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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Don unserm türkischen freunde

den Suezkanal gehn. Ich habe kein Urteil darüber, wieviel die Post der Bahn
bringen kann. Wahrscheinlich wird der Hauptgewinn nicht hiervon, sondern
von dem Binnenverkehr Kleinasiens erwartet werden. In allen jungen oder
"ürmern" Ländern, wie Ungarn, Rumänien, Rußland, Italien, steht die Blüte
von Handel und Verkehr in unmittelbarer Abhängigkeit von der Blüte des
Landbaus, ja von jeder einzelnen Ernte. Ist die Ernte schlecht, so stocken alle
Geschäfte; nimmt die Landwirtschaft des Landes an Ergiebigkeit zu, so haben
alle Handelsgeschäfte und Verkehrsunternehmen gute Zeit. Jeder deutsche Ex-
Pvrtkaufmnnn macht diese Erfahrung an fremden Ländern. Bei uns ist dieser
Zusammenhang durch das Wachstum der Exportindustrie, die von fremden Ernten
abhängt, schon unsichtbar geworden. In Ancitolien gilt er noch. Die Eisen¬
bahn bringt die Ergiebigkeit des Landbaus mit; aber erst der ergiebige Land¬
bau oder Bergbau wird die volle Rentabilität der Eisenbahn bringen. Darum
ist ein Buch über das, was der anatolischc Landbau schon leistet, und was er
in Zukunft leisten kann, von hohem Interesse.

Solange sich die Bahn nicht aus sich selbst heraus rentiert, zahlt der
Sultan laut Vertrag soviel Zuschuß zu den Kilometereinnahmen, daß für das
Unternehmen eine angemessene Verzinsung gesichert ist, wie er denn auch für
gebauten Teil der cmatolischen Bahnen Zuschüsse zahlen muß. Er thut
bas, weil ihm der Bnhnbau aus strategischen und politischen Gründen nützlich
^scheint. Die Kräfte des gesamten Reichs können schneller zusammengefaßt
werden, sowohl zur Verwendung an den europäischen Grenzen, als auch im
fernen Osten, wo bisher die türkische Zentralmacht recht ohnmächtig war.
Durch diese Stnatsgarantie gewinnt das Unternehmen Ähnlichkeit mit einer
türkischen Staatsanleihe. Es bekommt dadurch eine politische Seite. Aber
"und ohnedem bedeutet es immer ein großes Vertrauen in die politische Zu¬
kauft dieses Landes, wenn man 300 Millionen für Verkchrszwecke hincinbaut,
während die gesamten dort marktgängigen Jmmobilienwerte des innern Landes
>^'r Zeit vermutlich nicht viel höher gelten.

-^es will hier nicht alle politischen Möglichkeiten erörtern, zumal nicht die
Aufteilung der Türkei in naher Zukunft. Genuß ist die nicht aus¬
schlossen. Aber was dann nötig wird, ist schnelles Handeln. Das Handeln
^e Sache andrer Leute, die schon bewiesen haben, daß sie sich darauf ver¬
thu. Dergleichen läßt sich dnrch öffentliche Reden nicht vorbereiten, nur
wren. Wenn man Politik schreiben will, so soll man anch politisch schreiben,
'/nein alten Onkel, der sich ans Sterben macht, dem sagt man doch auch
^ehe alle Tage, daß man nichts sehnlicher wünsche, als ihn zu beerben. Er
is sonst, uns zu ärgern, seine Habe einem andern verschreiben. Außerdem
s, ^ ^ur Zeit wahrscheinlicher, daß die Türkei leben bleibt und an Wider-
^udskraft zunimmt, als das Gegenteil. Unter dieser Voraussetzung muß man
Unternehmen ansehen.

M türkische Reich hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Frankreich, wie es
er Zeit seiner leMen Könige war. Die Hanptstener waren damals die


Grenzboten I 19(10 58
Don unserm türkischen freunde

den Suezkanal gehn. Ich habe kein Urteil darüber, wieviel die Post der Bahn
bringen kann. Wahrscheinlich wird der Hauptgewinn nicht hiervon, sondern
von dem Binnenverkehr Kleinasiens erwartet werden. In allen jungen oder
„ürmern" Ländern, wie Ungarn, Rumänien, Rußland, Italien, steht die Blüte
von Handel und Verkehr in unmittelbarer Abhängigkeit von der Blüte des
Landbaus, ja von jeder einzelnen Ernte. Ist die Ernte schlecht, so stocken alle
Geschäfte; nimmt die Landwirtschaft des Landes an Ergiebigkeit zu, so haben
alle Handelsgeschäfte und Verkehrsunternehmen gute Zeit. Jeder deutsche Ex-
Pvrtkaufmnnn macht diese Erfahrung an fremden Ländern. Bei uns ist dieser
Zusammenhang durch das Wachstum der Exportindustrie, die von fremden Ernten
abhängt, schon unsichtbar geworden. In Ancitolien gilt er noch. Die Eisen¬
bahn bringt die Ergiebigkeit des Landbaus mit; aber erst der ergiebige Land¬
bau oder Bergbau wird die volle Rentabilität der Eisenbahn bringen. Darum
ist ein Buch über das, was der anatolischc Landbau schon leistet, und was er
in Zukunft leisten kann, von hohem Interesse.

