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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Englische INeinungsmache

Schande zuzudecken, ist diesesmnl nicht gelungen; die öffentliche Meinung der
ganzen Welt hat sich im hellen Lichte der Thatsachen bilden können, und sie
hat sich mit Ausnahme der Griechen, Serben und des einst unsxe^adlö?urlc
gegen England ausgesprochen.

Um so größer ist der Wunsch, sie zu gewinnen, um so krampfhafter das
Begehren, sie zu widerlegen, und um so thatkräftiger sind die Schritte, um so
gewissenloser die Mittel, auch zu diesem Ziele zu gelangen.

Das Verfahren zerfällt in zwei Teile: einen verneinenden und einen auf¬
bauenden. Den ersten besorgt freiwillig, und ohne daß es eines besondern
Antriebs bedürfte, die englische Berichterstattung im Auslande. Sie hat sich
stillschweigend das Wort gegeben, nach dem Rezepte zu verfahren, das sich auf
folgende Betrachtung gründet: Unser Krieg ist über allen Zweifel hinaus gerecht.
Das beweisen wir mit allen Mitteln, und ans ein wenig mehr oder runder
Verdrehung und Entstellung kommt es dabei nicht an. Jede Ansicht, die sich
auf dem Festlande oder in Amerika mittelbar oder unmittelbar unter diese
Haupt- und Grundanschauung bringen läßt, wird aufgetrieben; ausführlich er¬
wähnt, gepriesen als die Weisheit eines Daniel; das Gegenteil wird vertuscht,
entstellt,' mit Hohn und Spott behandelt oder am liebsten mit der neuzeitiger
Art des Lügens totgeschwiegen. Hierfür Beweise anzuführen, ist ebenso leicht
wie müßig:'die Herren Engländer Werdens jn wissen; für uns Deutsche mögen
wenige Beispiele genügen. Mommsens schöner Brief wird völlig totgeschwiegen.
Nur der Lwncw-ä bedauert mit mitleidigem Lächeln, daß auch dieser Mann
unter den unzähligen hohlköpfigen deutschen Schreiern sei. Ein Leitartikel
wäre nicht zu wenig gewesen, hätte Mommsen -- den man mit Virchow,
Richter und'den deutschen "Liberalen" überhaupt noch immer für England in
Anspruch nimmt und feiert -- für die gerechte Sache Englands geschrieben.
Ein andres Blatt reiht den großen Gelehrten unter neunzigjährige Mummel-
"reise. Von den sämtlichen Reden zur Flottcnvorlage, die doch manches gute
und ehrliche deutsche Wort über den Fall England gegen Südafrika enthielten,
bringen Swicw-et, 1)^ N<zns u. a. nur die Bebels in langer Aus¬
führung! Dr. Leyds wird als der Held der Berliner Schönen hingestellt.
Der Regent von Mecklenburg erhält wie ein Schuljunge eine Strafpredigt von
seinem Oberlehrer, dem deutschen Kaiser. Welchen Einfluß überhaupt dieser
auf uns Deutsche hat. davon machen wir uns gar keinen, die Engländer sich
Agenten Begriff: "Die Nachricht vom Entsatz Kimberleys hat ein Gefühl der
Befriedigung unter allen Deutschen hervorgerufen, die nicht zu dem kleinen,
aber doch in gewissen Kreisen einflußreichen Haufen arti-englischer Prahler ge¬
hören. Dies'beweist, daß die Abneigung gegen uns, die vor wenigen Mo¬
naten in Deutschland gewiß ziemlich stark war, vor den sehr kräftigen Äuße¬
rungen des Kaisers zurückgewichen ist, der auf den Schaden hinwies, den
Deutschlands auswärtige Beziehungen dnrch solche Anschauungen erleiden
konnten." (8tM.W'.l, 17. Februar 1900.)

In der rwss wird mit breitem Behagen wiederum Bebels Rede über


Englische INeinungsmache

Schande zuzudecken, ist diesesmnl nicht gelungen; die öffentliche Meinung der
ganzen Welt hat sich im hellen Lichte der Thatsachen bilden können, und sie
hat sich mit Ausnahme der Griechen, Serben und des einst unsxe^adlö?urlc
gegen England ausgesprochen.

Um so größer ist der Wunsch, sie zu gewinnen, um so krampfhafter das
Begehren, sie zu widerlegen, und um so thatkräftiger sind die Schritte, um so
gewissenloser die Mittel, auch zu diesem Ziele zu gelangen.

