Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein zeitgenössischer Bericht über den Rastadter Gescindtemnord

die Anwesenheit der Damen erschwert, Debry erwiderte, daß sie während der
Revolution schon bei schlechtem Wegen gereist seien, und daß es den Damen
an Mut nicht fehle. Er besprach sich aber noch einmal mit seinen Kollegen-
Bonnier wollte sogleich Weiterreisen, und Noberjot erklärte, er werde sich den
Beschlüssen der übrigen fügen. So reisten sie denn ab. Ich nahm von
Roberjot nochmals Abschied und ging nach Hause mit der Absicht, nicht mehr
auszugehn. Es war neun Uhr vorüber. Etwa eine halbe Stunde später
meldete mir mein zum Tode erschreckter, kaum der Sprache mächtiger Diener,
daß eiir großes Unglück geschehn und Bonnier in Stücke zerhauen worden sei.
Tödlicher Schrecken ergriff mich ich konnte an die Wahrheit dieser Mit¬
teilung nicht glauben und warf mich in meine Kleider, um zu erfahren, was
geschehn sei. Alsbald hörte ich, daß der Wagenzug der Franzosen durch Öster¬
reicher angehalten worden sei, daß die Minister ermordet seien, lind daß ich
Rosenstiel bei dem bübischer Minister finden würde. Ich eilte sogleich dorthin.
Der unglückliche Nosensticl saß auf einem Lehnstuhl und war in einem Zustande
von Schreck und Aufregung, der ihn fast seiner Vernunft beraubte. Bei ihm
saßen die Herren von Meyer, Kepleri?) und von Edelsheim. Als ich mich
ihm näherte, gab er Zeichen des Entsetzens -- ich rief ihn bei seinem Namen,
erinnerte ihn daran, daß wir Freunde seien, und sagte ihm: "Erkennen Sie mich
doch, Roscnstiel" -- er aber schrie: "Mau will mich töten, ich bin ein Verlorner
Mann, ich bin kein Mensch mehr, in Gottes Namen: tötet mich nicht." Und
dies wiederholte er, sobald sich ihm neue Personen näherten. Endlich erkannte
er mich, und ich fragte ihn sogleich, was denn geschehn sei. Er erzählte, daß
man den Wagen Debrys angehalten habe, daß er die Schüsse der Angreifer
und das Geschrei der Sterbenden gehört habe. Voller Entsetzen sei er ent-
flohn, wohin, wisse er selbst nicht. Er sei erst zur Besinnung gekommen, als
er ans dem protestantischen Kirchhofe gewesen sei, von wo er längs der Mauer
hin- und hergeirrt und über verschiedene Hecken gesetzt sei, bis er endlich zu
Herrn von Meyer gelangt sei. Einen Augenblick später wurde gemeldet, daß
Roberjots Wagen im Geleit von Husaren angefahren komme. Ich stürzte hinaus
in der Richtung der Großen Straße und sah in der That den Wagen heran¬
kommen -- er war von Szeklern begleitet, die Fackeln trugen, und näherte sich
langsam. Die berittuen Husaren suchten uus zurückzuhalten, und erst auf die
heftigen Vorstellungen, die Graf Bernstorff,^ Herr von Jordan und ich erhoben,
ließ man uns an den Wagen herantreten, worin der Diener Roberjots mit
seiner Herrin war. Er erkannte mich und rief mir zu: inonsisur, 8auvW
Naclii,irts -- ich rief sie bei Namen, sie vermochte aber mir durch Schluchzen
zu antworten und drückte meine dargereichte Hand, brach aber in erneutes
Schluchzen aus. Durch Zeichen gab der Diener mir zu versteh", daß sein Herr
in Stücke gehauen sei, daß er das selbst mit angesehen habe, sich aber nicht
habe entschließen können, seinen Herrn zu verlassen und zu fliehn.



Königlich preußischer Legationsrat.
