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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Böhmische Wirren

Wird die Regierung, wird man fragen, für eine innere Politik, die keine
Beschränkung des Gebiets der Staatssprache zu dulden entschlossen ist, eine
Majorität im Reichsrat finden? Es kann sich hierbei selbstverständlich nicht
darum handeln, ob man für den einen oder den andern in diesem Sinne ab¬
gefaßten Gesetzentwurf durch Kombinationen und Kompromisse eine künstliche,
schon am nächsten Tage wieder zerstäubende Majorität zusainmenbriingen könnte.
Ein solcher rein taktischer Erfolg ist für eine Regierung, der es um die kon¬
sequente Durchführung eines Prinzips zu thun ist, ohne Wert. Was wir im
Auge haben, ist die Frage, ob es mit Hilfe des loyal gebliebner Teils der
Presse möglich wäre, das österreichische Volk von der Gefahr der gegenwärtigen
Lage und von der Notwendigkeit eines energischen Einschreitens gegen die an
der Zerreißung Österreichs arbeitenden zentrifugalen und subversiven Elemente
zu überzeugen, lind ob die dadurch herbeigeführte Strömung der öffentlichen
Meinung den: Kabinett, gegenüber den Ansprüchen der mir mit ihren Sonder¬
interessen beschäftigten Parteigruppen, als hinreichende Stütze dienen könnte?

Bei dem gegenwärtigen Stande der Dinge muß an eine Beantwortung
dieser Frage mit großer Borsicht herangetreten werdem Die Regierung hat
neuerdings eine Niederlage nach der andern erlitten. Ein großer Teil ihrer
Anhänger ist unschlüssig geworden und hat sich durch das laute Geschrei und
die Siegeszuversicht der staatsfeindlichen Parteien einschüchtern lassen. Das
deutsch-österreichische Element, allerorten augegriffen und bedrängt, hat den
nötigen Zusammenhalt und die patriotische Begeisterung früherer glücklicherer
Jahre so sehr eingebüßt, daß sich bald hier bald dort eine Anzahl seiner Mit¬
glieder einer Sondergruppe anschließt und sich durch sie auf Pfade drängen
läßt, auf denen ein einsichtiger österreichischer Patriot nicht wandeln sollte.

Wo soll die Regierung anpochen, um für eine die Kräftigung des Ge-
samtstncits allen übrigen Rücksichten voranstellende Politik den nötigen Rück¬
halt zu finden? Für dessen Ansehen und Gedeihen noch verderblicher als die
Halbheit und Unentschlossenheit der Deutsch-Österreicher ist das von den natio¬
nalen und kirchlichen Parteigruppen beobachtete Prinzip, der Regierung ihre
Mitwirkung von Fall zu Fall für eine ihren Sonderinteresseu dienende Gegen¬
leistung zu verkaufen. Auch auf die Gruppen der Großgrundbesitzer ist kein
eigentlicher Verlaß, da sie sich bald durch ihre Sonderinteresseu, bald durch
kirchliche und Partikularistische Rücksichten, bald durch Lieblingstheorien be¬
stimmen lassen.

Obwohl man Osterreich den Charakter eines Nationalstaats absprechen
muß, so ist doch andrerseits das Vorhandensein eines österreichischen National¬
gefühls, an das die Regierung in ihrer Not appellieren könnte, nicht in Ab¬
rede zu stellen. Dieses dürfte zwar in keinem Teile Österreichs und in keinem
Stande seiner Bevölkerung ganz fehlen, aber in einer für die Idee strafferer
Zentralisation empfänglichen Form findet es sich am häufigsten und ausge¬
prägtesten vor bei den Deutsch-Österreichern, bei dem Beamten- und Offizier¬
stand. Warum ist der politische Einfluß dieses Gefühls so gering?


Böhmische Wirren

Wird die Regierung, wird man fragen, für eine innere Politik, die keine
Beschränkung des Gebiets der Staatssprache zu dulden entschlossen ist, eine
Majorität im Reichsrat finden? Es kann sich hierbei selbstverständlich nicht
darum handeln, ob man für den einen oder den andern in diesem Sinne ab¬
gefaßten Gesetzentwurf durch Kombinationen und Kompromisse eine künstliche,
schon am nächsten Tage wieder zerstäubende Majorität zusainmenbriingen könnte.
Ein solcher rein taktischer Erfolg ist für eine Regierung, der es um die kon¬
sequente Durchführung eines Prinzips zu thun ist, ohne Wert. Was wir im
Auge haben, ist die Frage, ob es mit Hilfe des loyal gebliebner Teils der
Presse möglich wäre, das österreichische Volk von der Gefahr der gegenwärtigen
Lage und von der Notwendigkeit eines energischen Einschreitens gegen die an
der Zerreißung Österreichs arbeitenden zentrifugalen und subversiven Elemente
zu überzeugen, lind ob die dadurch herbeigeführte Strömung der öffentlichen
Meinung den: Kabinett, gegenüber den Ansprüchen der mir mit ihren Sonder¬
interessen beschäftigten Parteigruppen, als hinreichende Stütze dienen könnte?

Bei dem gegenwärtigen Stande der Dinge muß an eine Beantwortung
dieser Frage mit großer Borsicht herangetreten werdem Die Regierung hat
neuerdings eine Niederlage nach der andern erlitten. Ein großer Teil ihrer
Anhänger ist unschlüssig geworden und hat sich durch das laute Geschrei und
die Siegeszuversicht der staatsfeindlichen Parteien einschüchtern lassen. Das
deutsch-österreichische Element, allerorten augegriffen und bedrängt, hat den
nötigen Zusammenhalt und die patriotische Begeisterung früherer glücklicherer
Jahre so sehr eingebüßt, daß sich bald hier bald dort eine Anzahl seiner Mit¬
glieder einer Sondergruppe anschließt und sich durch sie auf Pfade drängen
läßt, auf denen ein einsichtiger österreichischer Patriot nicht wandeln sollte.