Solange sich die Bahn nicht aus sich selbst heraus rentiert, zahlt der
Sultan laut Vertrag soviel Zuschuß zu den Kilometereinnahmen, daß für das
Unternehmen eine angemessene Verzinsung gesichert ist, wie er denn auch für
gebauten Teil der cmatolischen Bahnen Zuschüsse zahlen muß. Er thut
bas, weil ihm der Bnhnbau aus strategischen und politischen Gründen nützlich
^scheint. Die Kräfte des gesamten Reichs können schneller zusammengefaßt
werden, sowohl zur Verwendung an den europäischen Grenzen, als auch im
fernen Osten, wo bisher die türkische Zentralmacht recht ohnmächtig war.
Durch diese Stnatsgarantie gewinnt das Unternehmen Ähnlichkeit mit einer
türkischen Staatsanleihe. Es bekommt dadurch eine politische Seite. Aber
"und ohnedem bedeutet es immer ein großes Vertrauen in die politische Zu¬
kauft dieses Landes, wenn man 300 Millionen für Verkchrszwecke hincinbaut,
während die gesamten dort marktgängigen Jmmobilienwerte des innern Landes
>^'r Zeit vermutlich nicht viel höher gelten.

-^es will hier nicht alle politischen Möglichkeiten erörtern, zumal nicht die
Aufteilung der Türkei in naher Zukunft. Genuß ist die nicht aus¬
schlossen. Aber was dann nötig wird, ist schnelles Handeln. Das Handeln
^e Sache andrer Leute, die schon bewiesen haben, daß sie sich darauf ver¬
thu. Dergleichen läßt sich dnrch öffentliche Reden nicht vorbereiten, nur
wren. Wenn man Politik schreiben will, so soll man anch politisch schreiben,
'/nein alten Onkel, der sich ans Sterben macht, dem sagt man doch auch
^ehe alle Tage, daß man nichts sehnlicher wünsche, als ihn zu beerben. Er
is sonst, uns zu ärgern, seine Habe einem andern verschreiben. Außerdem
s, ^ ^ur Zeit wahrscheinlicher, daß die Türkei leben bleibt und an Wider-
^udskraft zunimmt, als das Gegenteil. Unter dieser Voraussetzung muß man
Unternehmen ansehen.

M türkische Reich hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Frankreich, wie es
er Zeit seiner leMen Könige war. Die Hanptstener waren damals die


Grenzboten I 19(10 58
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[0465] Don unserm türkischen freunde den Suezkanal gehn. Ich habe kein Urteil darüber, wieviel die Post der Bahn bringen kann. Wahrscheinlich wird der Hauptgewinn nicht hiervon, sondern von dem Binnenverkehr Kleinasiens erwartet werden. In allen jungen oder „ürmern" Ländern, wie Ungarn, Rumänien, Rußland, Italien, steht die Blüte von Handel und Verkehr in unmittelbarer Abhängigkeit von der Blüte des Landbaus, ja von jeder einzelnen Ernte. Ist die Ernte schlecht, so stocken alle Geschäfte; nimmt die Landwirtschaft des Landes an Ergiebigkeit zu, so haben alle Handelsgeschäfte und Verkehrsunternehmen gute Zeit. Jeder deutsche Ex- Pvrtkaufmnnn macht diese Erfahrung an fremden Ländern. Bei uns ist dieser Zusammenhang durch das Wachstum der Exportindustrie, die von fremden Ernten abhängt, schon unsichtbar geworden. In Ancitolien gilt er noch. Die Eisen¬ bahn bringt die Ergiebigkeit des Landbaus mit; aber erst der ergiebige Land¬ bau oder Bergbau wird die volle Rentabilität der Eisenbahn bringen. Darum ist ein Buch über das, was der anatolischc Landbau schon leistet, und was er in Zukunft leisten kann, von hohem Interesse. Solange sich die Bahn nicht aus sich selbst heraus rentiert, zahlt der Sultan laut Vertrag soviel Zuschuß zu den Kilometereinnahmen, daß für das Unternehmen eine angemessene Verzinsung gesichert ist, wie er denn auch für gebauten Teil der cmatolischen Bahnen Zuschüsse zahlen muß. Er thut bas, weil ihm der Bnhnbau aus strategischen und politischen Gründen nützlich ^scheint. Die Kräfte des gesamten Reichs können schneller zusammengefaßt werden, sowohl zur Verwendung an den europäischen Grenzen, als auch im fernen Osten, wo bisher die türkische Zentralmacht recht ohnmächtig war. Durch diese Stnatsgarantie gewinnt das Unternehmen Ähnlichkeit mit einer türkischen Staatsanleihe. Es bekommt dadurch eine politische Seite. Aber "und ohnedem bedeutet es immer ein großes Vertrauen in die politische Zu¬ kauft dieses Landes, wenn man 300 Millionen für Verkchrszwecke hincinbaut, während die gesamten dort marktgängigen Jmmobilienwerte des innern Landes >^'r Zeit vermutlich nicht viel höher gelten. -^es will hier nicht alle politischen Möglichkeiten erörtern, zumal nicht die Aufteilung der Türkei in naher Zukunft. Genuß ist die nicht aus¬ schlossen. Aber was dann nötig wird, ist schnelles Handeln. Das Handeln ^e Sache andrer Leute, die schon bewiesen haben, daß sie sich darauf ver¬ thu. Dergleichen läßt sich dnrch öffentliche Reden nicht vorbereiten, nur wren. Wenn man Politik schreiben will, so soll man anch politisch schreiben, '/nein alten Onkel, der sich ans Sterben macht, dem sagt man doch auch ^ehe alle Tage, daß man nichts sehnlicher wünsche, als ihn zu beerben. Er is sonst, uns zu ärgern, seine Habe einem andern verschreiben. Außerdem s, ^ ^ur Zeit wahrscheinlicher, daß die Türkei leben bleibt und an Wider- ^udskraft zunimmt, als das Gegenteil. Unter dieser Voraussetzung muß man Unternehmen ansehen. M türkische Reich hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Frankreich, wie es er Zeit seiner leMen Könige war. Die Hanptstener waren damals die Grenzboten I 19(10 58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/465>, abgerufen am 04.07.2024.