Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Militärische Randglossen zum Burenkriege

Enden abgeschnitten -- glücklich erreicht haben, im raschen Ansturm genommen
wird! Ja, wenn die bösen Buren, die gewaltigen Geländeschwierigkeiten und
die unbesieglichen Entfernungen nicht wären: Dinge, die sich aus den üblichen
Übersichtskarten Südafrikas nicht recht ersehen lassen.

Was nun den General Gataere bewogen hat, trotz unzulänglicher Kampf¬
mittel am 9. Dezember teilweise unter Benutzung der Eisenbahn einen Hand¬
streich auf das 53 Kilometer entfernte Stormberg -- den Einmündungspunkt
der Verbindungsbahn Rosmead Junction - Stormberg Junction in die Linie
Queenstown-Springfontein -- zu unternehmen, ist noch nicht klar. Hat nur ehr¬
geiziger Thatendrang ihn vorwärts getrieben? Ist er dnrch mangelhafte
Karten -- darüber später ein besondres Kapitel -- oder durch falsche Mel¬
dungen irre geführt worden? Genug, er zog aus, mutete den Truppen (er
gilt für so etwas wie Leuteschinder) außerordentliche Anstrengungen zu und
geriet dicht vor dem Bahnhofe Stormberg am 10. Dezember früh mit seinen
paar tausend Mann in eine regelrechte Falle. Alsbald fanden die erschöpften
Truppen in regelloser Flucht ihre Kräfte wieder; unaufhaltsam rasten sie davon:
kein englischer Beschönigungsversuch kann diese Thatsache aus der Welt schaffen.
Was nutzte es, daß General Gataere bei dieser Gelegenheit vielleicht einen
feigen Mord beging? In der II. 8. 6. vom 13. Januar ist zu lesen: "Ich
habe einen Brief eingesehen, der vollauf das Gerücht bestätigt, wonach sich
General Gataere, als er die Falle erkannte, umdrehte, den Führer Schuft
nannte und ihn niederschoß." Ohne Verhör, ohne Gewißheit, einen vielleicht
unschuldigen Mann! Die II. 3. 6. bemerkt dazu: "Jener hatte es gewiß ver¬
dient, aber das war eine recht summarische Abstrafung, General Gataere!"
Wir aber fragen: Stehn englische Generale außerhalb der Strafgesetze? Der
Verlust der Engländer vor Stormberg betrug nach ihrer eignen Angabe:
22 Mann tot, 4 Offiziere, 56 Mann verwundet, 596 Mann vermißt, das
heißt gefangen. Die Buren geben die Zahl der englischen Gefangnen auf
9 Offiziere, 672 Mann an, und den eignen Verlust auf 4 Tote, 9 Verwundete.
Diese geringen Opfer brachten ihnen außer Gatacres schmählicher Niederlage
noch einen andern Gewinn: die Verstärkung durch 5000 bis 8000 Afrikcmder,
die jetzt den Mut zur offnen Schilderhebung für die Stammesgenossen fanden.
General Gataere mußte fortan seine Vortruppen dort aufstellen, wo vordem
seine Hauptmacht gestanden hatte, und so ist es -- seit dem 10. Dezember
1899! -- geblieben, bis in der ersten Hälfte des März 1900 der Vormarsch
des Lord Roberts auf Bloemfoutein die südlich vom Oranjeflusse kämpfenden
Buren nach Norden rief.

Um einen Tag später -- am 11. Dezember -- erhielt ein andrer General,
Lord Methuen, einen noch schwerern Schlag aufs Haupt, der ihn für zwei
Monate an dieselbe Stelle bannte. Am 22. November trat er vom Orcmje-
fluß-Bcchnhof aus seinen "Siegeszug" zur Entsetzung von Kimberley an. Wie
sehr diese Unternehmung den Grundsätzen einer vernünftigen Kriegführung Hohn
spricht, wird an einer andern Stelle erörtert werden.


