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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Auf Sizilien

voll Glücks- und Herrschaftswechsel sind doch nächst der altgriechischen Zeit die
glänzendste Periode der sizilianischen Kultur gewesen. Fremde waren es beide¬
mal", die diese Blüte herausführten, auswärtige Erobrer, aber es ist so gewesen,
wie es Schiller in der "Braut von Messina" mit wenig Worten den einen
Chorführer sagen läßt:


Die fremden Eroberer kommen und gehen;
Wir gehorchen, aber wir bleiben stehen,

Sie sind alle dahin gegangen; Sizilien ist auf die Dauer weder griechisch noch
arabisch noch normannisch noch deutsch noch spanisch geworden, sondern sizilisch
geblieben; der einheimische, den Jtalikeru von jeher verwandte Grundstock der
Bevölkerung hat allen Wechsel überdauert und die fremden Elemente aus¬
gestoßen oder ausgesogen. Alle die fremden Sprachen, die einst in und um
Palermo gesprochen wurden, sind spurlos verhallt bis auf einige Namen; nur
in einer kleinen Anzahl vielfach ungestalteter und verstümmelter Gebäude tritt
uns diese mittelalterliche Völker- und Kulturmischung noch entgegen.

Da ist zunächst ganz im Südwesten der Stadt die kleine Kirche San
Giovanni degli Eremiti, schon von außen ein fremdartiger Bau mit völlig un¬
gegliederten, kahlen, nnr von kleinen schmalen Fenstern unterbrochner Mauern,
darüber vier größere und kleinere halbkugelförmige glatte rote Kuppeln und
ein niedriger viereckiger Glockenturm, der ebenfalls in eine Kuppel ausläuft;
im Innern tragen flache arabische Spitzbogen aus schlanken Säulen das Gebälk
des Daches, über dem sich fast unvermittelt die Kuppeln erheben. Die riesigen
Opuntien, die ringsum wachsen, machen den Eindruck noch fremdartiger, und
es ist wohl eine begründete Vermutung, daß König Roger II. 1132 die Kirche
nur erneuert hat, daß sie aber der Hauptsache uach eine altarabische Moschee
ist. Ganz aus seiner Zeit rührt dagegen jedenfalls der anschließende, malerische
Kreuzgang her. Auch als die Normannen selbständig zu bauen begannen,
schlössen sie sich vielfach noch an arabische und byzantinische Vorbilder an, wie
sich das aus der unvermeidlichen Verwendung arabischer und griechischer Bau¬
meister und der Überlegenheit einer alten Kultur von selbst ergab. Sie stellten
die arabischen Spitzbogen auf antike oder romanische Säulen, bedeckten die
Wände mit byzantinischen Glasmosaiken und arabischen Steinmustern, hielten
aber für ihre Kirchen meist am nordischen Langschiff fest, setzten schwere vier¬
eckige Türme dran und verzierten die breiten Außenflächen mit den nor¬
mannischen verschlungnen Bogen und Schachbrettfriesen.

Nein byzantinisch ist die Martvrann, die 1143 Rogers II. Großadmiral,
Georgios von Antiochia, für den griechischen Kultus errichtete, eine Kuppel
auf hohen Spitzbogen und schlanken Säulen, daneben ein zierlicher, unten vier¬
eckiger, oben ins Achteck übergehender Glockenturm. Alle Kunstelemente der
verschiedensten Epochen vereinigen sich dagegen in dem mächtigen Palazzo
reale. Da stand er vor uns in der brennenden Sonne unter einem azur¬
blauen Himmel an der Ostseite der weiten, mit schattigen Baumreihen be-


Auf Sizilien

voll Glücks- und Herrschaftswechsel sind doch nächst der altgriechischen Zeit die
glänzendste Periode der sizilianischen Kultur gewesen. Fremde waren es beide¬
mal«, die diese Blüte herausführten, auswärtige Erobrer, aber es ist so gewesen,
wie es Schiller in der „Braut von Messina" mit wenig Worten den einen
Chorführer sagen läßt:


Die fremden Eroberer kommen und gehen;
Wir gehorchen, aber wir bleiben stehen,

Sie sind alle dahin gegangen; Sizilien ist auf die Dauer weder griechisch noch
arabisch noch normannisch noch deutsch noch spanisch geworden, sondern sizilisch
geblieben; der einheimische, den Jtalikeru von jeher verwandte Grundstock der
Bevölkerung hat allen Wechsel überdauert und die fremden Elemente aus¬
gestoßen oder ausgesogen. Alle die fremden Sprachen, die einst in und um
Palermo gesprochen wurden, sind spurlos verhallt bis auf einige Namen; nur
in einer kleinen Anzahl vielfach ungestalteter und verstümmelter Gebäude tritt
uns diese mittelalterliche Völker- und Kulturmischung noch entgegen.

Da ist zunächst ganz im Südwesten der Stadt die kleine Kirche San
Giovanni degli Eremiti, schon von außen ein fremdartiger Bau mit völlig un¬
gegliederten, kahlen, nnr von kleinen schmalen Fenstern unterbrochner Mauern,
darüber vier größere und kleinere halbkugelförmige glatte rote Kuppeln und
ein niedriger viereckiger Glockenturm, der ebenfalls in eine Kuppel ausläuft;
im Innern tragen flache arabische Spitzbogen aus schlanken Säulen das Gebälk
des Daches, über dem sich fast unvermittelt die Kuppeln erheben. Die riesigen
Opuntien, die ringsum wachsen, machen den Eindruck noch fremdartiger, und
es ist wohl eine begründete Vermutung, daß König Roger II. 1132 die Kirche
nur erneuert hat, daß sie aber der Hauptsache uach eine altarabische Moschee
ist. Ganz aus seiner Zeit rührt dagegen jedenfalls der anschließende, malerische
Kreuzgang her. Auch als die Normannen selbständig zu bauen begannen,
schlössen sie sich vielfach noch an arabische und byzantinische Vorbilder an, wie
sich das aus der unvermeidlichen Verwendung arabischer und griechischer Bau¬
meister und der Überlegenheit einer alten Kultur von selbst ergab. Sie stellten
die arabischen Spitzbogen auf antike oder romanische Säulen, bedeckten die
Wände mit byzantinischen Glasmosaiken und arabischen Steinmustern, hielten
aber für ihre Kirchen meist am nordischen Langschiff fest, setzten schwere vier¬
eckige Türme dran und verzierten die breiten Außenflächen mit den nor¬
mannischen verschlungnen Bogen und Schachbrettfriesen.

Nein byzantinisch ist die Martvrann, die 1143 Rogers II. Großadmiral,
Georgios von Antiochia, für den griechischen Kultus errichtete, eine Kuppel
auf hohen Spitzbogen und schlanken Säulen, daneben ein zierlicher, unten vier¬
eckiger, oben ins Achteck übergehender Glockenturm. Alle Kunstelemente der
verschiedensten Epochen vereinigen sich dagegen in dem mächtigen Palazzo
reale. Da stand er vor uns in der brennenden Sonne unter einem azur¬
blauen Himmel an der Ostseite der weiten, mit schattigen Baumreihen be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/100>, abgerufen am 03.07.2024.