Wo soll die Regierung anpochen, um für eine die Kräftigung des Ge-
samtstncits allen übrigen Rücksichten voranstellende Politik den nötigen Rück¬
halt zu finden? Für dessen Ansehen und Gedeihen noch verderblicher als die
Halbheit und Unentschlossenheit der Deutsch-Österreicher ist das von den natio¬
nalen und kirchlichen Parteigruppen beobachtete Prinzip, der Regierung ihre
Mitwirkung von Fall zu Fall für eine ihren Sonderinteresseu dienende Gegen¬
leistung zu verkaufen. Auch auf die Gruppen der Großgrundbesitzer ist kein
eigentlicher Verlaß, da sie sich bald durch ihre Sonderinteresseu, bald durch
kirchliche und Partikularistische Rücksichten, bald durch Lieblingstheorien be¬
stimmen lassen.

Obwohl man Osterreich den Charakter eines Nationalstaats absprechen
muß, so ist doch andrerseits das Vorhandensein eines österreichischen National¬
gefühls, an das die Regierung in ihrer Not appellieren könnte, nicht in Ab¬
rede zu stellen. Dieses dürfte zwar in keinem Teile Österreichs und in keinem
Stande seiner Bevölkerung ganz fehlen, aber in einer für die Idee strafferer
Zentralisation empfänglichen Form findet es sich am häufigsten und ausge¬
prägtesten vor bei den Deutsch-Österreichern, bei dem Beamten- und Offizier¬
stand. Warum ist der politische Einfluß dieses Gefühls so gering?


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[0291] Böhmische Wirren Wird die Regierung, wird man fragen, für eine innere Politik, die keine Beschränkung des Gebiets der Staatssprache zu dulden entschlossen ist, eine Majorität im Reichsrat finden? Es kann sich hierbei selbstverständlich nicht darum handeln, ob man für den einen oder den andern in diesem Sinne ab¬ gefaßten Gesetzentwurf durch Kombinationen und Kompromisse eine künstliche, schon am nächsten Tage wieder zerstäubende Majorität zusainmenbriingen könnte. Ein solcher rein taktischer Erfolg ist für eine Regierung, der es um die kon¬ sequente Durchführung eines Prinzips zu thun ist, ohne Wert. Was wir im Auge haben, ist die Frage, ob es mit Hilfe des loyal gebliebner Teils der Presse möglich wäre, das österreichische Volk von der Gefahr der gegenwärtigen Lage und von der Notwendigkeit eines energischen Einschreitens gegen die an der Zerreißung Österreichs arbeitenden zentrifugalen und subversiven Elemente zu überzeugen, lind ob die dadurch herbeigeführte Strömung der öffentlichen Meinung den: Kabinett, gegenüber den Ansprüchen der mir mit ihren Sonder¬ interessen beschäftigten Parteigruppen, als hinreichende Stütze dienen könnte? Bei dem gegenwärtigen Stande der Dinge muß an eine Beantwortung dieser Frage mit großer Borsicht herangetreten werdem Die Regierung hat neuerdings eine Niederlage nach der andern erlitten. Ein großer Teil ihrer Anhänger ist unschlüssig geworden und hat sich durch das laute Geschrei und die Siegeszuversicht der staatsfeindlichen Parteien einschüchtern lassen. Das deutsch-österreichische Element, allerorten augegriffen und bedrängt, hat den nötigen Zusammenhalt und die patriotische Begeisterung früherer glücklicherer Jahre so sehr eingebüßt, daß sich bald hier bald dort eine Anzahl seiner Mit¬ glieder einer Sondergruppe anschließt und sich durch sie auf Pfade drängen läßt, auf denen ein einsichtiger österreichischer Patriot nicht wandeln sollte. Wo soll die Regierung anpochen, um für eine die Kräftigung des Ge- samtstncits allen übrigen Rücksichten voranstellende Politik den nötigen Rück¬ halt zu finden? Für dessen Ansehen und Gedeihen noch verderblicher als die Halbheit und Unentschlossenheit der Deutsch-Österreicher ist das von den natio¬ nalen und kirchlichen Parteigruppen beobachtete Prinzip, der Regierung ihre Mitwirkung von Fall zu Fall für eine ihren Sonderinteresseu dienende Gegen¬ leistung zu verkaufen. Auch auf die Gruppen der Großgrundbesitzer ist kein eigentlicher Verlaß, da sie sich bald durch ihre Sonderinteresseu, bald durch kirchliche und Partikularistische Rücksichten, bald durch Lieblingstheorien be¬ stimmen lassen. Obwohl man Osterreich den Charakter eines Nationalstaats absprechen muß, so ist doch andrerseits das Vorhandensein eines österreichischen National¬ gefühls, an das die Regierung in ihrer Not appellieren könnte, nicht in Ab¬ rede zu stellen. Dieses dürfte zwar in keinem Teile Österreichs und in keinem Stande seiner Bevölkerung ganz fehlen, aber in einer für die Idee strafferer Zentralisation empfänglichen Form findet es sich am häufigsten und ausge¬ prägtesten vor bei den Deutsch-Österreichern, bei dem Beamten- und Offizier¬ stand. Warum ist der politische Einfluß dieses Gefühls so gering?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/291>, abgerufen am 04.07.2024.