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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Auf Sizilien

prangenden Fruchtebne ringsum, der Corea d'Oro, auf den Flanken der grauen,
kahlen, aber wundervoll geformten Felsberge, die sie im Halbkreise umschließen,
den rötliche" Zacken und Flächen und Abstürzen des Monte Pellegrino, zu
dem die Spanier im Zickzack die bequeme Fahrstraße hinaufgeführt haben, und
auf den: glitzernden blaue Meere in: Osten. Der ganze Zauber Palermos ent¬
faltet sich hier oben, doch wenn Goethe hier von den "abgeschiednen Ge¬
spenstern," den geschichtlichen Erinnerungen nichts hören wollte, uns modernen
Deutschen drängen sie sich unabweislich auf. Hier in diesen Mauern haben die
arabischen Aghlabiden, die Normannen, die Hohenstaufen von Heinrich VI. bis
auf Manfred gewohnt und gebaut, dann die spanischen Vizekönige und die
Bourbonen; hier leisteten zu Ende Mai 1860 ihre Truppen den letzten Wider¬
stand gegen die empörte Stadt und die Rothemden Garibaldis. Und dort im
Osten, wenige hundert Schritt entfernt, erheben sich an einem weiten Platze
an der Nordseite des Cassaro seltsame, langgestreckte, gelbbraune Zinnenmauern
und starke Türme um eine schlanke Kuppel. Das ist der Dom von Palermo,
die Grabstätte seiner nordischen Beherrscher von dem Normannen Roger II. bis
aus den Hohenstaufen Friedrich II. Hier ist für jeden gebildeten Deutschen
heiliger Boden, mag er auch durchaus kein romantischer Schwärmer sein.

Vor der Südseite des gewaltigen Doms liegt ein prächtiger Platz, von
Marmorbalustraden und Heiligenstatuen umgeben, mit Fächerpalmen und
Blumenparterren geschmückt. Dahinter streckt sich über den niedrigern Mauern
der Seitenrüume, die nur von kleinen, schießschartenähnlichen Fenstern durch¬
brochen sind, ein trotziger Bau, eine lange ungegliederte Wand mit einer ziem¬
lich dichten Reihe schmaler Fenster in arabischem Spitzbogen, über einem Zahn¬
gesims gekrönt von arabischen Zinnen. Am Anfange des östlichen Drittels
springt nach dem Platze hin unter der Kuppel turmartig das Querschiff hervor.
Auch das Ostende selbst läuft in breiten, viereckigen, turmförmigen Erhöhungen
aus, und neben ihnen erheben sich über der runden Apsis des Chors, deren
Außenseite charakteristisch normannische Ornamente in schwarzer Farbe zeigt,
zwei viereckige Glockentürme mit spitzbogigen Fensteröffnungen. Zwei ähnliche
Türme liegen an der Westfront, und vor dieser, mit der Kirche selbst nur ganz
äußerlich durch Bogen verbunden, erhebt sich der große Glockenturm, aus seiner
massigen Basis aufsteigend und an deren Ecken von vier runden Türmchen
flankiert. So enthält der Bau wohl manches arabische Element, aber in seiner
burgartigen Geschlossenheit erinnert er viel mehr an die normännischen Kathe¬
dralen Englands, als an irgend welche italienische, und in der That war sein
Erbauer (1169 bis 1185) ein nvrmännischer Engländer, der Erzbischof Walther
of the Mill (Ormllörws 0Mg,miIiu8), der frühere Hofkaplan König Heinrichs II.
von England. Die folgenden Jahrhunderte haben noch mancherlei verändert,
restauriert und zugesetzt, vor allem die ganz stilwidrige Kuppel, die Fernando
Fug" gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts den: Widerspruche der Paler-
mitaner zum Trotze auf die Vierung setzte. Aber denkt man sich diese weg, so
hat wenigstens das Äußere des Domes sein ursprüngliches Gepräge bewahrt.


