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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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ahmung einer UnVollkommenheit äußerlich ähnlich zu werden. Den Haupt¬
eindruck macht nämlich eine höchst interessante Illustration durch gute Zink¬
ätzungen nach alten Holzschnitten und Kupferstichen, deren Bestimmung und
Anordnung, wie vor jedem Baude bemerkt wird, durch die Verlagshandlung
geschah. Infolge dessen gehn die Bilder selbständig neben dem Texte her, sie
erläutern ihn manchmal ganz im allgemeinen oder auch mit einem einzelnen
Teile des auf ihnen Dargestellten, aber er nimmt auf sie gar keine Rücksicht.
Das ist schade. Wer z. B. wissen möchte, was auf einem Kupferstich von
Hopser zwei neben dem "reichen Kaufmann" abgebildete Figuren bedeuten sollen,
wird danach vergebens suchen, und wer in dem Soldatcuband neben einander
drei von den Franzosen im Jahre 1689 in Brand gesteckte Städte, Heidelberg,
Speier und Worms, in gleichzeitigen Kupferstichen nicht ohne Bewegung be¬
trachtet hat und nun auch etwas darüber lesen will, findet nichts. Nun macht
sich aber die Illustration dem Text gegenüber nicht bloß durch ihre erdrückende
Menge geltend (sechs oder sieben Darstellungen von Geldwechslern und ebenso
viele von Ärzten, die ihr ominöses Glas in die Luft halten, wo eine genügt
hätte), sie ist auch das an sich Wertvollere und vor allem das Anziehende.
Jeder wird wahrscheinlich bei den Bildern anfangen, und nur wenige werde"
den Text überhaupt zu Ende lesen, nicht einmal die betreffenden Fachgenossen.
Das Arztbuch wird von Medizinern gelesen werden, weil unter diesen viel
Interesse für die Geschichte ihres Fachs zu finden ist; die Kaufleute, die den
Kaufmannsband durchlesen, werden zu zählen sein, obwohl er besonders an¬
ziehend geschrieben ist. Der Verleger wird am Schluß das ganze Abbildungs¬
material in einem kunstwissenschaftlicher Handbuch behandeln lassen. Vielleicht
hätte er es besser von vornherein, wie Hirth in seinen Bilderbüchern, für sich
wirken oder doch als Hauptsache hervortreten lassen, begleitet von einem haupt¬
sächlich erklärenden Texte. Vielleicht sind dies aber auch ganz unnötige Be¬
sorgnisse, denn die Verbindung von Bild und gedruckten Worte, die einander
nichts eingehn, ist ja heute hochmodern, und hoffentlich werden diese für das,
was sie enthalten, sehr wohlfeilen Bände (vier Mark) den verdienten äußern
Erfolg haben.

Von den Zeitschriften, über die die Grenzboten ihren Lesern Mitteilungen
zu machen pflegten, ist ihnen die bei Bruckmann in München herausgekommne
"Dekorative Kunst" nicht mehr zugegangen, vielleicht besteht sie nicht mehr.
Das "Ver Sacrum," das Organ der Vereinigung bildender Künstler Öster¬
reichs, hat in den zwölf Heften seines zweiten Jahrgangs (des ersten, der in
Leipzig bei Seemann erschienen ist) sehr viel Hübsches gebracht, allerdings auch
manches, was nur für den Kenner verständlich ist, wie die von Linien um¬
kreisten Figurenzeichnnngen und Gedichte Ernst Stöhrs im Schlußheft. Der
Inhalt dieses Bandes ist reich (Architektur, Dekoration, reproduktive Kunst und
Skizzen) und die Ausstattung sehr besonders, er enthält auch vieles, was Lieb¬
haberkünstler verwerten können, und verdient als Ganzes etwas mehr als die
sogenannte Beachtung, nämlich einen Platz im Büchergestell wenigstens für
einige Jahre (fünfzehn Mark). Er ist ein Unikum, denn die Vereinigung wird,


ahmung einer UnVollkommenheit äußerlich ähnlich zu werden. Den Haupt¬
eindruck macht nämlich eine höchst interessante Illustration durch gute Zink¬
ätzungen nach alten Holzschnitten und Kupferstichen, deren Bestimmung und
Anordnung, wie vor jedem Baude bemerkt wird, durch die Verlagshandlung
geschah. Infolge dessen gehn die Bilder selbständig neben dem Texte her, sie
erläutern ihn manchmal ganz im allgemeinen oder auch mit einem einzelnen
Teile des auf ihnen Dargestellten, aber er nimmt auf sie gar keine Rücksicht.
