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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Uonstantinopel

einer Lyra in die Luft starren und bei jedem Tritt des Pferdes wippen. Auf
dem Sattel flattern festgebunden zwei Tauben. Diesem Pferde folgt ein andres
mit einem langen weißen, über und über mit Blut befleckten Tuch behängen.
Im Sattel sitzt ein Kind, ein etwa achtjähriger Knabe, gehalten von e.nem
Mann, der nebcnherschrcitet. Ein wenig vornübersitzend, hält sich der Knabe
mit der linken Hand an der Mähne, in der andern hat er einen krummen, kurzen
Säbel. Sein Schädel ist rasiert; auf ihm sind mehrere lange Schnittwunden,
aus denen das Blut ihm über Augen und Gesicht trieft. Hinter ihm auf einem
andern Pferde ein zweiter blutender Knabe, der eher noch kleiner ist und ans
dem Sattel schwankt, wenn das Tier auf dem schlüpfrigen, abschüssigen Pflaster
einen Schritt vorwärts macht; und schließlich noch ein kleines Mägdlein. das
nicht verwundet scheint. Hinter den Pferden kommt jetzt ans jeder Seite der
Gasse eine Reihe Männer heruntergeschritten, die Rücken der Mauer zugekehrt,
eine Reihe die andre ansehend, so schreiten sie seitwärts aus. M.t der linken
Hand hat jeder den Gürtel des Nebenmannes gefaßt; in der rechten schwingt
er zum Takte der Musik einen krummen Säbel oder ein kurzes Schwert. Der
Schädel ist rasiert; noch hat kaum einer eine Wunde darauf. Die weinen Hemden
sind noch rein. Aber indem sie zu jedem Schritt eine Silbe des Namens
Hassan herausstoßen. die erste dumpf, die zweite höher und lauter, suchen sie
sich in den Taumel der Begeisterung zu bringen, wie wir sie nachher wieder¬
sehen werden.

Der Zug von etwa fünfzig Männern ist vorüber. Wir eilen weiter
und sind nach wenigen Schritten in dem Thoreingang zum Val.de-Han. ^rr
kommen auf einen großen Hof. In der M.ete steht ein kleines Gebäude das
uns verhindert, den Hof ganz zu übersehen. Rings um dieses herum ist eine
Bahn abgesteckt. Ein Bindfaden und eine dünne Kette von Soldaten hindert
die Menge der Zuschauer, sie zu überfluten. Wir werden gleich von Soldaten
durch das Gelänge gebracht, nach einem Platz, wo eme Art Parkett und
L°ge hergerichtet ist. Hinter den offnen Fenstern einer kleinen Kaffeewirycha se
sitzen einige Herren und Damen, behütet von dem Kawaß irgend en,es Bot¬
schafters oder Konsuls. Bor den Fenstern haben einige Damen auf Stühlen
Platz genommen, und zwischen diesen Stühlen und dem Seil bewegen sich etwa
fünfzig bis hundert Europäer, die ihre., Nerven zumuten wollen , dem Schau¬
spiel beizuwohnen. Der Hos ist an seinen vier Ecken mit Fackeln beleuchtet,
und über den ihn umgebenden Läden und Fenstern sieht man Illuminationen
und Gasflammen wie bei uns.

^..Die zuschauende Menge wird aufmerksam. Von dem Thorweg kommt
em meckernder, klagender Gesang vieler Stimmen, der einem die Thränen in
d'e Augen und in die Nase treibt; er ist begleitet von einem mächtigen, dumpfen
^rauhes. wie von einer tiefgestimmten Pauke. Es naht ein Zug von
Männern mit schwarzen Tüchern um den Kopf und in schwarzen Kleidern,aus denen die linke Schulter und die linke Brust nackt und weiß hervorleuchten.
S'e bleiben stehn, bilden einen Kreis und schlagen, mit der geballten Faust
Weit ausholend, sich taktmäßig, so stark sie können, aus die nackte Brust. In