Militärische Randglossen zum Burenkriege

Enden abgeschnitten — glücklich erreicht haben, im raschen Ansturm genommen
wird! Ja, wenn die bösen Buren, die gewaltigen Geländeschwierigkeiten und
die unbesieglichen Entfernungen nicht wären: Dinge, die sich aus den üblichen
Übersichtskarten Südafrikas nicht recht ersehen lassen.

Was nun den General Gataere bewogen hat, trotz unzulänglicher Kampf¬
mittel am 9. Dezember teilweise unter Benutzung der Eisenbahn einen Hand¬
streich auf das 53 Kilometer entfernte Stormberg — den Einmündungspunkt
der Verbindungsbahn Rosmead Junction - Stormberg Junction in die Linie
Queenstown-Springfontein — zu unternehmen, ist noch nicht klar. Hat nur ehr¬
geiziger Thatendrang ihn vorwärts getrieben? Ist er dnrch mangelhafte
Karten — darüber später ein besondres Kapitel — oder durch falsche Mel¬
dungen irre geführt worden? Genug, er zog aus, mutete den Truppen (er
gilt für so etwas wie Leuteschinder) außerordentliche Anstrengungen zu und
geriet dicht vor dem Bahnhofe Stormberg am 10. Dezember früh mit seinen
paar tausend Mann in eine regelrechte Falle. Alsbald fanden die erschöpften
Truppen in regelloser Flucht ihre Kräfte wieder; unaufhaltsam rasten sie davon:
kein englischer Beschönigungsversuch kann diese Thatsache aus der Welt schaffen.
Was nutzte es, daß General Gataere bei dieser Gelegenheit vielleicht einen
feigen Mord beging? In der II. 8. 6. vom 13. Januar ist zu lesen: „Ich
habe einen Brief eingesehen, der vollauf das Gerücht bestätigt, wonach sich
General Gataere, als er die Falle erkannte, umdrehte, den Führer Schuft
nannte und ihn niederschoß." Ohne Verhör, ohne Gewißheit, einen vielleicht
unschuldigen Mann! Die II. 3. 6. bemerkt dazu: „Jener hatte es gewiß ver¬
dient, aber das war eine recht summarische Abstrafung, General Gataere!"
Wir aber fragen: Stehn englische Generale außerhalb der Strafgesetze? Der
Verlust der Engländer vor Stormberg betrug nach ihrer eignen Angabe:
22 Mann tot, 4 Offiziere, 56 Mann verwundet, 596 Mann vermißt, das
heißt gefangen. Die Buren geben die Zahl der englischen Gefangnen auf
9 Offiziere, 672 Mann an, und den eignen Verlust auf 4 Tote, 9 Verwundete.
Diese geringen Opfer brachten ihnen außer Gatacres schmählicher Niederlage
noch einen andern Gewinn: die Verstärkung durch 5000 bis 8000 Afrikcmder,
die jetzt den Mut zur offnen Schilderhebung für die Stammesgenossen fanden.
General Gataere mußte fortan seine Vortruppen dort aufstellen, wo vordem
seine Hauptmacht gestanden hatte, und so ist es — seit dem 10. Dezember
1899! — geblieben, bis in der ersten Hälfte des März 1900 der Vormarsch
des Lord Roberts auf Bloemfoutein die südlich vom Oranjeflusse kämpfenden
Buren nach Norden rief.

