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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Der Uainxf zwischen Rom und den Germanen

ging, als die großen Grundherren sie angriffen mit den Scharen von Hörigen,
die sie kommandierten. Dabei wollen wir weiter kein Gewicht darauf legen,
daß die Gelehrten über die ursprüngliche Verfassung und namentlich die Agrar-
verfassung der Germanen noch lange nicht einig sind, daß Fühlet de Coulanges
die ursprünglich freie Markgenossenschaft für ein "teutonisches Hirngespinst"
erklärt, und daß englische und deutsche Forscher unabhängig von ihm gefunden
haben, der freie Germane sei von Anfang an, in England und in Nieder¬
deutschland wenigstens, ein über Hörige gebietender Grundherr, also ein Adlicher
gewesen; die Wahrheit dürfte zwischen Fühlet de Coulanges und Ludwig
von Maurer in der Mitte liegen.

Den Befreiungskampf beschreibt Chamberlain nun der Hauptsache nach
in der hergebrachten Weise, wenn auch seine geistreichen Gedankenblitze Ge¬
stalten und Ereignisse vielfach in neuen Lichtern und Farben zeigen. Alle
unabhängigen Geister empörten sich gegen Rom, und -- alle diese unabhängigen
Geister, auch die im Süden lebenden, waren Germanen. Das erste ist nicht
ganz richtig, wie Chamberlain selbst zugesteht, indem er meint, viele Germanen
Hütten sich nicht allein im militärischen Kriege, sondern auch im geistigen
Kampfe von den Feinden ihres Volkes gegen dieses gebrauchen lassen. Das
zweite ist möglich, aber beweisen wird man wohl niemals können, daß die
großen Dichter und Denker, Maler, Bildhauer, Architekten und Ingenieure
Italiens sämtlich Goten-, Lombarden-, Franken- und Schwabensprößlinge ge¬
wesen sind. Als Typus des schärfsten Gegensatzes zum Germanischen schildert
er, in Übereinstimmung mit der in protestantischen Kreisen verbreiteten Ansicht,
den Jesuitenorden und führt dessen Wesen darauf zurück, daß Ignatius Loyola
als Baste einem Volke entsprossen sei, das nicht allein außerhalb des Germanen¬
tums, sondern auch außerhalb der arischen Völkerfamilie stehe. Wir lassen die
ethnologische Klassifizierung der Basken dahingestellt sein und sagen auch
nichts gegen Chamberlains Auffassung, bemerken aber doch, daß er damit die
Größe dieses Ignatius, die er ausdrücklich hervorhebt, ins Übermenschliche
steigert. Christus soll, ihm nach, nicht imstande gewesen sein, der christlichen
Kirche etwas von seinem Wesen mitzuteilen, Loyola dagegen soll ganz allein
durch seine mit dem Massencharakter gegebne Persönlichkeit den Charakter einer
zahlreichen Gesellschaft, die sich aus allen Völkern des christlichen Kulturkreises
^'ganze, auf Jahrhunderte hinaus bestimmt haben. In Wechselwirkung mit
dem geistigen Kampfe verläuft der politische. Daß und wie er geführt worden
ist, weiß alle Welt. Nur scheint uns die gewöhnliche Ansicht, die Chamberlain
tuit, daß Rom keine Nationalitäten habe dulden wollen, ein wenig oberflächlich.
Die heutigen Nationen konnte Rom weder wollen noch nicht wollen; sie sind in
der ersten Hälfte des Mittelalters -- wir bitten Chamberlain um Entschuldigung,
daß wir uns der Einfachheit wegen dieses von ihm verworfnen Ausdrucks be¬
dienen -- geworden, ohne daß es irgend jemand wußte. Erst als sie fertig
waren, bemerkten sie es selbst, sah es alle Welt und natürlich auch der Papst.
Daß es die Völker früher bemerkten als die Fürsten, zeigt Chamberlain sehr


