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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche Weltpolitik

für die Franzosen immerdar bestehin '1'inröo 1)ii.rin<>L se clong. ksrvn^s. Die
Franzosen sind nicht allein der Erbfeind Deutschlands, sondern sie sind der
Erbfeind des Vvlkerfriedens.

lind selbst Menn eine Versöhnung zustande käme, dann bliebe noch immer
ein Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschlands Verbündeten, Italien und
Osterreich, die nicht dulden können, daß Frankreich sein Verlangen, die un¬
beschränkte Herrschaft im Mittelmeer, erfüllt sehe, und die darum enge Be¬
ziehungen zu dem seegewaltigen England unterhalten müssen. Insonderheit ist
Italien wegen seiner langgestreckten Küsten und wegen seines Kohlcnbedarfs
ans England angewiesen und kann niemals in Feindschaft zu ihm treten, ohne
seine Existenz zu gefährden. Wie das Bündnis zu Deutschland seine Land¬
grenzen sichert, so sichert England seine Küste, und aus diesem Grunde ist
Italien das Bindemittel des Dreibunds zu England.

Sehen wir zu, welche Interessen Englands Weltpolitik zu wahre" hat.

Englands Großmachtstellung beruht einzig und allein ans dem "größern
Britannien." Seine wirtschaftlichen und politischen Existenzmittel sind einseitig:
es ist Industriestaat und Seemacht. Englands Feind ist, wer ihm die Arbeits¬
gelegenheit zu nehmen droht. Es sind so im Grunde alle kolonialpolitischen
Völker seine Gegner, sodaß England die andern Volker nicht in Freunde oder
Feinde, sondern in Feinde erster, zweiter, dritter usw. Klasse einteilen und
seine Politik danach einrichten muß. In erster Linie stehn die, die gegen die
seiner Flagge unterstehenden Absatzgebiete drängen. Das ist Rußland, das
nicht wirtschaftlich, sondern politisch Englands Arbeitssphäre bedrängt, und
zwar ans der ganzen Linie von Konstantinopel bis Peking; dann Frankreich,
das das nordwestliche Afrika der britischen Flagge entzieh" will, und drittens
die Vereinigten Staaten von Nordamerika, deren panamerikanische Doktrin
Kanada bedroht. Deutschland schien nach englischer Anschanung gleichfalls
unter diese Feinde erster Klasse zu gehören, weil England von dem plötzlich
nach einem Kolonialbesitz strebenden Deutschland eine aggressive Mchrnngspolitik
fürchtete. Der Lärm, den England deshalb erhob, wurde wohl noch vermehrt
infolge der Erkenntnis der eignen Nachlässigkeit. England hat bis in die
achtziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts nichts gethan, von Staats wegen
seine Kolonien zu vergrößern; es fühlte sich sicher und überließ alles dem Zufall.
Erst als die Deutschen auf der Bildfläche erschienen, änderte es seine nachlässige
Haltung in der Kolonialpolitik in eine verstärkte Expansionspolitik in dem am
meisten vernachlässigten Kontinent, in Afrika, und es hat sich jetzt dort den Löwen¬
anteil zu sichern gewußt. Da diese Politik von gleichartigen Bestrebungen
der ander" Völker begleitet wurde, so war es natürlich, daß dem Eifer das
Kampfgeschrei entsprach, und vo" Afrika el" dauerndes Wetterleuchten nach
Europa hinüberzuckte. Diese Zeit ist nun vorbei; die Grenzen und Interessen
sind überall geregelt. Nur eine Frage ist noch geblieben, die ägyptische, aber
sie geht Deutschland nur insofern an, als ihr Bestehn England für eine freund-
liche Stellung zu Deutschland geneigt machen muß. Von der ägyptischen Frage


Die deutsche Weltpolitik

für die Franzosen immerdar bestehin '1'inröo 1)ii.rin<>L se clong. ksrvn^s. Die
Franzosen sind nicht allein der Erbfeind Deutschlands, sondern sie sind der
Erbfeind des Vvlkerfriedens.

lind selbst Menn eine Versöhnung zustande käme, dann bliebe noch immer
ein Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschlands Verbündeten, Italien und
Osterreich, die nicht dulden können, daß Frankreich sein Verlangen, die un¬
beschränkte Herrschaft im Mittelmeer, erfüllt sehe, und die darum enge Be¬
ziehungen zu dem seegewaltigen England unterhalten müssen. Insonderheit ist
Italien wegen seiner langgestreckten Küsten und wegen seines Kohlcnbedarfs
ans England angewiesen und kann niemals in Feindschaft zu ihm treten, ohne
seine Existenz zu gefährden. Wie das Bündnis zu Deutschland seine Land¬
grenzen sichert, so sichert England seine Küste, und aus diesem Grunde ist
Italien das Bindemittel des Dreibunds zu England.

Sehen wir zu, welche Interessen Englands Weltpolitik zu wahre» hat.

