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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Aus dem Elsaß

Seit Anfang des neuen Spieljnhres finde" die Aufführungen der elsüssischen
Volksstücke im Gebäude des stüdtischeu Theaters statt, und wer das Aussehen
des Zuschnuerraums während solcher Vorstellungen mit dem an gewöhnlichen
Spielabenden herrschenden vergleicht, dem stellt sich ein merkwürdig verändertes
Bild dar. Vom Parkett bis hinauf zur obersten Galerie breitet sich an Stelle
der gewohnten altdeutschen Zuhörerschaft ein vorwiegend elsässisches Publikum
aus, Altstraßburger Persönlichkeiten und Familien, und namentlich Sonntags
auch zahlreiche Angehörige der Landbevölkerung, die sonst weder die klassischen
Dramen Schillers noch die Schwüute Blumenthals und Kadelburgs zu locken
vermögen; im ersten Nang erscheinen an Stelle der bekannten Gesichter der
"Gesellschaft" vielfach die Typen des wohlbehübigen, alteingesessenen Bürger¬
tums, nnr ganz vereinzelt eine Uniform. In Wandelgängen und Foyer hört
man vorwiegend französisch und dieses reden; zwischen den vierschrötiger Ver¬
tretern der tßts <zg.rrs"z bewegen sich zierliche Herrchen von tadelloser Eleganz,
den Hut auf dein Kopf und das Spazierstöckchen in der Hand, und den Pariser
Toiletten gewisser Damen von reizvollstem Chic entströmt der verdächtige Pat-
schuliduft. Fürwahr, man merkt es, daß man in einem elsüssischen Theater
ist. Aber wohl verstanden -- einem Theater, das im Gegensatz zu dem ab¬
geschlossenen osrels der Mülhäuser Gesellschaft jedermann offen steht und es
der eingewanderten Bevölkerung anheimstellt, die Physiognomie des Publikums
durch rege Beteiligung zu verändern. Auch schließt der Umstand, daß hier das
altdeutsche Element, wenn anch nicht eben zahlreiche, doch wohlbeachtcte Ver¬
tretung findet, jeden feindlichen Gegensatz zu ihm aus; es wird beiderseits
mancher freundschaftliche Gruß und manches vertrauliche Wort gewechselt. Bei
weitem die Mehrzahl der Besucher wird lediglich durch das Bedürfnis harm¬
losen Genusses hergeführt, wie ihn jedes gute Volkstheater zu bieten vermag,
und das hiesige dein Elsüsser um so mehr verspricht, als es sein eigenstes
Wesen zur Darstellung bringt. Das hat auch für den Gebildeten seinen Reiz
und gewährt dem Kleinbürger ein Vergnügen, das er seinem ganzen Ver¬
ständnis gemäß weder in der hohen Kunst der Deutschen noch der Franzosen
zu finden weiß.


Der Hans im Schnökeloch
Bild znem Komödi brust
Denn was mer spielt,
Versteht er und,
Was er versteht,
Diß spielt mer und;
Der Hans im Schnökeloch
Vnd mein Komödi druf.

So klagte Bernhard 1860 in seinen, illustrierten Wochenblatt "Dr Hans im
Schnökeloch." Heute mag sich der Hans auch im Theater wohl fühlen, und
mit ihm mancher andre, wenn dieses Theater es versteht, das im Gesichtskreis
des schlichten Bürgers und Landmanns Liegende künstlerisch zu gestalten und
zu heben. Im Besitze dieser Kunst, oder wenigstens auf dem rechten Wege zu


Aus dem Elsaß

Seit Anfang des neuen Spieljnhres finde» die Aufführungen der elsüssischen
Volksstücke im Gebäude des stüdtischeu Theaters statt, und wer das Aussehen
des Zuschnuerraums während solcher Vorstellungen mit dem an gewöhnlichen
Spielabenden herrschenden vergleicht, dem stellt sich ein merkwürdig verändertes
Bild dar. Vom Parkett bis hinauf zur obersten Galerie breitet sich an Stelle
der gewohnten altdeutschen Zuhörerschaft ein vorwiegend elsässisches Publikum
aus, Altstraßburger Persönlichkeiten und Familien, und namentlich Sonntags
auch zahlreiche Angehörige der Landbevölkerung, die sonst weder die klassischen
Dramen Schillers noch die Schwüute Blumenthals und Kadelburgs zu locken
vermögen; im ersten Nang erscheinen an Stelle der bekannten Gesichter der
„Gesellschaft" vielfach die Typen des wohlbehübigen, alteingesessenen Bürger¬
tums, nnr ganz vereinzelt eine Uniform. In Wandelgängen und Foyer hört
man vorwiegend französisch und dieses reden; zwischen den vierschrötiger Ver¬
tretern der tßts <zg.rrs«z bewegen sich zierliche Herrchen von tadelloser Eleganz,
den Hut auf dein Kopf und das Spazierstöckchen in der Hand, und den Pariser
Toiletten gewisser Damen von reizvollstem Chic entströmt der verdächtige Pat-
schuliduft. Fürwahr, man merkt es, daß man in einem elsüssischen Theater
ist. Aber wohl verstanden — einem Theater, das im Gegensatz zu dem ab¬
geschlossenen osrels der Mülhäuser Gesellschaft jedermann offen steht und es
der eingewanderten Bevölkerung anheimstellt, die Physiognomie des Publikums
durch rege Beteiligung zu verändern. Auch schließt der Umstand, daß hier das
altdeutsche Element, wenn anch nicht eben zahlreiche, doch wohlbeachtcte Ver¬
tretung findet, jeden feindlichen Gegensatz zu ihm aus; es wird beiderseits
mancher freundschaftliche Gruß und manches vertrauliche Wort gewechselt. Bei
weitem die Mehrzahl der Besucher wird lediglich durch das Bedürfnis harm¬
losen Genusses hergeführt, wie ihn jedes gute Volkstheater zu bieten vermag,
und das hiesige dein Elsüsser um so mehr verspricht, als es sein eigenstes
Wesen zur Darstellung bringt. Das hat auch für den Gebildeten seinen Reiz
und gewährt dem Kleinbürger ein Vergnügen, das er seinem ganzen Ver¬
ständnis gemäß weder in der hohen Kunst der Deutschen noch der Franzosen
zu finden weiß.