Das ist schade. Wer z. B. wissen möchte, was auf einem Kupferstich von
Hopser zwei neben dem „reichen Kaufmann" abgebildete Figuren bedeuten sollen,
wird danach vergebens suchen, und wer in dem Soldatcuband neben einander
drei von den Franzosen im Jahre 1689 in Brand gesteckte Städte, Heidelberg,
Speier und Worms, in gleichzeitigen Kupferstichen nicht ohne Bewegung be¬
trachtet hat und nun auch etwas darüber lesen will, findet nichts. Nun macht
sich aber die Illustration dem Text gegenüber nicht bloß durch ihre erdrückende
Menge geltend (sechs oder sieben Darstellungen von Geldwechslern und ebenso
viele von Ärzten, die ihr ominöses Glas in die Luft halten, wo eine genügt
hätte), sie ist auch das an sich Wertvollere und vor allem das Anziehende.
Jeder wird wahrscheinlich bei den Bildern anfangen, und nur wenige werde»
den Text überhaupt zu Ende lesen, nicht einmal die betreffenden Fachgenossen.
Das Arztbuch wird von Medizinern gelesen werden, weil unter diesen viel
Interesse für die Geschichte ihres Fachs zu finden ist; die Kaufleute, die den
Kaufmannsband durchlesen, werden zu zählen sein, obwohl er besonders an¬
ziehend geschrieben ist. Der Verleger wird am Schluß das ganze Abbildungs¬
material in einem kunstwissenschaftlicher Handbuch behandeln lassen. Vielleicht
hätte er es besser von vornherein, wie Hirth in seinen Bilderbüchern, für sich
wirken oder doch als Hauptsache hervortreten lassen, begleitet von einem haupt¬
sächlich erklärenden Texte. Vielleicht sind dies aber auch ganz unnötige Be¬
sorgnisse, denn die Verbindung von Bild und gedruckten Worte, die einander
nichts eingehn, ist ja heute hochmodern, und hoffentlich werden diese für das,
was sie enthalten, sehr wohlfeilen Bände (vier Mark) den verdienten äußern
Erfolg haben.

Von den Zeitschriften, über die die Grenzboten ihren Lesern Mitteilungen
zu machen pflegten, ist ihnen die bei Bruckmann in München herausgekommne
„Dekorative Kunst" nicht mehr zugegangen, vielleicht besteht sie nicht mehr.
