Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.zugleich einen großen Kampf wegen der französischen Kolonien, Dann erscheint Bei der jetzigen Schwäche Deutschlands zur See widersteht England wohl Die Englandhetze ist jetzt bei uus modern, und wer ans Kommersen oder zugleich einen großen Kampf wegen der französischen Kolonien, Dann erscheint Bei der jetzigen Schwäche Deutschlands zur See widersteht England wohl Die Englandhetze ist jetzt bei uus modern, und wer ans Kommersen oder <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0136" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290547"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_656" prev="#ID_655"> zugleich einen großen Kampf wegen der französischen Kolonien, Dann erscheint<lb/> Deutschlands gefestigte Stellung in Mitteleuropa wieder der englischen Politik<lb/> notwendig, um die russische Politik von Asien abzulenken, und man sucht die<lb/> deutsche Freundschaft, um Rußland mehr um seine Westgrenze zu fesseln. Und<lb/> schließlich müssen auch noch Familienbeziehungen zwischen Petersburg und<lb/> London herhalten, um die russische Politik von der Wahrung der eignen<lb/> Interessen hinwegzulocken. Man sieht, es ist ein vrndari-us as riolrösss von<lb/> Problemen, die der britischen Staatskunst zur Lösung stehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_657"> Bei der jetzigen Schwäche Deutschlands zur See widersteht England wohl<lb/> nur schwer der Lockung, der deutschen Handelskonkurrenz ein schnelles Ende<lb/> zu bereiten, und zweifellos ist es dazu jetzt auch in der Lage, Die England¬<lb/> hetze, die von denen in Deutschland betrieben wird, die aus dem Niederbruch<lb/> der deutschen Industrie Bordelle ziehn oder ihn doch in Gemütsruhe mit¬<lb/> ansehen könnten, mehrt in England die Partei derer, die das Llermaniain<lb/> 6886 (t«z1önclg.in vertreten. Aber diese Stimmungen werden ans beiden Seiten<lb/> vorübergehn. Es ist das Charakteristikum der Volkspvlitik, daß sie immer wie<lb/> hypnotisiert auf einen Punkt starrt, der gerade im Vordergrunde steht, und<lb/> darum den Blick für das Ganze verliert, wie ihn der Staatsmann haben muß.<lb/> Die Erkenntnis der wahren Sachlage in der vermeintlichen Gefahr der deutsche»<lb/> Expansion für England wird aber auch in englischen Volkskreisen allmählich<lb/> durchdringen und damit zugleich das Bewußtsein, daß bei dein Mangel an ernsten<lb/> Gegensätzen und der gesamten Lage gegenüber alles vermieden werden muß,<lb/> solche künstlich zu schaffen, lind zwar ans beiden Seiten, Denn auch ans<lb/> deutscher Seite ist — nicht von der Diplomatie, sondern von Phantasie¬<lb/> politikern — zur Entstellung der wahren Lage viel beigetragen worden.</p><lb/> <p xml:id="ID_658" next="#ID_659"> Die Englandhetze ist jetzt bei uus modern, und wer ans Kommersen oder<lb/> sonstwo populär bei uns werden möchte, der kann es sehr schnell dnrch ein<lb/> Bonmot gegen England erreichen, und zahllose „Patrioten" suchen diesen billigen<lb/> Ruhm, Die Abneigung der Deutschen gegen die Engländer läßt sich ja wohl<lb/> erklären: daß die Engländer kein Verständnis für ein Volk von „Denkern" und<lb/> „Dichtern" haben, ist ans dem Gegensatz zwischen materiellem und idealem<lb/> Sinn zu verstehn; auch bei uns sehen die „praktischen" Kreise zuweilen ans<lb/> die geistigen Elemente mit einer gewissen Geringschätzung, weil diese noch andre<lb/> Ideale haben als den Thaler. Vielleicht stammt ein Teil der Abneigung<lb/> des Deutschen gegen den Engländer ans dein umgekehrten Gefühl, nämlich aus<lb/> dem idealen und ästhetischen Sinn des Deutschen, Es ist dasselbe wie mit dem<lb/> Antisemitismus: der ästhetische Deutsche sträubt sich gegen den jüdischen Rassen¬<lb/> typus, der ideale Deutsche gegen den krassen jüdischen Materialismus, und der<lb/> gesellschaftlich vornehur gebildete Deutsche gegen die unangenehmen Formen<lb/> des jüdischen Umgangs, Genau dasselbe könnte man mu.eg.dis nmtiwclis als<lb/> Deutscher gegen das Engländertum sagen, das nur bei uns zu sehen gewohnt<lb/> sind. Der Deutsche urteilt gern »ach Äußerlichkeiten und läßt sein Empfinden<lb/> gern von äußern Eindrücken bestimmen. Da erscheint uns ja die Kinnbacken-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0136]
zugleich einen großen Kampf wegen der französischen Kolonien, Dann erscheint
Deutschlands gefestigte Stellung in Mitteleuropa wieder der englischen Politik
notwendig, um die russische Politik von Asien abzulenken, und man sucht die
deutsche Freundschaft, um Rußland mehr um seine Westgrenze zu fesseln. Und
schließlich müssen auch noch Familienbeziehungen zwischen Petersburg und
London herhalten, um die russische Politik von der Wahrung der eignen
Interessen hinwegzulocken. Man sieht, es ist ein vrndari-us as riolrösss von
Problemen, die der britischen Staatskunst zur Lösung stehn.
