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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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l^rbstl'ndet' aus Italien

Der erste Gasthof des Orts, La Pernice (Rebhuhn), gleich am Anfange
der Hauptstraße, ist allerdings noch ein einfaches, bürgerliches Haus. Aber
die Wirtin, eine lebhafte Frau mit scharfgeschnittnen Zügen und vollem
dunkeln Haar, stellte uns mit Bereitwilligkeit zwei große Zimmer im ersten
Stockwerk zur Verfügung, die alles Nötige vollständig und sauber enthielten,
und als wir, von einem Spaziergange durch die Vorstadt San Mauro, das
Thal aufwärts, zurückgekehrt, beim Abendbrot faßen, dessen Hauptbestandteile
das unvermeidliche Potio (Huhn) und ein trefflicher Landwein waren, erschien
auch der Wirt, zugleich Vorsteher der königlichen Post, ein schöner Mann von
gewandten Formen, der natürlich nur italienisch sprach, denn sobald man in
Italien von der großen Heerstraße abbiegt, ist auf nichts andres mehr zu
rechnen. Mit ihm wurde das Programm für den nächsten Tag genau fest¬
gesetzt, und da wir zuerst zu den Klöstern hinaufsteigen, dann aber quer durch
das Gebirge über Olevano nach der Station Palestrina fahren wollten, um
hier gegen fünf Uhr nachmittags noch den Abendzng nach Rom zu erreichen,
eine Strecke von mehr als 40 Kilometern bergauf und bergab, so war von
beiden Seiten größte Pünktlichkeit nötig. Auch dem Wirt erschien die ganze
Fahrt als etwas Ungewöhnliches; er bemerkte mit dem Ausdruck einer gewissen
Besorgnis, da der Wagen nicht an demselben Tage zurückkehren könne, so
würde er den doppelten Tagespreis kosten. Das waren nur 15 Lire, nach dein
Kurs wenig über 11 Mark.

Nach einer kalten, sternklaren Nacht war der Morgenhimmel etwas be¬
wölkt, und ein kühler Wind blies uns entgegen, als wir uns um ^7 Uhr auf
die pünktlich erschienenen Esel schwangen, an nach den Klöstern hinaufzureiteu,
beiläufig die beste Art, derartige Touren zu machen; denn abgesehen davon,
daß die Wege fast immer schattenlos und steinig sind, giebt es niemals einen
Wegweiser, und der Eseltreiber ist zugleich Führer. Der unsrige, ein alter
Mann, hatte überhaupt keinen andern Beruf mehr, als Fremde nach den
.Klöstern zu geleiten, "immer auf und ab," wie er sagte. Der Weg führte zu¬
nächst durch die Stadt, dann steil hinunter nach der Borstadt San Mauro,
die wir schon am Abend vorher durchwandert hatten, und stieg dann langsam
empor, links die steile Felswand, rechts tief unten in grüner Thalschlucht den
Anio. Kurz bevor eine prächtige Brücke in hohem, kühnem Bogen diesen über¬
spannt, biegt bei einer Cementfabrik der breite Reit- und Fußweg nach den
Klöstern von der Straße ab -- ein Fährverkehr ist hier unmöglich -- und
klimmt in Windungen an der südlichen Wand des Aniothals hinauf. Tief
unten, unter fast senkrecht abstürzenden Felswänden, braust unsichtbar der Berg¬
strom, gegenüber steigt ebenso steil, aber viel höher, der Monte Carpineto auf-
Rings starrt grauer Fels, mir der untere Teil des Carpineto ist bewaldet.