Um einen Tag später — am 11. Dezember — erhielt ein andrer General,
Lord Methuen, einen noch schwerern Schlag aufs Haupt, der ihn für zwei
Monate an dieselbe Stelle bannte. Am 22. November trat er vom Orcmje-
fluß-Bcchnhof aus seinen „Siegeszug" zur Entsetzung von Kimberley an. Wie
sehr diese Unternehmung den Grundsätzen einer vernünftigen Kriegführung Hohn
spricht, wird an einer andern Stelle erörtert werden.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0294" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290705"/>
          <fw type="header" place="top"> Militärische Randglossen zum Burenkriege</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1117" prev="#ID_1116"> Enden abgeschnitten &#x2014; glücklich erreicht haben, im raschen Ansturm genommen<lb/>
wird! Ja, wenn die bösen Buren, die gewaltigen Geländeschwierigkeiten und<lb/>
die unbesieglichen Entfernungen nicht wären: Dinge, die sich aus den üblichen<lb/>
Übersichtskarten Südafrikas nicht recht ersehen lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1118"> Was nun den General Gataere bewogen hat, trotz unzulänglicher Kampf¬<lb/>
mittel am 9. Dezember teilweise unter Benutzung der Eisenbahn einen Hand¬<lb/>
streich auf das 53 Kilometer entfernte Stormberg &#x2014; den Einmündungspunkt<lb/>
der Verbindungsbahn Rosmead Junction - Stormberg Junction in die Linie<lb/>
Queenstown-Springfontein &#x2014; zu unternehmen, ist noch nicht klar. Hat nur ehr¬<lb/>
geiziger Thatendrang ihn vorwärts getrieben? Ist er dnrch mangelhafte<lb/>
Karten &#x2014; darüber später ein besondres Kapitel &#x2014; oder durch falsche Mel¬<lb/>
dungen irre geführt worden? Genug, er zog aus, mutete den Truppen (er<lb/>
gilt für so etwas wie Leuteschinder) außerordentliche Anstrengungen zu und<lb/>
geriet dicht vor dem Bahnhofe Stormberg am 10. Dezember früh mit seinen<lb/>
paar tausend Mann in eine regelrechte Falle. Alsbald fanden die erschöpften<lb/>
Truppen in regelloser Flucht ihre Kräfte wieder; unaufhaltsam rasten sie davon:<lb/>
kein englischer Beschönigungsversuch kann diese Thatsache aus der Welt schaffen.<lb/>
Was nutzte es, daß General Gataere bei dieser Gelegenheit vielleicht einen<lb/>
feigen Mord beging? In der II. 8. 6. vom 13. Januar ist zu lesen: &#x201E;Ich<lb/>
habe einen Brief eingesehen, der vollauf das Gerücht bestätigt, wonach sich<lb/>
General Gataere, als er die Falle erkannte, umdrehte, den Führer Schuft<lb/>
nannte und ihn niederschoß." Ohne Verhör, ohne Gewißheit, einen vielleicht<lb/>
unschuldigen Mann! Die II. 3. 6. bemerkt dazu: &#x201E;Jener hatte es gewiß ver¬<lb/>
dient, aber das war eine recht summarische Abstrafung, General Gataere!"<lb/>
Wir aber fragen: Stehn englische Generale außerhalb der Strafgesetze? Der<lb/>
Verlust der Engländer vor Stormberg betrug nach ihrer eignen Angabe:<lb/>
22 Mann tot, 4 Offiziere, 56 Mann verwundet, 596 Mann vermißt, das<lb/>
heißt gefangen. Die Buren geben die Zahl der englischen Gefangnen auf<lb/>
9 Offiziere, 672 Mann an, und den eignen Verlust auf 4 Tote, 9 Verwundete.<lb/>
Diese geringen Opfer brachten ihnen außer Gatacres schmählicher Niederlage<lb/>
noch einen andern Gewinn: die Verstärkung durch 5000 bis 8000 Afrikcmder,<lb/>
die jetzt den Mut zur offnen Schilderhebung für die Stammesgenossen fanden.<lb/>
General Gataere mußte fortan seine Vortruppen dort aufstellen, wo vordem<lb/>
seine Hauptmacht gestanden hatte, und so ist es &#x2014; seit dem 10. Dezember<lb/>
1899! &#x2014; geblieben, bis in der ersten Hälfte des März 1900 der Vormarsch<lb/>
des Lord Roberts auf Bloemfoutein die südlich vom Oranjeflusse kämpfenden<lb/>
Buren nach Norden rief.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1119"> Um einen Tag später &#x2014; am 11. Dezember &#x2014; erhielt ein andrer General,<lb/>
