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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die Flottonvorlage

das wissen sie genau, geht es überhaupt nicht, und jeder vernünftige Mensch
im Reich müßte, wenn er die Sache nur ernsthaft überlegt, den schließlich für
toll halten, der das verbieten, der einer solchen Schrulle wegen die Flotten-
Vermehrung, die er für dringlich hält, ablehnen oder verschleppen wollte.
Fürchtet man, daß die jetzt laufenden Einnahmequellen des Reichs in Zukunft
so wenig ergiebig sein werden, daß die Reichsschulden in bedenklichem Maße
durch die Ausführung der Novelle anwachsen konnten, so hat es der Reichstag
doch jederzeit in der Hand, die Bewilligung der weitern Bauraten von einer
gesteigerten Schuldentilgung abhängig zu machen und dazu, wenn nötig, neue
Einnahmequellen zu erschließen oder auf ihre Erschließung zu dringen.

Und was kann denn mit dem überhasteten Suchen nach neuen Steuern
für jetzt erreicht werden? Die eine Steuer ist dem, die andre jenem nicht recht;
jedenfalls ist zu erwarten, daß Einigkeit innerhalb der Neichstagsmehrheit und mit
den verbündeten Regierungen im Laufe des Jahres höchstens über einige wenige
neue, unbedeutende Steuern zu erzielen sein wird, deren Ertrag im Vergleich
mit den Jahresausgaben für eine Flvttenvermehrnng, die dem dringenden Zweck
entspräche, viel zu klein wäre. Wir neigen unsrerseits zu der Ansicht hin, daß
es in der That bei der Annahme und der Durchführung der Flottcnnovelle
erwünscht sein wird, rechtzeitig auf die Eröffnung neuer Einnahmequellen für
das Reich bedacht zu sein. Die vorläufige Schützung der Gesetzesmotive, daß
sich der größte Teil der außerordentlichen und alle erhöhten ordentlichen Aus¬
gaben durch die wachsenden ordentlichen Einnahmen würden decken lassen, ist
sicher zu optimistisch, und die Regierung hat vielleicht durch diese optimistische
Berechnung zum Teil den unnötigen Lärm über die Deckungsfrnge verschuldet.
Aber die rechte Zeit zu der Neichssteuerreform, die wir dringend zur Ver¬
meidung einer ungesunden Anleihewirtschaft wünschen, ist sicher nicht die
Gegenwart, diese durch die Dringlichkeit der Flottenvermehrung sehr engbe¬
grenzte Gegenwart, auch nicht einmal die Zeit bis zur Neuregelung unsrer
Zollpolitik nach Ablauf der Handelsverträge, Reichssteuerrcformen sind durch¬
weg viel schwieriger und komplizierter als Staatssteucrreformen. Wie will
man in wenig Wochen oder Monaten die Vorarbeiten für wirklich größere
Erträge versprechende Reichssteuern erledigen? Werden der Reichstag und der
Bundesrat blind auf irgendwelche neue, bedeutsamere Vorlagen eingehn? Die
Erfahrungen sprechen für das Gegenteil. Theoretisch scheint uns vielleicht eine
Reichserbschaftssteuer besonders schön, aber ihre schnelle praktische Durchführ¬
barkeit ist doch sehr zweifelhaft. Ebenso stehts mit der uns im Prinzip sym¬
pathischen, jüngst von Mayr genannten Erhöhung der Steuern auf Vier und
Cigarren. So aus dem Handgelenk solche Abgaben zu verfügen ist aber ganz
unmöglich. Will die erleuchtete Reichstagsmehrheit durchaus, daß ihr nach den
Osterferien die verbündeten Regierungen mit etwas plundrigem Stück- und
Flickwerk von Steuerprojekten aufwarte, nun dann mache man ihr das kind¬
liche Vergnügen! Aber die Deckungsfrage wird damit nicht gelöst werden.
Die ganze Vorlage kann nicht zu stände kommen, wenn man nicht vorläufig,


