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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Land- und Zeekrieg

Kreuzerkriege blühte Englands Handel und Verkehr immer mehr auf. Nie
zeigte sich besser, als gerade zu dieser Zeit, daß die Offenhaltung der Seewege
und damit die Seeherrschaft für das Inselreich von unberechenbarem Vor¬
teil war.

Hieraus leuchtet sofort ein, daß zwischen Landkrieg und Seekrieg ein
prinzipieller Gegensatz besteht. In einem Seekriege kommt es dein Sieger
nicht darauf an, die Entscheidung so schnell wie möglich herbeizuführen, im
Gegenteil, er wird sie nach Gutdünken hinausschieben. Betrachten wir einen
Seekrieg mit England unter deu jetzigen Verhältnissen etwas eingehender, so
kommen wir zu einem für Deutschland höchst unheilvollen Schluß. Gegen
eine Herausforderung durch den mächtigsten Gegner zur See kann uns kein
Seerecht, kein Bündnis mit andern Staaten schützen. Hier heißt es, rechtzeitig
die nötigen Vorbereitungen treffen und alsdann kühn und unverzagt den Kampf
aufnehmen. Mit dein durch das Flottengesetz von 1898 gesetzlich bewilligten
Schiffsbestand ist unsre Marine in der Lage, dem Feinde ein Doppelgeschwader
von einem Flottenflaggschiff und sechzehn Linienschiffen entgegenzustellen. Außer¬
dem werden noch zwei Divisionen je zu vier Küstenpanzerschiffen, die Aufklürungs-
schiffe der Schlachtflotte und die Torpedobootflottille zur Verteidigung der
deutschen Meere zur Verfügung stehn. Ein besondrer Nachteil unsrer Flotte
ist, daß infolge der späten Netabliernng unsers Schifssbestands zunächst nur
auf eine geringe Zahl wirklich vollwertiger Linienschiffe gerechnet werden kann.
Demgegenüber kann England, ohne sich der nötigen Seestreitkräfte auf den
wichtigsten Plätzen in der Welt zu begeben, eine Flotte von vierzig Linien¬
schiffen und darunter sicherlich zwanzig vollwertige mit dem dazu gehörigen
Apparat von Kreuzern und Torpedobooten aufstellen. Bei einer solchen Über¬
legenheit hat der Gegner die sichre Aussicht, entweder unsre Flotte, sobald sie
sich ihm stellt, zu vernichten oder sie in die Häfen einzuschließen. Mag sich
unsre Marine noch so tapfer schlagen, und mögen die Verluste des Gegners
dementsprechend schwer sein, das numerische Übergewicht bleibt bestehn. Vorüber¬
gehende Einzelerfolgc werden um dieser Thatsache nichts ändern. Die Divisionen
der Küstenpanzerschiffe sind gegenüber den Linienschiffen machtlos. Eine voll¬
wertige Reserve an Schlachtschiffen steht nicht zur Verfügung. Der Gegner
wird das Ziel, die Blockade der deutschen .Küsten und die Seeherrschaft in den
deutscheu Gewässern, mit Sicherheit erringen.

Wie gestaltet sich nun die Fortführung des Seekriegs? Der Kern der
feindlichen Seestreitkrüfte besteht ans der Flotte von Linienschiffen, die jeder¬
zeit aktionsbereit, etwaigen Allsfällen von unsrer Seite sowie Verwicklungen
oder Interventionen, die von andern Kontinentalmüchteu drohen, entgegentreten
kann. Die Ausbildung der Besatzungen wird sowohl durch die im Blockade¬
dienst vorkommenden Gefechte wie durch sonstige zweckmäßige Übungen nament¬
lich im Schießen auf das gründlichste gefördert werden; die Lücken, die durch
Verluste in den Kämpfen entstanden sind, werden nach und nach ausgefüllt
werden. Je länger der Krieg dauert, desto größer wird die Bereitschaft


Land- und Zeekrieg

Kreuzerkriege blühte Englands Handel und Verkehr immer mehr auf. Nie
zeigte sich besser, als gerade zu dieser Zeit, daß die Offenhaltung der Seewege
und damit die Seeherrschaft für das Inselreich von unberechenbarem Vor¬
teil war.

