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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Wohin gehe" w!r?

daneben der Millionär, der Großhändler, der Großindustrielle gestellt, ">as die
Hofsmlng verringert, daß dieses englische Muster bei uns einen Typus aus¬
bilden werde. Deu englischen Gentleman zu kapieren, danach strebt man
wenig, und im Grunde kann man ihn auch nicht kopieren; man muß es seim
Was man erstrebt, sind eben meist nur die wertlosen äußern, die "schlechter"
Züge," die uns Deutschen schlecht zu Gesicht stehn und mit dem Gentleman
nichts zu schaffen haben. Und mit all dieser Lust, zu verengländern, sollten
wir dein britischen Volk oder dem einzelnen Briten feindlich sein? Wir wolle"
ja selbst englisch werden, spielen schon den Engländer nicht übel, und sollten
ihn hassen? O nein, es ist nur die alte Gewohnheit, irgend jemand draußen
zu bewundern, unsre Verbeugung zu machen nach rechts oder nach links --
und daneben fühlen wir in unserm Innerste" denn doch, daß der englische
Nationalcharakter uns nicht gefällt, besonders wie er sich allgemein gezeigt
hat, seit man in England anfängt, ernstlich die Möglichkeit einer kommerziell¬
industriellen Konkurrenz zu erwägen.

Wir fühlen es: noch ist der Charakter des Deutschen uicht so weit ver¬
ändert durch die Goldgier, wir sind noch nicht so berauscht von dem Ruhm
der Schlachten, daß wir von dein Mammonismus und dem Hochmut unsrer
Vettern zur See nicht abgestoßen würden. Aber Vettern bleiben wir ihnen
dem Blute nach doch und haben eben begonnen, in der Schule praktischen
Lebens zu lernen, aus der die heutigen Engländer als Meister hervorgegangen
sind. Wird die gleiche Schule, die gleiche industriell-kommerzielle Arbeit nicht
die gleiche Wirkung auf deu Volkscharakter haben?

Wir haben seit 1860 eine stolze Periode politisch-nationaler Erhebung
durchgemacht. Man hat ihren Anfang mit dein Wort von Blut und Eisen
gekennzeichnet, und soweit diese Kennzeichnung berechtigt war, meinte man
damit, daß wir die nationale Erhebung nur mit den Mitteln brutaler Kraft
durchsetzen konnten. Das Resultat hat für diese Mittel gesprochen; aber indem
wir das Resultat bewunderten, haben wir uns nnbewußterweise auch daran
gewöhnt, die Mittel zu bewundern, und sind allmählich dazu übergegangen,
sie, nämlich die brutale Kraft, in der in humanen Sinne höchsten Ausbildung
unsers Heers an sich und unbedingt zu verehren. Man ist sich nicht immer
mehr ganz klar darüber, wo die brutale Kraft in der Schätzung aufhört, Mittel
zu sein und zum Selbstzweck wird. Die große Bewegung, die nach 1870 in
alle Verhältnisse des Volkslebens kam, der Schrecken vor roher Volkskraft
trugen dazu bei, den Wert der rohen Staats kraft für die ruhige Entwicklung
der innern Verhältnisse oft zu überschätzen. In Friedenszeiten soll die Staats¬
gewalt in ihrer büreaukratischen Organisation die materiell schaffenden und die
sittlich erhaltenden Kräfte des Volks unterstützen, und wo es nötig wird, leiten.
Es liegt aber erfahrungsmäßig in der Tendenz aller Büreaukratie, das Leiten
dem Unterstützen vorzuziehn, eine Tendenz, die sich besonders stark entwickelt
angesichts einer sozialen Gärung, wie wir sie heute durchmachen. Unsre
Büreaukratie ist zum größern Teil von militärischem Geist erfüllt, und während


Wohin gehe» w!r?

daneben der Millionär, der Großhändler, der Großindustrielle gestellt, »>as die
Hofsmlng verringert, daß dieses englische Muster bei uns einen Typus aus¬
bilden werde. Deu englischen Gentleman zu kapieren, danach strebt man
wenig, und im Grunde kann man ihn auch nicht kopieren; man muß es seim
Was man erstrebt, sind eben meist nur die wertlosen äußern, die „schlechter»
Züge," die uns Deutschen schlecht zu Gesicht stehn und mit dem Gentleman
nichts zu schaffen haben. Und mit all dieser Lust, zu verengländern, sollten
wir dein britischen Volk oder dem einzelnen Briten feindlich sein? Wir wolle»
ja selbst englisch werden, spielen schon den Engländer nicht übel, und sollten
ihn hassen? O nein, es ist nur die alte Gewohnheit, irgend jemand draußen
zu bewundern, unsre Verbeugung zu machen nach rechts oder nach links —
und daneben fühlen wir in unserm Innerste» denn doch, daß der englische
Nationalcharakter uns nicht gefällt, besonders wie er sich allgemein gezeigt
hat, seit man in England anfängt, ernstlich die Möglichkeit einer kommerziell¬
industriellen Konkurrenz zu erwägen.

Wir fühlen es: noch ist der Charakter des Deutschen uicht so weit ver¬
ändert durch die Goldgier, wir sind noch nicht so berauscht von dem Ruhm
der Schlachten, daß wir von dein Mammonismus und dem Hochmut unsrer
Vettern zur See nicht abgestoßen würden. Aber Vettern bleiben wir ihnen
dem Blute nach doch und haben eben begonnen, in der Schule praktischen
Lebens zu lernen, aus der die heutigen Engländer als Meister hervorgegangen
sind. Wird die gleiche Schule, die gleiche industriell-kommerzielle Arbeit nicht
die gleiche Wirkung auf deu Volkscharakter haben?

