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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Ausübung der Heilkunde unter staatlicher Autorität abhängig macht, muß des¬
halb von jedem ohne Ausnahme geleistet werden, der die staatliche Approbation
als Arzt begehrt.

. Unter den Ärzten herrscht zur Zeit die Meinung vor, daß Frauen über¬
haupt nicht sähig seien, diesen Anforderungen zu entsprechen, Nieder nach ihrer
körperlichen Kraft noch nach ihrer psychischen und geistigen Naturanlage. Aus
denselben Gründen wird den Frauen vielfach auch die Fähigkeit zur normalen
Ausübung des ärztlichen Berufs abgesprochen. In dieser Allgemeinheit ist
aber das abfällige Urteil, wie sich aus dein über die Fähigkeit von Frauen
zu wissenschaftlicher Arbeit überhaupt Gesagten ergiebt, nicht zu begründen und
nicht der Wirklichkeit entsprechend. Es giebt Frauen, die körperlich und geistig
alles leisten können, was zur Erlangung der vollen ärztlichen Approbation
und zur Ausübung der Heilkunde erforderlich ist. Richtig ist nur, daß der¬
artige weibliche Kraftnaturen selten sind, und daß es verhältnismäßig nur einer
kleinen Anzahl körperlich und geistig besonders begabter Frauen gelingen wird,
dieses Ziel zu erreichen.

Da aber die Ausübung der Heilkunde ihrem Wesen nach ein Dienst an
der leidenden Menschheit ist, lind da dieser Dienst an sich nicht unweiblich ist,
vielmehr als Samariterdienst der Menschenliebe recht eigentlich auf der Linie
der dem Weibe wohl anstehenden und ihrer Natur entsprechenden sittlichen Be¬
thätigung liegt, so kann es sich nur uoch fragen, ob für die Berufsthätigkeit
vollwertig ausgebildeter weiblicher Ärzte ein Bedürfnis vorliegt.

Diese Frage muß bejaht werden. Das Bedürfnis nach weiblichen Ärzten
ist namentlich für das Gebiet der Frauen- und Kinderkrankheiten unbedingt
vorhanden. Es hat von jeher thatsächlich Frauen gegeben, die es nicht über
sich zu gewinnen vermochten, sich von einem Manne körperlich untersuchen und
insbesondre bei spezifischen Frauenkrankheiten ärztlich behandeln zu lassen.
Bekannt ist das Beispiel der Erbtochter Karls des Kühnen, Marias von
Burgund, die infolge eines Sturzes auf der Falkenjagd um einer Verwundung
des Oberschenkels starb, weil sie lieber sterben, als sich von einem Arzte an
diskreter Stelle untersuchen und behandeln lassen wollte. Dieser unüberwind¬
liche Widerwille von Frauen und Mädchen ist auch heutzutage notorisch viel
verbreiteter, als viele Ärzte zugestehn wollen. Man kann zugeben, daß dieser
Widerwille krankhaft, daß das ihm zu Grunde liegende Schamgefühl über¬
trieben und unverständig ist. Das schafft aber die Thatsache, daß es vielfach
vorhanden ist, daß infolge dessen in leider nur zu zahlreichen Fällen die recht¬
zeitige Untersuchung bei Frauenkrankheiten unterbleibt, und daß dieser Unter¬
lassung recht viele Menschenleben, die noch hätten gerettet werden können,
zum Opfer fallen, nicht ans der Welt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß
eine große Zahl von Frauen und Mädchen nicht das leiseste Bedenken haben
würden, in den Anfangsstadien ihrer Erkrankung sich einem tüchtigen weib¬
lichen Arzte anzuvertrauen, während sie jetzt aus falscher Scham die Untersuchung
durch den Arzt verzögern, bis es zu spät ist. Und wenn nur auch nur in


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Ausübung der Heilkunde unter staatlicher Autorität abhängig macht, muß des¬
halb von jedem ohne Ausnahme geleistet werden, der die staatliche Approbation
als Arzt begehrt.

. Unter den Ärzten herrscht zur Zeit die Meinung vor, daß Frauen über¬
haupt nicht sähig seien, diesen Anforderungen zu entsprechen, Nieder nach ihrer
körperlichen Kraft noch nach ihrer psychischen und geistigen Naturanlage. Aus
denselben Gründen wird den Frauen vielfach auch die Fähigkeit zur normalen
Ausübung des ärztlichen Berufs abgesprochen. In dieser Allgemeinheit ist
aber das abfällige Urteil, wie sich aus dein über die Fähigkeit von Frauen
zu wissenschaftlicher Arbeit überhaupt Gesagten ergiebt, nicht zu begründen und
nicht der Wirklichkeit entsprechend. Es giebt Frauen, die körperlich und geistig
alles leisten können, was zur Erlangung der vollen ärztlichen Approbation
und zur Ausübung der Heilkunde erforderlich ist. Richtig ist nur, daß der¬
artige weibliche Kraftnaturen selten sind, und daß es verhältnismäßig nur einer
kleinen Anzahl körperlich und geistig besonders begabter Frauen gelingen wird,
dieses Ziel zu erreichen.

Da aber die Ausübung der Heilkunde ihrem Wesen nach ein Dienst an
der leidenden Menschheit ist, lind da dieser Dienst an sich nicht unweiblich ist,
vielmehr als Samariterdienst der Menschenliebe recht eigentlich auf der Linie
der dem Weibe wohl anstehenden und ihrer Natur entsprechenden sittlichen Be¬
thätigung liegt, so kann es sich nur uoch fragen, ob für die Berufsthätigkeit
vollwertig ausgebildeter weiblicher Ärzte ein Bedürfnis vorliegt.