Das „Ver Sacrum," das Organ der Vereinigung bildender Künstler Öster¬
reichs, hat in den zwölf Heften seines zweiten Jahrgangs (des ersten, der in
Leipzig bei Seemann erschienen ist) sehr viel Hübsches gebracht, allerdings auch
manches, was nur für den Kenner verständlich ist, wie die von Linien um¬
kreisten Figurenzeichnnngen und Gedichte Ernst Stöhrs im Schlußheft. Der
Inhalt dieses Bandes ist reich (Architektur, Dekoration, reproduktive Kunst und
Skizzen) und die Ausstattung sehr besonders, er enthält auch vieles, was Lieb¬
haberkünstler verwerten können, und verdient als Ganzes etwas mehr als die
sogenannte Beachtung, nämlich einen Platz im Büchergestell wenigstens für
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[0260] ahmung einer UnVollkommenheit äußerlich ähnlich zu werden. Den Haupt¬ eindruck macht nämlich eine höchst interessante Illustration durch gute Zink¬ ätzungen nach alten Holzschnitten und Kupferstichen, deren Bestimmung und Anordnung, wie vor jedem Baude bemerkt wird, durch die Verlagshandlung geschah. Infolge dessen gehn die Bilder selbständig neben dem Texte her, sie erläutern ihn manchmal ganz im allgemeinen oder auch mit einem einzelnen Teile des auf ihnen Dargestellten, aber er nimmt auf sie gar keine Rücksicht. Das ist schade. Wer z. B. wissen möchte, was auf einem Kupferstich von Hopser zwei neben dem „reichen Kaufmann" abgebildete Figuren bedeuten sollen, wird danach vergebens suchen, und wer in dem Soldatcuband neben einander drei von den Franzosen im Jahre 1689 in Brand gesteckte Städte, Heidelberg, Speier und Worms, in gleichzeitigen Kupferstichen nicht ohne Bewegung be¬ trachtet hat und nun auch etwas darüber lesen will, findet nichts. Nun macht sich aber die Illustration dem Text gegenüber nicht bloß durch ihre erdrückende Menge geltend (sechs oder sieben Darstellungen von Geldwechslern und ebenso viele von Ärzten, die ihr ominöses Glas in die Luft halten, wo eine genügt hätte), sie ist auch das an sich Wertvollere und vor allem das Anziehende. Jeder wird wahrscheinlich bei den Bildern anfangen, und nur wenige werde» den Text überhaupt zu Ende lesen, nicht einmal die betreffenden Fachgenossen. Das Arztbuch wird von Medizinern gelesen werden, weil unter diesen viel Interesse für die Geschichte ihres Fachs zu finden ist; die Kaufleute, die den Kaufmannsband durchlesen, werden zu zählen sein, obwohl er besonders an¬ ziehend geschrieben ist. Der Verleger wird am Schluß das ganze Abbildungs¬ material in einem kunstwissenschaftlicher Handbuch behandeln lassen. Vielleicht hätte er es besser von vornherein, wie Hirth in seinen Bilderbüchern, für sich wirken oder doch als Hauptsache hervortreten lassen, begleitet von einem haupt¬ sächlich erklärenden Texte. Vielleicht sind dies aber auch ganz unnötige Be¬ sorgnisse, denn die Verbindung von Bild und gedruckten Worte, die einander nichts eingehn, ist ja heute hochmodern, und hoffentlich werden diese für das, was sie enthalten, sehr wohlfeilen Bände (vier Mark) den verdienten äußern Erfolg haben. Von den Zeitschriften, über die die Grenzboten ihren Lesern Mitteilungen zu machen pflegten, ist ihnen die bei Bruckmann in München herausgekommne „Dekorative Kunst" nicht mehr zugegangen, vielleicht besteht sie nicht mehr. Das „Ver Sacrum," das Organ der Vereinigung bildender Künstler Öster¬ reichs, hat in den zwölf Heften seines zweiten Jahrgangs (des ersten, der in Leipzig bei Seemann erschienen ist) sehr viel Hübsches gebracht, allerdings auch manches, was nur für den Kenner verständlich ist, wie die von Linien um¬ kreisten Figurenzeichnnngen und Gedichte Ernst Stöhrs im Schlußheft. Der Inhalt dieses Bandes ist reich (Architektur, Dekoration, reproduktive Kunst und Skizzen) und die Ausstattung sehr besonders, er enthält auch vieles, was Lieb¬ haberkünstler verwerten können, und verdient als Ganzes etwas mehr als die sogenannte Beachtung, nämlich einen Platz im Büchergestell wenigstens für einige Jahre (fünfzehn Mark). Er ist ein Unikum, denn die Vereinigung wird,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/260>, abgerufen am 03.07.2024.