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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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hüllte Abschriften aus dem Gesetz und den Motive", Sie werden mich dadurch
nicht wesentlich anders, daß sie sich mit einigen Zitaten aus Ulpian drapieren
und gelegentlich bemerken: ebenso das gemeine Recht - - anders das gemeine
Recht. Dabei können die Verfasser gewiß vortreffliche und wohlmeinende
Männer sein und sogar Kolouialpräfckten werden. Aber das beweist nichts
gegen mich: noch weniger natürlich, daß das ahnungslose Lesepnblikuin mög¬
lichst schnell mehrere Auflagen davon aufkauft.

Räthe dn mir also mehr zu einem Kommentar oder zu einem Lehrbuch?

Zu keinem. Für Kommentare ist jetzt noch nicht Zeit. Sie fallen deshalb
fast sämtlich aus wie versteckte Lehrbücher. Jetzt gilt es hauptsächlich das
Gesetz kennen zu lernen; und es ist gerade lang genug; es darf nicht noch
länger gemacht werden. Durch gesammelte Vorträge, meinst du? Auf die fall
ja nicht rein; denn die werden nie fertig. Zu allerletzt die, die die kürzesten
Lieferungsfristen versprochen haben. Oder gar ein Lehrbuch! Das kann heute
überhaupt gar keiner mehr schreiben; dazu fehlt eS allen a" Fleiß und Sitz¬
fleisch. Aber -- was noch wichtiger ist -- es wird es mich niemand mehr
lesen wollen. Jetzt spuken in den Köpfen noch solche Vorurteile, alte Remi-
niscenzen an Julia" u"d Paulus. Aber laßt nur erst null ein Dutzend Jahre
ins Land gehn; da ist das alles wie weggefegt. Wir haben jetzt das Gesetz¬
buch; da brauche" nur keine Gelehrsamkeit mehr. Die ist bloß für die armen
Menschen, die keine Paragraphen habe". Bei uns heißes bloß noch: Wo
stehts? Buch, Titel, lex, Paragraph, und damit Punktum! Die Zahlen sind
die Hauptsache. Einfach aufgeschlagen und dann frischweg angewandt!

So einfach scheint mir die Sache den" doch "icht zu sein, wagte ich zu
bemerken. Das Auffinden, das ist gar nicht immer so einfach. Und dann die
Widersprüche --

Hier runzelte aber mein Vetter wieder die Stirn, so drohend, daß ich
begütigend hinzufügte: Wenigstens scheinbare. Ich kaun uun einmal die beiden
Stellen absolut nicht zusammenreime".

Na, zeig null her; das wird schon nicht so lebensgefährlich sein. Also
hier, hin h"i, Tragung der Gefahr, na das ist ja doch ganz klar: i" der
letzten Stelle (l. 13 all^. as vörivulo 18, 6) wird eben ein Verschulden des
Verkäufers angenommen.

Aber dann to""te der Jurist doch nicht sagen, daß den Verkäufer die
Gefahr treffe. Vielmehr geht er anscheinend von einer ganz untern Auffassung
aus, und das ist mir unerklärlich.

Das erklärt sich vielmehr mißerst einfach. Im ersten Entwurf war be¬
kanntlich aus logischen Gründen der Satz aufgestellt worden, daß der Verkäufer
bie Gefahr trage. Ju der zweiten Kommission wurden dann siebzehn ver-
schiedne Abünderungsanträge gestellt. Du kannst das nähere aus de" gesamten
Materialien ersehen. Sie sind zwar nicht veröffentlicht worden, aber sogenannten
Eingeweihten zugänglich; und fast kein moderner Schriftsteller versäumt es zu
verrate", daß er z" diesen Glücklichen gehöre.


hüllte Abschriften aus dem Gesetz und den Motive», Sie werden mich dadurch
nicht wesentlich anders, daß sie sich mit einigen Zitaten aus Ulpian drapieren
und gelegentlich bemerken: ebenso das gemeine Recht - - anders das gemeine
Recht. Dabei können die Verfasser gewiß vortreffliche und wohlmeinende
Männer sein und sogar Kolouialpräfckten werden. Aber das beweist nichts
gegen mich: noch weniger natürlich, daß das ahnungslose Lesepnblikuin mög¬
lichst schnell mehrere Auflagen davon aufkauft.

Räthe dn mir also mehr zu einem Kommentar oder zu einem Lehrbuch?

Zu keinem. Für Kommentare ist jetzt noch nicht Zeit. Sie fallen deshalb
fast sämtlich aus wie versteckte Lehrbücher. Jetzt gilt es hauptsächlich das
Gesetz kennen zu lernen; und es ist gerade lang genug; es darf nicht noch
länger gemacht werden. Durch gesammelte Vorträge, meinst du? Auf die fall
ja nicht rein; denn die werden nie fertig. Zu allerletzt die, die die kürzesten
Lieferungsfristen versprochen haben. Oder gar ein Lehrbuch! Das kann heute
überhaupt gar keiner mehr schreiben; dazu fehlt eS allen a» Fleiß und Sitz¬
fleisch. Aber — was noch wichtiger ist — es wird es mich niemand mehr
lesen wollen. Jetzt spuken in den Köpfen noch solche Vorurteile, alte Remi-
niscenzen an Julia» u»d Paulus. Aber laßt nur erst null ein Dutzend Jahre
ins Land gehn; da ist das alles wie weggefegt. Wir haben jetzt das Gesetz¬
buch; da brauche» nur keine Gelehrsamkeit mehr. Die ist bloß für die armen
Menschen, die keine Paragraphen habe». Bei uns heißes bloß noch: Wo
stehts? Buch, Titel, lex, Paragraph, und damit Punktum! Die Zahlen sind
die Hauptsache. Einfach aufgeschlagen und dann frischweg angewandt!

So einfach scheint mir die Sache den» doch »icht zu sein, wagte ich zu
bemerken. Das Auffinden, das ist gar nicht immer so einfach. Und dann die
Widersprüche —

Hier runzelte aber mein Vetter wieder die Stirn, so drohend, daß ich
begütigend hinzufügte: Wenigstens scheinbare. Ich kaun uun einmal die beiden
Stellen absolut nicht zusammenreime».

Na, zeig null her; das wird schon nicht so lebensgefährlich sein. Also
hier, hin h„i, Tragung der Gefahr, na das ist ja doch ganz klar: i» der
letzten Stelle (l. 13 all^. as vörivulo 18, 6) wird eben ein Verschulden des
Verkäufers angenommen.

Aber dann to»»te der Jurist doch nicht sagen, daß den Verkäufer die
Gefahr treffe. Vielmehr geht er anscheinend von einer ganz untern Auffassung
aus, und das ist mir unerklärlich.

Das erklärt sich vielmehr mißerst einfach. Im ersten Entwurf war be¬
kanntlich aus logischen Gründen der Satz aufgestellt worden, daß der Verkäufer
bie Gefahr trage. Ju der zweiten Kommission wurden dann siebzehn ver-
schiedne Abünderungsanträge gestellt. Du kannst das nähere aus de» gesamten
Materialien ersehen. Sie sind zwar nicht veröffentlicht worden, aber sogenannten
Eingeweihten zugänglich; und fast kein moderner Schriftsteller versäumt es zu
verrate», daß er z» diesen Glücklichen gehöre.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/567>, abgerufen am 04.07.2024.