Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.Erdboden Haben hunderttausend Mark im Kasten denselben sittlichen Wert wie em Land¬ Auch der Geizhals liebt seinen Besitz; aber niemals hat man den einen "^Man hört oft sagen, wir brauchten einen kräftigen Bauernstand. Daß Erdboden Haben hunderttausend Mark im Kasten denselben sittlichen Wert wie em Land¬ Auch der Geizhals liebt seinen Besitz; aber niemals hat man den einen „^Man hört oft sagen, wir brauchten einen kräftigen Bauernstand. Daß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0275" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290686"/> <fw type="header" place="top"> Erdboden</fw><lb/> <p xml:id="ID_1056" prev="#ID_1055"> Haben hunderttausend Mark im Kasten denselben sittlichen Wert wie em Land¬<lb/> gut? Unsre nach Erwerb gierige Zeit vergißt im Eifer nur zu tende dre Be¬<lb/> deutung der Imponderabilien im Volksleben. Die Ertrüge steigern, alle Kräfte<lb/> des Menschen wie des Landes aufs äußerste ausbilden und ausnutzen, das<lb/> ist das Ziel des nationnlökononnschen Ehrgeizes. Aber es ist nicht der ganze<lb/> Zweck des Volkslebens, und deshalb geht ein Volk einen Irrweg, wenn es<lb/> sich auf die Bahnen des ausschließlichen oder zu sehr vorherrschenden Erwerbs<lb/> leiten läßt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1057"> Auch der Geizhals liebt seinen Besitz; aber niemals hat man den einen<lb/> Geizhals genannt, der seinen Landbesitz liebte. Der Geizhals liebt sem Geld,<lb/> sein Papier oder sein Gold, er sitzt über seinem Kasten, er zittert sür ihn, er<lb/> dient ihm, er hungert, er stirbt im Hunger für ihn. Und noch hat nun. steh<lb/> immer mit Verachtung. mit Ekel von dem Manne gewandt, der doch sem volles<lb/> Empfinden, seine ganze Leidenschaft diesem Besitz zuwandte. Darf man neben<lb/> ihm den Bauern nennen, der seinen Acker bestellte, während in seinem Hause<lb/> der Hammer des Auktionators diesen selben Acker dem Wucherer zuschlug, und<lb/> der sich dann lieber erhenken. als daß er seinen Erdboden verließ? Oder den<lb/> Edelmann, der zusammenbricht, weil er von der Scholle muß. worauf er durch<lb/> mele Jahre von früh bis spät gesorgt und geordnet hat, worauf Eltern und<lb/> Voreltern gesessen haben? Und wenn auch dieser lieber das Leben laßt als<lb/> den BesiK - entblößt man nicht trotz allem im stillen wenigstens das Haupt<lb/> vor diesem Bauer und diesem Edelmann? Warum wohl? Eben weil s,e durch<lb/> ewe tief sittliche Leidenschaft zu einem Geschick von höchster Tragik geführt<lb/> wurden. Darf man neben ihnen den andern Mann nennen, der doch auch<lb/> nur von der Leidenschaft für seinen Besitz erfüllt war und Mi ehr /u Grund<lb/> Mg? Und wenn nicht, was macht denn den gewaltigen Unterschied wenn<lb/> nicht die Natur des Besitzes? Der Geldkasten ist eben nicht der Erdboden,<lb/> die Liebe zu ihm verengt, erniedrigt, die Liebe zu diesem kräftigt erhöht. la<lb/> veredelt den Menschen. Beide hängen mit allen Fasern der Seele an ihrem<lb/> Besitz, aber den Mann, der nie jemand um einen Heller betrog und zuletzt<lb/> über seinem Golde verhungerte, nennt man mit Abscheu; und dem Manne, der<lb/> dem Nachbar heimlich einige Quadratruten Laud abpflügte und zuletzt steh er-<lb/> henkte, weil er vom Besitz weg mußte, widmet man tiefe Teilnahme. Das ^wuner und überall so gewesen bei seßhaften Völkern; wer aber davon meh s<lb/> versteht, der will uus klar machen, es sei das ein eitles Vorurteil, denn im<lb/> Grunde sei es ja doch nnr die heftige und berechtigte Liebe zu Vermögen und<lb/> Besitz, was beide in den Tod trieb, und dabei komme es auf Art und Natur<lb/> des Besitzes gar nicht an. Das ist die Weisheit des Jobbers oder des<lb/> Wucherers, der den Bauern aus seinem Besitz getrieben hat. oder - eines<lb/> falschen Propheten. . </p><lb/> <p xml:id="ID_1058" next="#ID_1059"> „^Man hört oft sagen, wir brauchten einen kräftigen Bauernstand. Daß<lb/> em kräftiger Landedelmann ein ebenso nützlicher Staatsbürger sei vergiß man<lb/> hinzuzufügen oder leugnet man. und doch ist es so. Kräftig und nützlich s</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0275]
Erdboden
Haben hunderttausend Mark im Kasten denselben sittlichen Wert wie em Land¬
gut? Unsre nach Erwerb gierige Zeit vergißt im Eifer nur zu tende dre Be¬
deutung der Imponderabilien im Volksleben. Die Ertrüge steigern, alle Kräfte
des Menschen wie des Landes aufs äußerste ausbilden und ausnutzen, das
ist das Ziel des nationnlökononnschen Ehrgeizes. Aber es ist nicht der ganze
Zweck des Volkslebens, und deshalb geht ein Volk einen Irrweg, wenn es
sich auf die Bahnen des ausschließlichen oder zu sehr vorherrschenden Erwerbs
leiten läßt.