Uonstantinopel

einer Lyra in die Luft starren und bei jedem Tritt des Pferdes wippen. Auf
dem Sattel flattern festgebunden zwei Tauben. Diesem Pferde folgt ein andres
mit einem langen weißen, über und über mit Blut befleckten Tuch behängen.
Im Sattel sitzt ein Kind, ein etwa achtjähriger Knabe, gehalten von e.nem
Mann, der nebcnherschrcitet. Ein wenig vornübersitzend, hält sich der Knabe
mit der linken Hand an der Mähne, in der andern hat er einen krummen, kurzen
Säbel. Sein Schädel ist rasiert; auf ihm sind mehrere lange Schnittwunden,
aus denen das Blut ihm über Augen und Gesicht trieft. Hinter ihm auf einem
andern Pferde ein zweiter blutender Knabe, der eher noch kleiner ist und ans
dem Sattel schwankt, wenn das Tier auf dem schlüpfrigen, abschüssigen Pflaster
einen Schritt vorwärts macht; und schließlich noch ein kleines Mägdlein. das
nicht verwundet scheint. Hinter den Pferden kommt jetzt ans jeder Seite der
Gasse eine Reihe Männer heruntergeschritten, die Rücken der Mauer zugekehrt,
eine Reihe die andre ansehend, so schreiten sie seitwärts aus. M.t der linken
Hand hat jeder den Gürtel des Nebenmannes gefaßt; in der rechten schwingt
er zum Takte der Musik einen krummen Säbel oder ein kurzes Schwert. Der
Schädel ist rasiert; noch hat kaum einer eine Wunde darauf. Die weinen Hemden
sind noch rein. Aber indem sie zu jedem Schritt eine Silbe des Namens
Hassan herausstoßen. die erste dumpf, die zweite höher und lauter, suchen sie
sich in den Taumel der Begeisterung zu bringen, wie wir sie nachher wieder¬
sehen werden.

Der Zug von etwa fünfzig Männern ist vorüber. Wir eilen weiter
und sind nach wenigen Schritten in dem Thoreingang zum Val.de-Han. ^rr
kommen auf einen großen Hof. In der M.ete steht ein kleines Gebäude das
uns verhindert, den Hof ganz zu übersehen. Rings um dieses herum ist eine
Bahn abgesteckt. Ein Bindfaden und eine dünne Kette von Soldaten hindert
die Menge der Zuschauer, sie zu überfluten. Wir werden gleich von Soldaten
durch das Gelänge gebracht, nach einem Platz, wo eme Art Parkett und
L°ge hergerichtet ist. Hinter den offnen Fenstern einer kleinen Kaffeewirycha se
sitzen einige Herren und Damen, behütet von dem Kawaß irgend en,es Bot¬
schafters oder Konsuls. Bor den Fenstern haben einige Damen auf Stühlen
Platz genommen, und zwischen diesen Stühlen und dem Seil bewegen sich etwa
fünfzig bis hundert Europäer, die ihre., Nerven zumuten wollen , dem Schau¬
spiel beizuwohnen. Der Hos ist an seinen vier Ecken mit Fackeln beleuchtet,
und über den ihn umgebenden Läden und Fenstern sieht man Illuminationen
und Gasflammen wie bei uns.

^..Die zuschauende Menge wird aufmerksam. Von dem Thorweg kommt
em meckernder, klagender Gesang vieler Stimmen, der einem die Thränen in
d'e Augen und in die Nase treibt; er ist begleitet von einem mächtigen, dumpfen
^rauhes. wie von einer tiefgestimmten Pauke. Es naht ein Zug von
Männern mit schwarzen Tüchern um den Kopf und in schwarzen Kleidern,aus denen die linke Schulter und die linke Brust nackt und weiß hervorleuchten.
S'e bleiben stehn, bilden einen Kreis und schlagen, mit der geballten Faust
Weit ausholend, sich taktmäßig, so stark sie können, aus die nackte Brust. In