Englands Großmachtstellung beruht einzig und allein ans dem „größern
Britannien." Seine wirtschaftlichen und politischen Existenzmittel sind einseitig:
es ist Industriestaat und Seemacht. Englands Feind ist, wer ihm die Arbeits¬
gelegenheit zu nehmen droht. Es sind so im Grunde alle kolonialpolitischen
Völker seine Gegner, sodaß England die andern Volker nicht in Freunde oder
Feinde, sondern in Feinde erster, zweiter, dritter usw. Klasse einteilen und
seine Politik danach einrichten muß. In erster Linie stehn die, die gegen die
seiner Flagge unterstehenden Absatzgebiete drängen. Das ist Rußland, das
nicht wirtschaftlich, sondern politisch Englands Arbeitssphäre bedrängt, und
zwar ans der ganzen Linie von Konstantinopel bis Peking; dann Frankreich,
das das nordwestliche Afrika der britischen Flagge entzieh» will, und drittens
die Vereinigten Staaten von Nordamerika, deren panamerikanische Doktrin
Kanada bedroht. Deutschland schien nach englischer Anschanung gleichfalls
unter diese Feinde erster Klasse zu gehören, weil England von dem plötzlich
nach einem Kolonialbesitz strebenden Deutschland eine aggressive Mchrnngspolitik
fürchtete. Der Lärm, den England deshalb erhob, wurde wohl noch vermehrt
infolge der Erkenntnis der eignen Nachlässigkeit. England hat bis in die
achtziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts nichts gethan, von Staats wegen
seine Kolonien zu vergrößern; es fühlte sich sicher und überließ alles dem Zufall.
Erst als die Deutschen auf der Bildfläche erschienen, änderte es seine nachlässige
Haltung in der Kolonialpolitik in eine verstärkte Expansionspolitik in dem am
meisten vernachlässigten Kontinent, in Afrika, und es hat sich jetzt dort den Löwen¬
anteil zu sichern gewußt. Da diese Politik von gleichartigen Bestrebungen
der ander» Völker begleitet wurde, so war es natürlich, daß dem Eifer das
Kampfgeschrei entsprach, und vo» Afrika el» dauerndes Wetterleuchten nach
Europa hinüberzuckte. Diese Zeit ist nun vorbei; die Grenzen und Interessen
sind überall geregelt. Nur eine Frage ist noch geblieben, die ägyptische, aber
sie geht Deutschland nur insofern an, als ihr Bestehn England für eine freund-
liche Stellung zu Deutschland geneigt machen muß. Von der ägyptischen Frage


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[0133] Die deutsche Weltpolitik für die Franzosen immerdar bestehin '1'inröo 1)ii.rin<>L se clong. ksrvn^s. Die Franzosen sind nicht allein der Erbfeind Deutschlands, sondern sie sind der Erbfeind des Vvlkerfriedens. lind selbst Menn eine Versöhnung zustande käme, dann bliebe noch immer ein Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschlands Verbündeten, Italien und Osterreich, die nicht dulden können, daß Frankreich sein Verlangen, die un¬ beschränkte Herrschaft im Mittelmeer, erfüllt sehe, und die darum enge Be¬ ziehungen zu dem seegewaltigen England unterhalten müssen. Insonderheit ist Italien wegen seiner langgestreckten Küsten und wegen seines Kohlcnbedarfs ans England angewiesen und kann niemals in Feindschaft zu ihm treten, ohne seine Existenz zu gefährden. Wie das Bündnis zu Deutschland seine Land¬ grenzen sichert, so sichert England seine Küste, und aus diesem Grunde ist Italien das Bindemittel des Dreibunds zu England. Sehen wir zu, welche Interessen Englands Weltpolitik zu wahre» hat. Englands Großmachtstellung beruht einzig und allein ans dem „größern Britannien." Seine wirtschaftlichen und politischen Existenzmittel sind einseitig: es ist Industriestaat und Seemacht. Englands Feind ist, wer ihm die Arbeits¬ gelegenheit zu nehmen droht. Es sind so im Grunde alle kolonialpolitischen Völker seine Gegner, sodaß England die andern Volker nicht in Freunde oder Feinde, sondern in Feinde erster, zweiter, dritter usw. Klasse einteilen und seine Politik danach einrichten muß. In erster Linie stehn die, die gegen die seiner Flagge unterstehenden Absatzgebiete drängen. Das ist Rußland, das nicht wirtschaftlich, sondern politisch Englands Arbeitssphäre bedrängt, und zwar ans der ganzen Linie von Konstantinopel bis Peking; dann Frankreich, das das nordwestliche Afrika der britischen Flagge entzieh» will, und drittens die Vereinigten Staaten von Nordamerika, deren panamerikanische Doktrin Kanada bedroht. Deutschland schien nach englischer Anschanung gleichfalls unter diese Feinde erster Klasse zu gehören, weil England von dem plötzlich nach einem Kolonialbesitz strebenden Deutschland eine aggressive Mchrnngspolitik fürchtete. Der Lärm, den England deshalb erhob, wurde wohl noch vermehrt infolge der Erkenntnis der eignen Nachlässigkeit. England hat bis in die achtziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts nichts gethan, von Staats wegen seine Kolonien zu vergrößern; es fühlte sich sicher und überließ alles dem Zufall. Erst als die Deutschen auf der Bildfläche erschienen, änderte es seine nachlässige Haltung in der Kolonialpolitik in eine verstärkte Expansionspolitik in dem am meisten vernachlässigten Kontinent, in Afrika, und es hat sich jetzt dort den Löwen¬ anteil zu sichern gewußt. Da diese Politik von gleichartigen Bestrebungen der ander» Völker begleitet wurde, so war es natürlich, daß dem Eifer das Kampfgeschrei entsprach, und vo» Afrika el» dauerndes Wetterleuchten nach Europa hinüberzuckte. Diese Zeit ist nun vorbei; die Grenzen und Interessen sind überall geregelt. Nur eine Frage ist noch geblieben, die ägyptische, aber sie geht Deutschland nur insofern an, als ihr Bestehn England für eine freund- liche Stellung zu Deutschland geneigt machen muß. Von der ägyptischen Frage

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/133>, abgerufen am 01.10.2024.