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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Tntwicklung und Fortschritt, Zivilisation und Kultur

Gelehrten aber vertieften sich nicht in romanische Altertümer, sondern in die
ältere deutsche Dichtkunst, in die alten deutschen Lieder, Märchen und Sagen.
Das nationale, germanische Element war es also hauptsächlich, Mas die roman¬
tische Schule kennzeichnete, nicht etwas spezifisch Katholisches und am wenigsten
etwas Neukatholisches. Insofern konnte auch die romantische Schule der rö¬
mischen Kurie und den Jesuiten nicht zusagen und fanden sich mehrere deutsche
Romantiker, die konvertierten, in der katholischen Welt nicht wenig getäuscht,
deun Rom haßte und verspottete alles Gotische und pflegte nur den Jesniten-
zvpf gleichsam als abendländischer Chinese. Als Jüngling in die patriotische
Begeisterung des Jahres 1813 fortgerissen, hing ich natürlicherweise auch mit
Vorliebe der romantischen Schule an, aber nur so weit sie das gotische Element
Pflegte und in Verbindung mit den altdeutschen Studien. Der neurömische
Kultus imponierte mir nicht. . . . Meine geschichtlichen Studien führten mich
dahin, bald einzusehen, daß die arme deutsche Nation heillos von Rom aus
mißhandelt worden sei. ... Die große deutsche Nation hat ein nie verjährendes
Recht, den Prozeß der Reformation zu revidieren, und wenn sie erst zur Ein-
sicht der Ursachen öder Glaubensspaltungj gekommen ist, auch die Wirkuug ver¬
schwinden zu machen. Kommt es einmal dazu, so wird sie auch wohl zu der
Einsicht gelange,:, daß es ihr auf eine allgemeine Reform der Kirche auf dem
ganzen Erdenrunde nicht ankommen darf, daß sie in konfessioneller Beziehung
weder einer andern Nation einen Zwang anthun, noch sich selbst von einer
andern einen Zwang gefallen lassen soll. Uniformitüt des Glaubens ist noch
niemals erreicht worden/weil die großen Rassen der Menschen und innerhalb
derselben auch wieder die Hauptnationen jede eine andre angeborne und zum
Teil auch durch das Klima bedingte konstante Volksart behalten, die sich zum
Licht der christlichen Offenbarung wie gefärbte Gläser verhalten----Je weiter
ich über die religiösen Dinge geforscht habe, umso mehr ist mir klar geworden,
daß die kirchlichen Parteien in unserm geliebten Vaterlande allesamt Unrecht
gethan haben, den geschichtlichen Faden christlich germanischer Entwicklung ab¬
zureißen. . . . Die Deutschen siud vou Anfang an dem wahren evangelischen
Christentum treuer geblieben als Griechen und Römer. . . . Christus hat den
Menschen nicht als ein passives Wesen genommen, das die Priester nach alt-
üghptischer Art mit unzähligen Geboten und Verboten einschnüren und ein¬
schachteln sollten usw." Zu den Katholiken, mit denen Menzel verkehrte, ge¬
hörte auch Montalambert; an diesem bewunderte er "das tiefe Verständnis des
Mittelalters und die innige Durchdringung des christlichen und germanischen
Geistes." Aber er nahm es ihm sehr übel, als er einmal "am deutschen Volke
den Vorzug der Geistigkeit und Wissenschaftlichkeit rühmte, der ihm den Mangel
ein Praktische., Tugenden und Fähigkeiten reichlich ersetze. Das habe ich nie¬
mals gelten lassen. Das große Volk Odins war das praktischste in der Welt
und wurde auch durch das Christentum keineswegs abgeschwächt oder dem prak¬
tischen Leben entfremdet, sondern entfaltete gerade erst im christlichen Mittel-
alter seine ganze nationale Kraft als das herrschende Volk in Europa. Erst
in neuerer Zeit hat uns die Büreaukratie und die Schule abgestumpft. Wenn


Tntwicklung und Fortschritt, Zivilisation und Kultur

Gelehrten aber vertieften sich nicht in romanische Altertümer, sondern in die
ältere deutsche Dichtkunst, in die alten deutschen Lieder, Märchen und Sagen.