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[0647] Uonstantinopel einer Lyra in die Luft starren und bei jedem Tritt des Pferdes wippen. Auf dem Sattel flattern festgebunden zwei Tauben. Diesem Pferde folgt ein andres mit einem langen weißen, über und über mit Blut befleckten Tuch behängen. Im Sattel sitzt ein Kind, ein etwa achtjähriger Knabe, gehalten von e.nem Mann, der nebcnherschrcitet. Ein wenig vornübersitzend, hält sich der Knabe mit der linken Hand an der Mähne, in der andern hat er einen krummen, kurzen Säbel. Sein Schädel ist rasiert; auf ihm sind mehrere lange Schnittwunden, aus denen das Blut ihm über Augen und Gesicht trieft. Hinter ihm auf einem andern Pferde ein zweiter blutender Knabe, der eher noch kleiner ist und ans dem Sattel schwankt, wenn das Tier auf dem schlüpfrigen, abschüssigen Pflaster einen Schritt vorwärts macht; und schließlich noch ein kleines Mägdlein. das nicht verwundet scheint. Hinter den Pferden kommt jetzt ans jeder Seite der Gasse eine Reihe Männer heruntergeschritten, die Rücken der Mauer zugekehrt, eine Reihe die andre ansehend, so schreiten sie seitwärts aus. M.t der linken Hand hat jeder den Gürtel des Nebenmannes gefaßt; in der rechten schwingt er zum Takte der Musik einen krummen Säbel oder ein kurzes Schwert. Der Schädel ist rasiert; noch hat kaum einer eine Wunde darauf. Die weinen Hemden sind noch rein. Aber indem sie zu jedem Schritt eine Silbe des Namens Hassan herausstoßen. die erste dumpf, die zweite höher und lauter, suchen sie sich in den Taumel der Begeisterung zu bringen, wie wir sie nachher wieder¬ sehen werden. Der Zug von etwa fünfzig Männern ist vorüber. Wir eilen weiter und sind nach wenigen Schritten in dem Thoreingang zum Val.de-Han. ^rr kommen auf einen großen Hof. In der M.ete steht ein kleines Gebäude das uns verhindert, den Hof ganz zu übersehen. Rings um dieses herum ist eine Bahn abgesteckt. Ein Bindfaden und eine dünne Kette von Soldaten hindert die Menge der Zuschauer, sie zu überfluten. Wir werden gleich von Soldaten durch das Gelänge gebracht, nach einem Platz, wo eme Art Parkett und L°ge hergerichtet ist. Hinter den offnen Fenstern einer kleinen Kaffeewirycha se sitzen einige Herren und Damen, behütet von dem Kawaß irgend en,es Bot¬ schafters oder Konsuls. Bor den Fenstern haben einige Damen auf Stühlen Platz genommen, und zwischen diesen Stühlen und dem Seil bewegen sich etwa fünfzig bis hundert Europäer, die ihre., Nerven zumuten wollen , dem Schau¬ spiel beizuwohnen. Der Hos ist an seinen vier Ecken mit Fackeln beleuchtet, und über den ihn umgebenden Läden und Fenstern sieht man Illuminationen und Gasflammen wie bei uns. ^..Die zuschauende Menge wird aufmerksam. Von dem Thorweg kommt em meckernder, klagender Gesang vieler Stimmen, der einem die Thränen in d'e Augen und in die Nase treibt; er ist begleitet von einem mächtigen, dumpfen ^rauhes. wie von einer tiefgestimmten Pauke. Es naht ein Zug von Männern mit schwarzen Tüchern um den Kopf und in schwarzen Kleidern,aus denen die linke Schulter und die linke Brust nackt und weiß hervorleuchten. S'e bleiben stehn, bilden einen Kreis und schlagen, mit der geballten Faust Weit ausholend, sich taktmäßig, so stark sie können, aus die nackte Brust. In

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/647>, abgerufen am 02.10.2024.