Auch der Geizhals liebt seinen Besitz; aber niemals hat man den einen
Geizhals genannt, der seinen Landbesitz liebte. Der Geizhals liebt sem Geld,
sein Papier oder sein Gold, er sitzt über seinem Kasten, er zittert sür ihn, er
dient ihm, er hungert, er stirbt im Hunger für ihn. Und noch hat nun. steh
immer mit Verachtung. mit Ekel von dem Manne gewandt, der doch sem volles
Empfinden, seine ganze Leidenschaft diesem Besitz zuwandte. Darf man neben
ihm den Bauern nennen, der seinen Acker bestellte, während in seinem Hause
der Hammer des Auktionators diesen selben Acker dem Wucherer zuschlug, und
der sich dann lieber erhenken. als daß er seinen Erdboden verließ? Oder den
Edelmann, der zusammenbricht, weil er von der Scholle muß. worauf er durch
mele Jahre von früh bis spät gesorgt und geordnet hat, worauf Eltern und
Voreltern gesessen haben? Und wenn auch dieser lieber das Leben laßt als
den BesiK - entblößt man nicht trotz allem im stillen wenigstens das Haupt
vor diesem Bauer und diesem Edelmann? Warum wohl? Eben weil s,e durch
ewe tief sittliche Leidenschaft zu einem Geschick von höchster Tragik geführt
wurden. Darf man neben ihnen den andern Mann nennen, der doch auch
nur von der Leidenschaft für seinen Besitz erfüllt war und Mi ehr /u Grund
Mg? Und wenn nicht, was macht denn den gewaltigen Unterschied wenn
nicht die Natur des Besitzes? Der Geldkasten ist eben nicht der Erdboden,
die Liebe zu ihm verengt, erniedrigt, die Liebe zu diesem kräftigt erhöht. la
veredelt den Menschen. Beide hängen mit allen Fasern der Seele an ihrem
Besitz, aber den Mann, der nie jemand um einen Heller betrog und zuletzt
über seinem Golde verhungerte, nennt man mit Abscheu; und dem Manne, der
dem Nachbar heimlich einige Quadratruten Laud abpflügte und zuletzt steh er-
henkte, weil er vom Besitz weg mußte, widmet man tiefe Teilnahme. Das ^wuner und überall so gewesen bei seßhaften Völkern; wer aber davon meh s
versteht, der will uus klar machen, es sei das ein eitles Vorurteil, denn im
Grunde sei es ja doch nnr die heftige und berechtigte Liebe zu Vermögen und
Besitz, was beide in den Tod trieb, und dabei komme es auf Art und Natur
des Besitzes gar nicht an. Das ist die Weisheit des Jobbers oder des
Wucherers, der den Bauern aus seinem Besitz getrieben hat. oder - eines
falschen Propheten. .
„^Man hört oft sagen, wir brauchten einen kräftigen Bauernstand. Daß
em kräftiger Landedelmann ein ebenso nützlicher Staatsbürger sei vergiß man
hinzuzufügen oder leugnet man. und doch ist es so. Kräftig und nützlich s
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