Ein zeitgenössischer Bericht über den Rastadter Gescindtemnord

die Anwesenheit der Damen erschwert, Debry erwiderte, daß sie während der
Revolution schon bei schlechtem Wegen gereist seien, und daß es den Damen
an Mut nicht fehle. Er besprach sich aber noch einmal mit seinen Kollegen-
Bonnier wollte sogleich Weiterreisen, und Noberjot erklärte, er werde sich den
Beschlüssen der übrigen fügen. So reisten sie denn ab. Ich nahm von
Roberjot nochmals Abschied und ging nach Hause mit der Absicht, nicht mehr
auszugehn. Es war neun Uhr vorüber. Etwa eine halbe Stunde später
meldete mir mein zum Tode erschreckter, kaum der Sprache mächtiger Diener,
daß eiir großes Unglück geschehn und Bonnier in Stücke zerhauen worden sei.
Tödlicher Schrecken ergriff mich ich konnte an die Wahrheit dieser Mit¬
teilung nicht glauben und warf mich in meine Kleider, um zu erfahren, was
geschehn sei. Alsbald hörte ich, daß der Wagenzug der Franzosen durch Öster¬
reicher angehalten worden sei, daß die Minister ermordet seien, lind daß ich
Rosenstiel bei dem bübischer Minister finden würde. Ich eilte sogleich dorthin.
Der unglückliche Nosensticl saß auf einem Lehnstuhl und war in einem Zustande
von Schreck und Aufregung, der ihn fast seiner Vernunft beraubte. Bei ihm
saßen die Herren von Meyer, Kepleri?) und von Edelsheim. Als ich mich
ihm näherte, gab er Zeichen des Entsetzens — ich rief ihn bei seinem Namen,
erinnerte ihn daran, daß wir Freunde seien, und sagte ihm: „Erkennen Sie mich
doch, Roscnstiel" — er aber schrie: „Mau will mich töten, ich bin ein Verlorner
Mann, ich bin kein Mensch mehr, in Gottes Namen: tötet mich nicht." Und
dies wiederholte er, sobald sich ihm neue Personen näherten. Endlich erkannte
er mich, und ich fragte ihn sogleich, was denn geschehn sei. Er erzählte, daß
man den Wagen Debrys angehalten habe, daß er die Schüsse der Angreifer
und das Geschrei der Sterbenden gehört habe. Voller Entsetzen sei er ent-
flohn, wohin, wisse er selbst nicht. Er sei erst zur Besinnung gekommen, als
er ans dem protestantischen Kirchhofe gewesen sei, von wo er längs der Mauer
hin- und hergeirrt und über verschiedene Hecken gesetzt sei, bis er endlich zu
Herrn von Meyer gelangt sei. Einen Augenblick später wurde gemeldet, daß
Roberjots Wagen im Geleit von Husaren angefahren komme. Ich stürzte hinaus
in der Richtung der Großen Straße und sah in der That den Wagen heran¬
kommen — er war von Szeklern begleitet, die Fackeln trugen, und näherte sich
langsam. Die berittuen Husaren suchten uus zurückzuhalten, und erst auf die
heftigen Vorstellungen, die Graf Bernstorff,^ Herr von Jordan und ich erhoben,
ließ man uns an den Wagen herantreten, worin der Diener Roberjots mit
seiner Herrin war. Er erkannte mich und rief mir zu: inonsisur, 8auvW
Naclii,irts — ich rief sie bei Namen, sie vermochte aber mir durch Schluchzen
zu antworten und drückte meine dargereichte Hand, brach aber in erneutes
Schluchzen aus. Durch Zeichen gab der Diener mir zu versteh», daß sein Herr
in Stücke gehauen sei, daß er das selbst mit angesehen habe, sich aber nicht
habe entschließen können, seinen Herrn zu verlassen und zu fliehn.