Diese Frage muß bejaht werden. Das Bedürfnis nach weiblichen Ärzten
ist namentlich für das Gebiet der Frauen- und Kinderkrankheiten unbedingt
vorhanden. Es hat von jeher thatsächlich Frauen gegeben, die es nicht über
sich zu gewinnen vermochten, sich von einem Manne körperlich untersuchen und
insbesondre bei spezifischen Frauenkrankheiten ärztlich behandeln zu lassen.
Bekannt ist das Beispiel der Erbtochter Karls des Kühnen, Marias von
Burgund, die infolge eines Sturzes auf der Falkenjagd um einer Verwundung
des Oberschenkels starb, weil sie lieber sterben, als sich von einem Arzte an
diskreter Stelle untersuchen und behandeln lassen wollte. Dieser unüberwind¬
liche Widerwille von Frauen und Mädchen ist auch heutzutage notorisch viel
verbreiteter, als viele Ärzte zugestehn wollen. Man kann zugeben, daß dieser
Widerwille krankhaft, daß das ihm zu Grunde liegende Schamgefühl über¬
trieben und unverständig ist. Das schafft aber die Thatsache, daß es vielfach
vorhanden ist, daß infolge dessen in leider nur zu zahlreichen Fällen die recht¬
zeitige Untersuchung bei Frauenkrankheiten unterbleibt, und daß dieser Unter¬
lassung recht viele Menschenleben, die noch hätten gerettet werden können,
zum Opfer fallen, nicht ans der Welt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß
eine große Zahl von Frauen und Mädchen nicht das leiseste Bedenken haben
würden, in den Anfangsstadien ihrer Erkrankung sich einem tüchtigen weib¬
lichen Arzte anzuvertrauen, während sie jetzt aus falscher Scham die Untersuchung
durch den Arzt verzögern, bis es zu spät ist. Und wenn nur auch nur in


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[0146] Zur .srcmettfnig«,'. Ausübung der Heilkunde unter staatlicher Autorität abhängig macht, muß des¬ halb von jedem ohne Ausnahme geleistet werden, der die staatliche Approbation als Arzt begehrt. . Unter den Ärzten herrscht zur Zeit die Meinung vor, daß Frauen über¬ haupt nicht sähig seien, diesen Anforderungen zu entsprechen, Nieder nach ihrer körperlichen Kraft noch nach ihrer psychischen und geistigen Naturanlage. Aus denselben Gründen wird den Frauen vielfach auch die Fähigkeit zur normalen Ausübung des ärztlichen Berufs abgesprochen. In dieser Allgemeinheit ist aber das abfällige Urteil, wie sich aus dein über die Fähigkeit von Frauen zu wissenschaftlicher Arbeit überhaupt Gesagten ergiebt, nicht zu begründen und nicht der Wirklichkeit entsprechend. Es giebt Frauen, die körperlich und geistig alles leisten können, was zur Erlangung der vollen ärztlichen Approbation und zur Ausübung der Heilkunde erforderlich ist. Richtig ist nur, daß der¬ artige weibliche Kraftnaturen selten sind, und daß es verhältnismäßig nur einer kleinen Anzahl körperlich und geistig besonders begabter Frauen gelingen wird, dieses Ziel zu erreichen. Da aber die Ausübung der Heilkunde ihrem Wesen nach ein Dienst an der leidenden Menschheit ist, lind da dieser Dienst an sich nicht unweiblich ist, vielmehr als Samariterdienst der Menschenliebe recht eigentlich auf der Linie der dem Weibe wohl anstehenden und ihrer Natur entsprechenden sittlichen Be¬ thätigung liegt, so kann es sich nur uoch fragen, ob für die Berufsthätigkeit vollwertig ausgebildeter weiblicher Ärzte ein Bedürfnis vorliegt. Diese Frage muß bejaht werden. Das Bedürfnis nach weiblichen Ärzten ist namentlich für das Gebiet der Frauen- und Kinderkrankheiten unbedingt vorhanden. Es hat von jeher thatsächlich Frauen gegeben, die es nicht über sich zu gewinnen vermochten, sich von einem Manne körperlich untersuchen und insbesondre bei spezifischen Frauenkrankheiten ärztlich behandeln zu lassen. Bekannt ist das Beispiel der Erbtochter Karls des Kühnen, Marias von Burgund, die infolge eines Sturzes auf der Falkenjagd um einer Verwundung des Oberschenkels starb, weil sie lieber sterben, als sich von einem Arzte an diskreter Stelle untersuchen und behandeln lassen wollte. Dieser unüberwind¬ liche Widerwille von Frauen und Mädchen ist auch heutzutage notorisch viel verbreiteter, als viele Ärzte zugestehn wollen. Man kann zugeben, daß dieser Widerwille krankhaft, daß das ihm zu Grunde liegende Schamgefühl über¬ trieben und unverständig ist. Das schafft aber die Thatsache, daß es vielfach vorhanden ist, daß infolge dessen in leider nur zu zahlreichen Fällen die recht¬ zeitige Untersuchung bei Frauenkrankheiten unterbleibt, und daß dieser Unter¬ lassung recht viele Menschenleben, die noch hätten gerettet werden können, zum Opfer fallen, nicht ans der Welt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß eine große Zahl von Frauen und Mädchen nicht das leiseste Bedenken haben würden, in den Anfangsstadien ihrer Erkrankung sich einem tüchtigen weib¬ lichen Arzte anzuvertrauen, während sie jetzt aus falscher Scham die Untersuchung durch den Arzt verzögern, bis es zu spät ist. Und wenn nur auch nur in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/146>, abgerufen am 03.07.2024.