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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Schulreform in Sicht?

also die höchsten Ziele dieses Unterrichts nicht erreichen rönnen oder auch
nicht erreichen wollen, um der Masse derer willen, die vom Standpunkte des
gymnasialen Zieles aus betrachtet nur als "minderwertig," also als minder
wichtig bezeichnet werden können, sollen die Schüler, die nach diesem Ziele
streben, also der vorzugsweise zu pflegende, zu berücksichtigende Kern der
Schülerschaft sind, in dem, was bisher der Nerv des gymnasialen Unter¬
richts gewesen ist, in den klassischen Sprachen, verkürzt und aufs schwerste ge¬
schädigt werden. Denn darauf lauft die befürwortete Schulreform in der That
hinaus. Das Latein muß dann in Untertertia, also im vierten Schuljahre
statt im ersten, beginnen, das Griechische logischerweise nach der berühmten
.Abschlußprüfung" in Untersekunda, damit die Masse derer, die nur das Em-
jährigenzeugnis 'ersessen haben, nicht erst mit dieser toten, unnützen Sprache
behelligt zu werden braucht, also in Obersekunda, im siebenten statt un vierten
Schuljahre. Das Frankfurter Goethegymnasium hat allerdings den Beginn des
Griechischen nach Untersekunda verlegt, aber das ist, wie schon gesagt, ganz
unlogisch und würde sich auf die Dauer bei einer großem Ausdehnung des
.Systems" nicht halten lassen. Selbst in diesem Falle wird das Griechische
auf vier statt sechs, das Lateinische in jedem Falle auf sechs statt neun^ahre
beschränkt. Trotz dieser so sehr verkürzten Zeit soll, namentlich in der Lektüre,
dasselbe erreicht werden, was das alte humanistische Gymnasium erreicht hat. Dav
mag unter besonders günstigen Bedingungen, wie sie in Frankfurt bestehn. oder
mit einzelnen begabten jungen Leuten allenfalls möglich sein; für starke Klagen,
in denen natürlich die mittlere Begabung überwiegt, also unter den Verhält¬
nissen, wie sie an der großen Masse der deutschen Gymnasien bestehn ist es
ganz gewiß nicht möglich, oder nur zum Scheine möglich. Denn der ^orzug
des klassischen Sprachunterrichts bestand bisher gerade dann, daß der Schuler
ganz allmählich in diese reiche Formenwelt und in diese angewandte Logik der
Syntax eindrang und bis zu einem gewissen Grade darin sicher genug wurde, daß
er auf der obern Stufe auch in die größten und schwierigsten Schriftsteller ein¬
geführt werden konnte, in die also, die die bedeutendsten Erzeugnisse und Spiegel¬
bilder der antiken Kultur sind. Bringt man die Gymnasiasten nicht mehr so weit,
daß sie Tacitus und Horaz, Plautus und Terenz. Demosthenes. Thukydides.
Plato und Sophokles im Original lesen können, dann entzieht man ihnen den
eigentlichen Lohn ihrer langen und schwierigen Arbeit, dann ist diese ganze Arbeit
so ziemlich umsonst gewesen, dann lohnt sie sich uicht. daun erspare man sie also
den Schülern und setze ..gute" Übersetzungen an die Stelle wie es !° schon oft
vorgeschlagen worden ist. Nur vergesse man dabei nicht, daß jede Übersetzung
aus einer antiken Sprache mangelhaft ausfällt, weil der Geist die er Sprachen
den modernen zu fern liegt, daß dann die geistige und sittliche Stahluug. ti für
den Schüler in dem mühsame:, eignen Erarbeiten einer Übersetzung liegt, weg¬
füllt, und daß die Vorbereitung zu wissenschaftlicher, d. h quellenmäßiger E -
sassung en.es Wissensgegenstandes, die das Gymnasium auf der obersten Stufe
doch geben will, dann aufgegeben wird.