Das nationale, germanische Element war es also hauptsächlich, Mas die roman¬
tische Schule kennzeichnete, nicht etwas spezifisch Katholisches und am wenigsten
etwas Neukatholisches. Insofern konnte auch die romantische Schule der rö¬
mischen Kurie und den Jesuiten nicht zusagen und fanden sich mehrere deutsche
Romantiker, die konvertierten, in der katholischen Welt nicht wenig getäuscht,
deun Rom haßte und verspottete alles Gotische und pflegte nur den Jesniten-
zvpf gleichsam als abendländischer Chinese. Als Jüngling in die patriotische
Begeisterung des Jahres 1813 fortgerissen, hing ich natürlicherweise auch mit
Vorliebe der romantischen Schule an, aber nur so weit sie das gotische Element
Pflegte und in Verbindung mit den altdeutschen Studien. Der neurömische
Kultus imponierte mir nicht. . . . Meine geschichtlichen Studien führten mich
dahin, bald einzusehen, daß die arme deutsche Nation heillos von Rom aus
mißhandelt worden sei. ... Die große deutsche Nation hat ein nie verjährendes
Recht, den Prozeß der Reformation zu revidieren, und wenn sie erst zur Ein-
sicht der Ursachen öder Glaubensspaltungj gekommen ist, auch die Wirkuug ver¬
schwinden zu machen. Kommt es einmal dazu, so wird sie auch wohl zu der
Einsicht gelange,:, daß es ihr auf eine allgemeine Reform der Kirche auf dem
ganzen Erdenrunde nicht ankommen darf, daß sie in konfessioneller Beziehung
weder einer andern Nation einen Zwang anthun, noch sich selbst von einer
andern einen Zwang gefallen lassen soll. Uniformitüt des Glaubens ist noch
niemals erreicht worden/weil die großen Rassen der Menschen und innerhalb
derselben auch wieder die Hauptnationen jede eine andre angeborne und zum
Teil auch durch das Klima bedingte konstante Volksart behalten, die sich zum
Licht der christlichen Offenbarung wie gefärbte Gläser verhalten----Je weiter
ich über die religiösen Dinge geforscht habe, umso mehr ist mir klar geworden,
daß die kirchlichen Parteien in unserm geliebten Vaterlande allesamt Unrecht
gethan haben, den geschichtlichen Faden christlich germanischer Entwicklung ab¬
zureißen. . . . Die Deutschen siud vou Anfang an dem wahren evangelischen
Christentum treuer geblieben als Griechen und Römer. . . . Christus hat den
Menschen nicht als ein passives Wesen genommen, das die Priester nach alt-
üghptischer Art mit unzähligen Geboten und Verboten einschnüren und ein¬
schachteln sollten usw." Zu den Katholiken, mit denen Menzel verkehrte, ge¬
hörte auch Montalambert; an diesem bewunderte er „das tiefe Verständnis des
Mittelalters und die innige Durchdringung des christlichen und germanischen
Geistes." Aber er nahm es ihm sehr übel, als er einmal „am deutschen Volke
den Vorzug der Geistigkeit und Wissenschaftlichkeit rühmte, der ihm den Mangel
ein Praktische., Tugenden und Fähigkeiten reichlich ersetze. Das habe ich nie¬
mals gelten lassen. Das große Volk Odins war das praktischste in der Welt
und wurde auch durch das Christentum keineswegs abgeschwächt oder dem prak¬
tischen Leben entfremdet, sondern entfaltete gerade erst im christlichen Mittel-
alter seine ganze nationale Kraft als das herrschende Volk in Europa. Erst
in neuerer Zeit hat uns die Büreaukratie und die Schule abgestumpft. Wenn