Bei der jetzigen Schwäche Deutschlands zur See widersteht England wohl
nur schwer der Lockung, der deutschen Handelskonkurrenz ein schnelles Ende
zu bereiten, und zweifellos ist es dazu jetzt auch in der Lage, Die England¬
hetze, die von denen in Deutschland betrieben wird, die aus dem Niederbruch
der deutschen Industrie Bordelle ziehn oder ihn doch in Gemütsruhe mit¬
ansehen könnten, mehrt in England die Partei derer, die das Llermaniain
6886 (t«z1önclg.in vertreten. Aber diese Stimmungen werden ans beiden Seiten
vorübergehn. Es ist das Charakteristikum der Volkspvlitik, daß sie immer wie
hypnotisiert auf einen Punkt starrt, der gerade im Vordergrunde steht, und
darum den Blick für das Ganze verliert, wie ihn der Staatsmann haben muß.
Die Erkenntnis der wahren Sachlage in der vermeintlichen Gefahr der deutsche»
Expansion für England wird aber auch in englischen Volkskreisen allmählich
durchdringen und damit zugleich das Bewußtsein, daß bei dein Mangel an ernsten
Gegensätzen und der gesamten Lage gegenüber alles vermieden werden muß,
solche künstlich zu schaffen, lind zwar ans beiden Seiten, Denn auch ans
deutscher Seite ist — nicht von der Diplomatie, sondern von Phantasie¬
politikern — zur Entstellung der wahren Lage viel beigetragen worden.
Die Englandhetze ist jetzt bei uus modern, und wer ans Kommersen oder
sonstwo populär bei uns werden möchte, der kann es sehr schnell dnrch ein
Bonmot gegen England erreichen, und zahllose „Patrioten" suchen diesen billigen
Ruhm, Die Abneigung der Deutschen gegen die Engländer läßt sich ja wohl
erklären: daß die Engländer kein Verständnis für ein Volk von „Denkern" und
„Dichtern" haben, ist ans dem Gegensatz zwischen materiellem und idealem
Sinn zu verstehn; auch bei uns sehen die „praktischen" Kreise zuweilen ans
die geistigen Elemente mit einer gewissen Geringschätzung, weil diese noch andre
Ideale haben als den Thaler. Vielleicht stammt ein Teil der Abneigung
des Deutschen gegen den Engländer ans dein umgekehrten Gefühl, nämlich aus
dem idealen und ästhetischen Sinn des Deutschen, Es ist dasselbe wie mit dem
Antisemitismus: der ästhetische Deutsche sträubt sich gegen den jüdischen Rassen¬
typus, der ideale Deutsche gegen den krassen jüdischen Materialismus, und der
gesellschaftlich vornehur gebildete Deutsche gegen die unangenehmen Formen
des jüdischen Umgangs, Genau dasselbe könnte man mu.eg.dis nmtiwclis als
Deutscher gegen das Engländertum sagen, das nur bei uns zu sehen gewohnt
sind. Der Deutsche urteilt gern »ach Äußerlichkeiten und läßt sein Empfinden
gern von äußern Eindrücken bestimmen. Da erscheint uns ja die Kinnbacken-
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