Die Flottonvorlage

das wissen sie genau, geht es überhaupt nicht, und jeder vernünftige Mensch
im Reich müßte, wenn er die Sache nur ernsthaft überlegt, den schließlich für
toll halten, der das verbieten, der einer solchen Schrulle wegen die Flotten-
Vermehrung, die er für dringlich hält, ablehnen oder verschleppen wollte.
Fürchtet man, daß die jetzt laufenden Einnahmequellen des Reichs in Zukunft
so wenig ergiebig sein werden, daß die Reichsschulden in bedenklichem Maße
durch die Ausführung der Novelle anwachsen konnten, so hat es der Reichstag
doch jederzeit in der Hand, die Bewilligung der weitern Bauraten von einer
gesteigerten Schuldentilgung abhängig zu machen und dazu, wenn nötig, neue
Einnahmequellen zu erschließen oder auf ihre Erschließung zu dringen.

Und was kann denn mit dem überhasteten Suchen nach neuen Steuern
für jetzt erreicht werden? Die eine Steuer ist dem, die andre jenem nicht recht;
jedenfalls ist zu erwarten, daß Einigkeit innerhalb der Neichstagsmehrheit und mit
den verbündeten Regierungen im Laufe des Jahres höchstens über einige wenige
neue, unbedeutende Steuern zu erzielen sein wird, deren Ertrag im Vergleich
mit den Jahresausgaben für eine Flvttenvermehrnng, die dem dringenden Zweck
entspräche, viel zu klein wäre. Wir neigen unsrerseits zu der Ansicht hin, daß
es in der That bei der Annahme und der Durchführung der Flottcnnovelle
erwünscht sein wird, rechtzeitig auf die Eröffnung neuer Einnahmequellen für
das Reich bedacht zu sein. Die vorläufige Schützung der Gesetzesmotive, daß
sich der größte Teil der außerordentlichen und alle erhöhten ordentlichen Aus¬
gaben durch die wachsenden ordentlichen Einnahmen würden decken lassen, ist
sicher zu optimistisch, und die Regierung hat vielleicht durch diese optimistische
Berechnung zum Teil den unnötigen Lärm über die Deckungsfrnge verschuldet.
Aber die rechte Zeit zu der Neichssteuerreform, die wir dringend zur Ver¬
meidung einer ungesunden Anleihewirtschaft wünschen, ist sicher nicht die
Gegenwart, diese durch die Dringlichkeit der Flottenvermehrung sehr engbe¬
grenzte Gegenwart, auch nicht einmal die Zeit bis zur Neuregelung unsrer
Zollpolitik nach Ablauf der Handelsverträge, Reichssteuerrcformen sind durch¬
weg viel schwieriger und komplizierter als Staatssteucrreformen. Wie will
man in wenig Wochen oder Monaten die Vorarbeiten für wirklich größere
Erträge versprechende Reichssteuern erledigen? Werden der Reichstag und der
Bundesrat blind auf irgendwelche neue, bedeutsamere Vorlagen eingehn? Die
Erfahrungen sprechen für das Gegenteil. Theoretisch scheint uns vielleicht eine
Reichserbschaftssteuer besonders schön, aber ihre schnelle praktische Durchführ¬
barkeit ist doch sehr zweifelhaft. Ebenso stehts mit der uns im Prinzip sym¬
pathischen, jüngst von Mayr genannten Erhöhung der Steuern auf Vier und
Cigarren. So aus dem Handgelenk solche Abgaben zu verfügen ist aber ganz
unmöglich. Will die erleuchtete Reichstagsmehrheit durchaus, daß ihr nach den
Osterferien die verbündeten Regierungen mit etwas plundrigem Stück- und
Flickwerk von Steuerprojekten aufwarte, nun dann mache man ihr das kind¬
liche Vergnügen! Aber die Deckungsfrage wird damit nicht gelöst werden.
Die ganze Vorlage kann nicht zu stände kommen, wenn man nicht vorläufig,