Der Hans im Schnökeloch
Bild znem Komödi brust
Denn was mer spielt,
Versteht er und,
Was er versteht,
Diß spielt mer und;
Der Hans im Schnökeloch
Vnd mein Komödi druf.

So klagte Bernhard 1860 in seinen, illustrierten Wochenblatt „Dr Hans im
Schnökeloch." Heute mag sich der Hans auch im Theater wohl fühlen, und
mit ihm mancher andre, wenn dieses Theater es versteht, das im Gesichtskreis
des schlichten Bürgers und Landmanns Liegende künstlerisch zu gestalten und
zu heben. Im Besitze dieser Kunst, oder wenigstens auf dem rechten Wege zu


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[0636] Aus dem Elsaß Seit Anfang des neuen Spieljnhres finde» die Aufführungen der elsüssischen Volksstücke im Gebäude des stüdtischeu Theaters statt, und wer das Aussehen des Zuschnuerraums während solcher Vorstellungen mit dem an gewöhnlichen Spielabenden herrschenden vergleicht, dem stellt sich ein merkwürdig verändertes Bild dar. Vom Parkett bis hinauf zur obersten Galerie breitet sich an Stelle der gewohnten altdeutschen Zuhörerschaft ein vorwiegend elsässisches Publikum aus, Altstraßburger Persönlichkeiten und Familien, und namentlich Sonntags auch zahlreiche Angehörige der Landbevölkerung, die sonst weder die klassischen Dramen Schillers noch die Schwüute Blumenthals und Kadelburgs zu locken vermögen; im ersten Nang erscheinen an Stelle der bekannten Gesichter der „Gesellschaft" vielfach die Typen des wohlbehübigen, alteingesessenen Bürger¬ tums, nnr ganz vereinzelt eine Uniform. In Wandelgängen und Foyer hört man vorwiegend französisch und dieses reden; zwischen den vierschrötiger Ver¬ tretern der tßts <zg.rrs«z bewegen sich zierliche Herrchen von tadelloser Eleganz, den Hut auf dein Kopf und das Spazierstöckchen in der Hand, und den Pariser Toiletten gewisser Damen von reizvollstem Chic entströmt der verdächtige Pat- schuliduft. Fürwahr, man merkt es, daß man in einem elsüssischen Theater ist. Aber wohl verstanden — einem Theater, das im Gegensatz zu dem ab¬ geschlossenen osrels der Mülhäuser Gesellschaft jedermann offen steht und es der eingewanderten Bevölkerung anheimstellt, die Physiognomie des Publikums durch rege Beteiligung zu verändern. Auch schließt der Umstand, daß hier das altdeutsche Element, wenn anch nicht eben zahlreiche, doch wohlbeachtcte Ver¬ tretung findet, jeden feindlichen Gegensatz zu ihm aus; es wird beiderseits mancher freundschaftliche Gruß und manches vertrauliche Wort gewechselt. Bei weitem die Mehrzahl der Besucher wird lediglich durch das Bedürfnis harm¬ losen Genusses hergeführt, wie ihn jedes gute Volkstheater zu bieten vermag, und das hiesige dein Elsüsser um so mehr verspricht, als es sein eigenstes Wesen zur Darstellung bringt. Das hat auch für den Gebildeten seinen Reiz und gewährt dem Kleinbürger ein Vergnügen, das er seinem ganzen Ver¬ ständnis gemäß weder in der hohen Kunst der Deutschen noch der Franzosen zu finden weiß. Der Hans im Schnökeloch Bild znem Komödi brust Denn was mer spielt, Versteht er und, Was er versteht, Diß spielt mer und; Der Hans im Schnökeloch Vnd mein Komödi druf. So klagte Bernhard 1860 in seinen, illustrierten Wochenblatt „Dr Hans im Schnökeloch." Heute mag sich der Hans auch im Theater wohl fühlen, und mit ihm mancher andre, wenn dieses Theater es versteht, das im Gesichtskreis des schlichten Bürgers und Landmanns Liegende künstlerisch zu gestalten und zu heben. Im Besitze dieser Kunst, oder wenigstens auf dem rechten Wege zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/636>, abgerufen am 04.07.2024.