Auf Sizilien

prangenden Fruchtebne ringsum, der Corea d'Oro, auf den Flanken der grauen,
kahlen, aber wundervoll geformten Felsberge, die sie im Halbkreise umschließen,
den rötliche» Zacken und Flächen und Abstürzen des Monte Pellegrino, zu
dem die Spanier im Zickzack die bequeme Fahrstraße hinaufgeführt haben, und
auf den: glitzernden blaue Meere in: Osten. Der ganze Zauber Palermos ent¬
faltet sich hier oben, doch wenn Goethe hier von den „abgeschiednen Ge¬
spenstern," den geschichtlichen Erinnerungen nichts hören wollte, uns modernen
Deutschen drängen sie sich unabweislich auf. Hier in diesen Mauern haben die
arabischen Aghlabiden, die Normannen, die Hohenstaufen von Heinrich VI. bis
auf Manfred gewohnt und gebaut, dann die spanischen Vizekönige und die
Bourbonen; hier leisteten zu Ende Mai 1860 ihre Truppen den letzten Wider¬
stand gegen die empörte Stadt und die Rothemden Garibaldis. Und dort im
Osten, wenige hundert Schritt entfernt, erheben sich an einem weiten Platze
an der Nordseite des Cassaro seltsame, langgestreckte, gelbbraune Zinnenmauern
und starke Türme um eine schlanke Kuppel. Das ist der Dom von Palermo,
die Grabstätte seiner nordischen Beherrscher von dem Normannen Roger II. bis
aus den Hohenstaufen Friedrich II. Hier ist für jeden gebildeten Deutschen
heiliger Boden, mag er auch durchaus kein romantischer Schwärmer sein.

Vor der Südseite des gewaltigen Doms liegt ein prächtiger Platz, von
Marmorbalustraden und Heiligenstatuen umgeben, mit Fächerpalmen und
Blumenparterren geschmückt. Dahinter streckt sich über den niedrigern Mauern
der Seitenrüume, die nur von kleinen, schießschartenähnlichen Fenstern durch¬
brochen sind, ein trotziger Bau, eine lange ungegliederte Wand mit einer ziem¬
lich dichten Reihe schmaler Fenster in arabischem Spitzbogen, über einem Zahn¬
gesims gekrönt von arabischen Zinnen. Am Anfange des östlichen Drittels
springt nach dem Platze hin unter der Kuppel turmartig das Querschiff hervor.
Auch das Ostende selbst läuft in breiten, viereckigen, turmförmigen Erhöhungen
aus, und neben ihnen erheben sich über der runden Apsis des Chors, deren
Außenseite charakteristisch normannische Ornamente in schwarzer Farbe zeigt,
zwei viereckige Glockentürme mit spitzbogigen Fensteröffnungen. Zwei ähnliche
Türme liegen an der Westfront, und vor dieser, mit der Kirche selbst nur ganz
äußerlich durch Bogen verbunden, erhebt sich der große Glockenturm, aus seiner
massigen Basis aufsteigend und an deren Ecken von vier runden Türmchen
flankiert. So enthält der Bau wohl manches arabische Element, aber in seiner
burgartigen Geschlossenheit erinnert er viel mehr an die normännischen Kathe¬
dralen Englands, als an irgend welche italienische, und in der That war sein
Erbauer (1169 bis 1185) ein nvrmännischer Engländer, der Erzbischof Walther
of the Mill (Ormllörws 0Mg,miIiu8), der frühere Hofkaplan König Heinrichs II.
von England. Die folgenden Jahrhunderte haben noch mancherlei verändert,
restauriert und zugesetzt, vor allem die ganz stilwidrige Kuppel, die Fernando
Fug« gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts den: Widerspruche der Paler-
mitaner zum Trotze auf die Vierung setzte. Aber denkt man sich diese weg, so
hat wenigstens das Äußere des Domes sein ursprüngliches Gepräge bewahrt.


