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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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An der Schwelle des Dr!mes

ist der Eindruck des Rumänen auf dein Boden des Königreichs, wo die Nation
unter der ebenso kraftvoll ruhigen und unermüdlichen als Weitschauenden lind
mutigen Führung ihres Hohenzollernfürsten in den letzten dreißig Jahren den
nur voll wenigen geahnten Aufschwung genommen hat, den Kanitz prophetisch
vorausgesagt hat, als er 1868 schrieb: "Der Romane ist so bilduugsfühig, als
irgend eine der Nationen im illyrischen Dreieck, Unter weisen Gesetzen, welche
das durch das Bojaren- und Phnnariotentum lange niedergehaltne Bewußtsein
freier Menschenwürde in ihm wieder zu erwecken bestrebt wären, könnte der
Romane sogar eine hervorragende Stelle unter den Poutusvölkeru einnehmen,
vorausgesetzt natürlich, daß die Politik seines großen nordischen Protektors ihm
dies gestatten sollte."

Kaum ist Golnbinje, das nltrömische Kastell an der Südseite des obern
Ausgangs der Kazanenge, passiert, so wachsen scheinbar im Fluge vor dem
heraneilenden Dampfer die schon von fern gesehenen Felsenwände zum Himmel
empor, wie um den wirbelnden Strom in ihren Schlund einzuschlürfen, den
sie in seiner Einschnürung zwangen, sich ein stellenweise bis zu 74 Meter tiefes
Bett durch das Gestein zu graben. Während sich auf serbischer Seite noch
ein sanft abfallender Waldhügel zum Flusse heruntersenkt und erst hinter ihm
die mächtigen Schroffen mit ihrem gelbweißen Gestein emporsteigen, das in den
Schatten violette Tinten zeigt, und dessen Risse und Spalten überall vom
üppigen Grün verirrten Buschwerks und Niederholzes in Besitz genommen sind,
fallen sofort schon am ungarischen Ufer die mächtigen Berge fast lotrecht zum
Strom ab, sodaß sie an seinem Ufer oft nicht einmal ein schmales Bankett übrig
lassen für die hier zu Thal führende Szeche'nyistraßc, sie vielmehr wiederholt
nötigen, sich unter dem aufgesprengten Felsen hindurch Bahn zu brechen. Dem
Schöpfer dieses kühnen Werks ist denn auch gleich am obern Eingang der
Straße in den Kazanpaß eine Gedenktafel in den Stein gehauen und für ihren
Ort gerade eine der Stellen gewählt, wo der tiefe Fluß so dicht an die
senkrecht abfallende Felswand herantritt, daß sich die Straße völlig in diese
eingraben mußte. Auf dem drohend überhängenden Block ist nun die Inschrift
zu Szechenyis ewigem Gedächtnis mit der Jahreszahl 1885, als Gegenstück
zu der fast 1800 Jahre ältern Trajcmstafel, mit der einst der römische Impe-
rator sein Werk einer nun längst zerstörten Straße durch den Kazanpaß auf
dessen gegenüberliegender Seite und um entgegengesetzten Ausgang der Enge
dem Gedächtnis ewiger Zeiten überlieferte. Noch einmal achtzehn Jahrhunderte,
und was wird von dieser ungarischen That, der Kulturschöpfung den neun¬
zehnten Jahrhunderts noch übrig sein? Vielleicht auch nichts mehr als die in
den Felsen gegrabne Erinnerungstafel, zu der dann die Gelehrten von den
Mittelpunkten der neuen Zivilisation, etwa ans dem Innern von Asien oder
Afrika und aus der Neuen Welt, pilgern werden, um ihrer erstaunten Mit¬
welt Kunde zu geben von den Leistungen längstentschwundner Zeiten.