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[0124] Die Flottonvorlage das wissen sie genau, geht es überhaupt nicht, und jeder vernünftige Mensch im Reich müßte, wenn er die Sache nur ernsthaft überlegt, den schließlich für toll halten, der das verbieten, der einer solchen Schrulle wegen die Flotten- Vermehrung, die er für dringlich hält, ablehnen oder verschleppen wollte. Fürchtet man, daß die jetzt laufenden Einnahmequellen des Reichs in Zukunft so wenig ergiebig sein werden, daß die Reichsschulden in bedenklichem Maße durch die Ausführung der Novelle anwachsen konnten, so hat es der Reichstag doch jederzeit in der Hand, die Bewilligung der weitern Bauraten von einer gesteigerten Schuldentilgung abhängig zu machen und dazu, wenn nötig, neue Einnahmequellen zu erschließen oder auf ihre Erschließung zu dringen. Und was kann denn mit dem überhasteten Suchen nach neuen Steuern für jetzt erreicht werden? Die eine Steuer ist dem, die andre jenem nicht recht; jedenfalls ist zu erwarten, daß Einigkeit innerhalb der Neichstagsmehrheit und mit den verbündeten Regierungen im Laufe des Jahres höchstens über einige wenige neue, unbedeutende Steuern zu erzielen sein wird, deren Ertrag im Vergleich mit den Jahresausgaben für eine Flvttenvermehrnng, die dem dringenden Zweck entspräche, viel zu klein wäre. Wir neigen unsrerseits zu der Ansicht hin, daß es in der That bei der Annahme und der Durchführung der Flottcnnovelle erwünscht sein wird, rechtzeitig auf die Eröffnung neuer Einnahmequellen für das Reich bedacht zu sein. Die vorläufige Schützung der Gesetzesmotive, daß sich der größte Teil der außerordentlichen und alle erhöhten ordentlichen Aus¬ gaben durch die wachsenden ordentlichen Einnahmen würden decken lassen, ist sicher zu optimistisch, und die Regierung hat vielleicht durch diese optimistische Berechnung zum Teil den unnötigen Lärm über die Deckungsfrnge verschuldet. Aber die rechte Zeit zu der Neichssteuerreform, die wir dringend zur Ver¬ meidung einer ungesunden Anleihewirtschaft wünschen, ist sicher nicht die Gegenwart, diese durch die Dringlichkeit der Flottenvermehrung sehr engbe¬ grenzte Gegenwart, auch nicht einmal die Zeit bis zur Neuregelung unsrer Zollpolitik nach Ablauf der Handelsverträge, Reichssteuerrcformen sind durch¬ weg viel schwieriger und komplizierter als Staatssteucrreformen. Wie will man in wenig Wochen oder Monaten die Vorarbeiten für wirklich größere Erträge versprechende Reichssteuern erledigen? Werden der Reichstag und der Bundesrat blind auf irgendwelche neue, bedeutsamere Vorlagen eingehn? Die Erfahrungen sprechen für das Gegenteil. Theoretisch scheint uns vielleicht eine Reichserbschaftssteuer besonders schön, aber ihre schnelle praktische Durchführ¬ barkeit ist doch sehr zweifelhaft. Ebenso stehts mit der uns im Prinzip sym¬ pathischen, jüngst von Mayr genannten Erhöhung der Steuern auf Vier und Cigarren. So aus dem Handgelenk solche Abgaben zu verfügen ist aber ganz unmöglich. Will die erleuchtete Reichstagsmehrheit durchaus, daß ihr nach den Osterferien die verbündeten Regierungen mit etwas plundrigem Stück- und Flickwerk von Steuerprojekten aufwarte, nun dann mache man ihr das kind¬ liche Vergnügen! Aber die Deckungsfrage wird damit nicht gelöst werden. Die ganze Vorlage kann nicht zu stände kommen, wenn man nicht vorläufig,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/124>, abgerufen am 01.10.2024.