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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Zur Frauettfrage

in die Armee eingetreten waren und in den Lazaretten Dienste geleistet hatten.
Ihnen erließ man die Promotion zum Doktor der Medizin und erleichterte
ihnen in Anerkennung der von ihnen dem Vaterlande geleisteten Dienste auch
wohl einigermaßen die ärztliche Approbationsprüfnng. Das waren Ausnahme¬
zustände, die auf ganz besondern Billigkeits- und patriotischen Rücksichten be¬
ruhten. Unter den Chirurgen erster Klasse waren eine Reihe sehr tüchtiger
Ärzte, die mit großer Selbstaufopferung in der Praxis nachgeholt hatten, was
ihnen um theoretischer Vorbildung abging. Es waren aber auch recht untaug¬
liche Ärzte unter ihnen. Jetzt sind sie ausgestorben, und die Medizinalver¬
waltung hat nicht den mindesten Anlaß, ein derartiges durch die Not des
Kriegs veranlaßtes Ausnahmeexperünent zu wiederholen. Damit würde auch
weder den weiblichen Ärzten noch dem Publikum gedient sein.

Was aber die Vorbildung solcher Frauen, die Medizin studieren wollen,
anbetrifft, so wird sie allerdings vou denen der männlichen Studenten der
Medizin verschieden zu gestalten sein. Ein Mädchen, das die höhere Mädchen¬
schule mit ihrer auf die spezifisch weibliche Erziehung zugeschnittnen allgemeinen
Bildung vollständig und mit Erfolg durchlaufen hat, wird -- hoffentlich nach
einer mindestens einjährigen Ruhe- und Erholungszeit -- allenfalls mit Hilfe
zuverlässigen und erfahrnen Rats zu erwägen imstande sein, ob seine geistige
und physische Kraft ausreicht, die ungewöhnlichen Anstrengungen, die das
Studium der Medizin und der ärztliche Beruf erfordern, auf sich zu nehmen
und auszuhalten, und ob der innere Drang dazu tief und stark genug ist, daß er
die Schwierigkeiten, die bei der Ausführung des folgenschweren Entschlusses zu
überwinden sind, mit nachhaltiger Freudigkeit überwinden kann. Treffen diese
Voraussetzungen zu, dann wird sich das Mädchen, das diesen Entschluß gefaßt
hat, in einem privaten Kurse die Vorkenntnisse anzueignen haben, die zur Ab¬
legung der Reifeprüfung als Extraneerin erforderlich sind. Besteht sie diese
Prüfung, dann wird sie ihre Zulassung bei einer Universität ohne Schwierig¬
keit erwirken können. Aber auch hier treten neue Hindernisse und Abweichungen
ein. Weitaus bei der größten Mehrzahl der medizinische" Vorlesungen und
Übungen ist für die studierenden Frauen die Teilnahme neben den männlichen
Studenten völlig unbedenklich. Die studierende Frau ist, wenn sie selbst eine
dem natürlichen Takte ihres Geschlechts entsprechende Haltung bewahrt, einer
achtungsvollen und rücksichtsvollen Begegnung bei den Professoren und Stu¬
denten sicher, jn ihre Anwesenheit und der sittliche Ernst ihrer Haltung wird
sogar eine gute Einwirkung auf Sitte und Anstand der mit ihr studierenden
Männer ausüben. Aber es giebt einzelne Vorlesungen und Übungen, in denen
Sitte und Anstand die gemeinsame Anwesenheit von Frauen und Männern
ausschließen. Die meisten unsrer jetzt Medizin studierenden Frauen wollen das
zwar nicht Wort haben. Sie erklären den Ernst ihres rein wissenschaftlichen
Strebens für stark genug, auch die sich hier erhebenden Bedenken zu über¬
winden. Allein sie sind Menschen, und die männlichen Studenten sind es auch.
Man braucht wahrhaftig nicht kleinlicher Philistrositüt und altjüngferlicher