Königlich preußischer Legationsrat.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0582" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/233134"/>
          <fw type="header" place="top"> Ein zeitgenössischer Bericht über den Rastadter Gescindtemnord</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1894" prev="#ID_1893"> die Anwesenheit der Damen erschwert, Debry erwiderte, daß sie während der<lb/>
Revolution schon bei schlechtem Wegen gereist seien, und daß es den Damen<lb/>
an Mut nicht fehle. Er besprach sich aber noch einmal mit seinen Kollegen-<lb/>
Bonnier wollte sogleich Weiterreisen, und Noberjot erklärte, er werde sich den<lb/>
Beschlüssen der übrigen fügen. So reisten sie denn ab. Ich nahm von<lb/>
Roberjot nochmals Abschied und ging nach Hause mit der Absicht, nicht mehr<lb/>
auszugehn. Es war neun Uhr vorüber. Etwa eine halbe Stunde später<lb/>
meldete mir mein zum Tode erschreckter, kaum der Sprache mächtiger Diener,<lb/>
daß eiir großes Unglück geschehn und Bonnier in Stücke zerhauen worden sei.<lb/>
Tödlicher Schrecken ergriff mich ich konnte an die Wahrheit dieser Mit¬<lb/>
teilung nicht glauben und warf mich in meine Kleider, um zu erfahren, was<lb/>
geschehn sei. Alsbald hörte ich, daß der Wagenzug der Franzosen durch Öster¬<lb/>
reicher angehalten worden sei, daß die Minister ermordet seien, lind daß ich<lb/>
Rosenstiel bei dem bübischer Minister finden würde. Ich eilte sogleich dorthin.<lb/>
Der unglückliche Nosensticl saß auf einem Lehnstuhl und war in einem Zustande<lb/>
von Schreck und Aufregung, der ihn fast seiner Vernunft beraubte. Bei ihm<lb/>
saßen die Herren von Meyer, Kepleri?) und von Edelsheim. Als ich mich<lb/>
ihm näherte, gab er Zeichen des Entsetzens &#x2014; ich rief ihn bei seinem Namen,<lb/>
erinnerte ihn daran, daß wir Freunde seien, und sagte ihm: &#x201E;Erkennen Sie mich<lb/>
doch, Roscnstiel" &#x2014; er aber schrie: &#x201E;Mau will mich töten, ich bin ein Verlorner<lb/>
Mann, ich bin kein Mensch mehr, in Gottes Namen: tötet mich nicht." Und<lb/>
dies wiederholte er, sobald sich ihm neue Personen näherten. Endlich erkannte<lb/>
er mich, und ich fragte ihn sogleich, was denn geschehn sei. Er erzählte, daß<lb/>
man den Wagen Debrys angehalten habe, daß er die Schüsse der Angreifer<lb/>
und das Geschrei der Sterbenden gehört habe. Voller Entsetzen sei er ent-<lb/>
flohn, wohin, wisse er selbst nicht. Er sei erst zur Besinnung gekommen, als<lb/>
er ans dem protestantischen Kirchhofe gewesen sei, von wo er längs der Mauer<lb/>
hin- und hergeirrt und über verschiedene Hecken gesetzt sei, bis er endlich zu<lb/>
Herrn von Meyer gelangt sei. Einen Augenblick später wurde gemeldet, daß<lb/>
Roberjots Wagen im Geleit von Husaren angefahren komme. Ich stürzte hinaus<lb/>
in der Richtung der Großen Straße und sah in der That den Wagen heran¬<lb/>
kommen &#x2014; er war von Szeklern begleitet, die Fackeln trugen, und näherte sich<lb/>
langsam. Die berittuen Husaren suchten uus zurückzuhalten, und erst auf die<lb/>
heftigen Vorstellungen, die Graf Bernstorff,^ Herr von Jordan und ich erhoben,<lb/>
ließ man uns an den Wagen herantreten, worin der Diener Roberjots mit<lb/>
seiner Herrin war. Er erkannte mich und rief mir zu: inonsisur, 8auvW<lb/>
Naclii,irts &#x2014; ich rief sie bei Namen, sie vermochte aber mir durch Schluchzen<lb/>
zu antworten und drückte meine dargereichte Hand, brach aber in erneutes<lb/>
Schluchzen aus. Durch Zeichen gab der Diener mir zu versteh», daß sein Herr<lb/>
in Stücke gehauen sei, daß er das selbst mit angesehen habe, sich aber nicht<lb/>