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[0255] Tntwicklung und Fortschritt, Zivilisation und Kultur Gelehrten aber vertieften sich nicht in romanische Altertümer, sondern in die ältere deutsche Dichtkunst, in die alten deutschen Lieder, Märchen und Sagen. Das nationale, germanische Element war es also hauptsächlich, Mas die roman¬ tische Schule kennzeichnete, nicht etwas spezifisch Katholisches und am wenigsten etwas Neukatholisches. Insofern konnte auch die romantische Schule der rö¬ mischen Kurie und den Jesuiten nicht zusagen und fanden sich mehrere deutsche Romantiker, die konvertierten, in der katholischen Welt nicht wenig getäuscht, deun Rom haßte und verspottete alles Gotische und pflegte nur den Jesniten- zvpf gleichsam als abendländischer Chinese. Als Jüngling in die patriotische Begeisterung des Jahres 1813 fortgerissen, hing ich natürlicherweise auch mit Vorliebe der romantischen Schule an, aber nur so weit sie das gotische Element Pflegte und in Verbindung mit den altdeutschen Studien. Der neurömische Kultus imponierte mir nicht. . . . Meine geschichtlichen Studien führten mich dahin, bald einzusehen, daß die arme deutsche Nation heillos von Rom aus mißhandelt worden sei. ... Die große deutsche Nation hat ein nie verjährendes Recht, den Prozeß der Reformation zu revidieren, und wenn sie erst zur Ein- sicht der Ursachen öder Glaubensspaltungj gekommen ist, auch die Wirkuug ver¬ schwinden zu machen. Kommt es einmal dazu, so wird sie auch wohl zu der Einsicht gelange,:, daß es ihr auf eine allgemeine Reform der Kirche auf dem ganzen Erdenrunde nicht ankommen darf, daß sie in konfessioneller Beziehung weder einer andern Nation einen Zwang anthun, noch sich selbst von einer andern einen Zwang gefallen lassen soll. Uniformitüt des Glaubens ist noch niemals erreicht worden/weil die großen Rassen der Menschen und innerhalb derselben auch wieder die Hauptnationen jede eine andre angeborne und zum Teil auch durch das Klima bedingte konstante Volksart behalten, die sich zum Licht der christlichen Offenbarung wie gefärbte Gläser verhalten----Je weiter ich über die religiösen Dinge geforscht habe, umso mehr ist mir klar geworden, daß die kirchlichen Parteien in unserm geliebten Vaterlande allesamt Unrecht gethan haben, den geschichtlichen Faden christlich germanischer Entwicklung ab¬ zureißen. . . . Die Deutschen siud vou Anfang an dem wahren evangelischen Christentum treuer geblieben als Griechen und Römer. . . . Christus hat den Menschen nicht als ein passives Wesen genommen, das die Priester nach alt- üghptischer Art mit unzähligen Geboten und Verboten einschnüren und ein¬ schachteln sollten usw." Zu den Katholiken, mit denen Menzel verkehrte, ge¬ hörte auch Montalambert; an diesem bewunderte er „das tiefe Verständnis des Mittelalters und die innige Durchdringung des christlichen und germanischen Geistes." Aber er nahm es ihm sehr übel, als er einmal „am deutschen Volke den Vorzug der Geistigkeit und Wissenschaftlichkeit rühmte, der ihm den Mangel ein Praktische., Tugenden und Fähigkeiten reichlich ersetze. Das habe ich nie¬ mals gelten lassen. Das große Volk Odins war das praktischste in der Welt und wurde auch durch das Christentum keineswegs abgeschwächt oder dem prak¬ tischen Leben entfremdet, sondern entfaltete gerade erst im christlichen Mittel- alter seine ganze nationale Kraft als das herrschende Volk in Europa. Erst in neuerer Zeit hat uns die Büreaukratie und die Schule abgestumpft. Wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/255>, abgerufen am 29.09.2024.