Lord Methuen, einen noch schwerern Schlag aufs Haupt, der ihn für zwei<lb/>
Monate an dieselbe Stelle bannte. Am 22. November trat er vom Orcmje-<lb/>
fluß-Bcchnhof aus seinen &#x201E;Siegeszug" zur Entsetzung von Kimberley an. Wie<lb/>
sehr diese Unternehmung den Grundsätzen einer vernünftigen Kriegführung Hohn<lb/>
spricht, wird an einer andern Stelle erörtert werden.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0294] Militärische Randglossen zum Burenkriege Enden abgeschnitten — glücklich erreicht haben, im raschen Ansturm genommen wird! Ja, wenn die bösen Buren, die gewaltigen Geländeschwierigkeiten und die unbesieglichen Entfernungen nicht wären: Dinge, die sich aus den üblichen Übersichtskarten Südafrikas nicht recht ersehen lassen. Was nun den General Gataere bewogen hat, trotz unzulänglicher Kampf¬ mittel am 9. Dezember teilweise unter Benutzung der Eisenbahn einen Hand¬ streich auf das 53 Kilometer entfernte Stormberg — den Einmündungspunkt der Verbindungsbahn Rosmead Junction - Stormberg Junction in die Linie Queenstown-Springfontein — zu unternehmen, ist noch nicht klar. Hat nur ehr¬ geiziger Thatendrang ihn vorwärts getrieben? Ist er dnrch mangelhafte Karten — darüber später ein besondres Kapitel — oder durch falsche Mel¬ dungen irre geführt worden? Genug, er zog aus, mutete den Truppen (er gilt für so etwas wie Leuteschinder) außerordentliche Anstrengungen zu und geriet dicht vor dem Bahnhofe Stormberg am 10. Dezember früh mit seinen paar tausend Mann in eine regelrechte Falle. Alsbald fanden die erschöpften Truppen in regelloser Flucht ihre Kräfte wieder; unaufhaltsam rasten sie davon: kein englischer Beschönigungsversuch kann diese Thatsache aus der Welt schaffen. Was nutzte es, daß General Gataere bei dieser Gelegenheit vielleicht einen feigen Mord beging? In der II. 8. 6. vom 13. Januar ist zu lesen: „Ich habe einen Brief eingesehen, der vollauf das Gerücht bestätigt, wonach sich General Gataere, als er die Falle erkannte, umdrehte, den Führer Schuft nannte und ihn niederschoß." Ohne Verhör, ohne Gewißheit, einen vielleicht unschuldigen Mann! Die II. 3. 6. bemerkt dazu: „Jener hatte es gewiß ver¬ dient, aber das war eine recht summarische Abstrafung, General Gataere!" Wir aber fragen: Stehn englische Generale außerhalb der Strafgesetze? Der Verlust der Engländer vor Stormberg betrug nach ihrer eignen Angabe: 22 Mann tot, 4 Offiziere, 56 Mann verwundet, 596 Mann vermißt, das heißt gefangen. Die Buren geben die Zahl der englischen Gefangnen auf 9 Offiziere, 672 Mann an, und den eignen Verlust auf 4 Tote, 9 Verwundete. Diese geringen Opfer brachten ihnen außer Gatacres schmählicher Niederlage noch einen andern Gewinn: die Verstärkung durch 5000 bis 8000 Afrikcmder, die jetzt den Mut zur offnen Schilderhebung für die Stammesgenossen fanden. General Gataere mußte fortan seine Vortruppen dort aufstellen, wo vordem seine Hauptmacht gestanden hatte, und so ist es — seit dem 10. Dezember 1899! — geblieben, bis in der ersten Hälfte des März 1900 der Vormarsch des Lord Roberts auf Bloemfoutein die südlich vom Oranjeflusse kämpfenden Buren nach Norden rief. Um einen Tag später — am 11. Dezember — erhielt ein andrer General, Lord Methuen, einen noch schwerern Schlag aufs Haupt, der ihn für zwei Monate an dieselbe Stelle bannte. Am 22. November trat er vom Orcmje- fluß-Bcchnhof aus seinen „Siegeszug" zur Entsetzung von Kimberley an. Wie sehr diese Unternehmung den Grundsätzen einer vernünftigen Kriegführung Hohn spricht, wird an einer andern Stelle erörtert werden.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/294
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/294>, abgerufen am 22.07.2024.