habe entschließen können, seinen Herrn zu verlassen und zu fliehn.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_99" place="foot"> Königlich preußischer Legationsrat.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0582] Ein zeitgenössischer Bericht über den Rastadter Gescindtemnord die Anwesenheit der Damen erschwert, Debry erwiderte, daß sie während der Revolution schon bei schlechtem Wegen gereist seien, und daß es den Damen an Mut nicht fehle. Er besprach sich aber noch einmal mit seinen Kollegen- Bonnier wollte sogleich Weiterreisen, und Noberjot erklärte, er werde sich den Beschlüssen der übrigen fügen. So reisten sie denn ab. Ich nahm von Roberjot nochmals Abschied und ging nach Hause mit der Absicht, nicht mehr auszugehn. Es war neun Uhr vorüber. Etwa eine halbe Stunde später meldete mir mein zum Tode erschreckter, kaum der Sprache mächtiger Diener, daß eiir großes Unglück geschehn und Bonnier in Stücke zerhauen worden sei. Tödlicher Schrecken ergriff mich ich konnte an die Wahrheit dieser Mit¬ teilung nicht glauben und warf mich in meine Kleider, um zu erfahren, was geschehn sei. Alsbald hörte ich, daß der Wagenzug der Franzosen durch Öster¬ reicher angehalten worden sei, daß die Minister ermordet seien, lind daß ich Rosenstiel bei dem bübischer Minister finden würde. Ich eilte sogleich dorthin. Der unglückliche Nosensticl saß auf einem Lehnstuhl und war in einem Zustande von Schreck und Aufregung, der ihn fast seiner Vernunft beraubte. Bei ihm saßen die Herren von Meyer, Kepleri?) und von Edelsheim. Als ich mich ihm näherte, gab er Zeichen des Entsetzens — ich rief ihn bei seinem Namen, erinnerte ihn daran, daß wir Freunde seien, und sagte ihm: „Erkennen Sie mich doch, Roscnstiel" — er aber schrie: „Mau will mich töten, ich bin ein Verlorner Mann, ich bin kein Mensch mehr, in Gottes Namen: tötet mich nicht." Und dies wiederholte er, sobald sich ihm neue Personen näherten. Endlich erkannte er mich, und ich fragte ihn sogleich, was denn geschehn sei. Er erzählte, daß man den Wagen Debrys angehalten habe, daß er die Schüsse der Angreifer und das Geschrei der Sterbenden gehört habe. Voller Entsetzen sei er ent- flohn, wohin, wisse er selbst nicht. Er sei erst zur Besinnung gekommen, als er ans dem protestantischen Kirchhofe gewesen sei, von wo er längs der Mauer hin- und hergeirrt und über verschiedene Hecken gesetzt sei, bis er endlich zu Herrn von Meyer gelangt sei. Einen Augenblick später wurde gemeldet, daß Roberjots Wagen im Geleit von Husaren angefahren komme. Ich stürzte hinaus in der Richtung der Großen Straße und sah in der That den Wagen heran¬ kommen — er war von Szeklern begleitet, die Fackeln trugen, und näherte sich langsam. Die berittuen Husaren suchten uus zurückzuhalten, und erst auf die heftigen Vorstellungen, die Graf Bernstorff,^ Herr von Jordan und ich erhoben, ließ man uns an den Wagen herantreten, worin der Diener Roberjots mit seiner Herrin war. Er erkannte mich und rief mir zu: inonsisur, 8auvW Naclii,irts — ich rief sie bei Namen, sie vermochte aber mir durch Schluchzen zu antworten und drückte meine dargereichte Hand, brach aber in erneutes Schluchzen aus. Durch Zeichen gab der Diener mir zu versteh», daß sein Herr in Stücke gehauen sei, daß er das selbst mit angesehen habe, sich aber nicht habe entschließen können, seinen Herrn zu verlassen und zu fliehn. Königlich preußischer Legationsrat.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/582
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/582>, abgerufen am 04.07.2024.