Zur Frauettfrage

in die Armee eingetreten waren und in den Lazaretten Dienste geleistet hatten.
Ihnen erließ man die Promotion zum Doktor der Medizin und erleichterte
ihnen in Anerkennung der von ihnen dem Vaterlande geleisteten Dienste auch
wohl einigermaßen die ärztliche Approbationsprüfnng. Das waren Ausnahme¬
zustände, die auf ganz besondern Billigkeits- und patriotischen Rücksichten be¬
ruhten. Unter den Chirurgen erster Klasse waren eine Reihe sehr tüchtiger
Ärzte, die mit großer Selbstaufopferung in der Praxis nachgeholt hatten, was
ihnen um theoretischer Vorbildung abging. Es waren aber auch recht untaug¬
liche Ärzte unter ihnen. Jetzt sind sie ausgestorben, und die Medizinalver¬
waltung hat nicht den mindesten Anlaß, ein derartiges durch die Not des
Kriegs veranlaßtes Ausnahmeexperünent zu wiederholen. Damit würde auch
weder den weiblichen Ärzten noch dem Publikum gedient sein.

Was aber die Vorbildung solcher Frauen, die Medizin studieren wollen,
anbetrifft, so wird sie allerdings vou denen der männlichen Studenten der
Medizin verschieden zu gestalten sein. Ein Mädchen, das die höhere Mädchen¬
schule mit ihrer auf die spezifisch weibliche Erziehung zugeschnittnen allgemeinen
Bildung vollständig und mit Erfolg durchlaufen hat, wird — hoffentlich nach
einer mindestens einjährigen Ruhe- und Erholungszeit — allenfalls mit Hilfe
zuverlässigen und erfahrnen Rats zu erwägen imstande sein, ob seine geistige
und physische Kraft ausreicht, die ungewöhnlichen Anstrengungen, die das
Studium der Medizin und der ärztliche Beruf erfordern, auf sich zu nehmen
und auszuhalten, und ob der innere Drang dazu tief und stark genug ist, daß er
die Schwierigkeiten, die bei der Ausführung des folgenschweren Entschlusses zu
überwinden sind, mit nachhaltiger Freudigkeit überwinden kann. Treffen diese
Voraussetzungen zu, dann wird sich das Mädchen, das diesen Entschluß gefaßt
hat, in einem privaten Kurse die Vorkenntnisse anzueignen haben, die zur Ab¬
legung der Reifeprüfung als Extraneerin erforderlich sind. Besteht sie diese
Prüfung, dann wird sie ihre Zulassung bei einer Universität ohne Schwierig¬
keit erwirken können. Aber auch hier treten neue Hindernisse und Abweichungen
ein. Weitaus bei der größten Mehrzahl der medizinische» Vorlesungen und
Übungen ist für die studierenden Frauen die Teilnahme neben den männlichen
Studenten völlig unbedenklich. Die studierende Frau ist, wenn sie selbst eine
dem natürlichen Takte ihres Geschlechts entsprechende Haltung bewahrt, einer
achtungsvollen und rücksichtsvollen Begegnung bei den Professoren und Stu¬
denten sicher, jn ihre Anwesenheit und der sittliche Ernst ihrer Haltung wird
sogar eine gute Einwirkung auf Sitte und Anstand der mit ihr studierenden
Männer ausüben. Aber es giebt einzelne Vorlesungen und Übungen, in denen
Sitte und Anstand die gemeinsame Anwesenheit von Frauen und Männern
ausschließen. Die meisten unsrer jetzt Medizin studierenden Frauen wollen das
zwar nicht Wort haben. Sie erklären den Ernst ihres rein wissenschaftlichen
Strebens für stark genug, auch die sich hier erhebenden Bedenken zu über¬
winden. Allein sie sind Menschen, und die männlichen Studenten sind es auch.
Man braucht wahrhaftig nicht kleinlicher Philistrositüt und altjüngferlicher