Wir haben seit 1860 eine stolze Periode politisch-nationaler Erhebung
durchgemacht. Man hat ihren Anfang mit dein Wort von Blut und Eisen
gekennzeichnet, und soweit diese Kennzeichnung berechtigt war, meinte man
damit, daß wir die nationale Erhebung nur mit den Mitteln brutaler Kraft
durchsetzen konnten. Das Resultat hat für diese Mittel gesprochen; aber indem
wir das Resultat bewunderten, haben wir uns nnbewußterweise auch daran
gewöhnt, die Mittel zu bewundern, und sind allmählich dazu übergegangen,
sie, nämlich die brutale Kraft, in der in humanen Sinne höchsten Ausbildung
unsers Heers an sich und unbedingt zu verehren. Man ist sich nicht immer
mehr ganz klar darüber, wo die brutale Kraft in der Schätzung aufhört, Mittel
zu sein und zum Selbstzweck wird. Die große Bewegung, die nach 1870 in
alle Verhältnisse des Volkslebens kam, der Schrecken vor roher Volkskraft
trugen dazu bei, den Wert der rohen Staats kraft für die ruhige Entwicklung
der innern Verhältnisse oft zu überschätzen. In Friedenszeiten soll die Staats¬
gewalt in ihrer büreaukratischen Organisation die materiell schaffenden und die
sittlich erhaltenden Kräfte des Volks unterstützen, und wo es nötig wird, leiten.
Es liegt aber erfahrungsmäßig in der Tendenz aller Büreaukratie, das Leiten
dem Unterstützen vorzuziehn, eine Tendenz, die sich besonders stark entwickelt
angesichts einer sozialen Gärung, wie wir sie heute durchmachen. Unsre
Büreaukratie ist zum größern Teil von militärischem Geist erfüllt, und während


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[0232] Wohin gehe» w!r? daneben der Millionär, der Großhändler, der Großindustrielle gestellt, »>as die Hofsmlng verringert, daß dieses englische Muster bei uns einen Typus aus¬ bilden werde. Deu englischen Gentleman zu kapieren, danach strebt man wenig, und im Grunde kann man ihn auch nicht kopieren; man muß es seim Was man erstrebt, sind eben meist nur die wertlosen äußern, die „schlechter» Züge," die uns Deutschen schlecht zu Gesicht stehn und mit dem Gentleman nichts zu schaffen haben. Und mit all dieser Lust, zu verengländern, sollten wir dein britischen Volk oder dem einzelnen Briten feindlich sein? Wir wolle» ja selbst englisch werden, spielen schon den Engländer nicht übel, und sollten ihn hassen? O nein, es ist nur die alte Gewohnheit, irgend jemand draußen zu bewundern, unsre Verbeugung zu machen nach rechts oder nach links — und daneben fühlen wir in unserm Innerste» denn doch, daß der englische Nationalcharakter uns nicht gefällt, besonders wie er sich allgemein gezeigt hat, seit man in England anfängt, ernstlich die Möglichkeit einer kommerziell¬ industriellen Konkurrenz zu erwägen. Wir fühlen es: noch ist der Charakter des Deutschen uicht so weit ver¬ ändert durch die Goldgier, wir sind noch nicht so berauscht von dem Ruhm der Schlachten, daß wir von dein Mammonismus und dem Hochmut unsrer Vettern zur See nicht abgestoßen würden. Aber Vettern bleiben wir ihnen dem Blute nach doch und haben eben begonnen, in der Schule praktischen Lebens zu lernen, aus der die heutigen Engländer als Meister hervorgegangen sind. Wird die gleiche Schule, die gleiche industriell-kommerzielle Arbeit nicht die gleiche Wirkung auf deu Volkscharakter haben? Wir haben seit 1860 eine stolze Periode politisch-nationaler Erhebung durchgemacht. Man hat ihren Anfang mit dein Wort von Blut und Eisen gekennzeichnet, und soweit diese Kennzeichnung berechtigt war, meinte man damit, daß wir die nationale Erhebung nur mit den Mitteln brutaler Kraft durchsetzen konnten. Das Resultat hat für diese Mittel gesprochen; aber indem wir das Resultat bewunderten, haben wir uns nnbewußterweise auch daran gewöhnt, die Mittel zu bewundern, und sind allmählich dazu übergegangen, sie, nämlich die brutale Kraft, in der in humanen Sinne höchsten Ausbildung unsers Heers an sich und unbedingt zu verehren. Man ist sich nicht immer mehr ganz klar darüber, wo die brutale Kraft in der Schätzung aufhört, Mittel zu sein und zum Selbstzweck wird. Die große Bewegung, die nach 1870 in alle Verhältnisse des Volkslebens kam, der Schrecken vor roher Volkskraft trugen dazu bei, den Wert der rohen Staats kraft für die ruhige Entwicklung der innern Verhältnisse oft zu überschätzen. In Friedenszeiten soll die Staats¬ gewalt in ihrer büreaukratischen Organisation die materiell schaffenden und die sittlich erhaltenden Kräfte des Volks unterstützen, und wo es nötig wird, leiten. Es liegt aber erfahrungsmäßig in der Tendenz aller Büreaukratie, das Leiten dem Unterstützen vorzuziehn, eine Tendenz, die sich besonders stark entwickelt angesichts einer sozialen Gärung, wie wir sie heute durchmachen. Unsre Büreaukratie ist zum größern Teil von militärischem Geist erfüllt, und während

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/232>, abgerufen am 01.10.2024.