Hieraus leuchtet sofort ein, daß zwischen Landkrieg und Seekrieg ein
prinzipieller Gegensatz besteht. In einem Seekriege kommt es dein Sieger
nicht darauf an, die Entscheidung so schnell wie möglich herbeizuführen, im
Gegenteil, er wird sie nach Gutdünken hinausschieben. Betrachten wir einen
Seekrieg mit England unter deu jetzigen Verhältnissen etwas eingehender, so
kommen wir zu einem für Deutschland höchst unheilvollen Schluß. Gegen
eine Herausforderung durch den mächtigsten Gegner zur See kann uns kein
Seerecht, kein Bündnis mit andern Staaten schützen. Hier heißt es, rechtzeitig
die nötigen Vorbereitungen treffen und alsdann kühn und unverzagt den Kampf
aufnehmen. Mit dein durch das Flottengesetz von 1898 gesetzlich bewilligten
Schiffsbestand ist unsre Marine in der Lage, dem Feinde ein Doppelgeschwader
von einem Flottenflaggschiff und sechzehn Linienschiffen entgegenzustellen. Außer¬
dem werden noch zwei Divisionen je zu vier Küstenpanzerschiffen, die Aufklürungs-
schiffe der Schlachtflotte und die Torpedobootflottille zur Verteidigung der
deutschen Meere zur Verfügung stehn. Ein besondrer Nachteil unsrer Flotte
ist, daß infolge der späten Netabliernng unsers Schifssbestands zunächst nur
auf eine geringe Zahl wirklich vollwertiger Linienschiffe gerechnet werden kann.
Demgegenüber kann England, ohne sich der nötigen Seestreitkräfte auf den
wichtigsten Plätzen in der Welt zu begeben, eine Flotte von vierzig Linien¬
schiffen und darunter sicherlich zwanzig vollwertige mit dem dazu gehörigen
Apparat von Kreuzern und Torpedobooten aufstellen. Bei einer solchen Über¬
legenheit hat der Gegner die sichre Aussicht, entweder unsre Flotte, sobald sie
sich ihm stellt, zu vernichten oder sie in die Häfen einzuschließen. Mag sich
unsre Marine noch so tapfer schlagen, und mögen die Verluste des Gegners
dementsprechend schwer sein, das numerische Übergewicht bleibt bestehn. Vorüber¬
gehende Einzelerfolgc werden um dieser Thatsache nichts ändern. Die Divisionen
der Küstenpanzerschiffe sind gegenüber den Linienschiffen machtlos. Eine voll¬
wertige Reserve an Schlachtschiffen steht nicht zur Verfügung. Der Gegner
wird das Ziel, die Blockade der deutschen .Küsten und die Seeherrschaft in den
deutscheu Gewässern, mit Sicherheit erringen.

Wie gestaltet sich nun die Fortführung des Seekriegs? Der Kern der
feindlichen Seestreitkrüfte besteht ans der Flotte von Linienschiffen, die jeder¬
zeit aktionsbereit, etwaigen Allsfällen von unsrer Seite sowie Verwicklungen
oder Interventionen, die von andern Kontinentalmüchteu drohen, entgegentreten
kann. Die Ausbildung der Besatzungen wird sowohl durch die im Blockade¬
dienst vorkommenden Gefechte wie durch sonstige zweckmäßige Übungen nament¬
lich im Schießen auf das gründlichste gefördert werden; die Lücken, die durch
Verluste in den Kämpfen entstanden sind, werden nach und nach ausgefüllt
werden. Je länger der Krieg dauert, desto größer wird die Bereitschaft