Grenzboten II 1900 19
Der Uainxf zwischen Rom und den Germanen

ging, als die großen Grundherren sie angriffen mit den Scharen von Hörigen,
die sie kommandierten. Dabei wollen wir weiter kein Gewicht darauf legen,
daß die Gelehrten über die ursprüngliche Verfassung und namentlich die Agrar-
verfassung der Germanen noch lange nicht einig sind, daß Fühlet de Coulanges
die ursprünglich freie Markgenossenschaft für ein „teutonisches Hirngespinst"
erklärt, und daß englische und deutsche Forscher unabhängig von ihm gefunden
haben, der freie Germane sei von Anfang an, in England und in Nieder¬
deutschland wenigstens, ein über Hörige gebietender Grundherr, also ein Adlicher
gewesen; die Wahrheit dürfte zwischen Fühlet de Coulanges und Ludwig
von Maurer in der Mitte liegen.

Den Befreiungskampf beschreibt Chamberlain nun der Hauptsache nach
in der hergebrachten Weise, wenn auch seine geistreichen Gedankenblitze Ge¬
stalten und Ereignisse vielfach in neuen Lichtern und Farben zeigen. Alle
unabhängigen Geister empörten sich gegen Rom, und — alle diese unabhängigen
Geister, auch die im Süden lebenden, waren Germanen. Das erste ist nicht
ganz richtig, wie Chamberlain selbst zugesteht, indem er meint, viele Germanen
Hütten sich nicht allein im militärischen Kriege, sondern auch im geistigen
Kampfe von den Feinden ihres Volkes gegen dieses gebrauchen lassen. Das
zweite ist möglich, aber beweisen wird man wohl niemals können, daß die
großen Dichter und Denker, Maler, Bildhauer, Architekten und Ingenieure
Italiens sämtlich Goten-, Lombarden-, Franken- und Schwabensprößlinge ge¬
wesen sind. Als Typus des schärfsten Gegensatzes zum Germanischen schildert
er, in Übereinstimmung mit der in protestantischen Kreisen verbreiteten Ansicht,
den Jesuitenorden und führt dessen Wesen darauf zurück, daß Ignatius Loyola
als Baste einem Volke entsprossen sei, das nicht allein außerhalb des Germanen¬
tums, sondern auch außerhalb der arischen Völkerfamilie stehe. Wir lassen die
ethnologische Klassifizierung der Basken dahingestellt sein und sagen auch
nichts gegen Chamberlains Auffassung, bemerken aber doch, daß er damit die
Größe dieses Ignatius, die er ausdrücklich hervorhebt, ins Übermenschliche
steigert. Christus soll, ihm nach, nicht imstande gewesen sein, der christlichen
Kirche etwas von seinem Wesen mitzuteilen, Loyola dagegen soll ganz allein
durch seine mit dem Massencharakter gegebne Persönlichkeit den Charakter einer
zahlreichen Gesellschaft, die sich aus allen Völkern des christlichen Kulturkreises
^'ganze, auf Jahrhunderte hinaus bestimmt haben. In Wechselwirkung mit
dem geistigen Kampfe verläuft der politische. Daß und wie er geführt worden
ist, weiß alle Welt. Nur scheint uns die gewöhnliche Ansicht, die Chamberlain
tuit, daß Rom keine Nationalitäten habe dulden wollen, ein wenig oberflächlich.
Die heutigen Nationen konnte Rom weder wollen noch nicht wollen; sie sind in
der ersten Hälfte des Mittelalters — wir bitten Chamberlain um Entschuldigung,
daß wir uns der Einfachheit wegen dieses von ihm verworfnen Ausdrucks be¬
dienen — geworden, ohne daß es irgend jemand wußte. Erst als sie fertig
waren, bemerkten sie es selbst, sah es alle Welt und natürlich auch der Papst.
Daß es die Völker früher bemerkten als die Fürsten, zeigt Chamberlain sehr