Grenzboten II 1900
Schulreform in Sicht?

also die höchsten Ziele dieses Unterrichts nicht erreichen rönnen oder auch
nicht erreichen wollen, um der Masse derer willen, die vom Standpunkte des
gymnasialen Zieles aus betrachtet nur als „minderwertig," also als minder
wichtig bezeichnet werden können, sollen die Schüler, die nach diesem Ziele
streben, also der vorzugsweise zu pflegende, zu berücksichtigende Kern der
Schülerschaft sind, in dem, was bisher der Nerv des gymnasialen Unter¬
richts gewesen ist, in den klassischen Sprachen, verkürzt und aufs schwerste ge¬
schädigt werden. Denn darauf lauft die befürwortete Schulreform in der That
hinaus. Das Latein muß dann in Untertertia, also im vierten Schuljahre
statt im ersten, beginnen, das Griechische logischerweise nach der berühmten
.Abschlußprüfung" in Untersekunda, damit die Masse derer, die nur das Em-
jährigenzeugnis 'ersessen haben, nicht erst mit dieser toten, unnützen Sprache
behelligt zu werden braucht, also in Obersekunda, im siebenten statt un vierten
Schuljahre. Das Frankfurter Goethegymnasium hat allerdings den Beginn des
Griechischen nach Untersekunda verlegt, aber das ist, wie schon gesagt, ganz
unlogisch und würde sich auf die Dauer bei einer großem Ausdehnung des
.Systems" nicht halten lassen. Selbst in diesem Falle wird das Griechische
auf vier statt sechs, das Lateinische in jedem Falle auf sechs statt neun^ahre
beschränkt. Trotz dieser so sehr verkürzten Zeit soll, namentlich in der Lektüre,
dasselbe erreicht werden, was das alte humanistische Gymnasium erreicht hat. Dav
mag unter besonders günstigen Bedingungen, wie sie in Frankfurt bestehn. oder
mit einzelnen begabten jungen Leuten allenfalls möglich sein; für starke Klagen,
in denen natürlich die mittlere Begabung überwiegt, also unter den Verhält¬
nissen, wie sie an der großen Masse der deutschen Gymnasien bestehn ist es
ganz gewiß nicht möglich, oder nur zum Scheine möglich. Denn der ^orzug
des klassischen Sprachunterrichts bestand bisher gerade dann, daß der Schuler
ganz allmählich in diese reiche Formenwelt und in diese angewandte Logik der
Syntax eindrang und bis zu einem gewissen Grade darin sicher genug wurde, daß
er auf der obern Stufe auch in die größten und schwierigsten Schriftsteller ein¬
geführt werden konnte, in die also, die die bedeutendsten Erzeugnisse und Spiegel¬
bilder der antiken Kultur sind. Bringt man die Gymnasiasten nicht mehr so weit,
daß sie Tacitus und Horaz, Plautus und Terenz. Demosthenes. Thukydides.
Plato und Sophokles im Original lesen können, dann entzieht man ihnen den
eigentlichen Lohn ihrer langen und schwierigen Arbeit, dann ist diese ganze Arbeit
so ziemlich umsonst gewesen, dann lohnt sie sich uicht. daun erspare man sie also
den Schülern und setze ..gute" Übersetzungen an die Stelle wie es !° schon oft
vorgeschlagen worden ist. Nur vergesse man dabei nicht, daß jede Übersetzung
aus einer antiken Sprache mangelhaft ausfällt, weil der Geist die er Sprachen
den modernen zu fern liegt, daß dann die geistige und sittliche Stahluug. ti für
den Schüler in dem mühsame:, eignen Erarbeiten einer Übersetzung liegt, weg¬
füllt, und daß die Vorbereitung zu wissenschaftlicher, d. h quellenmäßiger E -
sassung en.es Wissensgegenstandes, die das Gymnasium auf der obersten Stufe
doch geben will, dann aufgegeben wird.


