Verhältnisse ihn aber nötigen, seine Geselligkeit anders einzurichten, so brauchen wir darüber nicht die Nase zu rümpfen. Es braucht nicht überall nach Schema 1? zu gehn. Lassen Sie doch jedem die Freiheit, sich nach seinen Verhält¬ nissen und nach seiner Art einzurichten. Ich habe mich gestern bei Müllers sehr gut unterhalten, habe sogar manches gelernt und gute Anregungen empfangen. Folglich lasse ich auch dieser Art von Geselligkeit ihr Recht. Ihre ganze Auffassung ist mir zu engherzig, und im Grunde sind Sie diesmal der Philister. Er blieb wieder einen Augenblick stehn und sagte: Warum denu so grob? Ich finde es sehr vernünftig von Ihnen und Ihrer Frau, daß Sie den Schwindel nicht mitmachen. Aber was Sie zur Verteidigung dieser weltförmigen Geselligkeit sagen, hält nicht Stich. Es mag Verhältnisse geben, in denen sie sich nicht ganz umgehn läßt. Doch das sind Ausnahmen und müßten Ausnahmen bleibe». Heut¬ zutage aber ist diese unnatürliche Gesellschaftstreiberei zur Regel geworden. Und das ist falsch. Falsch auch für den großen Durchschnitt der höhern Beamten. Ich will es allenfalls gelten lassen für die Beamten, denen der Staat ausdrücklich Mittel zur Bestreitung der sogenannten Repräsentation giebt, wiewohl ich auch da noch gewisse Einschränkungen machen würde. Aber Richter, Negierungsräte, höhere Lehrer und dergleichen Handel» nicht verständig, sondern meistens kindisch, eitel und im Grunde feige oder charakterlos, wenn sie sich der allgemeinen Sitte fügen. Nehmen Sie bloß einmal die wirtschaftliche Seite der Sache heraus. Ich will vou Müller nicht sprechen. Er hat keine Kinder, und die Frau bekommt ja auch wohl noch einen Zuschuß von zu Hanse. Aber stellen Sie sich einen Beamten mit vier Kindern vor, der den hohen Gehalt von 12000 Mark und 1500 Mark Wohnungsgeldzuschuß hat. Zwei Söhne studieren. Die koste» allein jährlich mit Kleidung, und allem was sonst drum und dran hängt, 4000 bis 5000 Mark. Die Erziehung der Töchter ist doch auch nicht umsonst zu haben. Nun rechnen Sie die Miete für eine nur etuigermaßen der Stellung entsprechende Wohnung, die Steuern und Standesansgaben, die Kleidung für Frau und Töchter, die Prämie für eine mäßige Lebensversicherung, die heutzutage leider ganz unvermeidlichen Kosten einer auch nur bescheidne» Sommerfrische, die Dienstbvtenlöhne, denken Sie an Arzt und Apotheker, Bücher und Zeitungen, Straßenbahnen und Droschken usw., und dann sehen Sie zu, was für den eigentliche» Haushalt übrig bleibt. Ein Mittag¬ essen wie das gestrige ist uuter 400 bis 500 Mark auch von der geschicktesten Hausfrau nicht zu beschaffen; also machen Sie sich den Vers darauf, wo bei einem Beamten, der kein Vermögen hat, das Geld dazu abgeknappst werden muß. Zweifellos wird das an solchen Posten der Wirtschaftsrechnung geschehn, die für die Gesundheit, Behaglichkeit und Auskömmlichkeit des Familienlebens wenn nicht un¬ bedingt nötig, so doch sehr nützlich sind. Ich halte schon diese wirtschaftliche Rücksicht für entscheidend, gebe aber gern zu, daß sie sich in jeder Familie anders gestaltet. Jedenfalls handelt es sich um eine nicht geringe Extraausgabe, deren Ersparnis dem innern Familienleben zu gute kommen würde. Wer hat aber etwas von diesem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/318>, abgerufen am 22.07.2024.