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[0102] Auf Sizilien prangenden Fruchtebne ringsum, der Corea d'Oro, auf den Flanken der grauen, kahlen, aber wundervoll geformten Felsberge, die sie im Halbkreise umschließen, den rötliche» Zacken und Flächen und Abstürzen des Monte Pellegrino, zu dem die Spanier im Zickzack die bequeme Fahrstraße hinaufgeführt haben, und auf den: glitzernden blaue Meere in: Osten. Der ganze Zauber Palermos ent¬ faltet sich hier oben, doch wenn Goethe hier von den „abgeschiednen Ge¬ spenstern," den geschichtlichen Erinnerungen nichts hören wollte, uns modernen Deutschen drängen sie sich unabweislich auf. Hier in diesen Mauern haben die arabischen Aghlabiden, die Normannen, die Hohenstaufen von Heinrich VI. bis auf Manfred gewohnt und gebaut, dann die spanischen Vizekönige und die Bourbonen; hier leisteten zu Ende Mai 1860 ihre Truppen den letzten Wider¬ stand gegen die empörte Stadt und die Rothemden Garibaldis. Und dort im Osten, wenige hundert Schritt entfernt, erheben sich an einem weiten Platze an der Nordseite des Cassaro seltsame, langgestreckte, gelbbraune Zinnenmauern und starke Türme um eine schlanke Kuppel. Das ist der Dom von Palermo, die Grabstätte seiner nordischen Beherrscher von dem Normannen Roger II. bis aus den Hohenstaufen Friedrich II. Hier ist für jeden gebildeten Deutschen heiliger Boden, mag er auch durchaus kein romantischer Schwärmer sein. Vor der Südseite des gewaltigen Doms liegt ein prächtiger Platz, von Marmorbalustraden und Heiligenstatuen umgeben, mit Fächerpalmen und Blumenparterren geschmückt. Dahinter streckt sich über den niedrigern Mauern der Seitenrüume, die nur von kleinen, schießschartenähnlichen Fenstern durch¬ brochen sind, ein trotziger Bau, eine lange ungegliederte Wand mit einer ziem¬ lich dichten Reihe schmaler Fenster in arabischem Spitzbogen, über einem Zahn¬ gesims gekrönt von arabischen Zinnen. Am Anfange des östlichen Drittels springt nach dem Platze hin unter der Kuppel turmartig das Querschiff hervor. Auch das Ostende selbst läuft in breiten, viereckigen, turmförmigen Erhöhungen aus, und neben ihnen erheben sich über der runden Apsis des Chors, deren Außenseite charakteristisch normannische Ornamente in schwarzer Farbe zeigt, zwei viereckige Glockentürme mit spitzbogigen Fensteröffnungen. Zwei ähnliche Türme liegen an der Westfront, und vor dieser, mit der Kirche selbst nur ganz äußerlich durch Bogen verbunden, erhebt sich der große Glockenturm, aus seiner massigen Basis aufsteigend und an deren Ecken von vier runden Türmchen flankiert. So enthält der Bau wohl manches arabische Element, aber in seiner burgartigen Geschlossenheit erinnert er viel mehr an die normännischen Kathe¬ dralen Englands, als an irgend welche italienische, und in der That war sein Erbauer (1169 bis 1185) ein nvrmännischer Engländer, der Erzbischof Walther of the Mill (Ormllörws 0Mg,miIiu8), der frühere Hofkaplan König Heinrichs II. von England. Die folgenden Jahrhunderte haben noch mancherlei verändert, restauriert und zugesetzt, vor allem die ganz stilwidrige Kuppel, die Fernando Fug« gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts den: Widerspruche der Paler- mitaner zum Trotze auf die Vierung setzte. Aber denkt man sich diese weg, so hat wenigstens das Äußere des Domes sein ursprüngliches Gepräge bewahrt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/102>, abgerufen am 01.10.2024.