Grenzboten II 1900
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[0241] Schulreform in Sicht? also die höchsten Ziele dieses Unterrichts nicht erreichen rönnen oder auch nicht erreichen wollen, um der Masse derer willen, die vom Standpunkte des gymnasialen Zieles aus betrachtet nur als „minderwertig," also als minder wichtig bezeichnet werden können, sollen die Schüler, die nach diesem Ziele streben, also der vorzugsweise zu pflegende, zu berücksichtigende Kern der Schülerschaft sind, in dem, was bisher der Nerv des gymnasialen Unter¬ richts gewesen ist, in den klassischen Sprachen, verkürzt und aufs schwerste ge¬ schädigt werden. Denn darauf lauft die befürwortete Schulreform in der That hinaus. Das Latein muß dann in Untertertia, also im vierten Schuljahre statt im ersten, beginnen, das Griechische logischerweise nach der berühmten .Abschlußprüfung" in Untersekunda, damit die Masse derer, die nur das Em- jährigenzeugnis 'ersessen haben, nicht erst mit dieser toten, unnützen Sprache behelligt zu werden braucht, also in Obersekunda, im siebenten statt un vierten Schuljahre. Das Frankfurter Goethegymnasium hat allerdings den Beginn des Griechischen nach Untersekunda verlegt, aber das ist, wie schon gesagt, ganz unlogisch und würde sich auf die Dauer bei einer großem Ausdehnung des .Systems" nicht halten lassen. Selbst in diesem Falle wird das Griechische auf vier statt sechs, das Lateinische in jedem Falle auf sechs statt neun^ahre beschränkt. Trotz dieser so sehr verkürzten Zeit soll, namentlich in der Lektüre, dasselbe erreicht werden, was das alte humanistische Gymnasium erreicht hat. Dav mag unter besonders günstigen Bedingungen, wie sie in Frankfurt bestehn. oder mit einzelnen begabten jungen Leuten allenfalls möglich sein; für starke Klagen, in denen natürlich die mittlere Begabung überwiegt, also unter den Verhält¬ nissen, wie sie an der großen Masse der deutschen Gymnasien bestehn ist es ganz gewiß nicht möglich, oder nur zum Scheine möglich. Denn der ^orzug des klassischen Sprachunterrichts bestand bisher gerade dann, daß der Schuler ganz allmählich in diese reiche Formenwelt und in diese angewandte Logik der Syntax eindrang und bis zu einem gewissen Grade darin sicher genug wurde, daß er auf der obern Stufe auch in die größten und schwierigsten Schriftsteller ein¬ geführt werden konnte, in die also, die die bedeutendsten Erzeugnisse und Spiegel¬ bilder der antiken Kultur sind. Bringt man die Gymnasiasten nicht mehr so weit, daß sie Tacitus und Horaz, Plautus und Terenz. Demosthenes. Thukydides. Plato und Sophokles im Original lesen können, dann entzieht man ihnen den eigentlichen Lohn ihrer langen und schwierigen Arbeit, dann ist diese ganze Arbeit so ziemlich umsonst gewesen, dann lohnt sie sich uicht. daun erspare man sie also den Schülern und setze ..gute" Übersetzungen an die Stelle wie es !° schon oft vorgeschlagen worden ist. Nur vergesse man dabei nicht, daß jede Übersetzung aus einer antiken Sprache mangelhaft ausfällt, weil der Geist die er Sprachen den modernen zu fern liegt, daß dann die geistige und sittliche Stahluug. ti für den Schüler in dem mühsame:, eignen Erarbeiten einer Übersetzung liegt, weg¬ füllt, und daß die Vorbereitung zu wissenschaftlicher, d. h quellenmäßiger E - sassung en.es Wissensgegenstandes, die das Gymnasium auf der obersten Stufe doch geben will, dann aufgegeben wird. Grenzboten II 1900

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/241>, abgerufen am 01.10.2024.