Freilich wofern der Mensch ein Verkehrshemmnis, das die Natur bietet,
dazu benutzen wollte, um einem andern als Gegner den Weg zu versperren,


An der Schwelle des Dr!mes

ist der Eindruck des Rumänen auf dein Boden des Königreichs, wo die Nation
unter der ebenso kraftvoll ruhigen und unermüdlichen als Weitschauenden lind
mutigen Führung ihres Hohenzollernfürsten in den letzten dreißig Jahren den
nur voll wenigen geahnten Aufschwung genommen hat, den Kanitz prophetisch
vorausgesagt hat, als er 1868 schrieb: „Der Romane ist so bilduugsfühig, als
irgend eine der Nationen im illyrischen Dreieck, Unter weisen Gesetzen, welche
das durch das Bojaren- und Phnnariotentum lange niedergehaltne Bewußtsein
freier Menschenwürde in ihm wieder zu erwecken bestrebt wären, könnte der
Romane sogar eine hervorragende Stelle unter den Poutusvölkeru einnehmen,
vorausgesetzt natürlich, daß die Politik seines großen nordischen Protektors ihm
dies gestatten sollte."

Kaum ist Golnbinje, das nltrömische Kastell an der Südseite des obern
Ausgangs der Kazanenge, passiert, so wachsen scheinbar im Fluge vor dem
heraneilenden Dampfer die schon von fern gesehenen Felsenwände zum Himmel
empor, wie um den wirbelnden Strom in ihren Schlund einzuschlürfen, den
sie in seiner Einschnürung zwangen, sich ein stellenweise bis zu 74 Meter tiefes
Bett durch das Gestein zu graben. Während sich auf serbischer Seite noch
ein sanft abfallender Waldhügel zum Flusse heruntersenkt und erst hinter ihm
die mächtigen Schroffen mit ihrem gelbweißen Gestein emporsteigen, das in den
Schatten violette Tinten zeigt, und dessen Risse und Spalten überall vom
üppigen Grün verirrten Buschwerks und Niederholzes in Besitz genommen sind,
fallen sofort schon am ungarischen Ufer die mächtigen Berge fast lotrecht zum
Strom ab, sodaß sie an seinem Ufer oft nicht einmal ein schmales Bankett übrig
lassen für die hier zu Thal führende Szeche'nyistraßc, sie vielmehr wiederholt
nötigen, sich unter dem aufgesprengten Felsen hindurch Bahn zu brechen. Dem
Schöpfer dieses kühnen Werks ist denn auch gleich am obern Eingang der
Straße in den Kazanpaß eine Gedenktafel in den Stein gehauen und für ihren
Ort gerade eine der Stellen gewählt, wo der tiefe Fluß so dicht an die
senkrecht abfallende Felswand herantritt, daß sich die Straße völlig in diese
eingraben mußte. Auf dem drohend überhängenden Block ist nun die Inschrift
zu Szechenyis ewigem Gedächtnis mit der Jahreszahl 1885, als Gegenstück
zu der fast 1800 Jahre ältern Trajcmstafel, mit der einst der römische Impe-
rator sein Werk einer nun längst zerstörten Straße durch den Kazanpaß auf
dessen gegenüberliegender Seite und um entgegengesetzten Ausgang der Enge
dem Gedächtnis ewiger Zeiten überlieferte. Noch einmal achtzehn Jahrhunderte,
und was wird von dieser ungarischen That, der Kulturschöpfung den neun¬
zehnten Jahrhunderts noch übrig sein? Vielleicht auch nichts mehr als die in
den Felsen gegrabne Erinnerungstafel, zu der dann die Gelehrten von den
Mittelpunkten der neuen Zivilisation, etwa ans dem Innern von Asien oder
Afrika und aus der Neuen Welt, pilgern werden, um ihrer erstaunten Mit¬
welt Kunde zu geben von den Leistungen längstentschwundner Zeiten.

Freilich wofern der Mensch ein Verkehrshemmnis, das die Natur bietet,
dazu benutzen wollte, um einem andern als Gegner den Weg zu versperren,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/307>, abgerufen am 02.10.2024.