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[0380] Land- und Zeekrieg Kreuzerkriege blühte Englands Handel und Verkehr immer mehr auf. Nie zeigte sich besser, als gerade zu dieser Zeit, daß die Offenhaltung der Seewege und damit die Seeherrschaft für das Inselreich von unberechenbarem Vor¬ teil war. Hieraus leuchtet sofort ein, daß zwischen Landkrieg und Seekrieg ein prinzipieller Gegensatz besteht. In einem Seekriege kommt es dein Sieger nicht darauf an, die Entscheidung so schnell wie möglich herbeizuführen, im Gegenteil, er wird sie nach Gutdünken hinausschieben. Betrachten wir einen Seekrieg mit England unter deu jetzigen Verhältnissen etwas eingehender, so kommen wir zu einem für Deutschland höchst unheilvollen Schluß. Gegen eine Herausforderung durch den mächtigsten Gegner zur See kann uns kein Seerecht, kein Bündnis mit andern Staaten schützen. Hier heißt es, rechtzeitig die nötigen Vorbereitungen treffen und alsdann kühn und unverzagt den Kampf aufnehmen. Mit dein durch das Flottengesetz von 1898 gesetzlich bewilligten Schiffsbestand ist unsre Marine in der Lage, dem Feinde ein Doppelgeschwader von einem Flottenflaggschiff und sechzehn Linienschiffen entgegenzustellen. Außer¬ dem werden noch zwei Divisionen je zu vier Küstenpanzerschiffen, die Aufklürungs- schiffe der Schlachtflotte und die Torpedobootflottille zur Verteidigung der deutschen Meere zur Verfügung stehn. Ein besondrer Nachteil unsrer Flotte ist, daß infolge der späten Netabliernng unsers Schifssbestands zunächst nur auf eine geringe Zahl wirklich vollwertiger Linienschiffe gerechnet werden kann. Demgegenüber kann England, ohne sich der nötigen Seestreitkräfte auf den wichtigsten Plätzen in der Welt zu begeben, eine Flotte von vierzig Linien¬ schiffen und darunter sicherlich zwanzig vollwertige mit dem dazu gehörigen Apparat von Kreuzern und Torpedobooten aufstellen. Bei einer solchen Über¬ legenheit hat der Gegner die sichre Aussicht, entweder unsre Flotte, sobald sie sich ihm stellt, zu vernichten oder sie in die Häfen einzuschließen. Mag sich unsre Marine noch so tapfer schlagen, und mögen die Verluste des Gegners dementsprechend schwer sein, das numerische Übergewicht bleibt bestehn. Vorüber¬ gehende Einzelerfolgc werden um dieser Thatsache nichts ändern. Die Divisionen der Küstenpanzerschiffe sind gegenüber den Linienschiffen machtlos. Eine voll¬ wertige Reserve an Schlachtschiffen steht nicht zur Verfügung. Der Gegner wird das Ziel, die Blockade der deutschen .Küsten und die Seeherrschaft in den deutscheu Gewässern, mit Sicherheit erringen. Wie gestaltet sich nun die Fortführung des Seekriegs? Der Kern der feindlichen Seestreitkrüfte besteht ans der Flotte von Linienschiffen, die jeder¬ zeit aktionsbereit, etwaigen Allsfällen von unsrer Seite sowie Verwicklungen oder Interventionen, die von andern Kontinentalmüchteu drohen, entgegentreten kann. Die Ausbildung der Besatzungen wird sowohl durch die im Blockade¬ dienst vorkommenden Gefechte wie durch sonstige zweckmäßige Übungen nament¬ lich im Schießen auf das gründlichste gefördert werden; die Lücken, die durch Verluste in den Kämpfen entstanden sind, werden nach und nach ausgefüllt werden. Je länger der Krieg dauert, desto größer wird die Bereitschaft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/380>, abgerufen am 04.11.2024.