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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Lin zeitgenössischer Bericht über den Rastadter Gesandtenmord

die französischen Gesandten am 25. April, daß sie binnen drei Tagen abreisen
würden; noch vor Ausführung dieser Absicht, am 28. April, ging ihnen ein
Schreiben des Kommandierenden der heranrückenden k. k. Truppen, des Obristen
Barbaczy (vom Szekler Husarenregiment) zu, das ihnen die Abreise binnen vier¬
undzwanzig Stunden vorschrieb. Der Überbringer dieses Schreibens war der
Szekler Husarenrittmeister Burkhard gewesen, der mit einige" Reitern in Rasende
eingetroffen war. Über die folgenden Ereignisse, die Abreise der Franzosen,
den gegen sie ausgeführten mörderischen Überfall, die Ermordung Bonniers
und Rvberjots und die Rettung Jean Debrys liegt eine Anzahl zeitgenössischer
Berichte vor, unter denen der in der Nacht vom 28. auf den 29. April redi¬
gierte "gemeinschaftliche Bericht der Gesandtschaften deutscher Höfe" der älteste
und zuverlässigste ist. Dieses von dem preußischen Gesandten von Dohm ver¬
faßte Aktenstück trügt die Unterschrift der Gesandtschafter Preußens (Graf von
Görtz, von Jacobi, von Dohm), Braunschweig-Lüneburgs (von Reden), Hol¬
stein-Dünemarks (von Rosenkranz), der Kurpfalz (Freiherr von Rechberg),
Hessen-Darmstadts (Freiherr von Gelzert), Hessen-Kassels (Graf Taube), der
wetterauischen und ivestfülisch-protestantischen Grafen (Graf Solms-Laubnch),
der nassauischen Hüuser (Freiherr von Cruse) und der freien Stadt Frankfurt
(Schweizer) und ist für alle auf den Gegenstand bezüglichen spätern Erörte¬
rungen und Darstellungen die Grundlage gewesen. Die Zahl dieser Aus-
einandersetzungen ist zu groß, als daß auch nur die hauptsächlichste" aufgeführt
werden könnten. H. Husserl, K. Mendelssohn-Bartholdy, von Heisere. Georg
Müller u. a. haben in ihren dem "Rastadter Gesandtenmorde" gewidmete"
Schriften die Summe der wirklich oder angeblich festgestellten Thatsachen zu
ziehn versucht, abschließende Resultate aber nicht zu gewinnen vermocht, sondern
die auf die Sache bezüglichen Hypothesen gegen einander abgewogen. Bis zur
Stunde wird darüber gestritten, ob das von Husaren des Barbaczyscheu Szekler
Regiments ausgeführte Verbrechen auf österreichische, englische oder französische
Veranlassung zurückzuführen ist, ob Graf Lehrbach, die Königin Karoline von
Neapel, Bonaparte, das Pariser Direktorium oder eine Gruppe französischer
Emigranten dahinter gestanden haben. Für keine dieser Auffassungen sind
bündige Beweise beigebracht worden -- auch nicht für die von gewissen
Historikern besonders bevorzugte Aufstellung einer Anstiftung durch die Emi¬
granten. Die ungleich näher liegende Meinung, daß eine Verkettung von Um¬
stünden vorgelegen habe, und daß es ursprünglich nicht aus die Ermordung,
sondern auf eine Ausplünderung der vermeintlich in den Besitz wichtiger
Papiere gelangten Franzosen abgesehen gewesen sei -- diese Meinung ist zuerst
von einem Teilnehmer des Kongresses, dem dänischen Legationsrat Eggers (in
den Briefen über die Auflösung des Rastadter Kongresses, Braunschweig, 1809)
ausgesprochen, von der Mehrzahl späterer Historiker jedoch beiseite gelassen
worden.

