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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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leicht in bequemem Figurantentnm auf und begeistert sich wenig für das, was
ganz vorn auf der Bühne vor sich geht. Die das Kabinett vorstellenden Figuren,
meint man, werden durch unsichtbare Hände an geheimnisvollen Drähten ge¬
leitet; verschwinden die Inhaber der Hauptrollen von der Bühne, so nimmt
man in?, daß ihr Spiel uicht mehr genehm war; geht etwas schief, so hat man
den Trost, daß es doch kaum an den Statisten gelegen haben kann.

Daß sich diese Kreise beim Ausbau der Staatsverfassung aus freien Stücken
beteiligen sollten, ist schwerlich zu erwarten. Was sie thun würden, wenn es
gelange, ihnen die Gefahr recht klar zu machen, in die ihre Lässigkeit und die
Angriffe ordnungsfeindlicher Parteien den Staat bringen, wer könnte es sagen?
Der Versuch wäre doch zu wagen. Mit einiger Aussicht auf Gelingen wird
ihn nur ein solcher Staatsmann machen können, dem es seine gesellige Stellung
und seine Persönlichkeit ermögliche", den offnen und versteckten Anfeindungen,
denen seine Bestrebungen von der Stunde der Portefeuilleübernahme an be¬
gegnen werden, einen energischen und für die Gegner wirklich gefahrbringenden
Widerstand entgegenzusetzen.

Zu gewinnen, zu überzeugen, zu begeistern wird es gelten, wenn sich der
rechte Mann gefunden haben wird, und -- festzustehn auf einem Boden, gegen
den Triebsand verläßlich und Moor gefahrlos ist. Für eine Erneuerung der
innern Politik wird ein administrativ, pekuniär lind gesellig vollkommen un¬
abhängiger, vielleicht ein neuer Mann nötig sein! Die äußere ist in Meister¬
händen und dürfte uns in nicht ferner Zeit Überraschungen im Orient bereiten,
deren wohlthätige Rückwirkung aus das ganze Reich auch der cisleithauischen
Negierung zu gute kommen wird.

Vou der jetzt geplanten "Versöhnung" der Parteien zu dem von uns für
Österreich gehofften modernen Richelieu ist es weit, wir bekennen es. Und
doch, glauben wir, ist die Erhaltung Österreichs in seiner Stellung als Gro߬
macht nur um diesen Preis zu erwarten. Indes nehmen die Kapuziner mit
gottergebner Gelassenheit einen ehernen Sarg nach dem andern in Empfang,
und in mehr als einem Falle hat es den Anschein, als habe sich die von
ihnen gehütete Gruft -- ein zweiter Escorial -- wie über dem Schläfer, so
mich über dessen Geheimnis geschlossen.

Doch zurück zu Böhmen! Nicht um die Abhilfe einzelner Beschwerden ist
es den Tscheche" zu thun: sie verlangen für Böhmen, was man für das König¬
reich Ungarn gethan hat, und wie soll ihnen Österreich, ohne selbst Hand an sich
zu legen, das gewähren? Die Loslösung der Stephauskrone von der Gesamt¬
monarchie ist eine vollendete Thatsache. Zu geschehenen Dingen soll man das
Beste sagen; die Zukunft wird lehren, wem die als Personalunion bezeichnete
Trennung zum Heil ausschlagen truü, und ob überhaupt irgend jemand. Auch
noch Böhmen? Uns scheint das unmöglich. Auch statutarische Abmachungen,
wie die, auf die sich die separatistische Partei in Böhmen beruft, sind dem all¬
gemeinen Gesetz der Zeit und des Wechsels unterworfen. Keine der für "ewige
Zeiten" getroffnen staatsrechtlichen Vereinbarungen, von denen uns die Geschichte


leicht in bequemem Figurantentnm auf und begeistert sich wenig für das, was
ganz vorn auf der Bühne vor sich geht. Die das Kabinett vorstellenden Figuren,
meint man, werden durch unsichtbare Hände an geheimnisvollen Drähten ge¬
leitet; verschwinden die Inhaber der Hauptrollen von der Bühne, so nimmt
man in?, daß ihr Spiel uicht mehr genehm war; geht etwas schief, so hat man
den Trost, daß es doch kaum an den Statisten gelegen haben kann.

Daß sich diese Kreise beim Ausbau der Staatsverfassung aus freien Stücken
beteiligen sollten, ist schwerlich zu erwarten. Was sie thun würden, wenn es
gelange, ihnen die Gefahr recht klar zu machen, in die ihre Lässigkeit und die
Angriffe ordnungsfeindlicher Parteien den Staat bringen, wer könnte es sagen?
Der Versuch wäre doch zu wagen. Mit einiger Aussicht auf Gelingen wird
ihn nur ein solcher Staatsmann machen können, dem es seine gesellige Stellung
und seine Persönlichkeit ermögliche«, den offnen und versteckten Anfeindungen,
denen seine Bestrebungen von der Stunde der Portefeuilleübernahme an be¬
gegnen werden, einen energischen und für die Gegner wirklich gefahrbringenden
Widerstand entgegenzusetzen.

Zu gewinnen, zu überzeugen, zu begeistern wird es gelten, wenn sich der
rechte Mann gefunden haben wird, und — festzustehn auf einem Boden, gegen
den Triebsand verläßlich und Moor gefahrlos ist. Für eine Erneuerung der
innern Politik wird ein administrativ, pekuniär lind gesellig vollkommen un¬
abhängiger, vielleicht ein neuer Mann nötig sein! Die äußere ist in Meister¬
händen und dürfte uns in nicht ferner Zeit Überraschungen im Orient bereiten,
deren wohlthätige Rückwirkung aus das ganze Reich auch der cisleithauischen
Negierung zu gute kommen wird.

Vou der jetzt geplanten „Versöhnung" der Parteien zu dem von uns für
Österreich gehofften modernen Richelieu ist es weit, wir bekennen es. Und
doch, glauben wir, ist die Erhaltung Österreichs in seiner Stellung als Gro߬
macht nur um diesen Preis zu erwarten. Indes nehmen die Kapuziner mit
gottergebner Gelassenheit einen ehernen Sarg nach dem andern in Empfang,
und in mehr als einem Falle hat es den Anschein, als habe sich die von
ihnen gehütete Gruft — ein zweiter Escorial — wie über dem Schläfer, so
mich über dessen Geheimnis geschlossen.

Doch zurück zu Böhmen! Nicht um die Abhilfe einzelner Beschwerden ist
es den Tscheche» zu thun: sie verlangen für Böhmen, was man für das König¬
reich Ungarn gethan hat, und wie soll ihnen Österreich, ohne selbst Hand an sich
zu legen, das gewähren? Die Loslösung der Stephauskrone von der Gesamt¬
monarchie ist eine vollendete Thatsache. Zu geschehenen Dingen soll man das
Beste sagen; die Zukunft wird lehren, wem die als Personalunion bezeichnete
Trennung zum Heil ausschlagen truü, und ob überhaupt irgend jemand. Auch
noch Böhmen? Uns scheint das unmöglich. Auch statutarische Abmachungen,
wie die, auf die sich die separatistische Partei in Böhmen beruft, sind dem all¬
gemeinen Gesetz der Zeit und des Wechsels unterworfen. Keine der für „ewige
Zeiten" getroffnen staatsrechtlichen Vereinbarungen, von denen uns die Geschichte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/293>, abgerufen am 04.07.2024.