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[0153] Der Uainxf zwischen Rom und den Germanen ging, als die großen Grundherren sie angriffen mit den Scharen von Hörigen, die sie kommandierten. Dabei wollen wir weiter kein Gewicht darauf legen, daß die Gelehrten über die ursprüngliche Verfassung und namentlich die Agrar- verfassung der Germanen noch lange nicht einig sind, daß Fühlet de Coulanges die ursprünglich freie Markgenossenschaft für ein „teutonisches Hirngespinst" erklärt, und daß englische und deutsche Forscher unabhängig von ihm gefunden haben, der freie Germane sei von Anfang an, in England und in Nieder¬ deutschland wenigstens, ein über Hörige gebietender Grundherr, also ein Adlicher gewesen; die Wahrheit dürfte zwischen Fühlet de Coulanges und Ludwig von Maurer in der Mitte liegen. Den Befreiungskampf beschreibt Chamberlain nun der Hauptsache nach in der hergebrachten Weise, wenn auch seine geistreichen Gedankenblitze Ge¬ stalten und Ereignisse vielfach in neuen Lichtern und Farben zeigen. Alle unabhängigen Geister empörten sich gegen Rom, und — alle diese unabhängigen Geister, auch die im Süden lebenden, waren Germanen. Das erste ist nicht ganz richtig, wie Chamberlain selbst zugesteht, indem er meint, viele Germanen Hütten sich nicht allein im militärischen Kriege, sondern auch im geistigen Kampfe von den Feinden ihres Volkes gegen dieses gebrauchen lassen. Das zweite ist möglich, aber beweisen wird man wohl niemals können, daß die großen Dichter und Denker, Maler, Bildhauer, Architekten und Ingenieure Italiens sämtlich Goten-, Lombarden-, Franken- und Schwabensprößlinge ge¬ wesen sind. Als Typus des schärfsten Gegensatzes zum Germanischen schildert er, in Übereinstimmung mit der in protestantischen Kreisen verbreiteten Ansicht, den Jesuitenorden und führt dessen Wesen darauf zurück, daß Ignatius Loyola als Baste einem Volke entsprossen sei, das nicht allein außerhalb des Germanen¬ tums, sondern auch außerhalb der arischen Völkerfamilie stehe. Wir lassen die ethnologische Klassifizierung der Basken dahingestellt sein und sagen auch nichts gegen Chamberlains Auffassung, bemerken aber doch, daß er damit die Größe dieses Ignatius, die er ausdrücklich hervorhebt, ins Übermenschliche steigert. Christus soll, ihm nach, nicht imstande gewesen sein, der christlichen Kirche etwas von seinem Wesen mitzuteilen, Loyola dagegen soll ganz allein durch seine mit dem Massencharakter gegebne Persönlichkeit den Charakter einer zahlreichen Gesellschaft, die sich aus allen Völkern des christlichen Kulturkreises ^'ganze, auf Jahrhunderte hinaus bestimmt haben. In Wechselwirkung mit dem geistigen Kampfe verläuft der politische. Daß und wie er geführt worden ist, weiß alle Welt. Nur scheint uns die gewöhnliche Ansicht, die Chamberlain tuit, daß Rom keine Nationalitäten habe dulden wollen, ein wenig oberflächlich. Die heutigen Nationen konnte Rom weder wollen noch nicht wollen; sie sind in der ersten Hälfte des Mittelalters — wir bitten Chamberlain um Entschuldigung, daß wir uns der Einfachheit wegen dieses von ihm verworfnen Ausdrucks be¬ dienen — geworden, ohne daß es irgend jemand wußte. Erst als sie fertig waren, bemerkten sie es selbst, sah es alle Welt und natürlich auch der Papst. Daß es die Völker früher bemerkten als die Fürsten, zeigt Chamberlain sehr Grenzboten II 1900 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/153>, abgerufen am 01.10.2024.