Das Verfahren zerfällt in zwei Teile: einen verneinenden und einen auf¬
bauenden. Den ersten besorgt freiwillig, und ohne daß es eines besondern
Antriebs bedürfte, die englische Berichterstattung im Auslande. Sie hat sich
stillschweigend das Wort gegeben, nach dem Rezepte zu verfahren, das sich auf
folgende Betrachtung gründet: Unser Krieg ist über allen Zweifel hinaus gerecht.
Das beweisen wir mit allen Mitteln, und ans ein wenig mehr oder runder
Verdrehung und Entstellung kommt es dabei nicht an. Jede Ansicht, die sich
auf dem Festlande oder in Amerika mittelbar oder unmittelbar unter diese
Haupt- und Grundanschauung bringen läßt, wird aufgetrieben; ausführlich er¬
wähnt, gepriesen als die Weisheit eines Daniel; das Gegenteil wird vertuscht,
entstellt,' mit Hohn und Spott behandelt oder am liebsten mit der neuzeitiger
Art des Lügens totgeschwiegen. Hierfür Beweise anzuführen, ist ebenso leicht
wie müßig:'die Herren Engländer Werdens jn wissen; für uns Deutsche mögen
wenige Beispiele genügen. Mommsens schöner Brief wird völlig totgeschwiegen.
Nur der Lwncw-ä bedauert mit mitleidigem Lächeln, daß auch dieser Mann
unter den unzähligen hohlköpfigen deutschen Schreiern sei. Ein Leitartikel
wäre nicht zu wenig gewesen, hätte Mommsen — den man mit Virchow,
Richter und'den deutschen „Liberalen" überhaupt noch immer für England in
Anspruch nimmt und feiert — für die gerechte Sache Englands geschrieben.
Ein andres Blatt reiht den großen Gelehrten unter neunzigjährige Mummel-
»reise. Von den sämtlichen Reden zur Flottcnvorlage, die doch manches gute
und ehrliche deutsche Wort über den Fall England gegen Südafrika enthielten,
bringen Swicw-et, 1)^ N<zns u. a. nur die Bebels in langer Aus¬
führung! Dr. Leyds wird als der Held der Berliner Schönen hingestellt.
Der Regent von Mecklenburg erhält wie ein Schuljunge eine Strafpredigt von
seinem Oberlehrer, dem deutschen Kaiser. Welchen Einfluß überhaupt dieser
auf uns Deutsche hat. davon machen wir uns gar keinen, die Engländer sich
Agenten Begriff: „Die Nachricht vom Entsatz Kimberleys hat ein Gefühl der
Befriedigung unter allen Deutschen hervorgerufen, die nicht zu dem kleinen,
aber doch in gewissen Kreisen einflußreichen Haufen arti-englischer Prahler ge¬
hören. Dies'beweist, daß die Abneigung gegen uns, die vor wenigen Mo¬
naten in Deutschland gewiß ziemlich stark war, vor den sehr kräftigen Äuße¬
rungen des Kaisers zurückgewichen ist, der auf den Schaden hinwies, den
Deutschlands auswärtige Beziehungen dnrch solche Anschauungen erleiden
konnten." (8tM.W'.l, 17. Februar 1900.)

In der rwss wird mit breitem Behagen wiederum Bebels Rede über


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[0629] Englische INeinungsmache Schande zuzudecken, ist diesesmnl nicht gelungen; die öffentliche Meinung der ganzen Welt hat sich im hellen Lichte der Thatsachen bilden können, und sie hat sich mit Ausnahme der Griechen, Serben und des einst unsxe^adlö?urlc gegen England ausgesprochen. Um so größer ist der Wunsch, sie zu gewinnen, um so krampfhafter das Begehren, sie zu widerlegen, und um so thatkräftiger sind die Schritte, um so gewissenloser die Mittel, auch zu diesem Ziele zu gelangen. Das Verfahren zerfällt in zwei Teile: einen verneinenden und einen auf¬ bauenden. Den ersten besorgt freiwillig, und ohne daß es eines besondern Antriebs bedürfte, die englische Berichterstattung im Auslande. Sie hat sich stillschweigend das Wort gegeben, nach dem Rezepte zu verfahren, das sich auf folgende Betrachtung gründet: Unser Krieg ist über allen Zweifel hinaus gerecht. Das beweisen wir mit allen Mitteln, und ans ein wenig mehr oder runder Verdrehung und Entstellung kommt es dabei nicht an. Jede Ansicht, die sich auf dem Festlande oder in Amerika mittelbar oder unmittelbar unter diese Haupt- und Grundanschauung bringen läßt, wird aufgetrieben; ausführlich er¬ wähnt, gepriesen als die Weisheit eines Daniel; das Gegenteil wird vertuscht, entstellt,' mit Hohn und Spott behandelt oder am liebsten mit der neuzeitiger Art des Lügens totgeschwiegen. Hierfür Beweise anzuführen, ist ebenso leicht wie müßig:'die Herren Engländer Werdens jn wissen; für uns Deutsche mögen wenige Beispiele genügen. Mommsens schöner Brief wird völlig totgeschwiegen. Nur der Lwncw-ä bedauert mit mitleidigem Lächeln, daß auch dieser Mann unter den unzähligen hohlköpfigen deutschen Schreiern sei. Ein Leitartikel wäre nicht zu wenig gewesen, hätte Mommsen — den man mit Virchow, Richter und'den deutschen „Liberalen" überhaupt noch immer für England in Anspruch nimmt und feiert — für die gerechte Sache Englands geschrieben. Ein andres Blatt reiht den großen Gelehrten unter neunzigjährige Mummel- »reise. Von den sämtlichen Reden zur Flottcnvorlage, die doch manches gute und ehrliche deutsche Wort über den Fall England gegen Südafrika enthielten, bringen Swicw-et, 1)^ N<zns u. a. nur die Bebels in langer Aus¬ führung! Dr. Leyds wird als der Held der Berliner Schönen hingestellt. Der Regent von Mecklenburg erhält wie ein Schuljunge eine Strafpredigt von seinem Oberlehrer, dem deutschen Kaiser. Welchen Einfluß überhaupt dieser auf uns Deutsche hat. davon machen wir uns gar keinen, die Engländer sich Agenten Begriff: „Die Nachricht vom Entsatz Kimberleys hat ein Gefühl der Befriedigung unter allen Deutschen hervorgerufen, die nicht zu dem kleinen, aber doch in gewissen Kreisen einflußreichen Haufen arti-englischer Prahler ge¬ hören. Dies'beweist, daß die Abneigung gegen uns, die vor wenigen Mo¬ naten in Deutschland gewiß ziemlich stark war, vor den sehr kräftigen Äuße¬ rungen des Kaisers zurückgewichen ist, der auf den Schaden hinwies, den Deutschlands auswärtige Beziehungen dnrch solche Anschauungen erleiden konnten." (8tM.W'.l, 17. Februar 1900.) In der rwss wird mit breitem Behagen wiederum Bebels Rede über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/629>, abgerufen am 04.07.2024.