Eine Antwort auf die Frage, wo die wahren Schuldigen zu suchen seien,
vermag auch das nachstehend wiedergegebne Dokument nicht zu erteilen. Dafür


Lin zeitgenössischer Bericht über den Rastadter Gesandtenmord

die französischen Gesandten am 25. April, daß sie binnen drei Tagen abreisen
würden; noch vor Ausführung dieser Absicht, am 28. April, ging ihnen ein
Schreiben des Kommandierenden der heranrückenden k. k. Truppen, des Obristen
Barbaczy (vom Szekler Husarenregiment) zu, das ihnen die Abreise binnen vier¬
undzwanzig Stunden vorschrieb. Der Überbringer dieses Schreibens war der
Szekler Husarenrittmeister Burkhard gewesen, der mit einige» Reitern in Rasende
eingetroffen war. Über die folgenden Ereignisse, die Abreise der Franzosen,
den gegen sie ausgeführten mörderischen Überfall, die Ermordung Bonniers
und Rvberjots und die Rettung Jean Debrys liegt eine Anzahl zeitgenössischer
Berichte vor, unter denen der in der Nacht vom 28. auf den 29. April redi¬
gierte „gemeinschaftliche Bericht der Gesandtschaften deutscher Höfe" der älteste
und zuverlässigste ist. Dieses von dem preußischen Gesandten von Dohm ver¬
faßte Aktenstück trügt die Unterschrift der Gesandtschafter Preußens (Graf von
Görtz, von Jacobi, von Dohm), Braunschweig-Lüneburgs (von Reden), Hol¬
stein-Dünemarks (von Rosenkranz), der Kurpfalz (Freiherr von Rechberg),
Hessen-Darmstadts (Freiherr von Gelzert), Hessen-Kassels (Graf Taube), der
wetterauischen und ivestfülisch-protestantischen Grafen (Graf Solms-Laubnch),
der nassauischen Hüuser (Freiherr von Cruse) und der freien Stadt Frankfurt
(Schweizer) und ist für alle auf den Gegenstand bezüglichen spätern Erörte¬
rungen und Darstellungen die Grundlage gewesen. Die Zahl dieser Aus-
einandersetzungen ist zu groß, als daß auch nur die hauptsächlichste» aufgeführt
werden könnten. H. Husserl, K. Mendelssohn-Bartholdy, von Heisere. Georg
Müller u. a. haben in ihren dem „Rastadter Gesandtenmorde" gewidmete»
Schriften die Summe der wirklich oder angeblich festgestellten Thatsachen zu
ziehn versucht, abschließende Resultate aber nicht zu gewinnen vermocht, sondern
die auf die Sache bezüglichen Hypothesen gegen einander abgewogen. Bis zur
Stunde wird darüber gestritten, ob das von Husaren des Barbaczyscheu Szekler
Regiments ausgeführte Verbrechen auf österreichische, englische oder französische
Veranlassung zurückzuführen ist, ob Graf Lehrbach, die Königin Karoline von
Neapel, Bonaparte, das Pariser Direktorium oder eine Gruppe französischer
Emigranten dahinter gestanden haben. Für keine dieser Auffassungen sind
bündige Beweise beigebracht worden — auch nicht für die von gewissen
Historikern besonders bevorzugte Aufstellung einer Anstiftung durch die Emi¬
granten. Die ungleich näher liegende Meinung, daß eine Verkettung von Um¬
stünden vorgelegen habe, und daß es ursprünglich nicht aus die Ermordung,
sondern auf eine Ausplünderung der vermeintlich in den Besitz wichtiger
Papiere gelangten Franzosen abgesehen gewesen sei — diese Meinung ist zuerst
von einem Teilnehmer des Kongresses, dem dänischen Legationsrat Eggers (in
den Briefen über die Auflösung des Rastadter Kongresses, Braunschweig, 1809)
ausgesprochen, von der Mehrzahl späterer Historiker jedoch beiseite gelassen
worden.

Eine Antwort auf die Frage, wo die wahren Schuldigen zu suchen seien,
vermag auch das nachstehend wiedergegebne Dokument nicht zu erteilen. Dafür


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/578>, abgerufen am 04.07.2024.