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[0148] Zur Frauettfrage in die Armee eingetreten waren und in den Lazaretten Dienste geleistet hatten. Ihnen erließ man die Promotion zum Doktor der Medizin und erleichterte ihnen in Anerkennung der von ihnen dem Vaterlande geleisteten Dienste auch wohl einigermaßen die ärztliche Approbationsprüfnng. Das waren Ausnahme¬ zustände, die auf ganz besondern Billigkeits- und patriotischen Rücksichten be¬ ruhten. Unter den Chirurgen erster Klasse waren eine Reihe sehr tüchtiger Ärzte, die mit großer Selbstaufopferung in der Praxis nachgeholt hatten, was ihnen um theoretischer Vorbildung abging. Es waren aber auch recht untaug¬ liche Ärzte unter ihnen. Jetzt sind sie ausgestorben, und die Medizinalver¬ waltung hat nicht den mindesten Anlaß, ein derartiges durch die Not des Kriegs veranlaßtes Ausnahmeexperünent zu wiederholen. Damit würde auch weder den weiblichen Ärzten noch dem Publikum gedient sein. Was aber die Vorbildung solcher Frauen, die Medizin studieren wollen, anbetrifft, so wird sie allerdings vou denen der männlichen Studenten der Medizin verschieden zu gestalten sein. Ein Mädchen, das die höhere Mädchen¬ schule mit ihrer auf die spezifisch weibliche Erziehung zugeschnittnen allgemeinen Bildung vollständig und mit Erfolg durchlaufen hat, wird — hoffentlich nach einer mindestens einjährigen Ruhe- und Erholungszeit — allenfalls mit Hilfe zuverlässigen und erfahrnen Rats zu erwägen imstande sein, ob seine geistige und physische Kraft ausreicht, die ungewöhnlichen Anstrengungen, die das Studium der Medizin und der ärztliche Beruf erfordern, auf sich zu nehmen und auszuhalten, und ob der innere Drang dazu tief und stark genug ist, daß er die Schwierigkeiten, die bei der Ausführung des folgenschweren Entschlusses zu überwinden sind, mit nachhaltiger Freudigkeit überwinden kann. Treffen diese Voraussetzungen zu, dann wird sich das Mädchen, das diesen Entschluß gefaßt hat, in einem privaten Kurse die Vorkenntnisse anzueignen haben, die zur Ab¬ legung der Reifeprüfung als Extraneerin erforderlich sind. Besteht sie diese Prüfung, dann wird sie ihre Zulassung bei einer Universität ohne Schwierig¬ keit erwirken können. Aber auch hier treten neue Hindernisse und Abweichungen ein. Weitaus bei der größten Mehrzahl der medizinische» Vorlesungen und Übungen ist für die studierenden Frauen die Teilnahme neben den männlichen Studenten völlig unbedenklich. Die studierende Frau ist, wenn sie selbst eine dem natürlichen Takte ihres Geschlechts entsprechende Haltung bewahrt, einer achtungsvollen und rücksichtsvollen Begegnung bei den Professoren und Stu¬ denten sicher, jn ihre Anwesenheit und der sittliche Ernst ihrer Haltung wird sogar eine gute Einwirkung auf Sitte und Anstand der mit ihr studierenden Männer ausüben. Aber es giebt einzelne Vorlesungen und Übungen, in denen Sitte und Anstand die gemeinsame Anwesenheit von Frauen und Männern ausschließen. Die meisten unsrer jetzt Medizin studierenden Frauen wollen das zwar nicht Wort haben. Sie erklären den Ernst ihres rein wissenschaftlichen Strebens für stark genug, auch die sich hier erhebenden Bedenken zu über¬ winden. Allein sie sind Menschen, und die männlichen Studenten sind es auch. Man braucht wahrhaftig nicht kleinlicher Philistrositüt und altjüngferlicher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/148>, abgerufen am 01.10.2024.