Nach einem etwa dreiviertelstündigen Ritt zeigte sich vor uns auf einer
schmalen Felsplatte das erste und größere der beiden Klöster, Santa Scholastik,
nach Benedikts frommer Schwester so benannt; doch ritten wir zunächst vorüber,
um gleich nach dem ältesten und ehrwürdigsten, San Benedetto oder Sacro


l^rbstl'ndet' aus Italien

Der erste Gasthof des Orts, La Pernice (Rebhuhn), gleich am Anfange
der Hauptstraße, ist allerdings noch ein einfaches, bürgerliches Haus. Aber
die Wirtin, eine lebhafte Frau mit scharfgeschnittnen Zügen und vollem
dunkeln Haar, stellte uns mit Bereitwilligkeit zwei große Zimmer im ersten
Stockwerk zur Verfügung, die alles Nötige vollständig und sauber enthielten,
und als wir, von einem Spaziergange durch die Vorstadt San Mauro, das
Thal aufwärts, zurückgekehrt, beim Abendbrot faßen, dessen Hauptbestandteile
das unvermeidliche Potio (Huhn) und ein trefflicher Landwein waren, erschien
auch der Wirt, zugleich Vorsteher der königlichen Post, ein schöner Mann von
gewandten Formen, der natürlich nur italienisch sprach, denn sobald man in
Italien von der großen Heerstraße abbiegt, ist auf nichts andres mehr zu
rechnen. Mit ihm wurde das Programm für den nächsten Tag genau fest¬
gesetzt, und da wir zuerst zu den Klöstern hinaufsteigen, dann aber quer durch
das Gebirge über Olevano nach der Station Palestrina fahren wollten, um
hier gegen fünf Uhr nachmittags noch den Abendzng nach Rom zu erreichen,
eine Strecke von mehr als 40 Kilometern bergauf und bergab, so war von
beiden Seiten größte Pünktlichkeit nötig. Auch dem Wirt erschien die ganze
Fahrt als etwas Ungewöhnliches; er bemerkte mit dem Ausdruck einer gewissen
Besorgnis, da der Wagen nicht an demselben Tage zurückkehren könne, so
würde er den doppelten Tagespreis kosten. Das waren nur 15 Lire, nach dein
Kurs wenig über 11 Mark.

Nach einer kalten, sternklaren Nacht war der Morgenhimmel etwas be¬
wölkt, und ein kühler Wind blies uns entgegen, als wir uns um ^7 Uhr auf
die pünktlich erschienenen Esel schwangen, an nach den Klöstern hinaufzureiteu,
beiläufig die beste Art, derartige Touren zu machen; denn abgesehen davon,
daß die Wege fast immer schattenlos und steinig sind, giebt es niemals einen
Wegweiser, und der Eseltreiber ist zugleich Führer. Der unsrige, ein alter
Mann, hatte überhaupt keinen andern Beruf mehr, als Fremde nach den
.Klöstern zu geleiten, „immer auf und ab," wie er sagte. Der Weg führte zu¬
nächst durch die Stadt, dann steil hinunter nach der Borstadt San Mauro,
die wir schon am Abend vorher durchwandert hatten, und stieg dann langsam
empor, links die steile Felswand, rechts tief unten in grüner Thalschlucht den
Anio. Kurz bevor eine prächtige Brücke in hohem, kühnem Bogen diesen über¬
spannt, biegt bei einer Cementfabrik der breite Reit- und Fußweg nach den
Klöstern von der Straße ab — ein Fährverkehr ist hier unmöglich — und
klimmt in Windungen an der südlichen Wand des Aniothals hinauf. Tief
unten, unter fast senkrecht abstürzenden Felswänden, braust unsichtbar der Berg¬
strom, gegenüber steigt ebenso steil, aber viel höher, der Monte Carpineto auf-
Rings starrt grauer Fels, mir der untere Teil des Carpineto ist bewaldet.

Nach einem etwa dreiviertelstündigen Ritt zeigte sich vor uns auf einer
schmalen Felsplatte das erste und größere der beiden Klöster, Santa Scholastik,
nach Benedikts frommer Schwester so benannt; doch ritten wir zunächst vorüber,
um gleich nach dem ältesten und ehrwürdigsten, San Benedetto oder Sacro


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/502>, abgerufen am 04.07.2024.